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John Tanner – Das Leben eines Jägers 33

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Dreiundreißigstes Kapitel

Endlich war ich nun so glücklich, vor den Nachstellungen dieses bösen Menschen mich sicher zu wissen. Hocherfreut darüber, beschloss ich, am Rush-See allein mit meiner Familie zu bleiben, weil ich wusste, dass jener die Absicht hätte, unverzüglich mit den übrigen Indianern zum Regen-See zu ziehen. Ich suchte mir also einen passenden Platz für das Winterlager aus, überließ die Bewachung der Hütte meinen Kindern und ging mit meiner Frau fort, um einen Teil unserer Vorräte zu holen. Als wir zur Nachtzeit heimkamen, erzählten uns die Kinder, ihre Großmutter habe sie während unserer Abwesenheit besucht, und gesagt, ihre Tochter möge doch am anderen Tage zu ihr kommen. Sie hatte die Stelle bezeichnet, wo sie mit drei oder vier uns befreundeten Indianerfamilien sich aufhielt.

Ich gab gern meine Einwilligung dazu, beschloss, meine Frau zu begleiten, da die Schwiegermutter mich gleichfalls hatte einladen lassen, und wollte auf dem Rückweg den Rest unserer Vorräte mitnehmen. Allein in der Nacht hatte ich einen Traum. Der junge Mann, welcher mir mehrmals, wenn ich mich damit beschäftigte, meine Jagdmedizin zu bereiten, erschienen war, kam wie gewöhnlich durch die in dem Dach meiner Hütte befindliche Öffnung und stellte sich vor mir hin.

»Du sollst nicht an den Ort gehen, wohin du morgen dich zu begeben beabsichtigst«, sprach er. »Bleibe du bei deinem Vorsatz. Verachtest du meinen wohlgemeinten Rat, so wirst du erfahren, was geschieht. Sieh nur dorthin«, fuhr er fort und zeigte zu der anderen Seite, auf welcher ich She-gwaw-ku-sink, Me-zhuk-ko-naun und andere meiner Freunde kommen sah. Darauf musste ich meine Augen nach oben richten und erblickte einen mit dem Schwanz befestigten kleinen Falken, der über meinem Haupt schwebte.

Weiter sagte der junge Mensch nichts, er drehte sich um und ging aus der Tür. Ich erwachte in einer sehr aufgeregten Gemütsstimmung und konnte nicht wieder einschlafen. Am anderen Morgen sagte ich meiner Frau, ich könnte nicht mit ihr gehen.

»Und weshalb willst du dein Versprechen nicht halten«, fragte sie. Da erzählte ich ihr meinen Traum. Sie aber erklärte mich für einen furchtsamen Mann. Endlich gab ich ihren Bitten nach und beschloss, mit ihr zu gehen.

Früh am Morgen sagte ich zu meinen Kindern, ihr Oheim würde heute mit anderen Indianern in meine Hütte kommen, und sie möchten ihm nur sagen, dass ich gegen Mittag zurückzukehren gedenke. Käme ich aber um diese Zeit nicht, so sollten sie sich nur überzeugt halten, dass ich umgebracht worden sei. Darauf ging ich mit meiner Frau fort. Aber als ich kaum zweihundert Schritte zurückgelegt hatte, erblickte ich einen über mir schwebenden Falken, ganz jenem ähnlich, der mir im Traum erschienen war. Ich sah wohl ein, dass diese Erscheinung eine neue Warnung sein sollte, und sagte zu meiner Frau, dass ich auf keinen Fall weitergehen wollte.

Während ich zu meiner Hütte zurückkehrte, machte sie sich abermals über meine Furchtsamkeit lustig. Ich wusste, wie sehr die Familie meiner Schwiegermutter gegen mich eingenommen war, und meine Weigerung, sie zu besuchen, musste ihre Abneigung gegen mich noch verstärken. Dieses erwägend, setzte ich meinen Weg fort, obschon ich mir sagte: Du hast doch Unrecht, hierin nachzugeben.

Als ich vor der Hütte meiner Schwiegermutter angelangt war, legte ich mein Gewehr vor der Tür ab, trat ein und setzte mich zwischen die beiden Schwestern meiner Frau, welche gemeinschaftlich einen Mann hatten. Darauf begann ich mit zweien ihrer kleinen Kinder zu spielen. Als ich meinen Kopf bückte, hörte ich plötzlich ein starkes Geräusch und verlor auch zugleich mein Bewusstsein. Ich sah und hörte nichts mehr. Endlich aber kam ich wieder zu meinen Sinnen. Mehrere Frauen hielten mich mit ihren Händen. Ich sah es ihnen an, dass sie sehr besorgt und erschrocken waren. Was aber eigentlich mit mir vorgegangen war, wusste ich nicht, vernahm aber bald von außen her ein Triumphgeschrei und erkannte Waw-be-be-nais-sas Stimme.

Es floss mir etwas Warmes über das Gesicht herab. Ich griff unwillkürlich mit meiner Hand auf den Kopf und fühlte, dass mein Schädel zerschmettert war. Endlich machte ich mich von den Frauen los und begann den Waw-be-be-nais-sa zu verfolgen, aber ich holte ihn nicht ein, weil die Indianer ihm zum Entrinnen behilflich waren. Gegen Einbruch der Nacht kam ich wieder, obwohl schwer verwundet, in meiner Hütte an. Ich glaubte, der Schädel sei mir zerschmettert worden. Als ich die Wunde erhielt, floss nur wenig Blut, und lange Zeit nachher kam kein Tropfen zum Vorschein. Ich hörte ein sonderbares Brausen in meinem Kopf, fiel aber doch nicht in Ohnmacht, ehe ich meine Hütte erreicht hatte. Mein Gewehr hatte Waw-be-be-nais-sa weggenommen.

In meiner Hütte fand ich She-gwaw-ku-sink, Me-zhuk-ko-naun und Nah-gaun-esch-kaw-waw, Wa-ge-to-tes Schwiegersohn, der gewöhnlich Oto-pun-ne-be genannt wurde. Als ich den Ersteren bei der Hand fasste, begann das Blut von meinem Kopf herabzuströmen.

»Was bedeutet das, mein Sohn?«, fragte er.

Zur Antwort gab ich: »Ich wollte mit einem anderen Manne spielen, und da Be-gwi-o-nus-ko uns betrunken gemacht hatte, haben wir zu handgreiflich gespielt.« Ich wollte nämlich einen Scherz aus der Sache machen, wurde aber bei jenen Worten ohnmächtig, und alle sahen, wie groß die Wunde war.

Oto-pun-ne-be war ein alter Bekannter von mir und hatte sich immer freundschaftlich mir gegenüber gezeigt. Er war daher jetzt sehr betrübt und fasste den Vorsatz, Waw-be-be-nais-sa für diese ungerechte Gewalttat zu bestrafen. Diesen Mann, dem ich für mancherlei Wohltaten, die er mir erwiesen hatte, großen Dank schuldig war, ereilte bald nachher dasselbe Schicksal, welches allen Chippewa, guten und bösen, bestimmt zu sein scheint. Er starb später den Hungertod.

Als ich in die Hütte meiner Schwiegermutter trat, hatte ich nicht daran gedacht, die an meinem Oberkleid befestigte, aus starkem Mooseleder gefertigte Kopfbedeckung abzunehmen, und deshalb nicht gesehen, dass Waw-be-be-nais-sa eintrat. Wahrscheinlich wäre ich auf der Stelle tot geblieben, wenn jene Bedeckung meinen Kopf nicht geschützt hätte. So aber war der heftige Schlag durch das dicke Leder etwas gemildert worden; indessen mein Schädelknochen war zerbrochen, und die Stelle, wohin der Tomahawk fiel, kann man noch heute an einem knorpeligen Auswuchs fühlen, welcher seitdem zurückgeblieben ist. Es dauerte lange, ehe ich wieder genas, obwohl die mir aufgezwungene Ruhe, an welcher sie schuld war, nicht so lange währte, wie ich anfangs befürchtet hatte.1

Waw-be-be-nais-sa war nach vollbrachter Tat sogleich zu unserem Dorf Me-nau-zhe-tau-nung geflohen. Die anderen Indianer, welche noch niemals auf der Prärie gejagt hatten, überfiel ein panischer Schrecken, denn sie glaubten alle, die Sioux säßen ihnen auf den Fersen. Ich war zu schwach, um reisen zu können, auch wusste ich recht gut, dass wir von den Sioux nichts zu fürchten hatten. Aber meine Schwiegermutter war sehr ärgerlich darüber, dass ich mit den Indianern nicht fortzog.

Es war mir klar, dass meine Schwiegermutter um den schändlichen Plan Waw-be-be-nais-sas wusste. Auch hatte ich Gründe zu glauben, dass meine Frau Kunde von demselben hatte. Ich sagte ihnen also, sie möchten mich, wenn sie wollten, nur verlassen. Das taten sie, nahmen auch alle meine Kinder mit fort. Oto-pun-ne-be2 und dessen Vetter, ein etwa vierzehnjähriger Knabe, blieben allein bei mir und behandelten mich mit aller Sorgfalt, welche mein Zustand verlangte, während meine eigenen Verwandten mich meinem Schicksal überließen. Nach Verlauf von vier Tagen befand ich mich sehr schlecht, ich konnte mich nicht aufrecht halten und war kaum imstande, mich zu bewegen. Aber am zehnten Tag fing es an, mir besser zu gehe.

Als ich wieder etwas zu Kräften gekommen war, machten wir uns gemeinschaftlich auf den Weg zum Dorf und ließen die Hütten alle so stehen, wie sie waren, einige mit Lebensmitteln, andere mit ziemlich wertvollen Gegenständen angefüllt. Unser Handelsmann hielt sich in einiger Entfernung vom Dorf auf. Als wir nun die Stelle erreichten, wo die Pfade sich teilen, verabredete ich mich mit Oto-pun-ne-be, an einem festgesetzten Tag und an einem bestimmten Ort zusammenzukommen. Wir waren beide pünktlich, und nachdem wir wieder zusammengetroffen waren, erzählte er, was sich im Dorf ereignet hatte.

Kaum war er angekommen und hatte sich in der Hütte niedergesetzt, als auch schon Waw-be-be-nais-sa erschien und ihm gegenüber Platz nahm. Beide sahen eine Weile einander schweigend an.

Da sprach der Letztere zu ihm: »Oto-pun-ne-be, du bist früher nie in unser Dorf gekommen. Ich kenne aber den Beweggrund, der dich aus weiter Ferne zu uns führt, gar wohl. Du hast keine Brüder mehr, welche mit dir eines Blutes sind. Sie wurden von den Männern mit den langen Messern getötet, und du bist töricht genug, einem Mann den Namen Bruder zu geben, welchen ich kürzlich geschlagen habe.«

Oto-pun-ne-be antwortete: »Es ist nicht wahr, dass die mit den langen Messern mir einen Bruder getötet haben. Wäre das aber auch der Fall, so würde ich doch nicht leiden, dass du über meinen Freund herstürzt, der uns in allem ähnlich ist. Ich würde nicht erlauben, dass du ihn, wie geschehen ist, ohne Ursache und ohne Herausforderung beleidigst und verwundest. Es ist wahr, ich nenne ihn meinen Bruder und will ihn auch als solchen rächen. Aber ich mag nicht Blut in der Hütte eines Häuptlings vergießen, der mich als Freund aufgenommen hat.«

Bei diesen Worten packte er Waw-be-be-nais-sa bei der Hand, zog ihn aus der Hütte und wollte ihm schon das Messer ins Herz rammen, als der Häuptling, ein sehr starker Mann, ihm in den Arm fiel, ihm das Messer wegnahm und es zerbrach. Darauf entstand nun ein Ringkampf. Drei oder vier Männer stürzten zumal über Oto-pun-ne-be her. Dieser aber, ein kräftiger Mann und eingedenk des Zweckes seiner Reise, ließ den Waw-be-benais-sa nicht los, der erst dann befreit worden war, nachdem ihm zwei Rippen zerbrochen waren. Oto-pun-ne-be war selbst im Rausch ein sehr friedlicher Mensch. Wenn er sich in einen Streit mischte, so tat er es, wie in diesem Fall, mehr für einen Freund, als seiner eigenen Person wegen.

Ich war zufrieden, dass Waw-be-be-nais-sa auf diese Weise eine Züchtigung erhalten hatte. Zwei zerbrochene Rippen schienen mir eine genügende Ausgleichung für den Schlag zu sein, welchen ich auf den Kopf erhalten hatte. Mein Freund und ich schmausten bei einer festlichen Mahlzeit, denn meine Wiedergenesung war so rasch vor sich gegangen, dass ich Wildbret hatte schießen können. Als wir zu dem verlassenen Lager zurückkamen, fanden wir noch alles in dem Zustande wie beim Abzug der Indianer. Zehn Tage später kamen sie, einer nach dem anderen, wieder zurück, um zu holen, was ihnen gehörte. Oto-pun-ne-be nahm mein Kanu, um zum Red River zurückzukehren , wo er sich angesiedelt hatte.

Die übrigen Indianer nahmen ihre Hütten, Lebensmittel und Gerätschaften. Ich besaß damals einen beträchtlichen Vorrat an gedörrtem Fleisch, der gut und gern reichte, um meine und meiner Familie Bedürfnisse ein Jahr lang zu befriedigen. Ich packte meine beste Habe zusammen und reiste allein nach Mackinack ab, von wo ich zu den Staaten zurückzukehren und dann einige meiner Verwandten zu treffen hoffte, vorausgesetzt, dass noch einige derselben am Leben waren.

Am Regen-See traf ich Herrn Giasson und mehrere andere Agenten der Hudson′s Bay Company. Alle sagten mir, es würde gefährlich für mich ablaufen, wenn ich mit Beamten der Nordwest Company zusammenträfe, weil diese noch wütend über mein früher beobachtetes Betragen wären. Ich wusste, dass die Agenten der Hudson′s Bay Company, die mit dem unteren Teil des Oberen Sees keine Verbindung unterhielten, mir nicht zu Hilfe kommen konnten, und dass, wenn ich allein ging, mir unfehlbar einige Weiße von der Nordwest Company begegnen müssten.

Ich entschloss mich daher, geradewegs zum Regen-See zu gehen, wo ich meinen früheren Handelsmann, Herrn Tace, traf, der sich grade am Ufer des Sees aufhielt, als ich in einem kleinen Kanu ankam. Er sagte mir, ich möchte in sein Haus kommen, und ich folgte ihm. Nun fragte er mich in einem sehr strengen Ton, weshalb ich hergekommen sei.

»Weshalb suchst du deine Freunde von der Hudson′s Bay Company auf?«

Ich entgegnete ihm, ich wollte in die Staaten zurückkehren.

»Das hättest du längst tun sollen«, gab er mir zur Antwort.

Ich blieb zwanzig Tage bei ihm. Er behandelte mich sehr gut und brachte mich in seinem eigenen Kanu nach Fort William. Von da schickte mich der Doktor Mac Laughlin in einer seiner Barken zu dem St-Marien-Wasserfall. Herr Ermatinger nahm mich mit nach Mackinack. Alle Agenten der Nordwest Company, welche ich unterwegs antraf, behandelten mich sehr gut, und keiner sagte mir auch nur ein Wort über meine Verbindungen mit der Hudson′s Bay Company.

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  1. Schon Charlevoix bemerkt: So geschickt diese Völker sind, äußere Wunden und Brüche zu heilen, so ungeschickt sind sie in der Behandlung innerer Krankheiten.
  2. Dieser Name bedeutet Bär in der Sprache der Chippewa. Ein Bär war auch der Totem des genannten Mannes.

    Anmerkung des amerikanischen Herausgebers