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Jimmy Spider – Folge 40

Jimmy Spider und die Hexenhöhle

In meiner Karriere habe ich mich bereits in vielen bizarren, brenzligen oder banalen Situationen befunden, aber kopfüber über einem überdimensionalen Grill zu hängen, dazu noch mit mir als Hauptgericht, das war auch für mich neu. Ich konnte nicht unbedingt behaupten, dass diese Situation für mich angenehm war, aber immerhin hatte sich meine Peinigerin dazu entschlossen, mich nicht im Feuer zu rösten. Für mich war das allerdings ein schwacher Trost. Ob ich als Grillfleisch nun gut durch, medium oder blutig endete, würde es mir auch nicht erträglicher machen. Aber immerhin konnte ich dann mit dem Gefühl sterben, zum Verzehr geeignet gewesen zu sein. Wer kann das schon von sich behaupten?

Nun, angesichts der Tatsache, dass mein gesunder Menschenverstand – im Gegensatz zu einer Unzahl von Schweißtropfen – noch nicht auf die Glut hinuntergefallen war, hatte ich doch vor, dem Vorhaben, mich zu vernaschen, einen Riegel vorzuschieben. Nicht, dass ich etwas dagegen gehabt hätte, von einer attraktiven Frau vernascht zu werden, aber man sollte es dann doch nicht zu wörtlich nehmen.

Allerdings hatte sich in meinem Hirn noch kein Masterplan zusammengesetzt, wie ich meiner Gefangenschaft entkommen konnte. Gesetz dem Fall, ich würde es schaffen, in Houdini-Manier mich meiner Fesseln zu entledigen, würde mein Sturz gleich von einigen Dutzend glühend heißer Kohlestücke gebremst werden. Und wenn ich das ohne bleibende Schäden überstand, war da immer noch das Problem, dass man mir all meine Waffen abgenommen hatte. Gut, genau genommen handelte es sich dabei nur um meine Desert Eagle, aber immerhin.

Mein Einsatzkoffer lag noch immer in dem Jeep, mit dem ich hierher gefahren war. Natürlich nicht direkt in die Höhle hinein, in der ich nun wie ein gut verschnürtes Würstchen über dem imaginären Rost baumelte. Ich hatte sie erst einmal finden müssen, was sich zugegebenermaßen als nicht allzu schwer erwiesen hatte. Die Höhle war in dem kleinen schwedischen Dorf, in dem ich den letzten Tag verbracht hatte, als Tummelplatz für Hexen und ähnliches höllisches Gewürm geradezu legendär. Obwohl sie gar nicht mal so versteckt in den nahe liegenden Wäldern lag, hatte sich keiner der Dorfbewohner getraut, sich den mörderischen, dämonischen, wahnwitzigen und … ähnlichen Gefahren entgegenzustellen. So hatte ich wieder mal den tapferen Recken spielen dürfen.

Die schwedische Polizei, genauer gesagt der Geheimdienst, war mir dabei auch keine besondere Hilfe gewesen. Eigentlich hatte mich wieder mal die übliche Geschichte hierher geführt: Der Sohn eines Ministers macht Urlaub in einer gottverlassenen Einöde, verfährt sich, landet in einem noch gottverlasseneren Ort, fährt in den Wald, wird von einer Hexe angegriffen und flieht, nur um Väterchen zu alarmieren, der natürlich sofort jegliche Verantwortung an eine ausländische Behörde abschiebt. Die Hintergrundinformationen zu dem Fall waren so enorm gewesen, dass ich mich bereits nach fünf Minuten wieder verträumt zurücklehnen und den Ausblick aus dem Hubschrauber, der mich nach – tja, ich nenne den Ort einmal Zungenbrecherhausen – geflogen hat, hatte genießen können.

Von Zungenbrecherhausen aus ging es dann mit dem bereits erwähnten Jeep in den Wald zu der Höhle, in der schon so mancher ahnungslose Wandersmann verschwunden war. Sagte man zumindest. Wie gefährlich das etwa vierzig Jahre alte, dunkelhaarige Weib wirklich war, das gerade vor meinen Augen um einen abgesägten, morschen Baumstumpf tanzte und dabei wunderliche Lieder trällerte, war mir noch nicht so ganz klar geworden. Immerhin war es der Hexe – so hatte sie sich mir tatsächlich vorgestellt – gelungen, mich in einem kurzen Moment der Ablenkung (ich hatte gerade einen Busch entdeckt, der mich an Tanja Berner erinnerte) hinterrücks niederzuschlagen. Als ich aufgewacht war, hatte ich mich in eben jener Würstchen-Situation wiedergefunden.

Dass die selbsternannte Hexe bei ihrem Tanz nackt war, setzte dem Ganzen noch die Krone auf. Hätte sie doch wenigstens ein dunkles Kleid getragen. Manche Leute will man ganz einfach nicht in einem Nudistencamp sehen, so scharf man auch darauf ist, nackte Körper begaffen zu dürfen. Und diese werte Dame gehörte definitiv zu dem Personenkreis, der besser vor der Tür bleiben sollte. Selbst ein Schönheitschirurg würde da nichts mehr retten können. Und bei mir auch nicht, wenn mir nicht bald etwas einfiel.

Mehrmals versuchte ich, hin und her zu wippen oder mich wie ein Jo-Jo auf und nieder fallen zu lassen, um den spitzen Felsvorsprung abzubrechen, um den das Seil geschlungen war, das mich so gut verpackt hatte. Aber ohne Erfolg.

In der Glut unter mir entdeckte ich sogar den einen oder anderen Knochen. Dass es sich dabei um menschliche Gebeine handelte, erkannte ich daran, dass sich auch komplette Schädel darunter befanden. Zusammengefasst befand ich mich also in der Gewalt einer nackten, durchgeknallten, zum Kannibalismus neigenden Möchtegernhexe, die ihr Lager in einer einsamen, kalten Höhle aufgeschlagen hatte. Was kann es Schöneres geben?

»Hey!«, schrie ich, um die Aufmerksamkeit meiner Gastgeberin auf mich zu lenken und mich endlich von der bizarr-peinlichen Sing-und-Tanz-Einlage zu erlösen, durch die ich mich nun schon zehn Minuten quälen musste.

»Schweig still, du Narr«, antwortete sie mit aufgeblasen wirkender Stimme. »Du bist das Opfer für den großen Jotan.«

Warum die Hexe meiner Sprache mächtig war, erschloss sich mir nicht, andererseits konnte ich davon ausgehen, dass sich selbst in die Hinterwäldler-Dörfer Schwedens der eine oder andere Englisch-Lehrer verirrt hatte. So wie die Söhne von Ministern.

»Wer ist Jotan?«, fragte ich etwas verdutzt. Dass mir das Blut immer mehr in den Kopf schoss und ich an meinem gesamten Körper ein unangenehmes Kribbeln spürte, ignorierte ich geflissentlich.

»Dies ist er, Unwissender!« Mit beiden Händen wies die Hexe auf den morschen, dunkelbraunen Baumstumpf, den sie auf einem steinernen Altar in der Mitte der Höhle aufgebahrt hatte. Einige an den Wänden angebrachte Fackeln verliehen der Umgebung immerhin eine gewisse Atmosphäre, die jedoch von der nicht vorhandenen Aufmachung der Höhlenbewohnerin wieder zunichte gemacht wurde.

Es schien, dass sie erwartete, wie ich angesichts des kolossalen Anblicks – an der rechten Seite des Stumpfes hatte sich bereits weißer Schimmel gebildet – vor Ehrfurcht erstarrte und sie ihren Singsang fortsetzen ließ, aber da sah sie sich getäuscht.

»Jotan?«, fragte ich erneut, um sie etwas zu provozieren. »Dein Gott hat wohl schon bessere Tage gesehen.«

»Du Frevler!«, schrie sie wie irre. Ihr Mundwasser spritzte mir trotz der Entfernung ins Gesicht.

»Vielleicht sollten Sie nicht jeden Pilz futtern, den Sie im Wald so finden. Dann würden Sie diesen Stumpf da nicht für eine altehrwürdige Gottheit halten.«

»Jotan ist der Herr der Höhlen. Seit Jahrhunderten wird er hier angebetet.«

»Es muss wohl einen Grund geben, warum sich dieser Kult nicht über diese Höhle hinaus verbreitet hat.«

»Schweig, Unwürdiger, sonst trifft dich Jotans Zorn.«

»Ach, und was hat mich bisher getroffen? Jotans Gute-Laune-Grillparty?«

Erneut schrie die Hexe auf, antwortete jedoch nicht, sondern tanzte weiter um ihren heißgeliebten Baumstumpf herum. Mit gesundem Menschenverstand würde es mir also nicht gelingen, sie davon zu überzeugen, dass sie einen hölzernen Komposthaufen anbetete. Da half nur noch rohe Gewalt. Doch dafür musste ich mich erst einmal befreien.

Wieder versuchte ich, durch Hin-und-Her-Schwingen den kleinen Felsvorsprung zum Brechen zu bringen. Zunächst hatte ich den Eindruck, nicht mehr als ein lebendes Grillpendel zu sein, doch irgendwann drang ein leises Knirschen an meine Ohren. Wenn mich nicht alles täuschte, ließ sich da doch noch etwas machen.

Genug Zeit, darüber nachzudenken, gab mir die Hexe, denn sie tanzte erneut wie wild um Jotan herum und lieferte dabei einen pseudomagischen Ohrwurm nach dem anderen ab. Wenn ich das hier überstand, würde ich wahrscheinlich einen vierundzwanzigstündigen ABBA-Marathon brauchen, um diese Lieder wieder aus dem Kopf zu bekommen.

Wieder und wieder wippte ich hin und her, gab dem Seil immer mehr Schwung und wartete darauf, dass entweder der Fels brach oder das Seil abriss. Im günstigsten Fall konnte es mir sogar gelingen, mich so zu befreien, dass ich nicht in der Glut, sondern direkt daneben auf dem nackten Fels zu landen. Auch nicht gerade angenehm, aber zu anspruchsvoll durfte ich in meiner Situation eben nicht sein.

Das Knirschen über mir wurde immer lauter und übertönte dabei sogar das Gejaule der Hexe. Doch die durchgeknallte Gesellin war so in ihrem eigenen Bann gefangen, dass sie von der Umwelt nichts mehr mitbekam. Was auch immer sie geraucht hatte, es hatte eine durchschlagende Wirkung. Vielleicht sollte ich sie später mal nach dem Rezept fragen.

Als ich gerade wieder einmal von der Glut weggeschwenkt war, geschah das, auf das ich schon so lange gehofft hatte – der Fels brach. Während ich den Höhlenboden auf mich zurasen sah, schloss ich die Augen. Den harten Aufschlag konnte diese Reaktion auch nicht dämpfen. Für einige Sekunden sah ich Sterne. Dann aber merkte ich, dass sich durch den Sturz auch meine Fesseln gelockert hatten. Mit eingeschlafenen Fingern streifte ich sie ab und richtete mich auf. Sofort hatte ich das Gefühl, zehn Flaschen Tequila hintereinander getrunken zu haben, so sehr geriet ich ins Schwanken.

Vor mir tanzte die Hexe noch immer mit geschlossenen Augen um ihren Jotan und wartete darauf, von ihm beglückt zu werden (auf die eine oder andere Weise). Ich dagegen suchte nach meiner Pistole, entdeckte sie jedoch nicht. Stattdessen improvisierte ich etwas und griff nach einem stämmigen Oberschenkelknochen, der am Rande der Feuerstelle lag. Leicht schaudernd hob ich ihn an und wiegte ihn in der Hand.

»Hey!«, rief ich erneut, und wieder stoppte mein Ausruf den Singsang der Hexe. Ungläubig starrte sie mich an. »Na, überrascht? Jetzt ist Schluss mit Ihrem Geträller.«

»Jotan kann niemand entkommen«, rief sie und sprang hinter dem Baumstumpf zu Boden.

Leicht schwankend ging ich einige Schritte auf sie zu und hielt dabei den Knochen zum Schlag bereit. Wie ein Fleisch gewordener Kastenteufel schoss die Hexe plötzlich hinter dem Baumstumpf hervor. Nur hielt sie diesmal meine Desert Eagle in der Hand. Viel Freude hatte sie mit ihr jedoch nicht, denn schon im nächsten Moment prellte ich ihr mit dem Knochen die Pistole aus der Hand.

»Neeein!«, brüllte sie, riss ihre Hände hoch und versuchte, mir ihre spitzen Fingernägel in den Leib zu rammen. Doch auch diesmal war ich schneller. Mit voller Wucht schlug ich ihr den Knochen gegen den Schädel. Ächzend verdrehte die Hexe die Augen und kippte um.

Achtlos ließ ich den zerbrochenen Knochen fallen, sammelte meine Desert Eagle vom Boden auf und ging auf den Baumstumpf zu. Das also sollte ein Gott sein. Nun, vielleicht sollte ich demnächst auch meine Zahnbürste und die Klobrille anbeten, da wüsste ich wenigstens, dass es hygienisch verantwortbar wäre, sie zu küssen und zu umarmen.

»Na Jotan, wie geht’s?«, fragte ich, während ich den Baumstumpf mit dem Lauf meiner Desert Eagle anstupste.

»Ging mir schon besser«, drang eine tiefe Stimme aus dem Holz.

Automatisch zuckte ich zusammen. Hatte der Stumpf gerade geantwortet oder hatte ich durch die Glut gerade auch irgendwelche Halluzinogene eingeatmet? Auf ein Duell mit einem Gott wollte ich mich jedenfalls nicht einlassen.

»Ich … ähm, ich gehe dann mal«, stammelte ich.

»Gute Idee«, drang es erneut aus dem Baumstumpf.

Bevor es Jotan sich noch anders überlegte, nahm ich die Beine in die Hand und rannte aus der Höhle. Draußen empfing mich ein eisiger Wind, dem ich mit einer warmen Zigarre entgegnete. Dabei blickte ich auf die Höhle zurück. Dass sich daraus ein neuer Wallfahrtsort für Baumknutscher entwickeln würde, bezweifelte ich. Aber zumindest hatte sich die Hexe als nicht ganz so durchgeknallt herausgestellt, wie ich vermutet hatte. Nun ja, wahrscheinlich würde man die Höhle sprengen, dann hatte die Welt zumindest Ruhe vor einem möglichen Best-of-Jotan-Album …

ENDE


Der Band 4 mit den Folgen 31 – 40 ist im Downloadbereich kostenlos als PDF-, EPUB- und MOBI-Datei erhältlich.

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