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Die Totenhand – Teil 4

Die-TotenhandDumas-Le Prince
Die Totenhand
Fortsetzung von Der Graf von Monte Christo von Alexander Dumas
Erster Band
Kapitel 4 – Die 60.000 Franc Benedettos

Lucian Debray las mit einem wahren Entzücken den Brief, durch welchen Frau von Danglars ihm ihre schleunige Abreise von Frankreich anzeigte. Die innigen Verbindungen, welche Lucian Debray an die Baronin fesselten und die zu einer anderen Zeit dem Privatsekretär eines Ministers mit 2.000 Livre Einkünften nützlich gewesen waren, genügten dem Finanzminister mit dem ungeheuren Gehalt und der ganzen Repräsentation dieser hohen Charge nicht mehr. Überdies befand sich Frau von Danglars, wie wir bereits sagten, in einer sehr schwierigen Lage. Obgleich die Welt davon noch nichts wusste, kannte Lucian Debray sie doch zu gut, um es auch nur als möglich zu betrachten, noch längere Zeit die Larve vorzubehalten. Er tat daher, nachdem er gelesen hatte, einen lauten Atemzug, als ob er aus einem peinlichen Traum erwachte.

»Ach«, sagte er, »diese Familien, die kommen, man weiß nicht woher, und deren Reichtümer imposant sind, machen auf mich den Eindruck jener Schauspieler, welche auf dem Theater während einiger Stunden die Rollen großer Personen ausführen!« Dabei fuhr er mit den Fingern durch seine vollen Haarlocken und drehte sich den Schnurrbart. »Endlich«, fuhr er fort, »sinkt der Vorhang, und sie werden wieder das, was sie vorher waren. Nichts. Niemand sieht sie mehr, niemand hört mehr von ihnen sprechen!«

Zu solchen Menschen gehörte auch der Baron Danglars.

Während Lucian Debray sich diesen philosophischen Betrachtungen hingab, ließ der Staatsanwalt nach dem Empfang des an ihn adressierten Briefes den Angeklagten Benedetto vor sich führen.

Der Beamte befand sich in seinem Amtslokale. Hier wurde der Sohn Villeforts eingelassen. Kaum war er eingetreten, als die Tür vorsichtig hinter ihm geschlossen wurde und er sich dem Staatsanwalt gegenüber allein erblickte.

»Tretet näher, Benedetto«, sagte Beauchamp. »Ich habe hier einen Brief, der für Euch bestimmt ist.«

»Einen Brief?«

»Vermutet Ihr, von wem er sein kann?«

»Ich? Wer auf dieser Welt kennt mich und schreibt mir?«

»Nun, überlegt es wohl? Wenn Ihr irgendjemand kennt, der im Laufe Eures bewegten Lebens Euer Mitschuldiger gewesen ist, so verbergt es mir nicht. Hier ist der Brief. Kennt Ihr wenigstens die Schrift?«

»Ich habe sie bis jetzt noch nie gesehen. Aber der Brief ist offen. Sie müssen darum wissen, was er enthält.«

»Worte und Geld.«

»Geld? Was sagen Sie, mein Herr?«

»60.000 Franc.«

»Aus Barmherzigkeit, Herr Staatsanwalt!«, sagte Benedetto, indem er in die Hände schlug und wechselweise rot und blass wurde.

»Habt Ihr mir nicht gesagt, dass ein unbekannter Beschützer Euch zuweilen Unterstützungen schickte, als Ihr in La Force wart?«

»Ja. Allerdings! Aber seitdem hat er sich nicht mehr um mich bekümmert, und Bertuccio, welcher mir sein Geld und seine Ratschläge überbrachte, ist schon längst fort aus Frankreich.«

Der Beamte runzelte die Augenbrauen und senkte die Stirn, als dächte er tief nach.

»Wisst Ihr wohl, dass es jedem Gefangenen versagt ist, eine so bedeutende Summe zu seiner Verfügung zu haben?«

»Ich weiß es, mein Herr«, erwiderte Benedetto mit einem tiefen Seufzer.

»Und wenn Ihr sie empfinget, wozu würdet Ihr sie verwenden?«

»Ich würde mir Kleider kaufen, und ich könnte im Gefängnis bleiben, ohne die harten Entbehrungen zu erdulden, denen wir jetzt unterworfen sind. Dabei würde ich einen Teil für meine Reise aufbewahren, denn Sie haben mich ja davon benachrichtigen lassen, dass ich zur Verbannung verurteilt werden würde.«

Der Beamte schien nachzudenken.

»Und Ihr würdet die Albernheit begehen, Euren Gefährten mitzuteilen, dass Ihr dieses Geld besitzt?«

»Ei, wenn ich es in das Futter meiner Bluse eingenäht hätte, wer könnte es dann sehen, wer könnte es da vermuten?«, antwortete Benedetto mit einem pfiffigen Lächeln. »Wollte ich übrigens verraten, dass ich Geld besäße, hieße das nicht ebenso viel, als es unter meine habgierigen Freunde der Löwengrube zu verteilen, welche weit entfernt sind, die Tugenden des Erzengels Raphael zu besitzen?«

Die Augen Benedettos glänzten wie zwei Karfunkel, die den Strahlen der Sonne ausgesetzt sind. Der Schweiß rann ihm über die Stirn, als wäre er einer jener Gefangenen von Chalons, welche, mit Ketten belastet, einem Krug Wasser und einem Brot gegenüber, Hungers zu sterben verdammt waren.

Wieder dachte der Beamte einen Augenblick nach. Dann nahm er den Brief, übergab ihn Benedetto und sagte: »Lest!«

Der junge Mann hätte sich sehr gern dieses Lesen erspart, um seinen Blick nur auf die Papiere zu richten, welche den Wert von 60.000 Franc vertraten, und für ihn einen Strahl der Hoffnung durch die Nebel seiner Existenz des höchsten Elends fallen ließen. Er fügte sich indes dem Willen Beauchamps und überflog mit einem Blick den Brief.

»Ach«, rief er aus, »hier erkenne ich einen jener guten Geister, deren Beschäftigung darin besteht, die Bosheit jener Feen zu vernichten, von denen Perault, mein Lieblingsdichter, spricht! Aber die 60.000 Franc, Herr Staatsanwalt?«, fragte Benedetto, indem er mit den Augen blinzelte.

»Hört mich wohl an, Benedetto. 60.000 Franc können als ein bedeutendes Vermögen für einen Menschen betrachtet werden, der sich in Eurer Lage befindet.«

»Ohne Zweifel, mein Herr.«

»Nun«, fuhr der Beamte fort, »lasst Euch nicht durch die Aufregung beherrschen, und dankt mit Demut dem Himmel für die Unterstützung, die er Euch zu senden scheint. Betragt Euch auch so, dass Ihr seines Schutzes ferner Euch wert macht.«

»Ja, Herr Staatsanwalt«, murmelte Benedetto mit einem Seufzer, der seine Brust zu erleichtern schien, und indem er einen flüchtigen, doch begierigen Blick auf die Banknoten warf, die der Beamte in der Hand hielt. Er glich dabei einem Hund, der geneigt ist, alles zu tun, was man von ihm verlangt, indem man ihm ein Stück Fleisch hinhält.

»Wisst Ihr wohl, dass ich das Recht hätte, Euch den Besitz dieses Geldes zu verweigern?«

»O ja, mein Herr.«

»Wisst Ihr, dass ich einem Artikel des Gefängnisreglements entgegenhandle, indem ich Euch dieses Geld übergebe?«

»O!«

»Bedenkt, wie sehr ich es zu bereuen hätte, dass ich so handelte, wenn Ihr irgendeine Unbesonnenheit beginget.«

»Ich werde klug sein wie Ulysses.«

»Wünscht Ihr nicht, mir auf Eure Weise die Dankbarkeit für den Dienst zu erzeigen, den ich Euch leiste?«

»Durch alle nur irgendmöglichen Mittel, mein Herr.«

»Nun wohl, seid klug, und ich halte mich für befriedigt. Wenn ich übrigens durch Eure Unbesonnenheit Grund finden sollte, zu bereuen, was ich tat, so dürft Ihr Euch überzeugt halten, dass ich statt einer einfachen Verbannung gegen Euch die Galeeren durchsetzen und Euch nach Toulon schicken würde.«

»Ach, aus Barmherzigkeit, Herr Staatsanwalt, nur niemals, niemals die Galeeren!«

»Das genügt mir. Hier ist Euer Geld und – zum letzten Mal – seid klug!«

Bei diesen Worten übergab der Staatsanwalt die Banknoten dem jungen Missetäter, der sie augenblicklich an seiner Brust verbarg. Darauf klingelte er und der Polizeidiener erschien.

»Man führe den Angeklagten wieder zurück!«

Beauchamp atmete freier auf, als er Benedetto sich entfernen sah. Dann erhob er sich von seinem Sitz, überzeugt, dass er eine gute Handlung vollbracht hätte, indem er Benedetto die ihm von dessen Mutter bestimmte Unterstützung übergab.

»Und dennoch«, sagte Beauchamp, »wird dieser Elende immer tiefer in das Verderben sinken. Er wird damit den Anfang machen, einige seiner Hüter zu bestechen. Dann wird er den Ersten ermorden, der ihm sein Vertrauen schenkte. Dann wird er bis zu dem Grafen Monte Christo gelangen und mit ihm vereint für immer untergehen! Ja, ohne Zweifel wird der stürzende Koloss in seinem Fall den Pygmäen zerschmettern, der seine Grundlage untergrub! Die Gerechtigkeit Gottes ist vollkommener als die der Menschen, und seine Bestimmungen sind minder unverständlich! Mein Gewissen ist rein.«

Benedetto ging neben seinem Begleiter her, die Arme über der Brust gekreuzt, als wollte er den Schatz bewahren, den er hier zwischen Hemd und Haut verborgen trug. So gelangte er zu seiner Zelle in La Force, wo er der Dunkelheit, der Kälte und seinen Gedanken an Freiheit und Rache überliefert blieb.

Seit einem Monat bereits lebte der Unglückliche so, und noch immer bewahrte er unberührt seine Banknoten, die er kaum zu betrachten wagte. So sehr fürchtete er, die dünnen Papiere durch die Berührung seiner groben Finger und seiner langen schneidigen Nägel zu vernichten. Täglich entwarf er einen neuen Plan der Flucht, und täglich verschwand dieser Plan wieder vor einem wesentlichen Hindernis. Gleichwohl musste er um jeden Preis seine Freiheit erlangen. Die Stimme seines sterbenden Vaters forderte von ihm die Genugtuung für eine grausame, ungeheuerliche, mitleidslose Rache, deren Ruf noch in seinen Ohren tönte und unter den finstern Gewölben seines feuchten Kerkers ein entsetzliches Echo erweckte.

Oft richtete Benedetto sich bebend empor, wie das wilde Tier, wenn es vor sich das Gesicht des Menschen erblickt, der es martert. Er wich voll Entsetzen zurück, einen Augenblick darauf aber trat er wieder vor, die Nasenlöcher weit aufgeblasen, die Fäuste geballt, das Auge flammend, die Stimme heiser, indem er rief: »Edmund Dantès! Mensch oder Teufel, wo bist du? Wo bist du, der du deine ganze Familie bis auf das Letzte ihrer Kinder vernichtet hast, ein armes kleines Geschöpf von kaum acht Jahren! Verflucht sei, der mich aus dem Abgrund und der Dunkelheit erhob, um mir die Sonne in ihrem ganzen Glanz zu zeigen, und der mich gleich darauf wieder in den Abgrund stürzte, höhnisch lächelnd über meinen Sturz, und mein Entsetzen verspottend! Verräter und Heuchler, du bedientest dich des Wortes Gottes, um die, welche glücklich waren, zu vernichten, um mit deiner Rache den Gerechten und den Strafbaren zugleich zu treffen. Musstest du denn, um dich an einem einzigen Menschen zu rächen, das Leben einer Jungfrau, eines Unschuldigen und zweier armen Greise zerstören? Ha! So groß und so mächtig du auch seiest, der Sohn Villeforts wird dennoch zu dir gelangen. Du wirst erbeben bei dem Ton seines kühnen Schreies, ja du wirst zittern auf dem Gipfel deines Glückes! Vernimm diesen Schwur, der hier zwischen den Mauern eines Kerkers geleistet wird, in dem Schweigen und der Dunkelheit der finsteren Nacht, durch einen Ungläubigen, der alle Stufen des Verbrechens durchlaufen hat, von der des Fälschers bis zu der des Räubers und des Mörders! Du sollst, du wirst die Ohnmacht der Gewalt erkennen, die du dir anmaßtest! Du wirst nach einer langen Todesqual sterben!«

Zwei volle Monate hindurch wiederholte er täglich diesen entsetzlichen Schwur, und als er den dritten zu Ende gehen sah, ohne dass man daran dachte, sein Urteil zu vollstrecken, beschloss er, seinen Fluchtplan auszuführen. Er überzeugte sich, dass die 60.000 Franc noch ebenso unangetastet waren, wie er sie empfangen hatte. Ohne sich viel um die befreundete Hand zu bekümmern, durch die er sie erhielt, hüllte er sie in ein Stück seines Taschentuches, das er dann als Gürtel um seine Hüften befestigte.

»Nichts ist einfacher, als mein Plan«, sagte er darauf zu sich selbst. »Allerdings bietet er einige Schwierigkeiten. Aber was da! Mit diesem Geld triumphiert man über dergleichen! Es wird mir ohne Zweifel gelingen, aus Frankreich fortzukommen.« Dabei zeigte er dieselbe Ruhe, dieselbe Zuversicht, als wäre er bereits außerhalb der Mauern seines Gefängnisses.

»Jetzt«, fuhr er fort, »muss ich nur noch sehen, ob ich so ungeschickt geworden bin, dass ich nicht mehr einen Menschen abzutun weiß! Sollte ich schon vergessen haben, wie man das anzufangen hat? Der Teufel, ich muss mit den Zähnen und den Nägeln zu spielen wissen, um eine so freundliche Aufgabe zu erfüllen.«

Der Mörder streckte seine Arme aus, strammte die Muskeln derselben an, öffnete und schloss mehrmals hintereinander die Hände, als wollte er die Kraft seiner Fäuste prüfen, machte zwei oder drei große Sätze auf den Fliesen seines Gefängnisses, um sich zu überzeugen, dass er ungeachtet der Kälte und des Hungers, die er seit drei Monaten erdulden musste, die Beweglichkeit und die Kraft seiner Glieder noch nicht verloren hatte. Dann zog er einen seiner Schuhe aus und nahm unter der Sohle desselben eine feine Stahlklinge hervor, die keinen Griff hatte und an der einen Seite scharf zugespitzt war. Nachdem er dies getan hatte, überlegte er. Plötzlich hörte er, dass ein Schlüssel in der Tür seiner Zelle gedreht wurde. Er konnte sich eines unwillkürlichen Zitterns nicht erwehren, indem er wusste, dass der leiseste Schrei die Wache herbeirufen und ihn so in die Unmöglichkeit versetzen würde, seine 60.000 Franc zur Durchführung des Werkes zu verwenden, das er beabsichtigte. Indes machte er eine ungeheuere Anstrengung, seine Angst zu überwinden. Es gelang ihm, die kalte barbarische Sicherheit wiederzugewinnen, welche das ausschließliche Vorrecht vollendeter Bösewichter ist. So wartete er, ohne irgendeine sichtliche Aufregung, auf den Eintritt seines Opfers.

Es war später Abend und der Schließer kam, um wie gewöhnlich seine Runde zu machen und die kleine Lampe anzuzünden, die von der Decke des Kerkers herabhing.

»Guten Abend, Benedetto«, sagte der Gefängniswärter, der den Gefangenen schon seit längerer Zeit kannte, weil er in eben diesem Haus die Gastfreundschaft der Regierung bereits früher genossen hatte.

»Guten Abend, Freund«, erwiderte Benedetto, indem er aufstand und sich mit dem Wesen der größten Nachlässigkeit den Bart strich.

»Weißt du wohl, dass bald ein Fahrzeug absegeln wird?«

»Ei was!«

»Um dich mit fortzunehmen. Du wirst eine Reise machen. Überlege dir das wohl, mein Junge. Sei nicht stolz gegen deine Hüter, und glaube mir, dass du noch ein ganz lustiges Leben führen kannst.«

»Du sagst also, mein guter Mann, dass ich reisen werde? Und wie denn?«, fragte Benedetto, indem er den Schließer mit einer Bewegung freundschaftlicher Vertraulichkeit und zutunlichen Schutzes auf die Schulter klopfte.

»Nun, wie ich es dir bereits sagte«, erwiderte der greise Schließer, indem er die Lampe herunterzog, um sie anzuzünden.

»Wenn das ist, so will ich dir ein Andenken von mir hinterlassen.«

»Schön! Deine Schlapppantoffeln ohne Zweifel?«, sagte der Greis, indem er über den Gedanken Benedettos lachte. »Bedenke aber wohl, dass sie dir fehlen würden, denn du müsstest dann an den Füßen frieren.«

»Dummkopf!«, entgegnete Benedetto mit dem Ton des Spottes. »Wer sagt dir denn, dass ich dir nur meine Pantoffeln hinterlassen könnte? Weißt du wohl, mein alter Kamerad, dass es nur von meinem Willen, von meinem Willen allein, hörst du wohl, abhängt, dir etwas zu geben, wodurch du für zeitlebens glücklich würdest?«

»Ei, ei, immer besser und besser! Nichts als Faxen! Mir scheint, du hast wieder Lust, den Prinzen Cavalcanti zu spielen! Nun, das ist nicht übel! Ha! Ha! Ha!«

Bei diesen Worten erbebte Benedetto, als wäre er von einer Schlange gestochen, und wurde blass vor Wut.

»Nun? Was ist’s? Was hast du?«, fragte der Schließer, indem er sich rasch umwendete und die Stirn runzelte, als ob ihm plötzlich ein Argwohn durch den Sinn führe.

Benedetto bemerkte dies und lächelte, um den Greis zu beruhigen.

»Achte nicht weiter darauf«, sagte er, »das ist ein Schmerz, dem ich bei der Erwähnung dieses Namens unterworfen bin. Aber um wieder auf besagten Hammel zu kommen. Lass hören! Antworte mir aufrichtig! Was würdest du dem Teufel verschreiben, wenn er dich zum Herrn von 20.000 Franc machte?«

»20.000 Franc!«, rief der Schließer, indem er den Arm fallen ließ, mit dem er eben die Lampe an sich ziehen wollte, um sie anzuzünden. »Wahrhaftig, bei der Art und Weise, wie du von 20.000 Franc sprichst, erweckst du in mir eine gewaltige Lachlust.«

»25.000, elender Kerl! Merke dir wohl, dass ich nicht 20 gesagt habe, sondern 25.000 Franc! Eine erbärmliche Summe!«

»Höre du, das ist ja wie ein Schneeball. Schon 5000 mehr. Haha! Lass deine Übertreibungen! Das würde genügen, um das Glück eines jeden von uns zu machen!«

»Von uns!«, wiederholte Benedetto mit einer geringschätzigen Bewegung, »von uns! Sprich du von dir selbst, Freund, denn ich besitze noch viel mehr, und wegen einer so geringen Summe würde ich mich nicht glücklich schätzen.«

»Du besitzest noch mehr? Ja, mein Junge, ich sehe wohl, dass du verrückt bist.«

»Verrückt! Willst du sehen? Ja? Nun so komm her. Aber vorher sieh nach, ob man uns auch nicht von dem Gang aus bemerken kann, und schließe die Tür.«

Die Worte Benedettos erweckten die Neugier des Schließers im höchsten Grade, und er tat alles, was jener verlangte. Er verschloss die Tür, steckte den Schlüssel in seinen Gürtel, kehrte dann zum Gefangenen zurück und stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus, als er die Banknoten in den Händen des Banditen sah.

»60.000 Franc!«, murmelte er, indem er die Bankbillets überzählte.

Benedetto drehte sie wieder und wieder mit der größten Kaltblütigkeit von der Welt zwischen seinen Fingern umher.

»Willst du die Hälfte davon«, fragte er.

»Ich? Und was soll ich denn für dich tun?«

»Mich von hier fortlassen.«

»Das ist unmöglich.«

»Ich gebe dir noch 10.000 Franc mehr, was zusammen also 40.000 macht.«

»Oh!«

»Nun – 50.000!«

»Kamerad, du willst mich in Versuchung führen. Aber sag mir, wie bist du zu dem Geld gelangt? Du hast es gestohlen, he?«

»Und was kümmert dich das, wie ich dazu kam? 50.000 Franc sind schon ein kleines Opfer wert.«

»Aber wie ließe sich die Sache machen? Am Ende des Ganges ist allerdings die Tür, die auf den Hof führt. Aber die Schildwachen, an dieser Tür ebenso gut wie auf dem Hof, lassen niemand passieren, wenn er ihnen nicht die Marke zeigt!«

»So verkaufe sie mir!«

»Und ich? Ich sollte wohl an deiner Stelle zurückbleiben?«

»Du kannst sagen, du hast sie verloren.«

»Das zieht hier nicht!«, entgegnete der Schließer, indem er nachzudenken schien.

»Ich habe ein Mittel gefunden!«, rief plötzlich Benedetto. »Ich binde dich, werfe dich an den Boden, entfliehe mit deiner Marke, und du bleibst mit meinen 50.000 Franc zurück! Du kannst dann sagen, es hat sich ein Kampf zwischen uns entsponnen und du bist besiegt worden.«

Dieser Vorschlag schien dem armen Teufel von Schließer nicht ganz unausführbar zu sein und bloß noch der Form wegen zögerte er, ihn anzunehmen.

»Nun, entscheide dich, mein Alter«, drängte Benedetto, »schnell, schnell, denn ich habe keine Zeit zu verlieren.«

»Der Teufel!«, murmelte der Schließer. »Nun, heraus mit dem Geld, mein Junge, aber die 60.000 Franc ganz, nicht mehr, nicht weniger, hörst du? Nur um eine runde Summe zu machen«, fügte er mit habgierig flammendem Blick hinzu.

»Nun, mag es denn sein!«, antwortete Benedetto, »ich hatte mich schon ohnedies darauf gefasst gemacht.«

»Ei, du Pfiffikus, so wolltest du mir also den Rest stehlen?«, sagte der Schließer, indem er die Banknoten empfing und dafür eine Metallplatte und ein offenes Papier aushändigte.

Beide näherten sich hierauf dem Licht, indem sie sich gegenseitig den Rücken zuwandten, um sorgfältig ihren Schatz zu prüfen. Mit einer gleichzeitigen Bewegung drehten sich dann beide plötzlich um, bestimmt durch dasselbe Gefühl.

»Und wenn die Banknoten falsch wären?«, fragte der Schließer.

»Das ist eben die Frage, die ich in Beziehung auf diese Marke an mich richtete.«

»Oh! Was das betrifft, für die Echtheit derselben stehe ich.«

»Ich betrüge dich ebenso wenig. Die Billets sind gut, Dummkopf. Und nun ans Werk!«

Der Schließer steckte sorgfältig sein Geld ein, indem er keine von den Bewegungen Benedettos außer Acht ließ, der jetzt Anstalt traf, ihm die Schnur, an welcher die Lampe hing, um den Leib zu werfen. Aber in dem Augenblick, als er ihm die erste Schlinge umlegen wollte, machte der Schließer eine Bewegung, als wollte er sich an der Seite kratzen, und zog blitzschnell ein Messer hervor, dessen Klinge in den Augen Benedettos funkelte.

»Zurück!«, schrie er.

»Nieder mit dir!«, sagte zu gleicher Zeit Benedetto, ergriff sein Handgelenk mit der linken Hand und senkte mit der Rechten die spitze Klinge, die er im Ärmel seiner Jacke verborgen hatte, gegen die Brust des Schließers nieder. »Darauf war ich gefasst, und wie du siehst, habe ich meine Vorsichtsmaßregeln getroffen, du alter Schelm. Das sollst du mir bezahlen!«

Nun entstand ein kurzer Kampf, und die Entscheidung desselben erfolgte so schnell, dass der Schließer in eben dem Augenblick, als er laut schreien wollte, seine Stimme erlöschen fühlte und nur eine Art von Geröchel auszustoßen vermochte. Die spitze Klinge Benedettos hatte ihm die Gurgel von einem Ende zum anderen durchstoßen.

Ein Blutstrom spritzte hoch empor, und der Körper sank in Todeszuckungen nieder.

Benedetto nahm seine teuren Bankbillets wieder in Besitz, verbarg sie unter dem Mantel des Schließers, den er sich anzog, drückte dessen Hut über seine Augen herab, öffnete die Tür, schloss sie dann wieder mit aller möglichen Zuversicht und ging den Gang mit dem schwerfälligen schlürfenden Schritt des Elenden hinab, den er soeben ermordet hatte.

Als er zu der Schildwache kam, zeigte er die Marke und das Papier. Dies wiederholte er auch beim Ausgang aus dem Gefängnis.

Endlich war er frei!