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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die sechs schlafenden Jungfrauen 7

Die sechs schlafenden Jungfrauen oder: Der schreckliche Zweikampf
Eine furchtbare Ritter- und Geistergeschichte von Wilhelm Bauberger erzählt
Kapitel sieben

Die sechs schlafenden Jungfrauen

Das traute Plätzchen im Wald hatte unseren Ritter mit seiner erwählten Adelgunde wieder vereinigt und es gelang den heiligen Versicherungen seines reuigen Herzens, das liebende Mädchen wieder mit dem halb Ungetreuen auszusöhnen. Aber eine weit schwerere Prüfung stand dem guten Jüngling in den nächsten Tagen bevor. Es war nämlich die Frist beinahe abgelaufen, binnen welcher Alfred dem Geist Unkos von Waldstein die Erfüllung seines Gelübdes verheißen hatte. Mit bangem Zagen eröffnete er seiner Geliebten die nahe Trennung. Bis ins Innerste erschrocken hatte Adelgunde im ersten Moment keine Träne und sie versuchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Da sie aber den Ritter unbeugsam fand, begann sie bitterlich zu weinen. Alfred suchte sie zu trösten.

»Der liebe Gott«, sprach er, »der uns so wunderbar zusammenführte, wird Freude an unserer reinen Liebe haben, und uns im Diesseits belohnen. Sieh empor zum sternenbesäten Himmel und glaube fest, dass droben ein gütiger Lenker thront.«

Still weinend hörte ihn Adelgunde und barg ihr Haupt an seiner Brust.

Dann sagte sie, sich sammelnd: »So geh’ denn und erfülle dein Gelübde, aber mein Geist sagt es mir, du wirst nicht wiederkehren. Nun wohlan, wenn es Gottes Wille ist, so möge das Heilige Land, das mir schon den Bruder entriss, auch den Geliebten nehmen. Ich will suchen, wie ich mein Leid ertragen kann.«

Mitten in der Nacht, welche auf diese Unterredung folgte, beschwor Ritter Alfred den Geist und erklärte sich zur Erfüllung seines Versprechens bereit.

Auf dessen Bitte, ihm die Höhle der schlafenden Jungfrauen zu zeigen, belehrte ihn der Geist: »Wenn der nächste Vollmond am Firmament prangt, so ziehe von deiner Burg aus, nach Abend zu, bis dahin, wo ein großer Fluss rauscht. Dort besteige eine Barke und lass dich übersetzen. Alsdann wird der Ton eines Glöckleins dich sicher zur Höhle führen. Ist der Ton stark, so näherst du dich der Höhle, ist er aber schwach und wird er stets noch schwächer, so entfernst du dich weiter davon!«

Indem erbebte die Burg und der Geist war verschwunden.

Nach wenigen Tagen glänzte der Vollmond am Gewölbe des Himmels, und Ritter Alfred von Steinkopf zog aus und erreichte mit dem ersten Strahl der Sonne einen großen Fluss. Hier musste er lange harren, ehe er übergesetzt wurde. Kaum war er am jenseitigen Ufer angelangt, als sich ein furchtbarer Wind erhob. Schwarzgraue Wolken sendeten einen leichten Regen und zogen pfeilschnell am Horizont vorüber.

Der Ritter kehrte in einer Fischerhütte ein, um sich zu stärken und seine Kräfte zu sammeln. Sein schwarzer Turnierhengst wieherte ungewöhnlich oft und war nicht zum Futter zu bewegen. Der Wind ließ zwar bald etwas nach. Aber nun floss auch der Regen in Strömen herab. Es war ein grausiges Unwetter. Etwas missmutig trat Alfred vor die Hütte und blickte umher. Er horchte aufmerksam nach den Tönen eines Glöckleins, das er auch trotz Wind und Regen vernehmen konnte.

Ein Ritter darf des Unwetters nicht achten, dachte er und schwang sich auf den wiehernden Hengst.

Bald sich verlierend, bald näher bezeichnete der Ton des Glöckleins dem Ritter den Weg, den er einzuschlagen hatte. Aber der Sturm wuchs mit jeder Minute. Kleine Bäche schwollen zu reißenden Waldströmen an. Alfred band sein Ross, das er nicht mehr weiter zu bringen vermochte, an einen Baum und beschloss zu Fuß vorzudringen.

Die Töne des Glöckleins wurden mit jeder Minute stärker, aber jeden Schritt, den er vorwärts tat, musste sich der Ritter von den tobenden Elementen erkämpfen. Mit einem Mal schmetterte ihn die Gewalt des Sturmes, als wäre er vom Blitz getroffen worden, bewusstlos auf einen Felsen nieder. Als er endlich wieder zu sich kam, raffte er sich mühsam auf und folgte mit unerschütterlichem Mut den immer stärker vernehmbaren Tönen des Glöckleins, bis er zuletzt, indem das Mondlicht durch einen Riss der Wolken schien, auf hohem Felsen eine Burg erblickte. Unter fortdauerndem Tosen des Unwetters erklomm er mühsam den Berg.

Nicht mehr fern vom Burgtor wollte er darauf zuschreiten, aber die Töne des Glöckleins wurden schwächer, weshalb er ihnen wieder in anderer Richtung folgte.

Nun zerteilte sich das Gewölk am Himmel, Sturm und Regen ließen nach, und in voller Pracht trat der silberne Mond hervor. Vor dem Eingang einer Höhle stand der Geist Unkos von Waldstein. Alfred hatte planlos sein Schwert gezogen. Der Geist trat zurück und Alfred befand sich in der mit Flämmchen beleuchteten Höhle, wo Musik ihm entgegen tönte, so sanft und schön, als ob sie von den Ufern der Vergangenheit herübersäuselte. Entzückt öffnete er die eiserne Tür und gelangte in ein Gemach, von brennenden Kerzen erleuchtet und von lieblichen Düften angefüllt. Auf der Erde aber lagen sechs wunderliebliche Jungfrauen. Bei ihnen stand der Geist ihres Vaters. Die Musik, die eine Weile geschwiegen hatte, ertönte aufs Neue und metallreine Stimmen riefen dreimal: »Erlöse! Erlöse! Erlöse uns!«

»Wenn es Euer fester Wille ist, meinem Geist Ruhe zu verschaffen und diese meine Kinder zu neuem Leben zu erwecken, so gelobt dies, drei Finger erhebend, zum feierlichen Schwur«, bat der Geist mit hohler Stimme.

Während Alfred die Hand erhob, begann die Höhle zu beben und Alfreds Sinne schwanden.

Außerhalb der Höhle erwachte er zu neuem Leben. Eine eiskalte Hand berührte ihn. »Alfred!«, mahnte ihn der Geist, »meidet das Böse und Ihr werdet sicher in Adelgundes Arme zurückkehren. In jeder Mitternachtsstunde kann ich Euch erscheinen!«

Mit diesen Worten verschwand der Geist und Alfred trat den Rückweg an, mit dem festen Vorsatz, alles zu wagen, um die Jungfrauen zu neuem Leben erwecken zu können. Ehe er es dachte, befand er sich bei seinem Ross, das ihm freudig entgegen wieherte, und bei anbrechender Morgenröte ritt er zur Fischerhütte zurück.