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Die Wächter von Avalon – Der Fluch des Suadus

Die Wächter von Avalon – Der Fluch des Suadus

Die Insel von Avalon, in vielen Geschichten und Legenden bekannt als die letzte Ruhestätte von Arthur, hat weder einen festen Standort noch eine feste Beschreibung in den literarischen Grundsätzen der Arthuriana. Geoffrey von Monmouths Historia Regum Britanniae (ca. 1136) ist die älteste erhaltene Arbeit, einschließlich der Verweise auf Avalon. Er nennt es Insula Avallonis, bezieht sich auf die angeblich heilenden Kräfte der Insel und behauptet, dass Artus’ Schwert dort geschmiedet wurde. Geoffrey bezieht sich auch auf Avalon in seiner Vita Merlini als die »Insel der Äpfel« (Insula Pomorum), einem Beinamen, welcher in den keltischen, griechischen, skandinavischen und mythologischen Traditionen tief verwurzelt ist und in denen häufig Äpfel magische Eigenschaften besitzen. Sowohl in Historia als auch in Vita wird Arthur nach Avalon gebracht, nachdem er sterblich verwundet worden war, in der Hoffnung, dass er auf der Insel geheilt wird. Untermauert wird die Theorie des keltischen Ursprungs von Avalon teilweise aus der folkloristischen Tradition rund um die Isle of Arran, im Firth of Clyde gelegen, und wurde häufig mit der Insel Emhain Abhlach (Emhain der Apfelbäume), ein Ort, der im Zusammenhang mit dem irischen Meeresgott Manannan steht. Wie Mike Dixon Kennedy in Arthurian Myth and Legend suggeriert, wurde Geoffrey wahrscheinlich durch die erhaltenen keltischen Traditionen eines solchen Ortes inspiriert. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass keine abschließenden Beweise gefunden werden können, welche direkt den Einfluss der keltischen Mythologie und Legende zur Entstehung von Avalon und seiner literarischen Tradition aufspüren. Spekulationen darüber sind im Überfluss vorhanden und werden in vielen Fällen auch gut recherchiert. Doch unabhängig davon bleibt Avalon konsequent ein geheimnisvoller und jenseitiger Ort, der noch viele Interpretationen zulassen wird.

Auf der Leipziger Buchmesse bin ich auf die Trilogie von Amanda Koch aufmerksam geworden. Im Band 2 Der Fluch des Suadus geht es unter anderem um Avalon im Wandel der Zeiten sowie um die Kraft von Feuer und Wasser. Die Neugierde packt mich, welche Rolle die Autorin der Lichtelfe Aylórien im zweiten Band der Trilogie zugedacht hat, und was die Wächter in Amaduria erwartet.

Das Buch

Amanda Koch
Die Wächter von Avalon – Band 2
Der Fluch des Suadus
Fantasy, Hardcover, familia Verlag, Leipzig, März 2014, 448 Seiten, 16,95 Euro, ISBN 9783943987720, Umschlaggestaltung: Pixeltype 360, Illustration: Nico Schirmer
Kurzinhalt:
Die Hohepriesterin spürt die Schwäche Avalons innerhalb der drei Welten. Deshalb übergibt die Herrin vom See Raven eine abgerissene Schriftrolle, die die Wächter in die Andere Welt, nach Amaduria, führen soll. Dort folgen sie der Spur aus der Dunklen Zeit nach Juamé, wo König Easar das Schwert des Windes hütet. Doch Evelot sieht in einer Vision sein schreckliches Schicksal. Lastet auf ihm ein Fluch, der bis nach Avalon reicht?

Die Lichtelfe Aylórien scheint der Schlüssel zu einem Geheimnis aus der Alten Zeit zu sein, welches die vier Königreiche der Anderen Welt verbindet. Die dunklen Schatten des Mondes bedrohen ganz Amaduria. Doch wie kann die Kraft der smaragdgrünen Sonne in Aylórien den Wächtern bei ihrem Kampf helfen?

Die Autorin

Die Kinder- und Jugendbuchautorin Amanda Koch begann nach Studium und beruflichen Abstechern 2004 mit dem Schreiben – zuerst Artikel und Beiträge für den Familienratgeber Baby Kind Familie. Darauf folgten schon bald Kurzgeschichten für Kinder. Eine Sammlung der spannendsten Abenteuer von Fafnir, dem kleinen Drachen, und Gawein, dem mutigen Ritter, wurde 2010 in Geschichten aus Drafeenien (familia Verlag) veröffentlicht.

Das Schreiben nahm fortan eine ständig stärker werdende Bedeutung in ihrem Leben ein, denn auch der Mythos um Avalon atmet in ihr. Die Geheimnisse um Avalon – die heilige Insel der Anderswelt, verborgen hinter den magischen Nebeln – beeinflusst die Autorin seit ihrer Jugend enorm in Denken und Empfinden. So startete Amanda Koch 2013 – im Jahr des Mondes – mit dem ersten Band der Trilogie Die Wächter von Avalon ihr Debüt als Jugendbuchautorin.

Die Prophezeiung ist der Beginn ihrer Geschichte um die sagenumwobene Insel. Amanda Koch zeigt ein Bild von Avalon, welches weit vor der Sage um König Artus entstand und noch heute existiert. Dabei werden Elemente aus der Alten Zeit mit denen aus der Vorzeit verknüpft. Die mystischen Geschehnisse beeinflussen sowohl die irdische als auch die Andere Welt Amaduria und haben auch heutzutage noch nicht an Bedeutung verloren. Seit dem ersten Band der Trilogie widmet sich Amanda Koch nun vollständig dem Schreiben. In sieben Monaten entstand die Fortsetzung und im März 2014 wurde Der Fluch des Suadus veröffentlicht. 2015 vollendet die Autorin mit Die Legende von Ýr ihre Trilogie.

Auch hat sich Amanda Koch erneut dem Schreiben von kurzen Fantasiegeschichten für Kinder gewidmet. So erscheint 2015 unter dem Titel Der Zauber unter der Sonne – Wie Eóin den Frühling fand ihr zweites Kinderbuch mit einer phantastischen Geschichte, die Jungen und Mädchen zeigt, wie wertvoll die Natur um uns herum für alle Wesen ist.

Leseprobe

Weise Worte der Göttin versprühen ihre Funken,
Erwecken die magischen Kräfte des Lebens.
Die leidenschaftliche Verwandlung des Feuers.
Sanft und stark die Magie des Wassers,
deren Zauber sich vereint im Geist der Sonne.
Der Wind bringt Klarheit und das Wissen der Alten,
weht über den fruchtbaren Boden die lang ersehnte Wandlung,
über die der Geist des Mondes seine Schatten legt.
Ein Wesen des Lichts durch die Mysterien von Avalon erneut geboren,
empfängt das Schicksal der Magie. Ein Zeichen ihrer Vereinigung,
getragen durch die Urkraft des Lebens, die stärker ist als der Tod.

Aus dem Diarium von Avalon Herrin vom See, nach dem 8. Jahresvollmond im Jahr 2012

Prolog

Die Strahlen der Sonne verschwanden hinter der Südspitze des markanten Felsvorsprungs, als Aylórien nach oben schaute. Über den Feuerbergen schwebte der magische Hauch des Feuervogels. Vanu. Der Hüter des brennenden Speeres war ihre einzige Hoffnung. In dem Feuervogel lebte der Zauber des Feuers seit Hunderten von Jahren, verbunden mit einer menschlichen Seele. Ravens Seele – einer der Wächter von Avalon.

Aylórien berührte das warme Gestein der Felswand vor ihr. Zitternd fuhr sie über das dunkelrote Gestein, das sich porös und scharfkantig anfühlte. Einige Schritte von ihr entfernt gab es einen schmalen Pfad, der über die Nordflanke nach oben zu dem Felsvorsprung führte. Unter dessen Gipfel befand sich die Höhle des Hüters. Das wusste sie von Sulis, der Sonnengöttin.

Schwer fiel der Saum ihres langen Lichtelfengewandes nach unten. Die schlammige Erde hatte sich in den cremefarbenen seidenen Stoff gesogen. An ihren Füßen klebte Dreck. Für einen Augenblick schaute Aylórien zurück in die weite Schlucht, die die Südberge im Osten von den Feuer bergen trennte. Wie aufgereihte Perlen zogen sich schneebedeckte Gipfel am Horizont entlang und verschmolzen mit dem grauen Wolkenstreifen. Dort unten war Mandua nicht mehr zu sehen.

Nur widerwillig hatte das Naypferd auf ihren Befehl  reagiert und war zurück zum Fluss getrabt. An die Stelle, der es einst durch Nimarons Zauber entsprungen war. Schnell schob sie die Erinnerung an seine traurigen Augen beiseite, in die sie geblickt hatte, als sie ihn fortschickte. Und obwohl Aylórien wusste, dass eine Lichtelfe niemals ihr Naypferd wegschicken durfte, welches dem heiligen Wasser des Flusses entsprungen war, hatte sie dies tun müssen. Damit hatte sie ihr Versprechen gebrochen. Doch der Schmerz der Sehnsucht in ihrem Herzen war einfach zu groß, nun gab es kein Zurück mehr, keinen anderen Ausweg. Sie musste zu dem Hüter des brennenden Speeres … hinauf auf die höchsten Gipfel der Feuerberge.

Aylórien stolperte über den felsigen Untergrund. Sie hatte im Grenzland zu viel der Urkraft des Lebens aus der smaragdgrünen Sonne verloren. Immer wieder gab das lockere Gestein unter ihren Füßen nach und rutschte in die Tiefe. Doch sie konnte nicht aufgeben. Nicht jetzt. Sie musste aus eigener Kraft die Höhle unterhalb des Felsvorsprungs erreichen  – ohne Lichtelfenmagie und ohne die Kraft des Wassers.

Der steinige Pfad wurde schmaler und führte weiter nach oben. Rechts von ihr fiel der Hang steil ab. Sie bemühte sich, nicht nach unten zu sehen und hielt sich an der Felswand auf der anderen Seite fest. Das Gestein war scharfkantig und erinnerte sie an irdisches Vulkangestein.

Vorsichtig trat sie auf, als sich ein Vorsprung unter ihrem Gewicht löste. Aylórien fand keinen Halt mehr und fiel einen Meter nach unten. Ein brennender Schmerz bohrte sich in ihre Hüfte. Die Kraft wich aus ihren Beinen und sie rutschte den Abhang hinab. Das Felsgestein ritzte ihre lilienweiße Haut, schürfte sie auf. Und das letzte Licht der smaragdgrünen Sonne quoll aus den Wunden.

Ihr Herz raste, als die Pein des Versagens in ihr aufstieg. Mit aller Macht versuchte sie, ruhig zu bleiben. Sie war unsterblich. Noch.

Was sollte passieren, wenn sie in die Tiefe der Schlucht stürzte? Kaum noch fühlte sie das Licht in sich, lediglich die Muskelkraft war ihr geblieben. Mit den Händen versuchte sie krampfhaft Halt zu finden, während sich der poröse Fels in ihre Finger bohrte.

Doch vergebens. Schließlich gab der Stein unter ihrem Gewicht nach. Nur der Wind umgab sie, als sie rückwärts in die Tiefe stürzte. Tiefer und tiefer fiel sie hinab, hinunter in die schlammige Schlucht vor den Feuerbergen. Nichts war zu sehen von dem scharlachroten Federkleid des Hüters.

Sie hatte Vanu nicht gefunden.

Avalon im Wandel der Zeiten

Raven Sutton betrat die Tempelhalle im Tafelberg auf Avalon. Die Luft war von einem würzigen Duft durchzogen und wie immer brannten unzählige Kerzen auf dem Boden, deren Licht unruhig flackerte. Die Hohepriesterin hatte den Wächter zu sich gebeten. In der Nacht sollten seine jüngeren Geschwister Evolet und Quinlan ihre Unterweisung erfahren.

Sein Blick schweifte über die Zeichnungen, die direkt auf das Gestein gemalt waren, und blieb an dem Bild des heiligen Baumes hängen, der für das Leben stand. Starke Wurzeln ließen über einem mächtigen Stamm eine kraftvolle Krone mit vielen Zweigen und Blättern erblühen – ein Sinnbild für die Kraft der Nachkommen von Merlin, die über die Vorfahren ihre Fähigkeiten erhielten. Auch auf dem ledernen Einband des Ahnenbuches befand sich der Lebensbaum. Schon oft hatte er diesen mit seinen Fingerspitzen berührt, um die Magie der beschriebenen Seiten zu erfahren.

»Danke, dass Ihr gekommen seid«, hörte er Aeryn sagen und wandte sich ihr zu. Ihr purpurfarbenes Gewand fiel lang auf den steinernen Boden. Kurz neigte sie den Kopf und Raven schaute auf die tätowierte Mondsichel auf ihrer Stirn, das Zeichen der Priesterinnen von Avalon.

»Warum habt Ihr nach mir gerufen?«, fragte er und trat auf sie zu. Erst jetzt bemerkte er, dass sie in ihrer Hand ein schmales Tongefäß hielt. Fest umklammerten ihre filigranen Finger den Gegenstand.

»Ihr seid in der Geburtenfolge derjenige Wächter, der hundertzwanzig Jahre nach Cranos geboren wurde«, antwortete sie förmlich. »Und somit steht Ihr nicht nur Eurem Großvater am nächsten, sondern auch Eurem Urgroßvater Gwydion. Er war es, der im Jahre 1875 das hier Avalon überließ.«  Die Hohepriesterin strich über das Tongefäß und zog eine Schriftrolle hervor. Ihre Stimme klang klar. »Vor Jahren gab die damalige Herrin vom See Eurem Großvater Cranos dieses Pergament. Doch er berührte es nur und erklärte, dass die Worte darin nicht für ihn bestimmt seien. Erst wenn einst der Neumond sowie der Vollmond der Unterweisung der Wächter dienen würde, wäre die Zeit gekommen, die Schriftrolle zu öffnen.«

Raven schaute sie ernst an. »In der kommenden Nacht ist Vollmond«, sagte er leise. »Ian und ich hingegen wurden wie in der Alten Zeit im Licht des Schwarzmondes  unterwiesen.«

Aeryn reichte ihm die Rolle. »Es ist die Nacht des 8. Jahresvollmondes«, flüsterte sie.

Raven sah, wie ihre Hand zitterte, ihre Fingerknöchel waren weiß, und im flackernden Schein der Kerzen wirkte die Hohepriesterin fahl. Einen Moment zögerte er. Auf Rocca Lovo in Irland hatte er in vielen alten Schriften gelesen. Alle Aufzeichnungen seiner Vorfahren waren dort aufbewahrt. Warum befand sich dieses eine Dokument auf Avalon? Er schaute Aeryn in ihre dunklen Augen, doch sie zeigte keine Regung. Stattdessen hielt sie ihm die Schriftrolle entgegen.

Nun griff er danach. Behutsam fuhr er über das Pergament und schaute erstaunt auf. »Sie ist abgerissen«, sagte er nachdenklich.

Aeryn antwortete stumm mit einem Kopfnicken. Vorsichtig rollte er sie weiter auf. Schwarze Tinte kam zum Vorschein und Raven erkannte die Handschrift von Gwydion. Von der Schriftrolle fehlte das obere Stück. Der Wächter hatte seine Notizen mit einem Datum von 1875 versehen. Raven begann zu lesen: Es ist zu spät. Wir können dem Druiden aus Faelandon nicht helfen. Das Trenganu-Tor hat sich heute geschlossen, nachdem wir Avalon betraten. Es gibt für uns keinen Weg nach Amaduria zurück. Raven berührte die Buchstaben.

Sein Urgroßvater hatte in der Schriftrolle eine Art Tagebuch hinterlassen. Er las weiter: Der Priester aus dem Norden der Anderen Welt bat Arvalus und mich, nach Juamé zu kommen, weil der rechtmäßige König des Landes sich seiner Aufgabe als Hüter entzieht. Das Schwert des Windes sei dort in Gefahr. Er sagte uns, dass der weiße Magier Suadus noch in der Dunklen Zeit das Königreich verlassen hat. Er war der engste Vertraute des Königs. Seither versinkt Faelandon in Trauer, sogar der Tod schleicht um Juamé. Der einst mächtige König scheint all seine Sinne und seine Macht verloren zu haben.

Raven blickte auf. »Habt Ihr die Schriftrolle je gelesen?«, fragte er Aeryn.

»Nein«, antworte sie leise und schaute auf den Boden.

»Gwydion berichtet über das Schwert des Windes«, sprach er weiter. »Ich habe davon in den alten Büchern gelesen. Ist das einer der magischen Gegenstände aus Avalon?«

»Ja«, antwortete die Herrin vom See. »Dem Königreich Faelandon wurde in der Vorzeit dieses Schwert geschenkt, um die Kraft des Elementes Luft im Gleichgewicht zu halten.« Ihre Stimme zitterte. Doch sie sprach weiter. »Faelandon ist das Königreich, über das die Mondgöttin Cerdwen wacht, genau wie über Ruadhan. Dem Reich der Erde wurde der Stein des Schicksals geschenkt.«

»Es gibt also zwei Gegenstände, die den Zauber der Erde und der Luft im Gleichgewicht halten?«

»So ist es«, sagte Aeryn. »Doch es existieren vier Königreiche in Amaduria. Nicht nur die Länder der Mondmagie. Auch die Sonnengöttin Sulis herrscht über zwei Länder.«

»Über Kerantan, in dem der Zauber des Wassers wirkt, und über Labuana. Das ist das Königreich, welches die Kraft des Elementes Feuer verkörpert.« Raven hatte die wenigen Aufzeichnungen über Amaduria, die er in der  Bibliothek gefunden hatte, genauestens studiert.

Aeryn nickte und trat in den hinteren Bereich der Tempelhalle. Raven konnte spüren, wie unruhig sie war.

»Die Priesterinnen schenkten Kerantan den Wasserkristall, damit der Zauber im Königreich im Gleichgewicht mit dem Land des Feuers steht«, erklärte sie weiter und ging an den mit Blumen gefüllten Tongefäßen vorbei. »Der brennende Speer hält in Labuana die Balance der Kräfte.«

Raven folgte ihr. »Aber dann war damals ein magischer Gegenstand in Gefahr«, sagte er eindringlich. »Und es b etraf wieder ein Land der Mondmagie, nachdem der Dämon der Finsternis mit dem Heer der schwarzen Alben aus Ruadhan verbannt worden war.«

Aeryn ging weiter und gab ihm keine Antwort darauf. Sie vermied es, ihn anzusehen, und blieb erst an dem Felsdurchbruch stehen, der den Blick auf den See freigab.

Raven stellte sich neben sie und zog die Schriftrolle erneut auf. Schnell überflog er noch einmal die Zeilen, las den letzten Absatz. Es schien, als würde die Tinte dieser Sätze an Intensität zunehmen. Deutlich stachen die Worte hervor: Wir können der Spur nicht weiter folgen. Amaduria entrückt der Zeit und damit vergeht unsere Möglichkeit, herauszufinden, was in Faelandon geschehen ist. Der König ist unsterblich, doch etwas scheint mit ihm passiert zu sein. Das Schwert des Windes muss gerettet werden. Erst wenn das Tor sich wieder öffnet, können wir dem Hilferuf des Druiden nachkommen. Die Herrin vom See ist schwach. Sie vermag es nicht mehr, in die Andere Welt zu  blicken. Sie kann den König dieses Reiches nicht sehen. Die Dunkle Zeit scheint auch hier ihren Tribut zu fordern. Noch immer. Dann endete der Bericht, den Gwydion auf Avalon geschrieben haben musste. Raven rollte nachdenklich das Pergament zusammen.

»Damals rief die Hohepriesterin die Wächter nach Avalon«, sagte Aeryn. Ihre Stimme hatte an Klarheit verloren. Sie klang unsicher, und Raven schien es, als ob sie etwas vor ihm verbarg. »Warum entzogen sich die Ereignisse in Faelandon dem Wissen der Priesterinnen in jener Zeit?«, fragte Raven misstrauisch. Er verstand es nicht. Schon seit der Alten Zeit besaß vor allem die Hohepriesterin die Macht, in die Welten zu schauen. Was war nach der Verbannung des Dämons geschehen und warum hatten die Priesterinnen ihren Einfluss verloren?

Die Herrin vom See wandte sich zu ihm um. Schnell hob und senkte sich ihr Brustkorb.

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie barsch. »Gwydion hinterließ Avalon seine Notizen zu einer Zeit, in der die damalige Hohepriesterin nicht mehr in der Lage war, mit den Druiden aus Faelandon oder der Mondgöttin Kontakt aufzunehmen.«

»Hatte Avalon diese übersinnlichen Kräfte verloren?«, hakte Raven nach. Er wollte die ganze Wahrheit wissen.

»Ich denke schon«, gab sie ihm zur Antwort und senkte ihre Stimme. Ihr Blick schweifte über den See, der im Nachmittagslicht der Sonne rötlich schimmerte. »Erst jetzt, nachdem sich die Tore wieder geöffnet haben, kann ich langsam wieder in die Andere Welt sehen. Doch vieles, was sich dort in der Vergangenheit ereignet hat und was derzeit in den Königreichen geschieht, bleibt mir noch immer verborgen.« Ihre Stimme ging in ein Flüstern über. »Es scheint, als sei ich der Göttin nicht würdig.«

Raven starrte sie an. Avalon schien schwach zu sein, und ihm war klar, was die Wächter nun tun mussten. Heute Nacht würde eine Neue Zeit heranbrechen. Eine Zeit, in der fortan vier Wächter die heilige Insel und deren Mysterien schützten. Doch mit der Schriftrolle hatte ihnen die Hohepriesterin eine Spur aus der Vergangenheit gezeigt. Sie würden dem längst vergangenen Hilferuf des Druiden aus Faelandon folgen, denn der König war unsterblich und sie mussten herausfinden, was mit dem Schwert des Windes geschehen war.

Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Quellen:

  • Autorenvita: Pressestelle familia Verlag, Leipzig
  • Foto der Autorin: Fotographie KOPFNUSS

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