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John Tanner – Das Leben eines Jägers 31

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Einundreißigstes Kapitel

Nach Verlauf von zwanzig Tagen ging ich wieder zu meiner Familie nach Pembina, und nachher mit Wa-ge-to-te auf die Prärien, um Bisons zu jagen. Da sagte man mir, dass die meisten Mestizen im Land äußerst erbittert auf mich wären, weil ich Partei gegen die Nordwest Company genommen hätte. Ja, einige Männer versicherten mich, es seien Anschläge auf mein Leben gemacht worden. Ich entgegnete aber, sie müssten im Schlaf über mich herfallen, etwa so, wie ich es mit Harshield und seinen Gefährten gemacht hätte. Sonst fürchtete ich nichts. Allerdings schlichen mehrmals Männer in feindseligen Absichten um mich herum. Ich entging jedoch glücklich allen Gefahren.

Die übrige Zeit in jenem Winter brachte ich bei den Indianern zu und kehrte im Frühling an den Assiniboine zurück. Damals kam dort auch Lord Selkirk vom Fort William an.

Herr Cumberland und ein anderer Handelsdiener der Nordwest Company fuhren in einem Kanu vorüber, flussaufwärts. Da sie beim Fort nicht anhielten, so sandte Lord Selkirk ihnen ein Kanu nach. Sie wurden gefangen genommen und eingekerkert.

Die Beamten des Kontors am Moose River, welches der Nordwest Company gehörte, fuhren nachher stromabwärts, wollten aber aus Furcht nicht über das Fort hinausrudern, und lagerten sich diesseits, in einiger Entfernung von demselben. Damals versammelten sich die Indianer aus den entfernteren Gegenden. Sie hatten bisher noch nichts von allen jenen Unruhen und Veränderungen gehört und waren jetzt höchlich überrascht, als sie das Fort nicht mehr im Besitz der Handelsleute fanden, mit welchen sie bis dahin verkehrt hatten.

Gegen Sommeranfang ließ der Richter Codman einen Brief bekannt machen und versprach dem zweihundert Dollar Belohnung, welcher drei bei den letzten Unruhen sehr beteiligte Mestizen einfangen und ausliefern würde. Es waren Grant, Häuptling der Mestizen von der Nordwest Company, Joseph Cadotte und einer namens Assiniboine. Alle drei wurden von Leuten aus unserem Fort, mit welchen der Dolmetscher Nowlan auszog, gefänglich eingebracht, aber losgelassen, als sie das Versprechen gaben, wieder zu kommen, sobald der Richter erscheinen würde. Kaum waren unsere Leute wieder im Fort, da stellte sich Assiniboine und zeigte an, Grant und Cadotte wären entflohen, sobald Nowlan mit den Seinen den Rücken gekehrt hätte. Sie waren zu den Assiniboine gegangen und erschienen erst wieder, als man sie gefangen genommen hatte, um vor dem Richter Rede zu stehen. Der Mann, welcher sich freiwillig wieder gestellt, erhielt Verzeihung.

Lord Selkirk wartete schon lange Zeit auf die Ankunft des Richters, der über das Schicksal der Gefangenen, welche schwerer Verbrechen angeschuldigt wurden, entscheiden, auch in Bezug auf die Ansprüche der beiden rivalisierenden Pelzcompanys ein Endurteil fällen sollte. Der Lord wurde täglich ungeduldiger und sandte einen Boten mit Lebensmitteln und Geschenken nach Sah-gi-uk. Derselbe hatte Befehl, so lange weiter zu gehen, bis er endlich den Richter antreffen würde. Aber jenseits Sah-gi-uk , bei einem Kontor der Nordwest Company wurde dieser Mann gefangen genommen und von einem Agenten, namens Black sehr geschlagen und misshandelt. Weil aber inzwischen der Richter angelangt war, so entfloh Black mit einem anderen Handlungsdiener, Mac Cloud, und ging zu den Indianern. Als der Richter Codman sie aufsuchen ließ, waren sie nirgends zu finden.

Die Einleitung zum Prozess währte lange, nach und nach wurden viele Gefangene entlassen, Herr Harshield aber und der Mestize Maveen mit Ketten belastet und sorgfältig bewacht. Der Richter hatte sein Zelt gleichweit vom Fort als auch vom Lager der Nordwest Company aufgeschlagen, wahrscheinlich um zu zeigen, dass er völlig unparteiisch verfahre.

Als ich eines Morgens an der Tür des Forts stand, sah ich den Richter, einen großen, dicken Mann, auf mich zukommen. Er wurde von Herrn Mackenzie, einem Mestizen namens Cambell und einem alten Naudoway begleitet. Sie gingen ins Fort, von Gemach zu Gemach, und kamen endlich in das des Lord Selkirk. Cambell folgte dem Richter, hielt ein Papier in der einen Hand und legte die andere dem Lord auf die Schulter. Dabei sprach er einige Worte, welche ich nicht verstand. Dann folgte eine Unterredung, die mir auch vollkommen unverständlich blieb. Ich bemerkte aber, dass Herr Mackenzie und Cambell sich den ganzen Tag in unserer Nähe aufhielten. Gegen Einbruch der Dunkelheit sagte mir Nowlan, der Richter hätte die Nordwest Company mit einer beträchtlichen Geldstrafe verurteilt. Ich weiß aber nicht, ob sich dieselbe auf dreihundert oder dreitausend Dollars belief. Lord Selkirk wurde freigelassen. Nun reisten Herr Mackenzie und Cambell ab, wurden aber von der Agentur der Hudson’s Bay Company arg verhöhnt. Der Richter blieb bei Lord Selkirk und speiste mit ihm.

Der Oberst Dickson, welcher sich damals am Red River aufhielt, sandte einen Boten zu den Sioux, weil es für zweckmäßig erachtet wurde, sie zusammenzuberufen, damit sie vom jetzigen Stand der Dinge unterrichtet würden. Im vergangenen Winter waren zwei Chippewafrauen nach der Abreise von Pembina aus dem Land der Sioux zurückgekommen und hatten den Männern ihres Volkes Friedenspfeifen mitgebracht. Diese beiden Frauen waren Gefangene gewesen, die Botschaft selbst, und dass sie freigelassen worden waren, betrachtete man als Pfänder friedlicher Absichten.

Eine dieser Frauen hatte sich mit einem Sioux verheiratet. Ihr neuer Mann war ihr sehr zugetan. Als sein Volk entschieden hatte, dass die Frau in ihre Heimat zurückgeschickt werden sollte, ließ er ihrem Chippewa-Gemahl diejenige von seinen übrigen Frauen, welche demselben am besten gefallen würde, zum Tausch anbieten. Dieser wurde jedoch nicht angenommen, und es fand sich niemand, der den Sioux eine Antwort überbringen wollte. Endlich bot Herr Bruce, der Dolmetscher, seine Dienste an. Diese Unterhandlung, so wenig auch dem Anschein nach dadurch bewirkt wurde, hatte die Gemüter der Sioux doch auf die Botschaft des Herrn Dickson einigermaßen vorbereitet. Sie sandten zwanzig Krieger mit zwei gefangenen Chippewa ab, welche in Freiheit gesetzt werden sollten.

Der eine Gefangene war eine junge Frau, Tochter des Gitsche-ope-zhe-ke (der dicke Bison). Sie hatte sich ebenfalls unter den Sioux vermählt, und ihr junger Mann, einer der zweiundzwanzig Abgesandten, war sterblich verliebt in sie. Die Häuptlinge seiner Partei wollten, da sie eben abzureisen im Begriff waren, ihn überreden, sie aufzugeben. Er blieb aber hartnäckig und wollte nichts davon hören. Sie sahen sich endlich genötigt, ihn zu verlassen, obgleich er augenscheinlich nur mit Gefahr seines Lebens unter den Chippewa sich aufhalten konnte. Als seine Gefährten sich entfernt hatten, irrte er zwischen unseren Hütten umher und schrie wie ein Kind. Sein Zustand dauerte mich, und ich lud ihn ein, in meine Hütte zu kommen. Freilich hinderte mich die Verschiedenheit unserer Sprachen, ihm alle meine Gedanken verständlich zu machen. Ich versuchte ihn aber dadurch zu trösten, dass ich ihm andeutete, er könne selbst unter den Chippewa Freunde finden. Am anderen Morgen entschloss er sich, seinen Gefährten zu folgen und mit ihnen in die Heimat zurückzugehen. Demnach verließ er uns und folgte zwei- oder dreihundert Schritte ihren Spuren. Dann aber warf er sich auf die Erde, schrie und wälzte sich umher wie ein Wahnsinniger. Endlich trug seine Leidenschaft für die Frau den Sieg über die Liebe zur Heimat davon. Er setzte sein Leben aufs Spiel und kam zu uns zurück. Bald aber hörten wir, einige Chippewa hätten gesagt, sie wollten ihn töten. Auch wussten wir recht gut, dass er jedenfalls häufigen Angriffen ausgesetzt war, solange er bei uns blieb. Wa-ge-to-te und Be-gwa-is, unsere Häuptlinge, beschlossen daher, ihn zurückzuschicken, wählten acht Männer aus, auf welche sie sich verlassen konnten, und diese sollten ihn, nach der Grenze seines Landes zu, etwa eine Tagesreise weit fortschaffen. Er ließ sich ziehen und musste bis an den Assiniboine geschleppt werden. Dort begegneten uns zweihundert Indianer, welche mit jenem Fluss ein und denselben Namen führen. Der junge Sioux war so vorsichtig gewesen, sich wie ein Chippewa zu kleiden. Als uns nun der Häuptling jener Assinneboine fragte, wohin wir wollten, ward geantwortet, wir wären von unseren Häuptlingen auf die Bisonjagd geschickt worden.

Dieser Häuptling hieß Re-zho-ta-we-nau-ba und war ein guter Mann. Der Schreck, welcher sich des jungen Sioux bemächtigte, verriet ihm, dass wir gelogen hatten. Er wollte es aber nicht bemerken, ja er stellte sich so, dass die Aufmerksamkeit seiner Krieger von dem Fremden abgelenkt wurde, bis wir vorüber wären. Dann redete er den Sioux in seiner Sprache an und sagte: »Fliehe, junger Mensch, und denk daran, dass, wenn du auf dem Zug nach deiner Heimat überfallen wirst, nur wenige Chippewa oder Assinneboine nicht Lust haben möchten, dir das Leben zu rauben.« Der junge Sioux ließ sich das nicht zweimal sagen und lief fort, aber fing, als er kaum hundert Schritte von uns entfernt war, wieder an zu seufzen und zu schreien, doch hörten wir später, er habe sich zu Pembina mit seinen Landsleuten vereinigt und sei mit ihnen wohlbehalten in der Heimat wieder angelangt.

Es wurde über diesen Frieden zwischen den Sioux und Chippewa viel hin und her gesprochen. Der Oberst Dickson sagte, die Sioux würden gewiss nicht zuerst den Vertrag brechen und nichts ohne seine ausdrückliche Beistimmung zu tun wagen. Eines Tages, da er sich gerade des Einflusses, welchen er auf sie übe, rühmte, kam ein Chippewa-Häuptling, von vierzig Mann begleitet, und wies blutbefleckte Pfeile vor. Er hatte sie aus den Leichnamen mehrerer Landsleute gezogen, die kürzlich von Sioux und noch dazu ganz nahe beim Kontor, welches eben diesem Herrn Dickson gehörte, überfallen und ermordet worden waren.

Um dieselbe Zeit rief Lord Selkirk alle Indianer zusammen, und teilte eine Menge Tabak, starke Getränke und vieles andere an sie aus. Dabei hielt er eine jener langen, väterlichen Reden, welche bei Indianerversammlungen so häufig vorkommen. Er sprach: »Meine Kinder, lange Zeit hat der Himmel finster und dunkel über Euren Häuptern gehangen. Aber jetzt ist er lichter und heller geworden. Euer großer Vater, jenseits der Gewässer, welcher, wie Euch bekannt ist, im Grunde seines Herzens Teilnahme hegt für seine roten Kinder, hat mich hergesandt, auf dass ich die Hindernisse von Eurem Pfad wegräume, und Eure Füße nicht mehr blutig verwundet werden. Ihr habt von Euch diejenigen weißen Männer entfernt, welche, um Vorteile für sich zu erlangen, böswillig versuchten, Euch gegen Euren großen Vater aufzuhetzen. Sie werden nicht wieder kommen und fernerhin die Ruhe nicht stören. Wir haben auch die Sioux zu uns berufen, welche, obwohl sie auch rote Häute haben, wie Ihr, doch lange Zeit Eure Feinde gewesen sind. Künftig werden dieselben in ihrem Land bleiben, und Ihr werdet Frieden haben. Der Krieg zwischen Euch fing lange vor jener Zeit an, in welcher Eure Väter geboren wurden. Statt ruhig das Wild zu jagen, und Weib und Kinder zu ernähren, habt ihr Euch untereinander erwürgt. Aber diese Zeit ist nun für immer dahin. Ihr könnt nun jagen, wo es Euch gefällt. Eure jungen Männer werden diesen Frieden halten, und Euer großer Vater will jeden als seinen Feind betrachten, der den Tomahawk wieder aufhebt.«

Die Indianer antworteten auf diese Rede, wie gewöhnlich, mit Vorstellungen und Versprechungen, stahlen aber noch an demselben Abend, als sie vom Fort wieder abzogen, dem Lord Selkirk und den übrigen Weißen alle Pferde. Am anderen Morgen war auch nicht eins mehr da, und von den Indianern waren nur noch wenige zurückgeblieben.

Der Blätterfall war bereits so weit vorgerückt, dass ich in jenem Jahr nicht mehr in die Vereinigten Staaten zurückkehren konnte. Lord Selkirk, dem manches von meiner Lebensgeschichte zu Ohren gekommen sein musste, wurde aufmerksam auf mich. Er fragte nach meinen Verhältnissen, und ich erzählte ihm mancherlei, namentlich aber sprach ich von dem Anteil, welchen ich an der Überrumpelung des Forts gehabt hatte. Der Richter Codman1, welcher gleichfalls da geblieben war, sprach mit Lord Selkirk oft über mich.

»Dieser Mann«, sagte er, »hat unsere Leute zur Winterszeit vom Wälder-See bis hierher geführt. Er hat wesentlich zur Einnahme des Forts beigetragen. Seine Anstrengungen waren bedeutend, er wagte sein Leben, und das alles für vierzig Dollar. Sie können nichts Geringeres für ihn tun, als diese Summe verdoppeln, ihm auch auf Lebenszeit eine jährliche Rente von zwanzig Dollar aussetzen.« Das wollte Lord Selkirk sehr gern. Und die Rente ist auch mir während der ersten fünf Jahre ausgezahlt worden, der zweite fünfjährige Termin aber noch nicht abgelaufen.

Lord Selkirk konnte die Mündung des Assiniboine nicht so schnell verlassen, als er wohl gemeint haben mochte. Die Nordwest Company hatte ihm Hinterhalte gelegt, Indianer geworben, mehrere ihrer Agenten als Indianer verkleidet, und diese sollten ihn töten. Unter den Letzteren befand sich ein gewisser Sacksayre. Der Lord erfuhr aber alles und sandte den Obersten Dickson ab, welcher eine Bedeckung von hundert Sioux herbeiholte. Erst als diese angekommen waren, wagte er die Reise anzutreten. Er verließ das Fort bei Nacht und vereinigte sich mit Dickson bei Pembina.

Er nahm einen Brief mit, den er eigenhändig für mich und in meinem Namen an meine Verwandten in den Vereinigten Staaten geschrieben hatte. Ich erinnerte dieselben besonders an die Schicksale meiner früheren Jugend. Er bot alles auf, um mich zu bewegen, ich möchte ihn doch begleiten. Und ich hatte auch wohl Lust dazu, glaubte aber immer noch, die meisten meiner Angehörigen wären von den Indianern erwürgt worden. Und wenn auch noch einige am Leben geblieben waren, so musste doch die lange Trennung sie mir entfremdet haben. Er wollte mich auch mit nach England nehmen. Indessen meine Neigungen fesselten mich an die Indianer, und es stand ja auch meine Hütte auf indianischem Boden. Ich hatte hier im Land einen großen Teil meines Lebens verbracht. Es schien mir zu spät, neue Verbindungen anzuknüpfen. Indessen sandte er noch einmal sechs Mann zu mir an den Wälder-See, wo ich mich, noch spät im Herbst, der Ernte wegen aufhielt. Anfang des Winters ging ich an den Be-gwi-o-nus-ko, und von dort, nachdem Schnee gefallen war, auf die Prärie, um Bisons zu jagen. Die Indianer langten auch nach und nach in dieser Gegend an, und wir bildeten eine so zahlreiche Gruppe, dass sich bald Hunger fühlbar machte. Der Winter war streng, und unsere Leiden wuchsen von Tag zu Tag. Zuerst starb eine junge Frau vor Hunger. Bald danach verfiel der Bruder desselben in Wahnsinn, welcher gewöhnlich der Erschöpfung vorhergeht. In diesem Zustand ging er aus der Hütte, in der seine, in Dämpfen Erstarrung dasitzenden Angehörigen zurückblieben. Als ich von der Jagd zurückkam – es war spät am Abend – wussten sie nicht, was aus ihm geworden war. Mitten in der Nacht verließ ich das Lager, folgte seinen Spuren, und fand ihn in geringer Entfernung tot im Schnee liegen.

Show 1 footnote

  1. Fast alle Namen von weißen Männern, die Tanner anführt, sind arg verstümmelt. Der amerikanische Herausgeber schrieb sie jedoch nieder, wie Tanner sie aussprach, falls er nicht etwa genaue Kunde vom Namen jener Männer anders woher hatte. Godman soll wahrscheinlich Gottmann heißen, Maveen wohl Mainville, Tußnenon wahrscheinlich d’ Orsennens. Manche Namen hat Tanner wohl auch verwechselt, denn seine Nachrichten kamen zumeist aus indianischen Quellen. Der Mann, welchen er Mac Donald oder Macdolland nennt, hieß Semple.