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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Schrauberei

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 2

Schrauberei

Aus der Wirtsstube verlief sich die listige Gesellschaft. Jene drei Zusammensitzenden blieben allein.

»Bei allen Donnerwettern, die unserer guten Graf Mörner schon über das Verdeck gekommen sind und noch kommen werden!«, rief der hagere Mann ärgerlich, »Ihr habt in diesem Burschen Euch eine gute Prise vor der Nase wegschnappen lasten, Kapitän. Auf dem Wasser, merk’ ich wohl, versteht Ihr Euch bester auf die Kaperei als auf dem Lande, und dieser dänische Schlagtod, der wie ein flotter Dreidecker im schönsten Fahrwasser und mit dem besten Winde vorüber strich, hatte viel Boote ausgesetzt, die ihm die Prise einsingen und zuführten.«

»Lasst es nur gut sein, Leutnant Gad«, versetzte der Kapitän ruhig, »ich habe meine Absichten auf diesen seltenen Vogel noch nicht aufgegeben. Es ist wahr, ich hätte vielleicht den jungen Mann schon aufbringen können, aber wir hatten alle drei nicht beachtet, dass wir von dänischen Spionen umgeben waren, und Meister Habermann weiß doch sonst Ochsenfleisch von Menschenfleisch schon durch den bloßen Geruch zu unterscheiden.«

Dabei verbeugte sich der Kapitän lächelnd gegen den dicken Mann, welcher gemächlich die Reste seiner Flasche verschluckte und dann eben so langsam als ruhig antwortete: »Ich kenne einen Mann, der, mit Verlaub zu sagen, alles Fleisch vortrefflich kennt, doch nicht eher, als bis er’s unter dem Messer hat, und dieser Mann ist, mit Verlaub zu sagen, kein anderer, als der Schiffschirurgus, Gabriel Habermann, Euer gehorsamer Diener, Kapitän Norcroß. Der Kerl mag aussehen, wie er will, so lasst mich ihm nur ein Bein absägen oder eine Kugel aus dem Leib schneiden, so will ich gleich sagen – und wenn er das Maul nicht auftäte – ob’s ein französischer Geißbock, ein dänischer Ochs, ein deutsches Schwein oder ein englischer Schöps ist. Fiat applicatio, sagen wir Lateiner.«

»Habt Ihr bedacht, Meister Habermann, dass ich selbst von Geburt ein Engländer bin, und Ihr mich demnach unter jener allgemeinen Bezeichnung notwendig mitverstehen müsst?«, scherzte der Kapitän.

»Oho! Bei allen Heringen der Westsee!«, polterte der Leutnant und schlug mit beiden Fäusten lachend auf den Tisch. »Meister Habermann pflegt stets auf seine deutsche Herkunft stolz zu sein, und fürwahr, sein beliebter Vergleich trifft in keiner Hinsicht besser, als in Bezug auf seine eigene werte Person.«

Der Schiffschirurgus, erst in Verlegenheit, dass er sich des Kapitäns ihm wohlbekannter Herkunft nicht erinnert, geriet über des Leutnants grobe Bemerkung in Wut. Seit Langem war er nicht in so heftiger Gemütsbewegung gewesen. Die ganze Äußerung seiner lebendig gewordenen Affekten bestand aber in weiter nichts, als in einem dem Leutnant bösen zugeworfenen Blick, und den Worten: »Mit Verlaub, Leutnant , seht Euch vor, mich nicht einmal für einen Eber zu halten, der Euch mit den Hauern ins Fleisch fährt!« Dann verzog sich sein Gesicht wieder in die Falten jener Bonhomie, die mit der Welt und sich selbst in Frieden lebt, wenn ihr die genießbaren Schätze der Küche und des Kellers täglich und stündlich ohne langweilige Beschwörungen zu Gebot stehen. Als der Kapitän und der Leutnant noch zu lachen fortfuhren, hielt es der Schiffschirurgus für das Beste, mit einzustimmen, weil ihm dies der Notwendigkeit überhob, sich beim Kapitän wegen der Beleidigung zu entschuldigen, die er ihm als geborenem Engländer angetan zu haben wirklich vermeinte.

»Im Ernst«, sagte Kapitän Norcroß, »es tut unserer Graf Mörner not, dass sie komplettiert werde. Seit uns der Leutnant Collin in Marstrand ein Dutzend meiner Leute verführt und davongelaufen ist, und ich gezwungen war, meinen Kapitänleutnant ins Gefängnis legen zu lassen, läuft unsere Fregatte wie ein Windhund auf der See. Und wenn auch Leutnant Gad bei unserer nächsten Ankunft in Stockholm durch des Königs Gnade avanciert, so fehlt es uns doch immer noch an ein paar tüchtigen Köpfen und an einer Schaluppe voll handfester Burschen, die wir an die Ruderbänke und Kanonen stellen können.«

»Gabriel Habermann müsste sich schlecht auf das menschliche Antlitz verstehen, welches doch von Fleisch und Bein ist, wie jeder andere Teil des Korpus«, bemerkte der Schiffschirurgus mit einem schelmisch lächelnden Blick auf den Leutnant, »wenn er, mit Verlaub zu sagen, nicht gesehen hätte, dass sich der junge Mann, welchen der dänische Lümmel am Schlepptau mit fortgezerrt, nicht vortrefflich zum Kapitänleutnant der Graf Mörner passe. Und Ihr würdet wohl tun, Kapitän, wenn Ihr alle Segel setzt, um diese Brigg noch aufzubringen.«

»Niemand in der Welt, der sich bester auf die menschliche Physiognomie versteht als Meister Habermann, könnte Euch doch besseren Rat erteilen, als er, der ehrenwerteste aller Fleischkenner und Fleischschneider«, sagte der Leutnant giftig. »Denn ich wollte meinen Leutnantsdegen darauf setzen, der fremde junge Mann war ein Chirurgus, der in Paris oder sonst auf einer berühmten Universität seine Studien absolviert hat und zum Kontor promoviert worden ist. Trug er denn nicht sein kostbares Bindezeug in der Seitentasche seines Rocks und zog er es nicht hervor, um es zu versetzen? Daraufhin gereute ihn dieser vorschnelle Vorsatz, weil er sich durch Ausführung desselben ums Brot gebracht hätte. Denn jedenfalls gedenkt er seine Kunst auszuüben. Aber was wäre ein Chirurgus ohne Messer, Schere, Aderlasschnepper, Lanzette, Pinzette usw. Nichts mehr und nichts weniger, als was ein Maler ohne Farben und Pinsel sein würde. Wie Euch also Meister Habermann wohlmeinend geraten hat, Kapitän Norcroß, unterlasst um unserer Kaperehre willen nicht, auf diese rote Flagge Jagd zu machen -ich meine die Aderlassbinde des jungen Doktors der Chirurgie -, und sie aufzubringen, damit uns nach einem Gefecht nicht fernerhin die Hälfte der verwundeten Leute unter dem Messer stirbt. Nebenbei wird Euch der junge Doktor auch schon die Dienste eines Kapitänleutnants versehen. Ich wüsste in der Welt nicht, woher Ihr ein brauchbareres Subjekt für die Graf Mörner aufbringen wolltet, einen so trefflichen Mann, der im Treffen die Leute mit dem Degen kommandiert und zum Sieg treibt, nach dem Treffen aber mit dem Messer bedient und zum Leben bringt. Nein, wahrlich! Bei aller lobenswerten und nicht zu verachtenden Geschicklichkeit des Meisters Habermann muss man doch sagen, dass sie solcher vielseitigen Brauchbarkeit nicht wert ist, die Schuhriemen aufzulösen. Unseres ehrenhaften Schiffschirurgus bekannte Bescheidenheit wird dies selbst löblicherweise zugestehen keinen Augenblick Anstand nehmen.«

Des Chirurgen Gesicht zeigte Spuren von Ärger.

»Ich werde jedem Geschickteren nicht minder weichen als Ihr, Leutnant Gad!«, rief er aufstehend, ließ sich eine Schale Kaffee reichen und brannte eine Tonpfeife an, damit ihm die Alteration nichts schade, denn Kaffee und Tabak galten damals noch als Präservative für alle Übel.

»Ich fühle mich Euch beiden, meine Herren, zum lebhaftesten Dank verpflichtet«, sagte der Kapitän, »und fürwahr, ich werde es als notwendig betrachten, Euren Rat zu befolgen, Meister Habermann, den Leutnant Gad so eifrig unterstützt. Wir sind ohnehin schon einen Tag zu lange in Hamburg und werden gehen, die Berichte unserer Spione anzuhören. Lässt sich nur irgendetwas Fangbares auf dem Wasser sehen, so wollen wir ohne Weiteres in See stechen. Es verlangt mich, Seiner Majestät, unserem König, wieder einmal Bericht abzustatten von meiner Tätigkeit, und vom roten Mund der Stockholmer Damen Küste zu naschen.«

»Wer’s doch so weit gebracht hätte wie Ihr!«, rief der Leutnant mit einem Hauch von Neid, »des Königs Gunst in vollem Maße, des braven Görz Freundschaft, die Gewogenheit der Damen von Stand, und freien Willen zu tun und zu lassen, was Euch beliebt. Was könnt Ihr Euch weiter wünschen?«

»Beständigkeit des Glücks«, versetzte Norcroß ernst, »und stets so tüchtige Männer und gute Freunde um mich herum, wie Ihr, meine Herren.«

Und damit reichte er rechts und links die Hand dem Leutnant und dem Schiffschirurgus. Sie bezahlten die Zeche und verließen das Kaffeehaus.