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Der Welt-Detektiv Band 6

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John Tanner – Das Leben eines Jägers 6

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Sechstes Kapitel

Wir machten uns gleich nach dem neuen Jahr auf den Weg, um in Pe-schau-bas Heimat zu gelangen. Der Schnee lag sehr tief. Da unsere lange Reise fast immer über freie und offene Prärien ging, so mussten wir, wenn der Wind stark wehte, liegen bleiben. Am Anfang fehlte es uns an Lebensmitteln, zum Glück begegneten wir aber bald einer zahlreichen Herde sehr fetter Büffel. Obgleich die Kälte furchtbar war und der Schnee sehr tief lag, so konnten doch diese Tiere mithilfe ihrer Hörner den Rasen freimachen und sich recht gut ernähren.

Wir hatten unsere aus Puk-kwi (breitblättriger Rohrkolben) gefertigten Matten zurücklassen müssen, denn der Weg war zu weit. Wenn schlechtes Wetter einfiel, bauten wir eine kleine Hütte und bedeckten diese mit drei oder vier frischen Bisonhäuten, die dann sogleich gefroren und uns hinlänglich Schutz gegen Wind und Schnee gewährten. War die Luft still, dann lagerten wir gewöhnlich unter freiem Himmel, ohne anderen Schutz als unsere Kleider zu haben.

Auf der ganzen Reise trugen Pe-schau-ba und Sa-ning-wub fortwährend eines der kleinen Kinder unserer Schwester. Wir hatten aber, obschon wir uns so sehr beeilten, wie es nur irgend die Witterung zuließ, beinahe zweieinhalb Monate zu wandern. Als wir ungefähr die Mitte des Weges erreicht haben mochten, kamen wir am Warenlager und dem Fort am Moose River vorüber, nahmen dann unsere Richtung nach Nordwesten und kamen an eine Stelle, die Kau-wau-ko-mig-sah-kie-gun, d. h. der Klarwasser-See hieß. Aus diesem kommt ein kleiner Fluss, der Sas-kaw-ja-wun, d. h. süßes Wasser. Dieser ist aber weder der Quellfluss noch ein Arm des großen Stromes Sas-kaw-ja-wun (Saskatschewan), der weiter nach Norden fließt. Der Klarwasser-See ist auch nicht die Hauptquelle des kleinen Sas-kaw-ja-wun, der ebenfalls weiter im Norden seinen Ursprung nimmt.

Am Ufer dieses Sees lag die kleine Hütte Pe-schau-bas, und dort lebte er seit einigen Jahren mit den drei Männern, von denen ich schon gesprochen habe. Seine Frau hatte er am Huron-See zurückgelassen. Ob die drei anderen Indianer verheiratet waren, weiß ich nicht. Sie hatten keine Frauen bei sich. Bald nach unserer Ankunft öffnete er sein Sunjegwun1 und nahm viele Biberfelle, zubereitetes Pelzwerk, gedörrtes Fleisch und noch manche andere Gegenstände heraus, die er den Frauen gab.

Dabei sprach er: »Wir sind nun lange genug unsere eigenen Weiber gewesen. das soll nun ein Ende haben. Von jetzt an habt ihr die Häute zuzubereiten, Fleisch zu räuchern und zu dörren, und müsst uns Mokassins machen.«

Die alte Frau übernahm es, besonders für Pe-schau-ba zu sorgen. Sie nannte ihn ihren Sohn und behandelte ihn als solchen. Ihre Tochter und Schwägerin arbeiteten für die drei anderen Männer. Wa-me-gon-a-biew und ich blieben unter der besonderen Aufsicht unserer Mutter. Auf der Jagd begleitete ich stets den Pe-schau-ba, der sehr gut zu mir war, und dem es viel Vergnügen zu machen schien, mich in allem zu unterweisen, was ein großer Jäger verstehen muss.

Als wir am Ufer des Sees ankamen, war der Winter schon weit vorgerückt, das Wetter aber noch so kalt, dass das Wasser zu Eis wurde, sobald wir es außerhalb der Hütte hinstellten. Wenn wir jagen wollten, gingen wir schon vor Aufgang der Sonne aus, und kamen erst lange, nachdem sie untergegangen war, wieder zurück. Um Mittag erhob sie sich kaum bis zum Gipfel der Bäume, obgleich diese in jener fast ganz mit Prärien bedeckten Gegend sehr niedrig sind. Es wachsen nur wenige Zedern und Fichten. Biber und anderes Wild findet man häufig. Das Land der Mandan am Missouri ist von dort nicht sehr weit entfernt, und ein Mann kann in vier Tagen vom Moose River bis zu den Dörfern der Mandan gehen.

Als die Blätter aus den Knospen hervorzubrechen anfingen, machten wir uns mit unserem Pelzwerk auf den Weg und nahmen auch viel Fleisch und eingesalzene Biberschwänze mit, um sie im Kontor am Moose River abzusetzen. Da es in dieser Gegend weder solche Zedern noch Birken gibt, aus denen man Kanus bauen könnte, so mussten wir für diese Reise eines aus Moosehäuten anfertigen. Diese werden mit großer Sorgfalt zusammengenäht und ausgespannt, sodass sie, nachdem sie gehörig ausgetrocknet, ein gutes, sicheres Kanu bilden, das aber bei großer Sommerhitze nicht sehr dauerhaft ist. Es war Net-no-kwas und Pe-schau-bas Absicht, zum Huron-See zurückzukehren, und daher schafften wir alle unsere Habseligkeiten in dieses Kanu, das etwa halb so viel tragen konnte, wie ein gewöhnliches Fahrzeug von Mackinack, also etwa fünf Tonnen.

Wir fuhren mehrere Tage den kleinen Sas-kaw-ja-wun hinab. Am Ufer dieses Flusses war ein Dorf der Assiniboine, wo wir mehrere Nächte blieben. Keiner von uns konnte sie, mit Ausnahme von Waus-so, der ihre Sprache erlernt hatte, verstehen. Aus dem kleinen Sas-kaw-ja-wun fuhren wir in den Assiniboine River und gelangten bald zu den Stromschnellen, wo die Assiniboine und einige Cree ein aus etwa fünfhundert Hütten bestehendes Dorf hatten.

Da wir anfingen, an frischen Lebensmitteln Mangel zu leiden, so wurde entschieden, dass wir ein paar Tage damit zubringen wollten, Störe zu fangen, welche dort in großer Menge vorhanden waren. Wir lagerten neben den Assiniboine und sahen, dass ein altes Weib einem Stör, der aus dem Wasser gezogen worden war, den Kopf abschnitt und ihn ohne alle Zubereitung ganz roh aufaß.

Dieses Volk schien uns im Ganzen sehr roh und schmutzig zu sein. Doch kam unser Widerwille wohl zum Teil auch daher, dass die Chippewa stets eine große Abneigung gegen diese Tournebroches (Bratspießwender) hegten.

Binnen zweier Tage kamen wir von den Stromschnellen zum Monk River, wo die Hudson’s Bay und die Nordwest Company Kontore haben. Dort fingen Pe-schau-ba und seine Freunde an zu trinken, und nach ein paar Tagen hatten sie auch gar nichts mehr übrig von ihrem Petzwerk, der Ausbeute einer langen und stets glücklichen Jagd. Wir gaben auf einmal hundert Biberfelle für geistige Getränke. Für sechs Felle erhielten wir nur ein Quart Rum, der noch obendrein von den Kaufleuten stark mit Wasser verfälscht war.

Nachdem einige Tage in solchen Ausschweifungen vergangen waren, wurde der Anfang damit gemacht, Kanus aus Birkenrinde zu fertigen. Allein gerade damals wurden die Assiniboine, die Cree und alle Indianer in der Umgebung, mit denen die Mandan Frieden gemacht hatten, eingeladen, gemeinschaftlich mit diesen ein Volk anzugreifen, das bei den Chippewa den Namen A-gutsch-a-ninnes führt, und das nur zwei Tagesreisen von den Mandan entfernt wohnt. Als Maus-so dieses hörte, beschloss er, sich den Kriegern anzuschließen, die sich am Moose River versammelten.

Er sagte: »Ich will nicht in meine Heimat zurückkehren, ohne noch einige Narben mitzubringen. Ich will das Volk sehen, welches meine Brüder getötet hat.«

Pe-schau-ba und Net-no-kwa suchten ihm seinen Vorsatz auszureden. Er wollte aber von nichts hören, und seine Begeisterung steckte auch den Pe-schau-ba an.

Nachdem er sich zwei Tage lang besonnen hatte, sprach er zu der alten Frau: »Ich kann mich nicht entschließen, ohne Waus-so im Land der Ottawa  zu erscheinen. Sa-ning-wub und Sag-git-to wollen auch mit ihm gehen, um die Nachbarn der Mandan heimzusuchen. Ich will nun auch die Reise mitmachen. Erwarte mich am User des Winnipegsees. Wenn die Blätter fallen, will ich dorthin kommen. Versäume ja nicht, ein Fass Rum in Bereitschaft zu halten, denn ich werde bei meiner Rückkehr sehr durstig sein.«

Die Kanus waren noch nicht fertig, als sie sich auf den Weg machten. Wa-me-gon-a-biew begleitete sie, und so blieb ich allein bei den drei Frauen und den drei Kindern zurück. Unverzüglich machte ich mich nun mit Net-no-kwa und der übrigen Familie auf den Weg zum Winnipegsee und musste mich dabei des alten aus Moosehäuten gefertigten Kanus bedienen. Nachdem wir einige Zeit das Kontor der Weißen verlassen hatten, erblickten wir einen Stör, der zufällig auf eine Sandbank geworfen worden war. Ein großer Teil seines Rückens ragte aus dem Wasser hervor. Ich sprang aus dem Kanu und tötete ihn mit leichter Mühe. Das war der erste Stör, den ich fing, und darum glaubte die alte Frau das Oskenetahgawin-Fest, d. h. jenes der ersten Früchte feiern zu müssen, wiewohl sein Indianer da war, den wir hätten einladen und bewirten können.

Die Mündung des Assiniboine River ist ein Punkt, den die kriegerischen Banden der Sioux häufig besuchen. Sie verstecken sich am Ufer und geben Feuer auf die Vorüberfahrenden. Daher ruderten wir mit großer Vorsicht weiter und beschlossen, nur in der Dunkelheit die Fahrt zu wagen. Erst um Mitternacht überließen wir uns, soviel wie möglich in der Mitte bleibend und die Nähe des Ufers vermeidend, der Strömung, um in den Red River zu gelangen. Die Nacht war dunkel und wir konnten vom Ufer nichts deutlich sehen.

Kaum befanden wir uns im Red River, da wurde die Stille durch ein Eulengeschrei vom linken Ufer des Assiniboine River herüber unterbrochen. Gleich darauf erscholl ein zweites vom rechten Ufer und zu gleicher Zeit ein drittes vom Red River her.

Net-no-kwa murmelte so leise, dass wir es kaum hören konnten. »Wir sind erspäht worden!«, und gab uns dabei ein Zeichen, das Kanu so sacht wie möglich fortzurudern. So gut es ging, hielten wir uns in der Mitte. Ich saß voran im Kanu und hielt meinen Kopf dem Wasserspiegel möglichst nahe, um alles, was uns nahe kam, sofort zu bemerken. Plötzlich fing das Wasser an, sich leicht zu kräuseln, und ich sah einen schwarzen Gegenstand, den ich für den Kopf eines Mannes hielt, der behutsam vor uns herschwamm. Ich zeigte ihn den Frauen, und wir beschlossen, diesen Mann zu verfolgen und zu töten. Daraufhin ergriff ich eine starke Harpune, und so begannen wir die Jagd. Aber die Gans, denn weiter war es nichts, ahnte Schlimmes und machte sich mit ihren Jungen davon. Als wir uns von unserem Irrtum überzeugt hatten, setzten wir etwas weniger furchtsam unsere Fahrt fort. Wir konnten aber nicht wieder in die rechte Strömung kommen.

Damals hielt ich die Befürchtungen der Frauen für lächerlich und ärgerte mich darüber. Ich möchte aber wirklich nicht darüber befinden, ob die drei Eulenschreie von Tieren oder von Sioux herrührten.

Wir ruderten wieder mehrere Meilen zurück, um die Kaufleute zu erwarten, welche zehn Tage nach uns vorbeikommen mussten. Wahrend unseres Aufenthaltes erlegten wir viele Gänse, Schwäne und Enten. Ich schoss einen Elch, und da es der Erste war, so wurde abermals ein Fest gefeiert, wenn auch diesmal niemand eingeladen werden konnte.

Die Kaufleute, auf welche wir warteten, kamen, und wir folgten ihnen bis zu ihrem Kontor am Winnipegsee, an welchem wir zwei Monate blieben. Als sie wieder zum Ufer des Assiniboine River abreisten, begleiteten wir sie abermals in einem Birkenkanu, das wir zu diesem Zweck gekauft hatten. Wir hatten einen hübschen Vorrat an Biberhäuten, und Net-no-kwa noch nicht vergessen, was ihr Pe-schau-ba aufgetragen hatte. Sie gab für ein Quart Rum sechs Häute. Die meisten dieser Biber hatte ich gefangen, und in einem Monat wenigstens hundert Stück erlegt. Ich kannte aber damals ihren Wert noch nicht.

Show 1 footnote

  1. Ein Versteck, worin die Indianer ihre Habseligkeiten legten. Ehe sie mit den Europäern verkehrten, war ein solches geheiligt und wurde nie angetastet. Es kam jedoch häufig vor, dass sie es geplündert wurde.