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Das Geheimnis des Medizinbeutels – Teil 2

Das Geheimnis des Medizinbeutels – Teil 2
Eine Erzählung von Fr. Daum
Um 1925 erschienen im Verlag von A. Anton & Co. in Leipzig

Eine Stunde nach Mitternacht kehrte der junge Mandan von einer Streife durch die Prärie zurück und flüsterte dem Trapper leise die Worte zu: »Feinde kommen. Ompa sä sie hören.«

Rifle Ben legte sich nieder und drückte das Ohr an die Erde. Sofort vernahm auch er ein dumpfes, pochendes Geräusch, das vom Erdboden weitergeleitet wurde. Regungslos lauschten die beiden Späher. Obwohl der Alte nach einiger Zeit am Klang der Hufschläge die Richtung erkannte, in der er die feindlichen Rothäute zu suchen hatte, überließ er doch seinem jugendlichen Begleiter die Freude, diese Entdeckung gemacht zu haben. Roter Elk deutete nach links und flüsterte: »Dort Feinde.«

»So komm, Bursche. Wir wollen hinüberschleichen. Gewiss lassen die Indianer ihre Pferde am Ausläufer des Waldstreifens zurück«, gab der Alte ebenso leise zur Antwort, und geräuschlos schlichen die beiden am Waldrand dahin, bis sie deutlich Stimmen vernahmen. Der Trapper lauschte den gedämpft herüberklingenden Worten, dann sagte er leise nur das eine Wort »Assiniboine« und huschte im Schatten der Bäume weiter.

Bald waren sie so nahe an die feindliche Schar herangekrochen, dass sie die dunkle Masse der dicht zusammenstehenden Mustangs gewahrten. Rifle Ben hörte noch ein paar befehlende Worte, dann war alles still. Die Assiniboine mussten sich entfernt haben, um die Auswanderer draußen in der Prärie zu überfallen. Der Alte freute sich, weil seine Berechnungen sich als richtig erwiesen hatten. Er kannte die Assiniboine, ein zu der Dakota- oder Siouxnation gehörender Stamm, als grausam und wild. Um so wehr freute er sich, ihnen einen Streich spielen zu können.

»Schleiche einmal hinüber, Bursche, und sieh zu, wie viele Wächter sich bei den Pferden befinden«, gebot der Trapper, worauf sich der junge Krieger, hocherfreut über den ehrenvollen Auftrag, lautlos entfernte. Dass Rifle Ben hinterdrein schlich, um nötigenfalls zur Hand zu sein, wenn dem übereifrigen Mandan Gefahr drohen sollte, durfte dieser nicht ahnen. Der Jüngling löste seine Aufgabe nicht ungeschickt. Er lag regungslos etwa zehn Schritt von den Pferden entfernt im Gras und horchte. Nach einiger Zeit vernahm er die Stimme eines Wächters. Aufmerksam lauschte er dem Gesprochenen. Verstand er auch nicht alles, so kannte er doch so viel von der Sprache der Sioux, um den Sinn des Gesagten zu erfassen. Was er da hörte, überraschte ihn sowie auch den unweit davon im Gras liegenden Trapper.

Der Assiniboine verhöhnte nämlich einen Gefangenen, der wohl bei ihm unter den dunklen Büschen lag. In gehässiger Weise beschimpfte er den gefangenen Feind und malte ihm in grausamer Wollust die Schrecken der Marterung aus. Da kein Zweiter das Wort ergriff, so war der Mandan überzeugt, dass er es nur mit einem einzigen Wächter zu tun hatte, und beschloss, ihn sofort unschädlich zu machen. Es war sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, den Wächter in der Dunkelheit unter den Büschen zu überfallen, ohne selbst gesehen zu werden. Deshalb beschloss Roter Elk, ihn von dort wegzulocken. Er nahm einige kleine Kieselsteine, die er sich vorhin beim Passieren eines kleinen Wasserlaufes vorsorglich eingesteckt hatte, und bewarf damit wiederholt die Mustangs. Die Tiere wurden unruhig. Sie stampften mit den Hufen und blähten schnaubend die Nüstern. Als ein Zuruf nichts fruchtete, stand der Wächter auf, um die Tiere zu beruhigen. Doch bevor er die Gruppe erreicht hatte, erhob sich plötzlich hinter ihm eine dunkle Gestalt.

Dem scharfen Ohr des Assiniboine entging das leichte Geräusch des blitzschnellen Aufspringens nicht, er drehte sich flink herum … aber dem schmetternden Kolbenhieb des jungen Kriegers vermochte er nicht mehr auszuweichen. Mit einem tiefen Aufstöhnen schlug er zu Boden. Roter Elk warf sich sofort über ihn und hatte ihn in kürzester Zeit gefesselt.

Plötzlich tauchte die Hünengestalt Rifle Bens neben dem stolzen Sieger auf. Die Gefangennahme eines lebenden Feindes wird unter den Indianern höher gewertet als die Tötung des Gegners.

»By Jove! Das nenne ich rasche und glatte Arbeit, mein Junge«, lobte der alte Trapper den Jüngling. »Du wirst dir noch einen geachteten Namen unter den Kriegern erwerben, Bursche. Komm, wir binden ihn gleich auf eines der Tiere. Dann wollen wir nach dem Gefangenen sehen. Soviel ich aus den Worten des Assiniboine  herausgehört habe, ist er ein Piegan, gehört also zu dem Volk der Blackfeet. Ich werde ihn nachher einmal ausfragen.«

Die Nation der Schwarzfuß-Indianer wird von den drei gleichsprachigen Stämmen, den Siksekai, den Kainai und den Piegan gebildet. Sie sind geschworene Feinde aller Siouxstämme und Freunde der Mandan und Monnitarri.

Als der bewusstlose Assiniboine auf einem Mustang befestigt war, ging Rifle Ben mit seinem Begleiter zu dem Gefangenen, der mit großer Spannung den Vorgängen gefolgt war. Er lag im Gebüsch und war gut gefesselt. Der Trapper befreite ihn von dem Knebel und fragte: »Bist du wirklich ein Piegan, Rothaut, so hast du von uns nichts zu fürchten. Wie kamst du in die Hände dieser Präriediebe?«

»Die Assiniboine sind feige Hunde. Sie waren aus ihren Erdlöchern gekrochen und haben meine beiden Gefährten, mit denen ich auszog, um die Büffel zu suchen, aus dem Hinterhalt erschossen. Auch Sikapehs (Grauer Wolf) wurde durch ihre Kugeln verwundet und überwältigt. Er sollte am Marterpfahl sterben. Aber er wird jetzt frei sein und den räudigen Hunden von Assiniboine die Kopfhäute abziehen. Wird mein weißer Bruder mir die Fesseln abnehmen?«

»Das werde ich tun, wenn du versprichst, meinen Anordnungen zu gehorchen«, erwiderte Rifle Ben.

»Das Wort meines weißen Bruders soll sein wie das eines Häuptlings. Die Piegan sind Freunde der weißen Männer und werden dem weißen Jäger für Sikapehs Befreiung danken, denn sein Name hat einen guten Klang in ihren Tipis.«

Rasch wurden die Fesseln gelöst, und Grauer Wolf sprang auf. »Du magst die Waffen des gefangenen Assiniboine an dich nehmen, Grauer Wolf. Es könnte sein, dass du sie bald nötig haben wirst«, sagte der Trapper zu dem Befreiten. Dieser befolgte den Befehl des Alten mit großer Bereitwilligkeit. Neben dem gefesselten Assiniboine stehen bleibend, fragte er grollend: »Warum will mein weißer Bruder diesen Feigling mitschleppen. Wäre es nicht besser, ihm das Leben zu nehmen?«

»Der Schurke wag wohl den Tod verdient haben, schon weil er mit seinen Gefährten die Präriewanderer bestohlen hat. Aber sein Leben kann uns vielleicht noch von Nutzen sein. Es ist stets vorteilhaft, eine Geisel zu besitzen. Darum stecke das Messer nur ruhig wieder in die Scheide, Grauer Wolf«, gebot der Alte, ohne zu ahnen, welchen Nutzen dieser Entschluss noch bringen sollte.

Während der junge Mandan ihre eigenen Pferde herbeiholte, koppelte der Trapper mit dem Beistand des Piegan die Mustangs aneinander, um sie besser transportieren zu können. Als Roter Elk zurückkehrte, trug die Nachtluft den dröhnenden Hall mehrerer Gewehrsalven aus der offenen Prärie herüber.

»Verflucht! Da drüben geht der Tanz los. Wir müssen einen tüchtigen Bogen schlagen, um den zu ihren Gäulen zurückfliehenden Assiniboine nicht in die Fänge zu geraten«, sagte der alte Prärieläufer. Mit viel Mühe gelang es ihnen endlich, die störrischen Tiere fortzubringen.

Beim Lager in der Prärie hatte sich inzwischen eine jener wilden Szenen abgespielt, wie sie im ›Far West‹ oft erlebt wurden. Die das Lager verteidigenden Schützen hatten unter dem Wagen Platz genommen und harrten ungeduldig der kommenden Ereignisse, sich flüsternd unterhaltend. Karl Martens befand sich bei den weiblichen Personen im Wagen. Doktor Allan hatte ihn dort postiert, um aufzupassen, dass nicht etwa ein voreiliger Indianer heimlich aufstieg. Karl nahm seine Aufgabe ernst und spähte unablässig unter der Plane hervor in die nächtliche Prärie hinaus.

»Ich glaube beinah, unser wackerer Freund hat sich verrechnet, und keine Rothaut wird uns hier belästigen«, flüsterte der ungeduldige James Allan.

»Das würde wir sehr leid tun, denn dann bekäme ich meine Pferde nicht wieder«, antwortete Mister Scott gelassen. »Aber wartet nur, noch ist es nicht Tag. Sie werden schon noch kommen.«

»Diable! Dort regt sich etwas im Gras«, flüsterte Baptist.

»Well. Jetzt sehe ich auch einige dunkle, bewegliche Schatten«, sagte der Squatter.

»Aufgepasst! Sie kommen! Seht ihr nicht die dunklen Klumpen im Gras? Sacre bleu! Oh, ich wollte, das Feuer leuchtete ein wenig heller … Drauf … brennt los …wir dürfen sie nicht näher herankommen lassen«, flüsterte der andere Kanadier und ließ fahren. Mit dem Knall des Schusses vermischte sich das gellende Geheul der angreifenden Assiniboine, die ihre Gewehre auf die um das Feuer liegenden, aufgebauschten Decken abschossen, weil sie Schlafende darunter vermuteten. Im Nu war der vom Feuer matt erleuchtete Umkreis von fantastisch aufgeputzten, grotesk bemalten Indianern erfüllt, die unter gellendem Geheul dem Feuer zusprangen. Die angreifenden Wilden boten in der unruhigen Beleuchtung einen eigenartigen, Schrecken erregenden Anblick.

Als aber die Büchsen in weit größerer Anzahl zu knallen fortfuhren, als die Assiniboine gerechnet hatten, und mehrere der wilden Angreifer getroffen zu Boden stürzten, erkannten sie, dass ihre Überrumplung nicht geglückt war. Die Indianer halten einem wachsamen, überlegen feuernden Gegner nie stand. Ihre Kampfweise ist der plötzliche, heimtückische Angriff auf den ahnungslosen Feind. Kaum also erkannten die Assiniboine, dass sie es hier mit einem vorbereiteten, entschlossenen Gegner zu tun hatten, als sie ebenso schnell, wie sie aus dem Dunkel der Prärie aufgetaucht waren, wieder verschwanden, ihre getroffenen Kameraden mit sich nehmend.

Einen Augenblick herrschte eine seltsame Stille. Die Rothäute schwiegen, während die unter dem Wagen liegenden Schützen eilig luden. Plötzlich knallte nochmals ein Schuss. Die Männer hörten einen erschütternden Aufschrei, und ein schwerer Körper schlug auf die Wagendeichsel, deren Ketten laut rasselten, und von da zu Boden. Karl Martens hatte aus dem Wageninneren auf einen Assiniboine geschossen, der im gleichen Augenblick seinen Oberkörper am Eingang zum Wagen erhob, als seine Gefährten draußen die Flucht ergriffen. Der junge Deutsche hatte das breite Skalpiermesser in der Faust des Wilden blinken sehen und sofort Feuer gegeben.

»Auf, ihr Männer! Senden wir den Hunden noch einen bleiernen Gruß nach, um ihnen das Wiederkommen zu verleiden!«, schrie der Squatter und kroch unter dem Wagen hervor. Die andern folgten ihm und schossen auf die dunklen, flüchtenden Gestalten, die sie kaum noch erkennen konnten. Ein paar Minuten später war vom Feind keine Spur mehr zu sehen.