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Curumilla – Erstes Buch, Kapitel 12

Gustave Aimard
Curumilla
Eine Abenteuergeschichte aus dem Jahr 1861
Kapitel 12 – Vater und Tochter

Das Lager der Abenteurer hatte ein vollständig verändertes Ansehen gewonnen. Statt des früher herrschenden Friedens zeigte es ein mit der gegenwärtigen Lage übereinstimmendes Bild kriegerischer Rührigkeit.

Vor jedem Zugang in der Mission hatte man eine, von einer Anzahl Leute bewachte Kanone aufgefahren, die zur Ebene hin gerichtet waren.

Wachen standen in angemessener Entfernung und bewachten die Außenseite, während vorgerückte Posten in sicherer Stellung aufgestellt die nächste Umgebung sicherten und einen Überfall verhüteten.

Im Inneren des Lagers herrschte reges Leben. Die Feldschmieden rauchten und dröhnten von den Hammerschlägen der Hufschmiede. Weiterhin sah man die Zimmerleute ganze Bäume verarbeiten, die Waffenschmiede untersuchten die Waffen und besserten sie aus. Jedermann war eifrig bemüht, alles in kürzester Frist instand zu setzen.

Der Graf und Curumilla, welchen Valentin vorausritt, durcheilten rasch das Lager und wurden auf ihrem Weg von den Abenteurern, welche sich freuten, sie zurückgekehrt zu wissen, herzlich begrüßt.

Als sie sich dem Hauptquartier näherten, drangen die schrillen Töne einer Jarabé, begleitet von den schwermütigen Tönen einer Stimme, welche die Romanze Del Rey Rodrigo sang, an ihr Ohr.

»Vielleicht würde es besser sein, ehe wir weiter gehen, bei Don Cornelio Erkundigungen einzuziehen.«

»Ja, und zwar um so mehr, als es schwierig, um nicht zu sagen unmöglich sein würde, aus Curumilla etwas herauszubringen.«

»Zu ihm gehe ich«, antwortete jener, welcher die Worte gehört hatte, die die Freunde wechselten.

»Dann ist es um so besser«, sagte Valentin lächelnd.

Curumilla wandte sich ein wenig links und führte die beiden Männer nach einem, aus Laubwerk errichteten Jacal, welcher dem Spanier als Wohnung diente und vor dem der edle Hidalgo auf einem Equipal sitzend, wütend auf seiner Jarana kratzte und mit wild rollenden Augen seine ewige Romanze psalmodierte.

Als er die beiden Freunde erblickte, stieß er einen Freudenschrei aus, warf seine Jarana beiseite und eilte auf sie zu.

»Capa de Dios!«, rief er aus, indem er ihnen die Hand reichte, »seid willkommen, Caballeros, ich warte auf Sie schon mit Ungeduld.«

»Gibt es etwas Neues?«, fragte Don Louis besorgt.

»Allerdings! Sie werden aber doch nicht auf dem Pferde sitzen bleiben?«

»Nein, nein, wir sind die Ihrigen.«

Sie stiegen von den Pferden. Während der wenigen Worte, welche der Graf mit dem Spanier sprach, neigte sich Valentin zum indianischen Häuptling hin und flüsterte ihm, kaum hörbar, einige Worte zu, welche Curumilla mit einem Kopfnicken beantwortete.

Die beiden Franzosen traten, von Don Cornelio gefolgt in den Jacal. indessen der Araukaner sich mit den Pferden entfernte.

»Nehmen Sie Platz, meine Herren«, sagte der Spanier und deutete auf etliche umherstehende Equipals.

»Ich muss Ihnen gestehen, Don Cornelio«, sagte der Graf, »dass Sie meine Neugierde aufs Höchste spannen. Was ist denn während meiner Abwesenheit vorgefallen?«

»Nichts sehr Wesentliches, was das Allgemeine betrifft, denn unsere Späher haben uns von den Bewegungen des Feindes einen sehr beruhigenden Bericht erstattet. Übrigens wird der interimistische Befehlshaber seinen Rapport überreichen. Das ist also nicht, worüber ich mit Ihnen zu reden gedenke.«

»Ist sonst etwas, was mich besonders interessiert, vorgefallen?«

»Sie werden es selbst hören. Sie wissen, dass Sie mir vor Ihrer Abreise aufgetragen haben, über Dona Angela zu wachen, was nebenbei für mich ein seltsames Amt war.«

»Wieso?«

»Genug, ich weiß, was ich weiß. Ich kann wohl behaupten, dass ich das schwierige Amt mit der Galanterie eines echten Caballero verwaltet habe.«

»Ich danke Ihnen.«

»Gestern ist ein Indianer in der Mission gekommen und hat einen Brief für den Kommandanten gebracht.«

»Wissen Sie, was der Brief enthielt?«

»Es war ganz einfach die Bitte um einen Schutzbrief während eines Aufenthaltes im Lager.«

»Wer hatte ihn geschrieben?«

»Pater Seraphin.«

»Wie!«, rief Valentin aus, »Pater Seraphin? Der französische Missionar, der fromme Mann, den die Indianer selbst den Apostel der Prärien genannt haben?«

»Er selbst.«

»Das ist in der Tat seltsam«, murmelte der Jäger.

»Nicht wahr?«

»Aber«, wandte der Graf ein, »Pater Seraphin bedarf keines Schutzbriefes, um bei uns zu verweilen, solange er will.«

»Gewiss!«, bestätigte Valentin, »denn wir alle und ich insbesondere schätzen uns glücklich, seines Rates teilhaftig zu werden.«

»Auch war es nicht für seine Person, dass der würdige Pater einen Schutzbrief verlangte, denn er weiß sehr gut, dass uns sein Besuch stets willkommen ist.«

»So, für wen denn?«

»Für jemand, für welchen er mit seiner Person einsieht, solange er bei uns weilt, dessen Namen er uns aber verschweigt.«

»Hm, das ist nicht sehr klar.«

»So schien mir es auch und ich habe sogar den Kommandanten aufgefordert, es abzuschlagen.«

»Nun.«

»Er hat den Schutzbrief ausgestellt und stützte sich dabei auf die nicht ganz unbegründete Behauptung, dass derjenige, für welchen der Schutzbrief verlangt wird, entweder ein Freund oder ein Feind sei, und in beiden Fällen sei es gut ihn zu kennen, damit man ihn vorkommenden Falles behandeln könne, wie er es verdient.«

Bei diesem seltsamen Ausspruch konnten sich die beiden Franzosen nicht enthalten zu lachen.

»Nun und was ist das Resultat von alle dem?«, fuhr der Graf fort.

»Das, Resultat ist, dass heute Morgen Pater Seraphin in Begleitung eines Mannes, der eng in die dichten Falten eines weiten Mantels gehüllt war, in der Mission eingetroffen ist.«

»So! Und jener Mann?«

»Raten Sie, wenn Sie können.«

»Ich glaube, dass Sie besser tun, ihn mir gleich zu nennen.«

»Ich glaube es auch. Machen Sie sich aber auf etwas Unglaubliches gefasst. Jener Mann ist niemand anderes als Don Sebastian Guerrero.«

»Der General Guerrero!«, rief der Graf aufspringend aus.

»Verstehen Sie mich recht, ich habe nicht gesagt der General Guerrero, sondern Don Sebastian Guerrero.«

»Genug der Torheiten, Don Cornelio. Reden wir sachlich, der Grund dafür ist es wert.«

»Ich bin ernst, Don Louis. Der General ist nur als Privatmann hier. Mit einem Wort, der Vater der Dona Angela befindet sich in unserem Lager und nicht der Gouverneur von Sonora.«

»Jetzt fange ich an zu begreifen«, sagte der Graf in dumpfem Ton, indem er heftig im Jacal auf und ab schritt. »Was ist zwischen Vater und Tochter vorgegangen? Fürchten Sie nicht, mir alles zu sagen, ich werde mich zu fassen wissen.«

»Es ist Gott sei Dank gar nichts vorgefallen, Don Louis.«

»Ach!«

»Ja, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sich, auf meinem Rat, Dona Angela geweigert hat, in Ihrer Abwesenheit den Besuch ihres Vaters anzunehmen.«

»Sie hat den Mut gehabt, das zu tun?«, fragte der Graf, stehen bleibend, indem er den Spanier durchdringend ansah.

»Ja, auf meinem Rat.«

»Ich danke Euch, Don Cornelio. Der Pater Seraphin und der General …«

»Erwarten Eure Rückkehr in einem Jacal, der zu ihrem besonderen Gebrauch gebaut worden ist. Scheinbar genießen sie ihre volle Freiheit, doch bewachen wir verstohlen den General so scharf, dass er nichts tun kann, was wir nicht wüssten.«

»Sie haben recht gehandelt, Freund, und viel Vorsicht und Scharfblick bei der Gelegenheit an den Tag gelegt.« Bei dieser unerwarteten Schmeichelei errötete Don Cornelio wie ein junges Mädchen und schlug bescheiden die Augen nieder.

»Was denkst du zu tun?«, fragte Valentin den Grafen.

»Dona Angela die volle Freiheit ihres Willens lassen. Gehen Sie, Don Cornelio, ihr meine Rückkehr zu melden und führen Sie zu gleicher Zeit ihren Vater und den Missionar zu ihr. Gehen Sie, ich folge Ihnen.«

Der Spanier ging, um den erhaltenen Auftrag zu erfüllen.

»Wann denkst du aufzubrechen?«, fragte Valentin, als er allein mit dem Grafen war.

»Binnen zwei Tagen.«

»In welcher Richtung?«

»Nach la Magdalena.«

»Gut! Jetzt bitte ich dich um die Erlaubnis, mich in Begleitung Curumillas entfernen zu dürfen.«

»Wie, willst du mich verlassen«, sagte der Graf in bedauerndem Tone.

Der Jäger lächelte. »Du verstehst mich nicht, Bruder«, antwortete er. »Der Indianerhäuptling und ich sind hier so ziemlich überflüssig. Was können wir tun? Nichts, hingegen bin ich überzeugt, dass wir vortreffliche Kundschafter abgeben werden. Überlasse uns die Aufgabe, den Weg auszukundschaften, wir werden zu gleicher Zeit bemüht sein, die Vorurteile und Verleumdungen, die man über dich verbreitet hat und die überhaupt alles treffen, was französisch heißt, zu mildern oder zu vernichten.«

»Ich wagte nicht, dich um diesen Dienst zu bitten. Da du dich aber von selbst so bereitwillig dazu anbietest, werde ich nicht so töricht sein, es abzulehnen. Geh Bruder, handle nach deinem Ermessen, was du tust, ist wohlgetan.«

»So lebe denn wohl. Ich will sofort aufbrechen.«

»Ohne dich auszuruhen?«

»Ich bin, wie du weißt, niemals müde. Lebe wohl, wir sehen uns in la Magdalena wieder.«

Die beiden Freunde umarmten sich und verließen den Jacal.

Auf der Schwelle der Tür gaben sie sich noch einmal die Hand, worauf sich Valentin nach rechts und der Graf nach links wandte.

Eine Truppe von zehn Mann war als Schutz vor dem Hauptquartier aufgestellt.

Eine Schildwache ging, mit dem Gewehr über der Schulter, vor der Tür der Missionskirche auf und ab, welche dem Grafen vorläufig als Wohnung diente.

Als Don Louis in die Nähe seiner Wohnung kam, bemerkte er Don Cornelio in Begleitung von zwei anderen Personen, von welchen die eine ein priesterliches Kleid trug. Sie schienen auf ihn zu warten.

Der Graf beschleunigte seine Schritte. Obwohl er dem Pater Seraphin noch nie gesehen hatte, erkannte er ihn jedoch aufgrund der von Valentin gegebenen Beschreibung.

Es war noch immer derselbe Mann mit dem engelhaften Blick, den feinen, scharf geschnittenen Zügen und dem Ausdruck der Sanftheit und Klugheit. In Amerika ist aber das Amt eines Apostels sehr beschwerlich und bei Missionaren, welche dieses Namens würdig sind, zählt ein Jahr für drei. Obwohl Pater Seraphin kaum dreißig Jahre alt war, zeigte sowohl sein Körper als auch sein Gesicht bereits die Spuren jenes frühzeitigen Alters, welches denjenigen zuteilwird, die sich ohne Rückhalt für das Wohl der Menschheit aufopfern. Schon fing sein Rücken an sich zu krümmen, sein Haar zeigte an den Schläfen schon Silberfäden und zwei tiefe Furchen durchzogen seine Stirn.

Sein feuriger Blick schien aber diese Zeichen von Schwäche Lügen strafen zu wollen und anzudeuten, dass, wenn auch der Körper im Kampf aufgerieben wurde, der Geist doch noch ebenso kräftig und jung geblieben sei.

Die drei Männer begrüßten sich höflich. Nachdem der Graf und der Missionar sich forschend betrachtet hatten, reichten sie sich lächelnd die Hand. Sie hatten sich verstanden.

»Mein Herr«, sagte der Graf zum General gewendet, »seien Sie mir willkommen, obwohl ich überrascht bin, zu sehen, dass Sie zu denjenigen, welche Sie mit dem Namen Räuber zu bezeichnen belieben, Vertrauen genug hegen, um sich der Ehrenhaftigkeit derselben so unbedingt anzuvertrauen.«

»Mein Herr«, antwortete der General, »die Menschenrechte sind bei allen geachtet und geehrt.«

»Außer von denjenigen, welche man in die Acht erklärt und mithin außerhalb des Menschenrechtes gestellt hat.«

Der Missionar trat dazwischen. »Meine Herren«, sagte er in einem gewinnenden Ton, der ihm eigen war, »es kann gegenwärtig zwischen Euch von keiner Feindschaft die Rede sein. Es handelt sich hier nur darum, dass ein Vater einen Ehrenmann um die Rückgabe seiner Tochter bittet, wozu sich Letzterer ohne Zweifel sofort bereit erklären wird.«

»Es soll mich Gott davor bewahren, mein Vater, dass ich mir zuschulden kommen lasse, die Tochter jenes Mannes mit Gewalt hier festzuhalten, auch wenn er mir noch tausend Mal feindlicher gesinnt wäre, als es bereits der Fall ist.«

»Ich habe mich, wie Sie sehen, General, in Hinsicht auf den Charakter des Herrn Grafen keineswegs getäuscht.«

»Dona Angela ist allein und aus eigenem Antrieb in mein Lager gekommen. Sie wird hier mit der größten Achtung und Rücksicht behandelt, welche sie erwarten kann. Dona Angela ist frei nach Gutdünken zu handeln und ich maße mir keinerlei Einfluss über ihrem Willen an. Da ich sie ihrem Vater nicht entführt und auf keine Weise versucht habe, sie herzulocken, kann ich sie auch, wie der Herr zu erwarten scheint, nicht wieder ausliefern. Will sich Dona Angela wieder zu den Ihrigen begeben, so wird sie niemand daran hindern. Zieht sie es aber hingegen vor, sich unter meinen und meiner tapferen Kameraden Schutz zu stellen, so wird keine menschliche Gewalt imstande sein, sie mir zu entreißen.«

Er sprach die Worte in einem entschlossenen Ton, der seine Wirkung auf die Zuhörer nicht zu verfehlen schien.

»Was wir übrigens unter uns verhandeln, meine Herren, hat so lange keine Gültigkeit, bis sich Dona Angela selbst für das Eine oder Andere wird entschieden haben. Ich werde die Ehre haben, Sie zu ihr zu führen, teilen Sie ihr Ihr Verlangen mit und hören wir, was sie beschließt. Ich erlaube mir nur noch zu bemerken, dass sowohl Sie als auch ich gehalten sind, uns ihrem Ausspruch, welcher er auch sei, zu fügen.«

»Es sei drum, mein Herr«, versetzte der General trocken, »vielleicht ist es das Beste.«

»So folgen Sie mir«, fuhr der Graf fort.

Er ging zu der Hütte voran, welche dem besonderen Gebrauch des jungen Mädchens diente.

Dona Angela saß auf einer Butaca, Violanta ruhte zu ihren Füßen und beide waren mit Handarbeit beschäftigt. Als sie ihren Vater mit seinen Begleitern eintreten sah, bedeckten sich ihre Wangen mit einer tiefen Röte, welche bald einer Totenblässe wich. Es gelang ihr indessen, ihre Erregung zu bezwingen, sie stand auf, grüßte die Ankommenden schweigend und setzte sich wieder hin.

Der General betrachtete sie eine Zeit lang mit einer Mischung von Zorn und Zärtlichkeit. Dann wandte er sich schnell an den Missionar und sagte in abgerissenem Ton: »Reden Sie mit ihr, mein Vater, denn ich fühle, dass mir die Kraft dazu fehlt.«

Das junge Mädchen lächelte trübe. »Lieber Vater«, sagte sie zu dem Missionar, »ich danke Ihnen für den überflüssigen Schritt, welchen Sie versuchen. Mein Entschluss ist gefasst, und zwar so unabänderlich, dass er durch nichts erschüttert werden kann. Ich werde nie zu den Meinen zurückkehren.«

»Unglückliches Kind!«, rief der General schmerzlich aus, »welcher Grund hat dich getrieben, mich zu verlassen?«

»Ich erkenne Deine Güte und Zärtlichkeit für mich an, mein Vater«, antwortete sie in schwermütigem Ton. »Vielleicht ist eben deine unbegrenzte Zärtlichkeit und die unumschränkte Freiheit, die du mir stets gelassen hast, Schuld daran. Ich mache dir keine Vorwürfe, denn mein Schicksal reißt mich hin und ich werde die Folgen meines Fehltrittes auf mich nehmen.«

Der General runzelte die Brauen und stampfte zornig mit dem Fuß auf. »Angela, meine geliebte Tochter«, fuhr er bitter fort, »bedenke, dass du deinen Ruf durch das Aufsehen, welches deine Flucht macht, auf ewig vernichtest.«

Ein verächtliches Lächeln schwebte um die bleichen Lippen des jungen Mädchens. »Was kümmert es mich«, sagte sie, »die Welt, in der du lebst, ist nicht mehr die meine. Der Schauplatz meiner Freuden und Leiden wird fortan hier sein.«

»Aber ich, dein Vater! Hast du mich vergessen und bin ich dir nichts mehr wert?«

Das junge Mädchen zauderte. Sie verstummte und schlug die Augen nieder.

»Fräulein«, sagte der Missionar sanft, »Gott flucht den Kindern, die ihren Vater verlassen. Kehren Sie zu dem Ihrigen zurück, noch ist es Zeit. Er breitete die Arme nach Ihnen aus und ruft Sie zu sich. Kehren Sie um, mein Kind, das Herz eines Vaters ist ein unerschöpflicher Quell der Nachsicht. Der Ihrige wird Ihnen verzeihen, ja hat es bereits vielleicht getan.«

Dona Angela schüttelte ohne zu antworten verneinend den Kopf.

Der General und der Missionar sahen sich enttäuscht an.

Don Louis hielt sich etwas zurück, er stand mit gesenktem Kopf, die Arme über der Brust gekreuzt, gedankenvoll da.

»Ach!«, murmelte der General mit mühsam bekämpftem Zorn, »auf unserem Geschlecht ruht ein Fluch!«

In dem Augenblick richtete sich Louis auf und trat einige Schritte vor.

»Dona Angela«, sagte er in tief bewegtem Ton, »sind Sie wirklich aus eigenem und freiem Antrieb hierhergekommen?«

»Ja«, antwortete sie fest.

»Sind Sie wirklich entschlossen, weder den Befehlen noch den Bitten Ihres Vaters Gehör zu schenken?«

»Ja«, antwortete sie wieder.

»Sie entsagen also unbedingt und auf immer der Stellung und dem Vermögen, das Sie in der Welt besitzen?«

»Ja.«

»Entsagen Sie gleichfalls dem Schutz Ihres Vaters, Ihres natürlichen Vormundes, der nach göttlichem und menschlichem Recht begründete Ansprüche an Sie hat, entsagen Sie auch seiner Liebe?«

»Ja«, flüsterte sie leise.

»Es ist gut, jetzt ist die Reihe an mir.« Er verneigte sich hierauf vor dem General und fuhr fort: »Mein Herr, welche bittere Feindschaft uns auch entzweien mag, muss, was auch geschehen möge, der Ruf Ihrer Tochter rein und ohne Makel bleiben.«

»Wenn das der Fall sein sollte«, antwortete der General bitter, »müsste sich jemand bereit erklären, sie zu heiraten.«

»Ja. Wohlan, ich der Graf de Prèbois-Crancé habe die Ehre, Sie um die Hand Ihrer Tochter zu bitten.«

Der General prallte überrascht zurück. »Ist es Ihr Ernst, dass Sie mich darum bitten?«, fragte er.

»Ja.«

»Bedenken Sie, dass, indem ich Ihnen danke, Sie sich dazu bereit erklärt haben, daraus nur ein neuer Grund zur Feindseligkeit gegen Sie entspringt.«

»Es sei.«

»Bedenken Sie, dass jene Heirat meine Absichten in Bezug auf Sie in keiner Weise ändern wird.«

»Das ist mir gleich.«

»Trotzdem bestehen Sie darauf, ihr Ihren Namen zu geben?«

»Ja.«

»Gut, in vier Tagen sollen Sie meine Antwort haben.«

»Dann bitte ich Sie, diese nach la Magdalena zu schicken.«

»Nach la Magdalena also.« Der General wandte sich hierauf zu seiner Tochter. »Ich verfluche dich nicht«, sagte er, »denn selbst Gott kann den väterlichen Fluch nicht von dem Haupt des Kindes nehmen. Lebe wohl, sei glücklich.«

Er entfernte sich hastig, begleitet von dem Missionar.

»Mein Vater«, sagte der Graf, »ich rechne in la Magdalena auf Ihre Gegenwart.«

»Ich werde mich einfinden, mein Herr«, antwortete Pater Seraphin im schwermütigen Ton, »denn ich sehe voraus, dass es Tränen zu trocknen geben wird.«

»Auf Wiedersehen, mein Herr«, sagte der General.

»Auf Wiedersehen«, antwortete der Graf mit einer Verbeugung.

Der General und der Missionar stiegen auf ihre Pferde und entfernten sich, begleitet von einer starken Abteilung Abenteuer, die beauftragt waren, sie sicher durch die Vorposten und Wachen der französischen Compagnie zu geleiten.

Der Graf blickte ihnen lange sinnend nach und kehrte dann langsam in seine Wohnung zurück.

Ende des ersten Bandes

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