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One shot for Sloan – Teil 1

One shot for Sloan – Eine Kugel für Sloan
Teil 1

Die Abenddämmerung senkte sich über Chadron und tauchte den Himmel in eine metallfarbene Front, hinter der das letzte flammende Rotgelb der Sonne verschwand. Nach tagelangem Reiten unter der heißen Sonne Texas’ hoffte Sloan auf ein wenig Abkühlung in der Nacht. Er spürte die Blicke, die sich in seinen Rücken bohrten. Er war genauso staubbedeckt wie sein hochbeiniger Brauner, der müde im Schritt ging, den Kopf gesenkt. Sloan tätschelte den Hals des Pferdes. Er ritt die Mainstreet entlang, genau auf die Menschentraube zu, die mitten auf der Straße stand und sich um einen Verletzten versammelte. Ihm hatte wahrscheinlich der Schuss gegolten, den Sloan vor wenigen Augenblicken gehört hatte.

»Tut mir leid.« Der Mann klappte seine Arzttasche zu und erhob sich.

Der Verletzte mit dem Stern an der Weste verzog schmerzvoll sein Gesicht. Das Dämmerlicht war hell genug, um ihn zu erkennen. Für Sloan war er kein Unbekannter. Er ignorierte die neugierigen Blicke der Männer, stieg vom Pferd und ging neben ihm in die Hocke.

»Sloan Harding«, flüsterte der Verletzte. Der Blutfleck auf seinem Hemd vergrößerte sich. »Um mich alten Hund ist es nicht schade. Suchst du Arbeit?« Rip Coleman röchelte.

»Leute«, krächzte er, »ihr könnt keinen besseren Sheriff als Sloan Harding kriegen. Heftet ihm den Stern an die Brust.« Mit jedem Wort wurde seine Stimme schwächer. Er nestelte an seinem Abzeichen und hielt es Sloan hin. »Los, steck ihn an.«

Sloan hatte keineswegs vorgehabt, eine Sheriffstelle anzunehmen, aber den letzten Wunsch eines Sterbenden sollte man erfüllen. Vor allem wenn es galt, eine alte Schuld zu begleichen. Er nahm ihm den blutigen Stern aus der Hand und steckte ihn an sein Hemd.

»Leute, Sloan Harding ist euer neuer Sheriff.« Colemans Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. »Hüte dich vor …« Der Tod holte ihn, bevor er den Satz vollendete.

Sloan würde nicht mehr erfahren, vor wem er sich in acht nehmen sollte.

»Kennt ihn einer von euch?«, fragte jemand flüsternd.

»Nein, aber Rip hat ihn gekannt. Von uns will den Stern sowieso niemand. Wir haben Familie.«

Die Männer starrten ihn misstrauisch an. Sloan war das gewohnt. Er strich dem Toten über das Gesicht und schloss seine gebrochenen Augen. »Die Beerdigung ist morgen Mittag. Ihr wisst ja, was zu tun ist.« Mit diesen Worten ließ er die Männer stehen, nahm die Zügel seines Pferdes und ging.

»N’Abend«, grüßte der Alte im Mietstall und heftete seinen Blick auf den Stern. Der Junge, der auf einer Futterkiste hockte und dessen erster Bartflaum noch auf sich warten ließ, erhob sich geschwind und wollte Sloans Pferd versorgen. Sloan winkte dankend ab und grinste über die zur Schau gestellte Gelassenheit des Alten, der auf einem Strohhalm kaute. Sein Pferd versorgte er gerne selbst.

»Gab es ’ne Schießerei?«, fragte der Stallmann.

»Schießerei? Ich hörte nur einen Schuss.«

»Das meinte ich damit. Haben Sie geschossen?«

»Nein. Das geschah, bevor ich in die Stadt ritt.«

»Suchen Sie jemanden?«

»Nein.«

»Sie sind auf der Durchreise.«

»Jetzt nicht mehr. Ich trage Rips Stern.«

»Was? Unser Sheriff ist tot?« Der Stallmann nahm den Strohhalm aus dem Mund. Er schien ehrlich erschüttert.

Sloan nickte. »Gibt es eine Box für mein Pferd?«

»Sie haben Coleman gekannt?«

»Sie sind neugierig.«

»In meinem Alter darf man das.« Er schien nachzudenken und wechselte das Thema. »Das ist das hässlichste Pferd, das ich je gesehen hab. Und ich hab schon viele gesehen.«

Der kleine, grauhaarige Mann schob den Strohhalm wieder in den Mund, hakte seine Daumen in die Hosenträger und betrachtete das Pferd.

»Mag sein. Ich hab ihn nicht wegen seiner Schönheit gekauft.« Sloan klopfte dem Braunen auf die Flanken. Der Wallach war keine Augenweide. Sein Fell besaß die Farbe des Rio Grande, einer schmutzig graubraunen Brühe nach tagelangem Regen. Er war hochbeinig und sehr schlank. Obwohl schlank für ein Pferd nicht der richtige Ausdruck war. Hager, sehnig, wie sein Besitzer und sehr ausdauernd.

»Von den freien Boxen können Sie sich eine aussuchen. Zahlt die Stadtkasse. Ich bin Goren Owens. Mein Neffe Vince geht mir zur Hand.« Er deutete auf den Jungen, den Sloan auf sechzehn schätzte. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Meine Augen sind nicht mehr die besten, aber ein gutes Pferd erkenne ich auf eine Entfernung von einer halben Meile, auch wenn es hässlich ist.«

Sloan schwieg, während er sein Pferd versorgte. Sein Instinkt sagte ihm, dass ihm sein neuer Job noch jede Menge Kummer bereiten würde. Rip Coleman hatte ihm einmal das Leben gerettet, als ein Hitzkopf ihn über den Haufen schießen wollte, in San Antonio vor einigen Jahren. Zufall, dass er ihm hier begegnete. Rip musste gute Gründe gehabt haben, ihm den Stern zu geben. Vielleicht war der Stern bei seinem Vorhaben hilfreich. Das würde sich zeigen. Er warf sich die Satteltasche über die Schulter und suchte das Sheriffs Office.

Der große, dürre Mann blickte ihm entgegen. Ein Fünfzack prangte auf seiner speckigen Weste.

»Josh Noseworthy, Hilfssheriff und Mädchen für alles«, stellte er sich vor. Bevor Sloan etwas erwidern konnte, sprach Josh bereits weiter. »Weiß Bescheid.«

Er war so hager, dass die Kleidung an ihm schlotterte.

»Ich bin Sloan. Als ich in die Stadt kam, lag Rip bereits am Boden. Was genau ist geschehen?«

»War am andren Ende der Stadt. Hab niemanden gesehen.«

Josh war mundfaul, Sloan spürte, dass er ihm nicht vertraute. War ihm auch nicht zu verübeln. Sein Sheriff gerade eben erschossen und plötzlich ein Neuer da, den er nicht kannte. Steckbriefe zierten die Wand des kleinen Raums, Tisch und Stühle hatten schon bessere Tage gesehen. Die Pritschen in den beiden angrenzenden Zellen sahen nicht einladend aus, aber sie genügten seinen Anforderungen. Er hatte schon auf härterem Untergrund geschlafen. Morgen klärte er ab, ob die Stadt für ein Hotelzimmer aufkam. Josh machte keine Anstalten, noch irgendetwas zu sagen, Sloan hatte keine Lust zu fragen. Er musste herausfinden, auf welcher Seite der Hilfssheriff stand und ob er sich auf ihn verlassen konnte.

 

Am nächsten Tag schlenderte Sloan durch die Stadt, sprach mit den Einwohnern und machte sich mit den Gassen zwischen den Häusern und den Hinterhöfen vertraut. Chadron war eine verhältnismäßig große Stadt, mit zwei großen und einigen keinen Saloons, Arzt, Totengräber, Hotel, Restaurant, Bäckerei, zwei Gemischtwarenläden, Badehaus, Mietstall, Bordell, mehreren Handwerkern und einer Schule. Und natürlich einer Kirche.

Ein kleiner, gedrungener Mann mit Halbglatze trat auf ihn zu. »Mister Harding, Sheriff.« Er hielt ihm die Hand entgegen, die Sloan schüttelte. »Mitch Winston, ich bin der Mayor«, stellte er sich vor. »Ich war gestern bei dem tragischen Unglück nicht dabei. Man erzählte mir, Rip wollte Sie als Sheriff. Üblicherweise gibt es eine Wahl, aber wenn es sein Wunsch war, dann soll es so sein.«

Sloan nickte. »Der Sheriff hatte Feinde.«

»Welcher Sheriff hat keine Feinde?«, erwiderte Winston. »In dieser Sache kann ich Ihnen nicht helfen, aber wenn Sie andere Fragen haben, ich wohne dort drüben.« Er zeigte auf ein kleines Haus mit Veranda. »Ich komme später in Ihr Office. Haben Sie sich im Hotel einquartiert?«

Sloan verneinte.

»Die Stadt kommt für Unterkunft und Essen auf, doch erwarten Sie von den Bürgern keine Hilfe, wenn Ihnen die Kugeln um die Ohren fliegen. Hier spielt niemand den Helden.«

So viel Ehrlichkeit war Sloan nicht gewohnt.

»Falls Sie zum Friedhof wollen, begleite ich Sie, wenn Sie nichts dagegen haben.«

Sloan nickte.

»Kannten Sie Rip von früher?«

Wieder nickte Sloan.

»Chadron ist eine pulsierende Stadt, in der es alles gibt, was man zum täglichen Leben benötigt. Die Stadt wird noch weiter wachsen. Der Glensow River, der sich in der Nähe durchs Land schlängelt, versorgt das Land mit Wasser. Es ist guter Boden für Land- und Viehwirtschaft.«

Sloan hörte nur mit einem Ohr auf Winstons Erklärung. Er betrachtete die Leute, die zur Beerdigung erschienen. Rip Coleman schien beliebt gewesen zu sein, denn sehr viele gaben ihm das letzte Geleit. Der Pfarrer sprach ein paar berührende Worte und lobte den Verstorbenen für seine Taten. Nach der Rede zerstreuten sich die Trauergäste und der Totengräber schaufelte das Grab zu. Sehr bald würde die Erinnerung an einen tapferen Mann verblassen und nur noch ein verwittertes Holzkreuz an ihn erinnern. Auf vielen Kreuzen waren die Namen unleserlich. Nachdem sich der Mayor verabschiedet hatte, durchschritt Sloan die Grabreihen, bis er abrupt stehen blieb. Drei Gräber nebeneinander. War es eine Namensgleichung? Ein zu großer Zufall. Eines der Gräber war frisch. Er war zu spät gekommen. Lange starrte er auf die Namen, die im Holz gut lesbar waren. Einen der Namen kannte er nicht, doch zwei davon waren ihm sehr gut bekannt. Er war am Ende des Weges angelangt, ohne sein Ziel zu erreichen. Zu spät. Er zerbiss einen Fluch auf den Lippen.

 

Sloan bezog sein Zimmer im Hotel, besuchte die Geschäftsleute der Stadt, den Bankdirektor und die Saloons. Er wusste gerne, mit wem er es zu tun hatte. Im Silver Saloon, dem größeren, nahm er abends einen Drink. Um diese Zeit war es noch ruhig. Der Rummel würde erst später einsetzen.

»Der Whisky geht aufs Haus.«

Er nickte der Frau zu, die ihm eben das Angebot gemacht hatte. »Hast du hier das Sagen, Rachel?« Er war nicht überrascht, sie zu sehen, denn sie war ihm schon am Friedhof aufgefallen.

»Ned Garson ist der Besitzer.« Sie deutete auf den Mann hinter der Theke, der zu ihnen blickte.

»Gehörst du ihm?«

»Was geht es dich an, Sloan Harding?«

Es waren wohl die falschen Worte gewesen, um höflich zu sein. Rachel war noch genauso schön wie vor Jahren. Sie mochte Ende zwanzig sein, doch sehr viel älter, was ihre Lebenserfahrung anbelangte. Feine Fältchen um die Augen waren hinzugekommen. Das weizenblonde Haar trug sie an den Seiten hochgesteckt, ein Teil der Haarflut fiel weit über den Rücken. Ned Garson, der unverwandt zu ihnen sah, wusste, wie man Geschäfte machte. Rachel war ein Anziehungspunkt. Im Golden Nugget Saloon waren einige durchschnittliche Tanzmädchen eingestellt, die mit Rachel nicht konkurrieren konnten. Die anderen kleinen Spelunken waren für die zwei großen Saloons keine Konkurrenz. Sie nickte ihm zu und ging weiter. Mit jedem Gast wechselte sie einige unverbindliche Worte und lächelte ein geschäftsmäßiges Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. Plötzlich stürmte ein Mann herein, nach der Kleidung zu urteilen ein Farmer, sprach kurz mit Rachel und ging wieder hinaus. Rachel flüsterte mit Ned Garson und folgte dem Mann. Gleich darauf verließ auch Sloan den Saloon. Rachel stand bei einem Wagen und gestikulierte mit den Armen.

»Warum sind Sie nicht früher gekommen? Der Junge muss sofort zu einem Arzt. Los, holen Sie den Doc aus dem Bett, falls er schon schläft.«

Sie kletterte auf die Ladefläche und der Farmer fuhr an.

Was hatte Rachel mit dem Farmer zu schaffen? Im Grunde konnte es ihm egal sein. Sloan drehte seine Runden. Es war eine ruhige Nacht. Kaum ein Fenster war kurz nach Mitternacht noch beleuchtet, als Rachel aus dem Haus des Arztes trat und sich schluchzend an die Hauswand lehnte.

Sloan war auf dem Weg ins Hotel und blieb stehen. »Kann ich dir helfen?«

»Er ist tot.« Ihre Stimme war so leise, dass er sie kaum verstand.

»Du weinst um ein fremdes Kind?« Er stellte die Frage, obwohl er ahnte, dass dem nicht so war.

Sie schüttelte den Kopf, sank zu Boden und weinte. Er zog sie hoch und umarmte sie. Das Mondlicht zeichnete Lichtschimmer in ihr tränennasses Gesicht.

Sie sah ihn an. »Er war erst drei.«

Zuerst sagte ihm die Zahl nichts, doch als sie ihn unverwandt anblickte, dämmerte es ihm. Konnte es wirklich sein? Trotz der Nachtkühle fuhr eine Hitzewelle durch seinen Körper.

»Little Sloan ist … war dein Sohn.«

Er verlor seinen Sohn, von dessen Existenz er nichts geahnt hatte. Hatte ihn im Stich gelassen, wie er auch Rachel im Stich ließ. Damals, vor fast vier Jahren.

»Wusstest du es?« Er konnte der Frage nicht widerstehen.

»Meinst du, ob ich wusste, dass ich schwanger war, bevor du eines Tages weggeritten bist und nicht mehr wiederkamst? Nein. Und wenn? Es hätte keinen Unterschied gemacht. Du bist ein einsamer Wolf auf der Suche nach dir selbst.«

Er ersparte sich zu antworten, dass er dann geblieben wäre.

»Was hatte der Farmer mit Little Sloan zu schaffen?«

»Auf meinen Wegen traf ich Ned Garson und folgte ihm hierher. Doch ein Saloon ist kein Ort für ein Kind. Ein Farmerehepaar, dessen Sohn starb, nahm Little Sloan auf. Sie hatten keine Freude mit ihm, denn er war ein kränkliches Kind.« Sie maß ihn mit einem undefinierbaren Blick, drehte sie sich um und ging.

Ohne lange zu überlegen, klopfte Sloan an die Tür des Doktors. Ein einziges Mal wollte er seinen Sohn sehen. Auch wenn es für viele Dinge zu spät war.

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