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John Tanner – Das Leben eines Jägers 2

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Zweites Kapitel

Am anderen Morgen wurde ich zu einem mit Pfahlwerk umgebenen Platz geführt, zu dessen beiden Seiten sich ein baumloses Terrain weithin erstreckte. Dort setzten sich alle Indianer nieder. Die Familie und die Freunde des Alten nahmen auf der einen Seite Platz, die Fremden auf der anderen. Die Freunde hatten Geschenke an Zucker, Mais, anderem Getreide, Tabak und dergleichen mitgebracht. Bald darauf fingen die Indianer, welche mich dorthin geschafft hatten, an zu tanzen und zogen mich in die Umzäunung. Ihr Tanz war rasch und munter, etwa wie der Skalptanz. Von Zeit zu Zeit reichte mir der eine oder andere einiges von den mitgebrachten Geschenken. Wenn aber beim Tanz die Reihe an mich kam und ich auf die andere Seite treten musste, wurde mir alles wieder abgenommen. So verging ein großer Teil des Tages, bis alle Geschenke verzehrt waren. Danach kehrten alle zu ihren Hütten zurück.

Ich war von der Familie des alten Manito-o-Gheezhik an Kindesstatt angenommen worden. Diesem war nämlich vor Kurzem sein jüngster Sohn gestorben, und seine Frau hatte ihm gesagt, dass sie nicht mehr leben könne, wenn er ihr nicht das Kind wieder herbeischaffte. Darauf hatte sich Manito-o-Gheezhik mit seinem ältesten Sohn Kisch-kau-ko und zwei anderen Männern seines Volkes, das am Huronsee wohnte, aufgemacht, um seine Frau zufriedenzustellen. Am oberen Teil des Eriesees hatten sich drei seiner Verwandten mit ihm vereinigt, und alle waren sodann zu den Niederlassungen in Ohio gewandert. Am Abend vor meiner Entführung waren diese Indianer an der Mündung des Big Miami angelangt, über den Ohio gesetzt, und hatten sich unfern von meines Vaters Wohnung im Wald versteckt gehalten. Am anderen Morgen hatte der Alte nur mit Mühe die Wut und Mordlust der jüngeren Krieger zurückgehalten. Denn diese wollten, da kein Knabe zu sehen war, auf die Arbeiter Feuer geben. Ich habe schon erzählt, was mit mir von der Zeit meiner Entführung an vorging. Auf dem Grab des gestorbenen Sohnes wurde ich an Kindesstatt angenommen, und meine neue Familie gab mir den Namen Schaw-schaw-wa-ne-ba-se, das heißt der Falke. Und ich habe diesen geführt, solange ich unter den Wilden lebte. Meine indianische Mutter hieß Ne-keek-wos-ke-cheem-e-kwa, das heißt die Otter, und dieses Tier war ihr Totem.

Als ich an den Saugenong kam, war der Frühling kaum ins Land gekommen. Ich erinnere mich, dass die Blätter noch klein waren und die Indianer etwas Getreide aussäten. Sowohl durch einige englische Worte, welche Manito-o-Gheezhik sprechen konnte, als auch durch Zeichen wurde mir angedeutet, dabei behilflich zu sein. Als die Aussaat geschehen war, verließen alle Indianer das Dorf, gingen auf die Jagd und räucherten das Fleisch.

Als sie auf das Jagdgebiet angekommen waren, suchten sie einen Platz aus, wo Damhirsche im Überfluss waren, und stellten dort eine lange Reihe von jungen Bäumen und grünen Zweigen nebeneinander. Als ein Teil vollendet war, gaben sie mir Anweisung, wie ich die Blätter und die kleinen dürren Zweige auf der Seite entfernen sollte, auf welcher die Indianer sich auf den Anstand stellen wollten. Die jüngeren Weiber und die Kinder leisteten mir einige Male Hilfe bei dieser Arbeit. Gewöhnlich aber ließen sie mich allein.

Es fing an sehr warm zu werden, und eines Tages, als ich eben allein und sehr matt und durstig war, schlief ich ein. Da glaubte ich plötzlich ein lautes Geschrei zu vernehmen, und wollte den Kopf emporheben. Aber das ging nicht. Da ich wieder etwas mehr zu Sinnen kam, bemerkte ich, dass meine Mutter mit meiner Schwester neben mir stand, und mein Kopf ganz nass war. Die Alte und ihre Tochter kreischten hell auf, und es dauerte noch einige Zeit, ehe ich begriff, dass mir das Haupt beinahe auseinandergeschlagen war. Wahrscheinlich hatte mich der alte Manito-o-Gheezhik schlafend da liegen sehen, mir einen Schlag mit dem Tomahawk versetzt und ins Gebüsch geworfen. Denn als er vom Feld heim in seine Hütte gekommen war, hatte er zu seiner Frau gesagt: ,,Altes Weib, das Kind, welches ich dir gebracht habe, ist zu nichts nütze. Ich habe den Jungen totgeschlagen. Du wirst ihn da und da finden.« Darauf war die Indianerin, von ihrer Tochter begleitet, hingeeilt und hatten noch einige Lebensspuren in mir entdeckt. Ihr Geschrei und dass sie mir den Kopf mit Wasser begossen, hatte mich wieder zu mir selbst gebracht.

Nach wenigen Tagen war meine Wunde so ziemlich wieder geheilt. Ich musste abermals anfangen zu arbeiten, hütete mich aber sehr, wieder einzuschlafen. Ich gab mir alle mögliche Mühe, den Befehlen nachzukommen, wurde aber dennoch mit großer Härte behandelt, besonders vom Alten und zweien seiner Söhne, Sche-mung und Kwo-ta-sche. Während wir uns in den Jagdgründen befanden, warf mir einer einen Zaum über die Hand und gab mir durch einen Wink zu verstehen, in welche Richtung ich gehen sollte. Er wollte meiner Meinung nach mir zu verstehen geben, ich sollte ein Pferd holen, und so brachte ich denn das Erstbeste, das mir in den Wurf kam. Überhaupt erriet ich insgemein sehr wohl, was sie von mir wollten.

Als wir von der Jagd zurückkamen, musste ich auf dem ganzen Weg bis zum Dorf eine schwere Last gedörrten Fleisches auf dem Rücken schleppen. Ich starb fast vor Hunger, wagte es aber nicht, auch nur das kleinste Stück anzurühren. Meine indianische Mutter, die etwas Mitleid zu haben schien, schaffte zuweilen etwas zu essen auf die Seite und steckte es mir zu, wenn der Alte nicht da war. Nach unserer Rückkehr verließen die jungen Männer, wenn das Wetter gut war, das Dorf, um mit Harpunen Fische zu fangen. Ich musste sie begleiten und das Kanu rudern. Da ich das noch nicht zum Besten verstand, so fielen sie manchmal über mich her und schlugen mich mit den Harpunenstielen. Es verging kein Tag, an welchem ich nicht von dem einen oder anderen Prügel erhielt. Andere Indianer, die nicht zu unserer Familie gehörten, schienen Mitleid mit mir zu haben, denn sie bezeugten mir ihre Teilnahme und gaben mir zu essen, wenn der Alte fort war.

Nachdem wir das Getreide geerntet und in die Gruben geschüttet hatten, worin es für den Winter aufbewahrt wird, zogen die Indianer an die Ufer des Saugenong, um dort zu jagen. Ich litt auch jetzt, wie bisher stets, viel an Hunger, und sah doch oft, dass die Indianer in den Wäldern etwas aßen. Wenn ich aber zu erfahren suchte, was das wohl sein mochte, dann verhehlten sie es vor mir. Endlich raffte ich einige Bucheckern auf und aß diese. Sie schmeckten mir gut, und ich zeigte sie den Indianern, die laut auflachten und mir sagten, das eben wäre es, was sie schon seit längerer Zeit aßen. Als Schnee gefallen war, musste ich die Jäger begleiten und zuweilen einen ganzen Damhirsch bis zum Lagerplatz schleppen, was mir denn nur mit der größten Anstrengung möglich war.

Des Nachts schlief ich zwischen dem Feuer und dem Eingang der Hütte. Jeder der Eintretenden oder Hinausgehenden gab mir gewöhnlich einen Tritt, und wenn ein Indianer getrunken hatte, so schüttete er immer das Wasser, welches er nicht mehr mochte, über mich aus. Der Alte behandelte mich immer sehr hart und grausam, manchmal aber war die Behandlung noch barbarischer als gewöhnlich. Eines Tages stand er auf, nahm seine Mokassins und ging, kam aber plötzlich wieder zurück, packte mich bei den Haaren, zog mich aus der Hütte heraus, drückte mein Gesicht in einen Haufen Menschenkot und schmierte es in diesem etwa so herum, wie man es bei einer unreinlichen Katze tut. Daraufhin zerrte er mich wieder von der Erde auf und schleuderte mich weit weg in den Schnee. Ich wagte nicht, ihm wieder vor die Augen zu treten. Endlich kam meine Mutter und brachte mir etwas Wasser, sodass ich mich waschen konnte. Wir wollten an einer anderen Stelle unser Lager ausschlagen, und ich musste, wie gewöhnlich, eine schwere Last tragen. Noch hatte ich mich nicht ordentlich reinigen können, und als die Indianer mich dergestalt beschmutzt sahen, wollten sie wissen, was mit mir vorgegangen sei. Durch Zeichen und mithilfe einiger Worte aus ihrer Sprache machte ich ihnen deutlich, wie ich behandelt worden war. Mehre schienen Mitleid zu haben, waren mir beim Waschen behilflich und gaben mir auch etwas zu essen.

Oftmals, wenn der Alte mich schlagen wollte, suchte meine Mutter, die sich im Allgemeinen sehr gütig bewies, mich mit ihren Armen zu beschützen und dann bekamen wir beide etwas ab. Als der Winter zu Ende ging, reiste Kisch-kau-ko, ein junger Mensch von etwa zwanzig Jahren, mit vier anderen Indianern, die mit ihm in gleichem Alter sein mochten, ab, um einen Kriegszug mitzumachen. Gleich nach der Zuckerernte kam auch Manito-o-Gheezhik ins Dorf zurück und traf mit einigen anderen Männern Anstalten und Vorbereitungen zum Krieg. Ich war nun etwa ein Jahr bei den Indianern und fing an, von ihrer Sprache etwas zu verstehen.

Beim Abschied sagte mir der Alte: »Ich gehe jetzt, um deinen Vater, deinen Bruder und alle deine Angehörigen zu töten …«

Kisch-kau-ko kam zuerst, und zwar schwer verwundet, heim. Seiner Erzählung zufolge war er mit seiner Abteilung bis an den Ohio gekommen, wo sie einige Zeit auf der Lauer lagen, und dann auf ein kleines Boot, das den Fluss herab kam, gefeuert hatten. Ein Mann war getötet worden, die anderen hatten sich durch Schwimmen gerettet. Bei der Verfolgung, denn die Indianer setzten den Flüchtigen nach, hatte sich Kisch-kau-ko mit seiner eigenen Lanze verwundet. Die Indianer brachten den Skalp des getöteten Mannes mit in das Dorf.

Einige Tage später kam auch der alte Manito-o-Gheezhik wieder und zeigte mir einen alten abgeschabten Hut von weißer Farbe. Ich erkannte ihn als den meines Bruders. Er sagte mir, er habe meine ganze Familie ermordet, alle Afroamerikaner, alle Pferde totgemacht, und zum Beweis habe er den Hut mitgenommen. Ich glaubte ihm, dass alle meine Angehörigen ums Leben gekommen wären, und dachte jetzt noch weniger an Flucht. So verlebte ich noch zwei Jahre in dieser Familie. Jeder Tag entfernte mich mehr von dem Gedanken, zu fliehen. Allein ich vergaß nicht die Zusicherung, welche mir die englischen Handelsleute am Maumee River gemacht hatten, und wünschte sehr, sie möchten sich doch endlich an ihr Versprechen erinnern. Die Indianer betranken sich oft, dann wollten sie mich immer totschlagen, und ich musste mich im Wald verbergen und wagte nicht eher wieder zu der Hütte zu gehen, bis ihr Rausch vorbei war. Ich hatte fortwährend noch jetzt, wie im ersten Jahr, viel an Hunger zu leiden und bekam nie genug zu essen, obwohl mir manchmal Indianer, die nicht zu meiner Familie gehörten, etwas zusteckten. Die alte Frau, ihre Töchter und ihr jüngster Sohn Be-nais-sa (der Vogel), der wie ich im gleichen Alter war, behandelten mich gut. Aber der Alte, Kisch-kau-ko und zwei seiner Brüder, Kwo-ta-sche und Sche-mung waren grausam, und es dürstete sie nach dem Blut der Weißen. Be-nais-sa war viel besser.

Während meines Aufenthaltes in Saugenong sah ich nur ein einziges Mal Weiße. Es fuhr ein kleines Fahrzeug vorüber. Die Indianer setzten mich in ein Kanu und fuhren mit mir an das Boot, denn sie vermuteten mit Recht, dass mein bejammernswürdiges Aussehen bei den Leuten meiner eigenen Farbe Mitleid erregen müsste. Diese gaben mir Brot, Obst und andere Geschenke. Ich bekam aber nur einen einzigen Apfel davon in die Hände.

Zwei Jahre nach meiner Entführung beriefen die englischen Agenten eine große Versammlung nach Mackinack ein. Dorthin kamen die Sioux, Winnebago, Menominee und Indianer von anderen entfernt wohnenden Stämmen, zugleich mit den Chippewa und Ottawa. Als der alten Manito-o-Gheezhik wieder heimkam, hörte ich, er habe in Mackinack seine Verwandte Net-no-kwa getroffen, die, ungeachtet ihres Geschlechts, als Häuptling der Ottawa angesehen wurde. Dieser Frau war ein Sohn gestorben, der etwa so alt gewesen war, wie ich. Sie hatte von mir gehört und wollte mich kaufen. Allein davon wollte meine indianische Mutter, die Otter, unter keinerlei Bedingung etwas wissen. Ich hörte, wie sie ausrief: »Mein Sohn ist einmal gestorben und mir wieder gegeben. Ich will ihn nicht noch einmal verlieren.« Allein niemand hörte auf ihre Vorstellung mehr, als Net-no-kwa mit vielem Branntwein und anderen Geschenken in unserem Lager erschien. Sie ließ erst ein kleines, etwa 10 Gallonen haltendes Fass mit Whiskey, Decken, Tabak und andere wertvolle Sachen herbeibringen. Denn sie wusste recht gut, mit was für Leuten sie zu tun hatte. Manito-o-Gheezhik machte, nachdem das Fass geleert war, allerlei Einwendungen. Als aber ein Zweites gebracht wurde und Net-no-kwa noch einige Geschenke verteilte, wurde ich ihr übergeben. Diese Frau stand schon in etwas vorgerücktem Alter, war aber von einem einnehmenderen Äußeren als meine bisherige Mutter, die Otter. Sie nahm mich bei der Hand, führte mich in ihre in der Nähe befindlichen Hütte, und ich sah gleich von vornherein, dass ich von nun an besser behandelt werden würde. Sie gab mir viel zu essen, gute Kleidung und sagte, ich sollte mit ihren Kindern spielen. Wir blieben nur noch kurze Zeit in Saugenong. In Mackinack wollte Net-no-kwa nicht mit mir anhalten, und wir fuhren in der Nacht vorüber und zu der St. Ignatiusspitze, wo sie mich einigen Indianern anvertraute, die für mich so lange sorgen sollten, bis sie ihre Geschäfte mit den englischen Agenten abgemacht haben würde. Nach ihrer Rückkehr reisten wir weiter und erreichten nach wenigen Tagen Schab-a-wy-wy-a-gun. Damals war gerade das Korn reif, und nachdem wir eine kurze Zeit Halt gemacht hatten, fuhren wir drei Tage lang flussaufwärts. Von der Stelle ab, wo wir unsere Kanus zurückließen und die Landreise antraten, mussten wir drei Mal Nachtrast einlegen, ehe wir den Platz erreichten, wo die Winterhütten aufgebaut werden sollten.

Der Ehemann von Net-no-kwa war ein Chippewa vom roten Fluss, hieß Taw-ga-we-ninne oder der Jäger, und war siebzehn Jahre jünger als sie. Dennoch hatte er seine erste Frau verstoßen, um sich mit ihr zu verbinden. Er bewies sich mir gegenüber immer sehr gut und nachsichtig und behandelte mich mehr als seinesgleichen, als wie einen Untergebenen. Wenn er mich anredete, nannte er mich stets seinen Sohn. Doch hatte er in der Familie kein besonders großes Ansehen, da das gesamte Eigentum der Net-no-kwa gehörte, die auch alle Geschäfte leitete. Im ersten Jahr ließ diese mich einige andere Dienste leisten, die sonst von Kindern meines Alters nicht verlangt wurden. Aber dabei zeigte sie sich fortwährend so gut, dass ich sehr zufrieden und glücklich war, wenn ich meine Lage mit der Behandlung verglich, die mir bei Manito-o-Gheezhik zuteilgeworden war. Zuweilen verprügelte sie mich so gut wie ihre anderen Kinder, aber weder so heftig, noch so oft, wie Manito es getan hatte.