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Die Unterirdischen

Die-Geister-Erstes-BuchChristoph Wilhelm Meißner
Die Geister
Erster Band
Berlin 1805, bei Oehmigke jun., überarbeitet 2015

Die Unterirdischen

Ein heftiges Gewitter, begleitet von einem fürchterlichen Regenguss, und die finsterste Nacht überfielen den jungen Grafen von Alikanta am Eingang eines kleinen Dörfchens, welches in der Tiefe eines fast ganz einsamen und mit Wasser angefüllten Tals lag. Er schickte seinen Bediensteten Pedro voran, um ein Wirtshaus aufzusuchen, während er selbst sich zum Pfarrer des Ortes begab, dessen armseliges Häuschen sich von denen der übrigen Dorfbewohner nur wenig unterschied, denn man schien darin vor Wind und Regen nicht eben völlig gesichert zu sein.

Der Pfarrer empfing den Grafen mit vieler Bereitwilligkeit und verwendete die ganze Gabe seiner Beredsamkeit, ihn für die Ehre zu danken, welche er durch diesen hohen Besuch seiner kleinen Hütte erzeige, und entschuldigte sich unaufhörlich, dass er mit keinen Bequemlichkeiten aufzuwarten imstande sei.

Der Graf erwiderte dem biederen Geistlichen, dass er keineswegs gesonnen sei, ihm beschwerlich zu fallen, sondern dass er bloß die Rückkehr seines Dieners erwarte, und machte Anstalten, sich zu entfernen, da er die Verlegenheit des ehrlichen Mannes nur zu deutlich in allen Mienen und Bewegungen gewahr wurde. Allein der Prediger hielt ihn zurück und versicherte, dass sein Haus, bei aller Ärmlichkeit, dennoch das bequemste im ganzen Dorf wäre.

Pedro kam zurück und bestätigte die Versicherung des Predigers durch seine Aussage.

»Nun, so wollen wir lieber in jenem Schloss einkehren, das ich auf einem Hügel am anderen Ende des Dorfes habe liegen sehen!«, entgegnete der Graf. »Wer dort auch wohnen mag, ein Zimmer wird er mir doch hoffentlich nicht abschlagen! Geh hin, Pedro, und melde mich an! Ich werde solange hier noch verweilen.«

»Gnädiger Herr!«, begann nun der Pfarrer, »dieses Schloss ist unbewohnt. Es steht seit mehreren Jahren nur unter der Obrigkeit. Die meisten Zimmer sind ohne Türen, und die wenigen, die noch da sind, haben keine Schlösser. Doch gibt es noch einige Zimmer darin, die mit guten Betten und alten Möbeln versehen sind.«

»Unser genug!«, antwortete der Graf. »Ich will diese Nacht dort zubringen.«

»Ach, lieber Herr!«, fiel nun Pedro mit zitternder Stimme ein. Wir sind dort nicht sicher. Das Schloss wird von Kobolden und Geistern bewohnt, welche alle Nächte einen grausamen Spektakel darin machen. Der Besitzer desselben ist ausgewandert und hat es gegen eine große Geldsumme dem Teufel abgetreten.«

»Du bist ein Narr, ein furchtsamer Hase!«, rief der Graf etwas aufgebracht. »Mit einem Wort: Ich will dort übernachten. Vorher aber werde ich von dem gütigen Anerbieten meines jetzigen Wirts Gebrauch machen und bei ihm das Abendbrot einnehmen.«

Während dessen fragte der Graf den Geistlichen um die Entstehung jener fürchterlichen Sagen bezüglich dieses Schlosses. Der Pfarrer war ein gutmütiger, aber dabei sehr beschränkter Mann. Unwissend und leichtgläubig bis zum höchsten Grade, konnte er das armseligste Geschichtchen auswendig aufsagen, und es gab keine Art von Märchen, Visionen und schrecklichen Erscheinungen, die er nicht vorgebracht hätte, um den Entschluss des Grafen wankend zu machen.

Anfänglich machten alle diese schauerlichen Erzählungen dem Grafen ein wahres Vergnügen, und er verlachte bei sich selbst die Leichtgläubigkeit seines Wirts von Herzen. Endlich aber empfand er die drückenste Langeweile. Er stand schnell vom Tisch auf und befahl seinem Diener, ihm zu folgen.

Auch dieser begann nun Gegendarstellungen zu machen, die aber ebenso fruchtlos waren. Der Graf kannte keine Feigheit und hörte nicht einmal darauf. Vielmehr sagte er dem Pfarrer eine gute Nacht und fügte lächelnd hinzu, er hoffe das Frühstück am anderen Morgen bei ihm einzunehmen und ihn sowie die getäuschten Landbewohner zu überführen, dass es keine Gespenster gäbe.

Der Pfarrer begleitete den Grafen mit seinen Gebeten, und dieser schlug nun den Weg zum alten Schloss ein, wohin ihm Pedro, dessen Entsetzen mit jedem Schritt, den sie sich den Ort ihrer Bestimmung näherten, wuchs und der endlich so traurig wurde, als ob er zum Tode gehen sollte, mit einer Fackel vorleuchten musste.

Das Schloss selbst, das nun ganz dicht vor ihnen lag, war ein altes Gebäude, mit Graben umgeben, geziert mit einigen Türmen, die schon halb in Trümmern lagen und einen höchst unangenehmen Ort bildeten, der ganz dazu geeignet war, durch seine Lage jenen geheimen Schauer einzuflößen, den man fast immer beim Anblick großer, in Ruinen verfallener Gebäude empfindet.

Hierzu kam noch das Geschrei von scheuen Nachteulen, die hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten.

Sie gingen über die Höfe des Schlosses, stiegen eine große, halb verfallene Treppe hinauf und durchliefen alle Zimmer, deren Fußböden unter ihren Tritten krachten.

Der Graf blieb zuletzt in einer Kammer, die er für die beste und gemächlichste hielt, und ließ sich auskleiden. Bevor er sich aber niederlegte, befestigte er seine Pistolen an den Gurt des Degens und legte seine Waffen unter das Kopfkissen seines Bettes. Hierauf ließ er ein Feuer im Kamin anmachen und zwei Lichter anzünden, die er vor sich hinstellte. Nach diesen Vorsichtsmaßregeln legte er sich, obschon nicht völlig ausgekleidet, ins Bett. Pedro aber streckte sich neben ihm auf den Fußboden und bedeckte sich mit einer Matratze.

Ein gewisser Schauer, den selbst der wahre Mut nicht verlieren kann, stellte jedoch dem Grafen, ohne dass er es verhindern konnte, die mancherlei Gefahren vor, in welche er sich ohne Not vielleicht stürzen konnte. Er warf sich unruhig von einer Seite zur anderen. So hatte er bereits zwei Stunden hingebracht und war eben im Begriff, einzuschlafen, als er, es mochte ungefähr Mitternacht gewesen sein, von dem entferntesten Hof her ein dumpfes Geräusch hörte, das er wegen jener Entlegenheit nicht recht unterscheiden wusste. Indes glaubte er doch so viel zu entdecken, dass es rund um das Schloss her ertönte, und hielt es für irgendein verirrtes wildes Tier, welches in dieser Gegend umherschweife.

Aber er wurde in seiner Meinung sehr bald betrogen!

Das Geräusch wurde, je näher es kam, immer vernehmlicher, und man hörte deutlich den Schritt eines Menschen, der langsam einhergeht, und das Geklirr einer schweren Kette, die über das Pflaster fortgeschleift wurde.

Dieser poltrige Lärm, welcher in die Zimmer unvermerkt eindrang, schien nun geradewegs auf die Kammer des Grafen zuzukommen. Er glaubte sich deshalb bereit halten zu müssen, warf, indem er sich schnell erhob, den Gurt in Form einer Schärpe um seine Schultern und war so auf jedes Abenteuer gefasst.

Unterdessen vermehrte sich das Geräusch auf der Treppe und weckte auch Pedro auf, der, um seine Furcht zu betäuben, sich mit einer Flasche Wein versehen hatte. Es kostete dem Grafen dessen ungeachtet nicht wenig Mühe, ihn vom Schreien abzuhalten.

Das Schreckbild setzte seinen Weg fort, durchlief die angrenzenden Zimmer, und nachdem es mit einer kläglich seufzenden Stimme diese Tour gemacht hatte, stieg es in das höhere Stockwerk, wo es durch das Schleifen seiner Ketten einen gewaltigen Lärm vollführte.

Der Graf wurde immer mehr in dem Verdacht eines Betruges, der hier obwalten müsste, bestärkt und nahm sich fest vor, koste es, was es wolle, ihn zu entdecken. In diesem Augenblick geschah ein heftiger Stoß gegen die nichtverriegelte Tür und das Phantom trat in das Zimmer. Seine Gestalt war grässlich. Es schien ganz das Fell eines Bären zu haben und war mit schweren Ketten belastet, mit denen es unter schrecklichen Seufzern gegen die Mauern schlug- Nun näherte es sich mit finsterer Miene der Matratze, unter welcher Pedro lag, hob die Ketten auf ließ sie an den Ohren dieses armen Unglücklichen ertönen, der am ganzen Körper zitterte und seinen Tod für unvermeidlich hielt.

Bis dahin hatte der Graf diesem seltsamen Treiben ruhig hinter den Vorhängen seines Bettes zugesehen. Als aber Pedro laut aufschrie, fürchtete er, man habe ihm Gewalt angetan. Er sprang, mit der geladenen Pistole in der Hand, aus dem Bett, ergriff einen Leuchter, ging auf das Ungetüm zu und schrie aus voller Kraft: »Stirb!«

Völlig unerschrocken wandte sich das Gespenst bedächtig nach ihm hin, schüttelte mit Heftigkeit seine klirrenden Ketten und sprach in einem dumpfen Ton: »Folge mir, armseliger Sterblicher!« Nach diesen Worten trat es schnell seinen Rückweg zur Tür an.

Gleich gereizt durch die Begierde, diesem Abenteuer auf den Grund zu kommen, als durch den Verdruss, seinen treuen Diener verloren zu haben, der ohne das geringste Lebenszeichen dalag, folgte der Graf der Schreckgestalt von fern, immer noch die Pistole in der Hand, jedoch mit dem festen Entschluss, sie nur im äußersten Notfall abzufeuern.

Die Gestalt führte ihn die Treppe hinab, mit vieler Eile über den Hof, an den Eingang einer Art von gewölbter Galerie. Kaum war der Graf eingetreten, so stieß das geheimnisvolle Wesen einen fürchterlichen Schrei aus und verschwand vor seinen Augen in die Eingeweide der Erde.

Ein heftiger Wind, der dabei empordrang, löschte seine Fackel aus, die sich dahin noch gegen die wehende Luft auf dem Hof erhalten hatte. Er sah sich nun in der undurchdringlichsten Finsternis, an einem ihm völlig unbekannten Ort – ganz allein!

In der Hitze wagte der Graf einige Schritte vorwärts und stürzte in das weite, öde Reich der Schatten hinab. Sein Sturz war einer der gefährlichsten, doch geschah ihm kein Leid. Der Abgrund ging nicht bis in die Unterwelt, und obgleich die Art, wie er hinabgestiegen, fürchterlich war, so war es doch unmöglich, ihn zu töten. Es befand sich nämlich eine Falltür im Fußboden, welche auf einem Hebel ruhte, mit einem sehr geschickt angebrachten Gegengewicht, durch welche sie niederfallen und in die Höhe springen konnte, wenn man den Fuß auf die eine oder die andere äußerste Seite setzte, wo man dann auf weiche Matratzen hinab glitt.

Sobald der Graf in dieses unterirdische Gewölbe gefallen war, sah er sich augenblicklich von einer Schar Geister von menschkicher Gestalt umgeben. Aus ihren Mienen konnte er schließen, dass sie ebenso erstaunt über diesen unverhofften Besuch waren, wie er selbst es war, sich in ihrer Mitte zu befinden.

Man ließ im weder Zeit, sich zu sammeln, noch ihnen ins Gesicht zu sehen, verband ihm die Augen, entwaffnete ihn und ließ ihn in einen benachbarten Keller einschließen.

Dessen ungeachtet verlor der Graf die Gegenwart des Geistes nicht. Er glaubte, den nicht unrichtigen Entschluss machen zu dürfen, dass diese Leute sich entweder mit der Alchemie beschäftigten oder falsches Gold münzten, und dass das fürchterliche Geräusch, welches sie alle Nächte im Schloss hören ließen, bloß dazu diene, um die Neugierigen davon zu entfernen. Je länger er aber darüber nachdachte, desto mehr sah er ein, in welche schreckliche Gefahr er sich gestürzt habe.

Bald darauf hörte er deutlich, dass man sich beratschlagte, was nun mit ihm anzufangen sei. Der größte Teil stimmte für den Tod. Nur ein Einziger, etwas menschlicher, schlug vor, man solle sich erst nach dem Stand und der Absicht der Reise des Unbekannten erkundigen. Man führte ihn deshalb aus seinem Gefängnis in die Versammlung, wo der Graf nach mehreren vorgelegten und beantworteten Fragen die Beweise seines Standes durch die Papiere, die er bei sich trug, darlegte.

»Seien Sie übrigens unbesorgt, meine Herren!«, schloss der Graf seine Rede. »Weit entfernt, in Ihr Geheimnis eindringen zu wollen, schwöre ich Ihnen vielmehr auf Kavalierparole, dass ich unfähig bin, das Ihre zu verraten. Sollten Sie jedoch unbedingt meinen Tod beschließen, so seien Sie versichert, dass meinem Fall der Ihre unmittelbar folgen wird. Unstreitig wird sich mein Kammerdiener durch die Flucht gerettet haben. Und wenn ich nicht wieder zum Vorschein komme, meiner Familie den ganzen Vorgang berichten, welche dann bei dem Monarchen nicht eher ruhen wird, bis dieses Schloss zerstört worden ist.«

Diese Rede, welche jene Würde auf dem Gesicht begleitete, die einen Mann von wahrem Mut nie verlässt, versetzte alle in tiefes Erstaunen.

Er wurde von Neuem in den Keller zurückgeführt, um zum zweiten Mal über ihn Rat zu halten.

Das jetzige Urteil, wie der Graf vernehmlich hören konnte, fiel schon günstiger für ihn aus. Zwar waren noch manche, die für den Tod stimmten, aber ihre Anzahl war kleiner als vorhin.

Endlich vereinigten sich alle Stimmen für sein Leben.

Er wurde nun abermals in das Versammlungszimmer zurückgebracht. Hier verkündete ihm einer aus der unterirdischen Gesellschaft seine Freiheit, mit der Bedingung, dass er alle Einwohner des Dorfes in dem Wahn der Geistererscheinungen, von denen sie schon längst überzeugt wären, lassen, und dass er niemals von diesem Abenteuer das Geringste reden solle.

Als der Graf die Erfüllung dieser Bedingung durch einen Eid angelobt hatte, gab man ihm seine Waffen und Papiere zurück, doch behielt man von den Letzteren eines in Verwahrung. Nachdem die ganze Gesellschaft auf seine Gesundheit getrunken und ihm zu verstehen gegeben hatten, welchem Schicksal man sich dadurch aussetzte, dass man ihm das Leben lasse, öffnete man die Falltür und gab ihm zwei Führer mit, die ihn zu seinem Zimmer zurück begleiteten. Erst auf der Treppe wurde er von der Augenbinde befreit und von seinen Begleiter verlassen.

Den armen Petro traf er noch in dem jammervollen Zustand und halb leblos an. Er hielt seinen Herrn von den Gespenstern erdrosselt. Es gehörte eine lange Überredungskunst dazu, ehe er davon überzeugt wurde, dass er noch am Leben sei und gerade vor ihm stehe.

Ohne sich nun weiter aufzuhalten, befahl der Graf, ihm zu folgen, indem er, des geleisteten Schwures ungeachtet, es für das Sicherste hielt, das Schloss zu verlassen, aus Furcht, man könne den ersten Entschluss noch widerrufen.

Dem Prediger erzählte er, dass sich das Gespenst, als er es habe verfolgen wollen, in einen Brunnen gestürzt habe, in dessen Tiefe er beinahe selbst hinab gezogen worden wäre, und dass er nur mit Mühe sein Zimmer habe wiederfinden können.

Dieses Gerücht verbreitet sich bald in der ganzen Gegend, und nie hat der Graf etwas von diesem Abenteuer sich verlauten lassen. Erst nach seinem Tod fand man in seinen hinterlassenen Papieren diese ganze Begebenheit aufgezeichnet.