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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gefangene der Goldräuber – Teil 2

Mit gemischten Gefühlen bestieg Jennifer am nächsten Tag die Postkutsche. Sie wusste, dass sie keine Augenweide in dem einfachen dunkelblauen Kleid war. Im Gegensatz zu ihrem Arbeitskleid empfand sie es als Luxus. Sehr lange hatte sie sparen müssen, um sich den Stoff für ein zweites Kleid zu kaufen. Andere Arbeiterinnen, die sie kannte, besaßen ein einziges Kleid. Ihre Haube war gereinigt, doch auf den ersten Blick war zu erkennen, dass das gute Stück nicht das neueste war. Lange hatte sie mit sich gerungen, ohne Kopfbedeckung zu reisen, doch schlussendlich hatte die Vernunft gesiegt. Keine anständige Frau reiste ohne Hut oder Haube. Ihr Haar war schwierig zu bändigen, ständig lösten sich Strähnen und die Haarfarbe trug ihr Übriges dazu bei, die Locken wild und verrucht aussehen zu lassen. Jennifer merkte die heimlichen Blicke des Anwaltsgehilfen, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Sie machte sich nichts vor. Erbte sie tatsächlich eine Goldmine, war sie für jeden Mann attraktiv. Blieb sie dagegen arm, war sie für einen angehenden Anwalt uninteressant. Als Kind hatte sie viele Träume und Illusionen gehabt, doch ihre Mutter hatte sie ihr mit harter Arbeit ausgetrieben. Sie solle sich keine Flausen in den Kopf setzen, sonst würde sie wie ihr Vater werden, ein Taugenichts und Herumtreiber. Je älter sie wurde, desto weniger wurden die Träume, da die Wirklichkeit zu brutal war. Sie musterte die vier anderen Männer und fragte sich, ob einer von ihnen sein Eldorado bereits gefunden hatte. Sie trugen einfache Anzüge, nicht die feinen Tuchanzüge, mit denen sich erfolgreiche Geschäftsleute kleideten. Wie Goldsucher sahen sie auch nicht aus. Es waren eher Männer, die für sich einen Weg gefunden hatten, sich ein Stück vom Kuchen abzuschneiden, ohne in der Erde nach Gold zu wühlen. Für Jennifer hatten sie keinen Blick übrig, sie wirkten angespannt.

Wer die ersten Goldfunde für sich beanspruchen konnte, hatte gute Chancen, sein Gold in die nächste größere Stadt zu bringen. Später würden sämtliche Wege von Banditen überwacht, die ohne große Plackerei reich werden wollten.

Die verlangsamte Fahrt der Kutsche riss sie aus ihren Gedanken. Unmöglich konnten sie am Ziel sein. Plötzlich ein Schuss. Dann befahl eine Stimme von draußen, auszusteigen. Angstvoll riss Jennifer die Augen auf und klammerte sich an den Sitz.

»Braucht ihr eine Einladung?«, brüllte dieselbe Stimme.

Die vier unbekannten Männer nickten sich zu und zogen ihre Revolver. Der eine riss die Tür auf, sprang hinaus und der nächste hinterher. Mehrere Schüsse krachten.

»Wenn ihr nicht bald rauskommt, habt ihr nie wieder die Gelegenheit dazu«, rief ein Mann.

Matt Benbow nickte Jennifer aufmunternd zu, stieg aus und reichte ihr seine Hand. Hinter ihnen stiegen die anderen beiden aus. Ihre Waffen hatten sie wohlweislich wieder in ihre Holster geschoben. Als Erstes sah Jennifer drei bewaffnete Maskierte auf Pferden, dann erblickte sie die beiden Toten. Der Begleitmann hielt sich stöhnend seinen verletzten Arm. Jennifers Magen rebellierte, ihre Knie gaben nach. Halt suchend hielt sie sich an Benbow fest.

Der Sprecher von vorhin befahl den Männern, ihre Waffen auf den Boden zu schmeißen, dann stieg er ab, ging zur Kutsche und zog unter der Sitzbank eine kleine Kiste hervor. Er schoss mehrere Male auf das Schloss, bis es absprang. Die beiden Kutschenpassagiere ballten die Fäuste, doch ob der drohenden Waffengewalt mussten sie tatenlos zusehen, wie der Kerl ihre Goldnuggets in eine Satteltasche packte.

Jennifer betete stumm, dass die Banditen, die nun hatten, was sie wollten, gleich wegritten. Einer der Maskierten, der seinen Hut tief in die Stirn gezogen hatte, deutete auf Jennifer. Eine Woge der Furcht erfasste sie und ließ sie abermals taumeln, als der Bandit sie am Arm packte und mit sich riss. Ein gellender Schrei entwich ihrer Kehle. Aus den Augenwinkeln gewahrte sie, wie Benbow sich zu Boden warf, um seine Waffe zu ergreifen. Seine Finger erfassten den Revolver, als ihn ein Schuss zurückwarf.

»Wollt ihr’s auf die harte Tour?«, fragte einer der Banditen auf dem Pferd die beiden Reisenden.

Sie schüttelten verneinend die Köpfe.

Jennifer wand sich unter den Griffen des Banditen und schrie mit schriller Stimme, bis er sie links und rechts ohrfeigte. »Bitte«, flüsterte sie weinerlich. Erst jetzt gewahrte sie das reiterlose Pferd, zu dem er sie zerrte. »Bitte lasst mich hier.« Angst hielt sie wie eine eiserne Faust umklammert und nahm ihr die Luft zum Atmen. Flehend bat sie noch einmal mit Tränen in den Augen: »Bitte, lasst mich hier.«

»Halt’s Maul, Schlampe!« Mit einem Kopfnicken befahl er ihr wortlos, auf das Pferd zu steigen.

Sein drohender Blick hielt sie davon ab, noch einmal zu bitten. Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Es war absehbar, was ihr bevorstand.

***

Aus dem Nest war eine Stadt geworden, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Cole Shannon sah sich um. Er war schon in unzähligen Goldgräberstädten gewesen, die über Nacht gewachsen waren. Sobald das Goldvorkommen nachließ, verschwand der Großteil der Menschen und mit ihnen das Verbrechen. Er ritt vors Office des Sheriffs, stieg ab und band sein Pferd an. Die Postkutsche fuhr gerade in die Stadt. Cole registrierte verwunderte Gesichter, Menschen blieben stehen und tuschelten aufgeregt. Irgendetwas stimmte nicht, denn als die Kutsche vor der Station hielt, liefen mehrere Männer heran. Jemand rief nach dem Sheriff, der auch sogleich aus seinem Office stürmte und Cole fast umrannte. Er nahm sich Zeit für ein gemurmeltes »Sorry, Mister, du stehst im Weg« und lief zur Kutsche. Cole lehnte sich an die Hauswand und beobachtete. Soviel er aus dem Wortgewirr verstand, war die Kutsche von drei Banditen überfallen, Gold geraubt, eine Frau entführt, zwei Männer verwundet und zwei getötet worden. Selbst für eine Boomtown ziemlich viel auf einen Schlag. Und sehr seltsam. Banditen entführten keine Frauen, denn für sie galt es, so schnell wie möglich zu fliehen. Vor der Kutsche versammelte sich eine Menschenmenge, zwei Tote wurden weggetragen. Cole wartete geraume Zeit, bis der Marshal mit verkniffenem Gesicht kam und ihm einen kurzen Blick zuwarf. »Wollen Sie zu mir?«

Cole deutete auf die Tür. »Für manche Gespräche ist es besser, keine Zuhörer zu haben.«

Der Marshal ließ ihm den Vortritt. Cole wollte gerade zum Sprechen ansetzen, als die Tür aufgerissen wurde.

»Sie sind verpflichtet, etwas zu tun!« Der Mann mit dem Kopfverband war sichtlich aufgebracht.

»Setzen Sie sich erst mal, Mr. Benbow«, sagte der Marshal und deutete auf einen Stuhl.

»Ich will mich nicht setzen, während eine Frau um ihr Leben bangt und noch Schlimmeres. Stellen Sie ein Aufgebot zusammen und befreien Sie Miss Tucker.«

»Moment«, unterbrach Cole. »Etwa Jennifer Tucker?«

»Was haben Sie damit zu tun?«, fuhr ihn der Mann an.

»Das würde ich auch gern wissen«, warf der Marshal ein.

»Ich soll Miss Tucker vom Tode ihres Vaters benachrichtigen.« Mehr wollte Cole noch nicht verraten. Erst musste er wissen, was genau vor sich ging.

Der Marshal nahm aus seiner Schublade eine Flasche und füllte drei Gläser. Auffordernd nickte er ihnen zu.

»Sind Sie sicher, dass es Miss Tucker ist, die entführt wurde? Es kann genauso gut jede andere Frau sein.«

»Miss Tucker wollte mit mir nach Denver City reisen, um das Erbe …« Erschrocken brach der Mann den angefangenen Satz ab.

Cole ließ sich von der Stadtkleidung des Mannes nicht täuschen, der einmal als Cowboy gearbeitet hatte, wie Lariatnarben an den Händen zeigten.

»Es geht um Gold«, warf Cole ein.

»Wer sind Sie?«, fragte der Marshal.

»Cole Shannon. In den Bergen habe ich die Leiche von Miss Tuckers Vater gefunden. Er wurde gefoltert, bevor man ihn umbrachte.«

Benbow erbleichte. Mit einem Ruck stürzte er den Whisky hinunter und stellte das Glas auf den Tisch zurück. Er setzte sich rittlings auf den Stuhl, stützte seinen verbundenen Kopf auf die Arme und dachte nach. Unaufgefordert schenkte der Marshal nach. Cole winkte dankend ab.

»Wir müssen sie finden«, flüsterte Benbow.

»Die Frau kann vom Tode ihres Vaters doch noch gar nichts gewusst haben. Wie also kann sie ihr Erbe antreten?« Cole war mehr als verwundert.

»Was haben Sie damit zu schaffen, außer dass Sie einen Toten gefunden haben?«, fragte der Marshal. Sein dünnlippiger Mund über einem wuchtigen Kinn wirkte in seinem sonnenverbrannten, breitflächigen Gesicht fehl am Platz.

Cole wusste, wie er aussah in seiner abgetragenen, staubigen Kleidung, aus der er schon eine Weile nicht rausgekommen war. Lange Ritte nahmen die Möglichkeiten, auf sein äußeres Erscheinungsbild zu achten.

»Ich kannte Joseph Tucker. Er hat oft davon gesprochen, dass er seiner Tochter eines Tages gegenübertreten wolle. Das ist ja nun nicht mehr möglich. Mit dem Gold wollte er ihre Zukunft sichern und auch einiges gutmachen.«

»Sagen Sie’s ihm«, forderte der Marshal Benbow auf.

Zweifelnd blickte Benbow zu Cole. »An ihrem 21. Geburtstag geht Joseph Tuckers Goldmine in den Besitz seiner Tochter. Ich arbeite für die Anwaltskanzlei Brighton & Smith und hatte den Auftrag, mit ihr nach Denver zu fahren und alles zu regeln.«

»Das war der Grund für ihre Entführung.« Cole blickte den Marshal an.

»Das sehe ich auch so, denn Banditen entführen in der Regel niemand. Doch meine Amtsgewalt endet am Stadtrand«, argumentierte der Sheriff.

Eine Weile schwiegen alle drei.

»Wollen Sie sie ihrem Schicksal überlassen, Sheriff Carson?«, fragte Benbow müde.

»U.S. Marshals«, antwortete Carson knapp.

»Bis von denen einer hier ist, ist es für die Frau zu spät, das ist Ihnen wohl klar.« Benbow wurde wütend.

»Mir sind die Hände gebunden. Auch wenn meine Amtsgewalt weiter reichen würde, könnte ich die Stadt nicht verlassen.« Carson kramte aus seiner Schreibtischlade einen Steckbrief hervor und hielt ihn Benbow und Cole hin. »Manoel Barrera, tot oder lebend.«

»Von ihm habe ich schon gehört. Ich dachte, er treibt sich weiter südlich herum.« Cole betrachtete den Steckbrief. Zehntausend Dollar waren auf Barreras Kopf ausgesetzt. Eine Menge Geld.

»Ein überfallener Goldgräber hat ihn anhand des Steckbriefs identifiziert. Er ist sich sicher, dass es Barrera und seine Bande war. Ich denke nicht, dass sich so viele Mexikaner hier herumtreiben. Wenn ich die Stadt verlasse, wird Barrera sie einnehmen. Er hat seine Spitzel überall. Zwei meiner Deputy Marshals wurden aus dem Hinterhalt erschossen. Ich bin sicher, dass er dahinter steckt.« Er zuckte bedauernd mit den Schultern. »Es tut mir leid, dass ich für die Frau nichts tun kann. Die Behörde ist bereits informiert. Ich warte auf das Eintreffen der Bundesmarshals. Barrera ist kein Unbekannter.«

Cole nickte den beiden zu und wandte sich zur Tür.

»Shannon, was hast du vor?« Carsons Stimme hielt ihn zurück.

»Ist eine hübsche Summe.«

»Ich sah dich in Silverton in Aktion. Doch ein einzelner Mann richtet gegen eine ganze Bande nichts aus.« Carson schüttelte den Kopf.

»Hab grad sonst nichts zu tun.«

»Ich komme mit.« Benbow sprang vom Stuhl.

Coles Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen.

»Ich reite neben dir oder als dein Schatten. Such es dir aus«, kam es leise über Benbows Lippen.

»Du warst nicht immer Anwaltsgehilfe«, stellte Cole sachlich fest.

»Mein Vater besitzt eine Ranch. Ich wollte nicht wie meine zwei Brüder mein Leben lang stinkenden Kuhschwänzen hinterher reiten.«

»Und mit dem kannst du umgehen.« Es war mehr Feststellung als Frage mit dem Blick auf Benbows Colt.

Benbows Antwort war ein Grinsen.

»Kannst du die Entführer beschreiben?«

»Waren maskiert. Als ich es zu verhindern versuchte, wollten sie mir den Schädel wegballern. Nur ein Streifschuss.«

»Lass uns zum Ort des Überfalls reiten.«

***

Wie es weitergeht, erfahrt ihr in der nächsten Woche …

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