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Der Welt-Detektiv Band 6

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Curumilla – Erstes Buch, Kapitel 6

Gustave Aimard
Curumilla
Eine Abenteuergeschichte aus dem Jahr 1861
Kapitel 6 – Wiedervergeltung

Die beiden Gegner schienen sich einen Augenblick zu sammeln. Daraufhin sprang der Sachem plötzlich vor.

Der Graf blieb ruhig stehen. In dem Augenblick, als der Indianer auf ihn zukam, fasste er blitzschnell mit der Linken das Pferd des Häuptlings bei den Nüstern, sodass es vor Schmerz wiehernd emporstieg, und stieß geschickt und sicher dem Indianer seinen langen Degen in den Hals. Der Arm, welcher dieser erhoben hielt, sank kraftlos herab. Seine Augen traten weit aus den Höhlen, aus der klaffenden Wunde sprang ein Blutstrahl. Er rollte mit einem letzten Todesschrei zu Boden und wand sich wie eine Schlange.

Der Graf setzte ihm den Fuß auf die Brust und durchbohrte ihn mit dem Degen.

Er wandte sich zu seinen Gefährten zu und rief er mit gewaltiger Stimme: »Vorwärts! Vorwärts!«

Die Abenteurer antworteten ihm mit einem jubelnden Hurra und drangen wieder auf die Rothäute ein.

Dieses Mal hielten Letztere aber nicht Stand.

Der Tod Mizcoatzins, der einer ihrer angesehensten Sachem und ihr berühmtester Krieger war, erfüllte sie mit panischem Schrecken und sie flohen nach allen Richtungen.

Es begann eine echte Menschenjagd mit allen widrigen und abschreckenden Gräueln.

Die Indianer waren, wie schon gesagt, eingeschlossen, die Flucht war ihnen geradezu unmöglich.

Die von dem langen Kampfe erbitterten Abenteurer ermordeten erbarmungslos ihre besiegten Feinde, die sie vergeblich anflehten.

Die Indianer liefen verzweifelt umher, denn es trafen sie die scharfen Klingen, durchbohrten sie die Bajonette und fielen sie unter die Hufe der Pferde, die so grausam wie ihre Herren und von dem Blutgeruch berauscht waren und sie mit Wut zermalmten.

In der Mitte des unheilvollen Kreises, der sie enger und enger einschloss, häuften sich die Leichen.

Endlich hatten die unglücklichen Rothäute, deren Kraft und Mut sie verließ, ihre Waffen weggeworfen und standen dicht gescharrt, die Arme über der Brust gekreuzt mit der finsteren und stillen Verzweiflung, die ihrem Volke eigen ist, da und erwarteten den Tod.

Schon längst hätte der Graf gewünscht, dem schrecklichen Blutbad ein Ende zu machen. Man hatte seinen Ruf zwar nicht missachtet, seine Stimme ging aber im Jubelgeschrei der Sieger unter und verhallte ungehört.

Plötzlich aber blieben die Franzosen stehen, denn unwillkürlich erfüllte sie die stoische Ergebenheit der wackeren Feinde, die es verschmähten, um Gnade zu flehen und sich anschickten, in Würde zu sterben, mit Bewunderung.

Jede edle Tat, jede edle Gesinnung findet einen Widerhall im Herzen der Franzosen, jenes besonders ritterlichen Volkes.

Sie zauderten, sahen sich einander unschlüssig an und richteten ihre Bajonette in die Höhe.

Der Graf benutzte diese Pause, den Lichtblick der Barmherzigkeit, den Gott in die Seele der blutdürstigen Männer geworfen hatte, und trat, seine vom Blut gefärbte Klinge schwingend, vor sie hin.

»Genug, Kameraden!«, rief er aus, »genug, wir sind Soldaten und keine Henkersknechte oder Fleischer! Überlassen wir den Mexikanern alles, was niederträchtig ist, und bleiben wir, was wir immer gewesen, wackere großmütige Männer. Gnade für jene Unglücklichen!«

»Gnade! Gnade!«, riefen die Franzosen mit hochgeschwungenen Waffen.«

In dem Augenblick ging die Sonne von purpurnen Wolken umgeben, glänzend auf. Das vom Pulverdampf erfüllte Schlachtfeld bot mit seinen Leichen und der in der Mitte stehenden unbewaffneten Handvoll Leute, die den Kreis ihrer von Blut und Pulverrauch bedeckten Feinde, welche ihnen mit blitzenden Augen und von Kampfgier glühenden Gesichtern gegenüberstanden, trotzig ansahen, einen zugleich erhabenen und schrecklichen Anblick.

Der Graf steckte seinen Degen in die Scheide und näherte sich den Indianern langsamen Schrittes, die ihn ängstlich kommen sahen. Denn sie hatten von dem, was vor sich ging, nichts verstanden.

Die Indianer sind unerbittlich und kennen keine Gnade. Das Recht der Wiedervergeltung ist in der Prärie das einzig gültige. So erbarmungslos die Rothäute selbst sind, so wenig erwarten sie auch Mitleid vonseiten ihrer Feinde und ertragen das harte Los, welches ihnen der Sieger, wer er auch sein mag, auferlegt, ohne zu murren.

Die Abenteurer hatten die Waffen gesenkt und mit jener Sorglosigkeit und Wandelbarkeit, die ihnen angeboren ist, bereits jeden Groll vergessen. Sie lachten und plauderten vergnügt miteinander.

Valentin und Curumilla waren zum Grafen gegangen.

»Was beabsichtigst du zu tun?«, fragte der Jäger.

»Hast du es nicht erraten?«, entgegnete daraufhin Louis, »ich begnadige sie.«

»Alle?«

»Gewiss!«, erwiderte er verwundert.

»Du verzeihst ihnen also?«

»Ja, und gebe ihnen die Freiheit wieder.«

»Hm«, brummte der Jäger.

»Hast du vielleicht etwas einzuwenden?«

»Vielleicht.«

»Erkläre es mir.«

»Wenn du die Indianer begnadigst, so ist das gut und wird unter den Stämmen einen um so günstigeren Eindruck machen, da die Rothäute ein vortreffliches Gedächtnis haben und sich an die Niederlage, die sie heute erhalten haben, lange erinnern werden.«

»Also?«

»Aber«, fuhr der Jäger fort, »jene Männer sind nicht alle Indianer.«

»Was willst du damit sagen?«

»Dass verkleidete Mexikaner darunter sind.«

»Bist du dir sicher?«

»Ja. Der Mann, der die Reiter anführte, mit deren Hilfe ich dir so wirksamen Beistand leisten konnte, hat mir es selbst gesagt.«

»Sind jene Reiter nicht Apachen?«

»Keineswegs, lieber Freund. Es sind Weiße und Civicos obendrein, nämlich Männer, welche die Hacienderos bezahlen und halten, um den Indianern nachzustellen. Wie du siehst, erfüllen sie ihre Pflicht sehr gewissenhaft. Du darfst dich übrigens nicht wundern und kennst bereits die Landessitte gut genug, um es ganz natürlich zu finden.«

Louis stand nachdenklich da. »Was du mir da sagst, wundert mich sehr«, murmelte er.

»Warum denn?«, versetzte der Jäger sorglos, »im Gegenteil, es ist sehr einfach. Gegenwärtig handelt es sich aber nicht um jene Reiter, die vorläufig nicht in Betracht kommen.«

»Natürlich, ich bin ihnen im Gegenteil Dank schuldig.«

»Den sie dir erlassen, und ich auch. Wir haben es also jetzt nur mit denen zu tun, die dort stehen.«

»Du bist dir also sicher, dass Weiße darunter sind?«

»Vollkommen.«

»Aber wie finden wir sie heraus?«

»Das wird Curumilla übernehmen.«

»Was du mir sagst, ist doch seltsam. Zu welchem Zwecke haben sie sich mit unseren Feinden verbündet?«

»Das werden wir bald erfahren.«

Sie setzten ihren Weg fort und hatten die Gefangenen bald erreicht.

Valentin gab Curumilla einen Wink. Der Häuptling kam herbei und unterwarf die Indianer einem nach dem andern einer strengen Prüfung, deren Ausgang der Graf und der Jäger gespannt erwarteten. Der araukanische Häuptling war kalt und finster wie gewöhnlich und kein Muskel seines Gesichtes bewegte sich.

Als sie sich so streng gemustert sahen, erschraken die Indianer unwillkürlich. Sie zitterten beim Anblick des Mannes, der stumm und unbewaffnet vor ihnen stand und dessen durchdringender Blick den Grund ihres Herzens zu erforschen schien.

Curumillas deutete mit dem Finger auf einen der Indianer.

»Einer!«, sagte er und ging weiter.

»Tretet heraus!«, sagte Valentin zu der Rothaut.

Dieser trat zur Seite.

Curumilla deutete auf neun Männer und kehrte dann zu seinen Freunden zurück.

»Ist es alles?«, fragte Valentin.

»Ja«, antwortete er.

»Entwaffnet jene Männer und fesselt sie«, befahl der Graf.

Es geschah.

Don Louis trat zu den Apachen.

»Meine Brüder können jetzt ihre Waffen aufheben und wieder auf ihre Pferde steigen«, sagte er. »Sie sind wackere Krieger, die Bleichgesichter erkennen ihren Mut an und achten sie. Meine Brüder werden in ihre Dörfer zurückkehren und den Ältesten und Weisen ihres Volkes sagen, dass die Weißen, welche sie besiegt haben, nicht so grausam sind wie die unbarmherzigen Yoris-Mexikaner, sondern wünschen, dass zwischen ihnen und den Apachen das Beil so tief vergraben werde, dass man es unter zehntausend Monden nicht wird wiederfinden können.«

Ein Indianer trat vor, verneigte sich würdevoll und sagte: »Starkherz ist ein gefürchteter Krieger. Er gleicht während des Kampfes dem Jaguar, verwandelt sich aber nach erfochtenem Sieg in eine Antilope. Die Worte, die sein Mund atmet, sind ihm vom großen Geiste eingegeben, der Wacondah liebt ihn. Mein Volk war durch die Yoris hintergangen worden, Starkherz ist großmütig, er hat verziehen. Künftig soll zwischen den Apachen und den Kriegern Starkherzens Frieden bestehen.«

Die Rothäute hatten ihrer Gewohnheit gemäß, mit dem poetischen Gefühl, das ihnen angeboren ist, Don Louis den Beinamen Starkherz gegeben.

Nach den Worten des Indianers, der ein angesehener Häuptling war und sich Weißer Bison nannte, verkehrten die Abenteurer und die Apachen freundschaftlich miteinander. Sie erhielten ihre Waffen und ihre Pferde zurück und die Reihen öffneten sich, um ihnen die Rückkehr zu ihrem Stamm zu gestatten.

Als sie im Wald verschwunden waren, ließ auch El Buitre seine Reiter herumschwenken und entfernte sich ebenfalls.

Don Louis wollte anfangs den Mitstreiter, der ihm im Kampf so wesentliche Dienste geleistet hatte, zurückhalten, aber Valentin ließ es nicht zu.

»Lass jene Männer gehen, Bruder«, sagte er, »du darfst scheinbar keine Beziehungen zu ihnen haben.«

Don Louis respektierte dies wortlos.

»Jetzt«, fuhr Valentin fort, »wollen wir beenden, was wir so gut begonnen haben.«

»So soll es sein«, antwortete der Graf.

Es wurde sofort Befehl gegeben, die Leichen zu begraben und die Verwundeten zu versorgen.

Die Franzosen hatten schwere Verluste erlitten. Zehn Mann waren getötet und ungefähr zwanzig verwundet.

Obgleich die Mehrzahl der Verletzungen nicht tödlich war, blieb es doch ein teuer erkaufter Sieg und eine ernste Warnung für die Zukunft.

Zwei Stunden später versammelte sich, beim Klange der Hörner, die Compagnie auf dem Marktplatz des Missionsdorfes. Don Louis, Valentin und drei Offiziere saßen in der Mitte des Platzes mit ernster Miene an einem Tisch, auf welchem verschiedene Papiere lagen.

Don Cornelio war an einem Nebentisch mit Schreiben beschäftigt.

Der Graf hatte seine Kameraden versammelt und unter seinem Vorsitz ein Kriegsgericht ernannt, um die Gefangenen abzuurteilen.

Don Louis erhob sich unter feierlichem Schweigen.

»Man führe die Gefangenen her«, sagte er.

Die von Curumilla aussortierten Männer traten, von einer Anzahl Abenteurer geführt, vor. Man hatte ihnen ihre Fesseln abgenommen. Sie trugen zwar noch die Kleidung der Apachen, doch hatte man sie genötigt, sich zu waschen, um die Kriegsbemalung, welche sie verstellte, zu entfernen.

Die Leute schienen weniger Reue zu empfinden, dass ihr Betrug entdeckt worden war, als sich zu schämen, auf solche Weise zur Schau gestellt zu werden.

»Bringt den letzten Gefangenen her«, befahl Don Louis.

Auf diesen Befehl sahen sich die Abenteurer verwundert an, denn die neun Mexikaner waren zugegen, und sie wussten nicht, was der Graf damit sagen wollte.

Nach einiger Zeit verwandelte sich ihr Erstaunen in Entrüstung und ein dumpfes Murren durchlief wie ein Lauffeuer ihre Reihen.

Oberst Flores war herangeführt worden. Er erschien unbewaffnet und mit entblößtem Haupt, seine Miene drückte aber Trotz und Keckheit aus und hatte einen unheimlichen Anflug von Spott, der ihm ein unbeschreiblich boshaftes Ansehen gab.

Curumilla begleitete ihn.

Der Graf winkte, worauf die Ruhe wieder eintrat.

»Was bedeutet dass?«, fragte der Oberst in hochmütigem Ton.

Don Louis fiel ihm ins Wort.

»Still!«, sagte er, indem er ihn durchdringend ansah.

Das Wesen des Grafen schüchterte den Oberst unwillkürlich ein und er schwieg errötend.

Don Louis fuhr fort:

»Meine Brüder und Kameraden! Wir sind durch die Umstände unglücklicherweise in eine besonders schwierige Lage geraten. Von allen Seiten umgibt uns Verrat. Man hat uns durch Lügen und Falschheit hier in die Wildnis gelockt, wo wir von aller Hilfe fern auf uns selbst angewiesen sind und nur auf unseren Mut rechnen dürfen, um uns zu retten. Gestern hat der General Don Sebastian Guerrero, da er des Erfolges der schändlichen Pläne gewiss zu sein glaubte, die er bereits seit langer Zeit gegen uns im Schilde führt, endlich die Maske fallen lassen. Er erklärt uns für geächtet und schmäht uns mit dem schändlichen Namen Räuber. Kaum zwei Stunden nach seinem Fortgang werden wir von den Indianern überfallen. Unsere Feinde hatten ihre Vorbereitungen so gut getroffen, dass wenig fehlte, um uns zubesiegen. Aber Gott wachte über uns und hat uns nochmals gerettet! Wollt Ihr jetzt wissen, wer der Mann war, der dem General als rechter Arm gedient und die schändlichen Betrügereien ersonnen hat, deren Opfer wir geworden sind?«

Gejohle wurde laut.

Der Mann,« fuhr er fort, indem er mit unaussprechlicher Verachtung auf den Oberst deutete, »ist derselbe Elende, der sich seit unserer Ankunft in Guaymas an unsere Sohlen geheftet und uns nicht wieder verlassen hat. Der sich das Ansehen gegeben hat, uns zu lieben und zu beschützen, um uns unsere Geheimnisse zu entreißen und uns in die Hände unserer Feinde zu liefern. Es ist derselbe Verworfene, den wir wie einen Bruder und fortwährend mit dem größten Respekt behandelt haben. Es ist jener Mensch dort, der sich den Titel eines Obersten anmaßt, und sich Francisco Flores nennt, was beides gelogen ist. Denn er ist ein namenloser Mestize mit dem Beinamen El Garrucholo, Ex-Leutnant El Buitres, des grausamen Räubers, der eine Truppe Solterdores befehligte, die bereits seit mehreren Jahren den nördlichen Teil Mexikos unsicher macht. Seht nur, wie er jetzt, wo er sich erkannt sieht, zittert. Er ist sich bewusst, dass die Stunde der Vergeltung für ihn geschlagen hat.«

Wirklich hatte der Räuber, als er sich vor aller Augen so schonungslos entlarvt sah, seine Keckheit verloren, und ein widriger Ausdruck von Furcht entstellte seine Züge.

»Solche Menschen«, fuhr der Graf fort, »scheut sich die Regierung nicht, gegen uns zu benutzen, und dabei nennen sie uns Räuber. Gut, wir wollen ihre Schmähung annehmen, Brüder, und die Räuber, welche in unsere Hände gefallen sind, nach einem straff geführten Verfahren richten, das bei Räubern gebräuchlich ist.«

Die Abenteurer nahmen die Worte ihres Anführers mit lautem Beifall auf. Alle erkannten die Wahrheit und Wichtigkeit seiner Rede an. In der bedenklichen Lage, in welcher sie sich befanden, durften sie keine Schwäche zeigen, und die Barmherzigkeit wäre nur verwerfliche Schwachheit gewesen. Nur Keckheit und Energie konnte sie retten, und sie mussten ihre Feinde so schrecken, dass sie sich dadurch genötigt sahen, mit ihnen zu verhandeln. Der Graf setzte sich wieder.

»Don Cornelio«, sagte er, »verlest die Anklagen, die gegen die Gefangenen vorliegen.«

Der Spanier las darauf eine lange Anklage, die durch mehre Briefe beglaubigt war, welche Don Francisco entweder geschrieben oder erhalten hatte und unter denen sich namentlich mehre vom General Guerrero befanden, die seine Schuld unwiderleglich darlegten. Zum Schluss berichtete Don Cornelio über die Gespräche, welche zwischen Don Francisco, El Buitre und dem Apachenhäuptling am Abend vorher stattgefunden hatten.

Die Abenteurer hörten sich die Aufzählung der vielen Verbrechen und Fälschereien mit der größten Ruhe und unter dem feierlichsten Schweigen an.

Als Don Cornelio geendet hatte, wandte sich der Graf dem Obersten zu.

»Erkennt Ihr die Wahrheit der gegen Euch erhobenen Anklagen an?«

Der Räuber richtete sich auf. Sein Entschluss war gefasst.

»Warum sollte ich leugnen«, sagte er, »es ist alles wahr.«

»Ihr gesteht also, dass Ihr uns vom ersten Augenblick an, seit Ihr in unserer Mitte ward, hintergangen habt?«

»Canarios!«, sagte er, spöttisch lächelnd, »Ihr irrt, Señor Condé, denn ich habe Euch schon verraten, als ich Euch noch nicht kannte.«

Bei diesem schamlosen Bekenntnis konnten die Anwesenden ihren Abscheu nicht verhehlen.

»Wundert Ihr Euch etwa darüber?«, fuhr der Räuber frech fort. »Und warum denn? Ich finde mein Benehmen sehr natürlich. Was seid Ihr für Fremdlinge uns Mexikanern gegenüber? Ihr seid Blutegel, die unser Land nur betraten, um uns das beste Blut auszusaugen, Euch an unseren Schätzen zu bereichern und unserer Anwesenheit zu spotten, unsere Sitten und Gebrauche lächerlich zu machen, und uns Eure Ansichten, das heißt, Eure europäische Zivilisation aufzuzwingen. Was fragen wir danach? Mit welchem Recht eignet Ihr Euch an, was uns teuer ist? Ihr seid Raubtiere, und alle Mittel sind gut, die dazu dienen, Euch zu vernichten. Am hellerlichten Tag sind wir nicht die Stärksten, dafür müssen wir die Nacht benutzen. Ehrlichkeit und Offenheit würden uns verderben. Wir suchen daher Zuflucht in Lüge und List. Wer von uns beiden hat recht, wer unrecht? Wer darf es sich erdreisten, zwischen uns zu richten? Niemand! Ich bin in Eure Hände gefallen, und Ihr werdet mich töten. Ich werde von Euch ermordet, aber nicht verurteilt sein. Denn Ihr habt nicht das Recht, Euch zu meinen Richtern zu erheben. Was wollt Ihr mehr? Handelt nach Eurem Belieben, es ist mir gleich. Wer den Wind sät, wird den Sturm ernten. Ich habe die Falschheit gesät und den Verrat geerntet, das ist nicht mehr wie billig. Ich werde sterben, obgleich Ihr nicht das Recht habt, mir das Leben, was ich verwirkt habe, zu nehmen. Ich wiederhole es: Euer Richterspruch bleibt ein Mord!«

Nachdem er gesprochen hatte, kreuzte er stolz die Arme über der Brust und blickte die Anwesenden mit kecker Miene an.

Die Abenteurer kamen nicht umhin, die wilde Entschlossenheit des Mannes zu bewundern, der bisher nur ein kriechendes und einschmeichelndes Benehmen gezeigt hatte und sich ihnen plötzlich unter so veränderter Gestalt gegenüberstellte. Indem er mit so rücksichtsloser Offenheit sprach, hatte sich der Räuber neues Ansehen erworben. Seine Falschheit erschien weniger verwerflich, und er flößte den tapferen Männern, bei welchen Mut und Entschlossenheit zu den vornehmsten Tugenden gehören, eine Art von Anteilnahme ein.

»Ihr wollt Euch also nicht verteidigen?«, fragte Don Louis traurig.

»Mich verteidigen?«, antwortete er verwundert, »weil ich meiner Pflicht gemäß gehandelt habe, und, wenn Ihr die Dummheit begeht, mich zu begnadigen, weiterhin so handeln werde? Was fällt Euch ein, Caballeros, das wäre ja der größte Unsinn! Wenn ich mich übrigens verteidigte, so würde ich Euch dadurch das Recht zugestehen, mich zu richten, welches ich im Gegenteil leugne. Also glaubt mir, macht dem lieber ein Ende, das wird für beide Teile das Beste sein.«

Der Graf stand auf, entblößte sein Haupt und wandte sich zu den Abenteurern mit folgenden Worten: »Brüder und Kameraden! Ich frage Euch auf Euer Gewissen und bei Eurer Ehre: Ist dieser Mann schuldig?«

»Ja!«, antworteten die Abenteurer in dumpfem Ton.

»Welche Strafe hat jener Mann verdient?«, fuhr der Graf fort.

»Den Tod!«, antworteten die Abenteurer.

Da wandte sich der Graf zu dem Obersten um sagte: »Don Francisco Flores oder El Garrucholo, Ihr seid zum Tode verurteilt.«

»Habt Dank«, antwortete er mit einer anmutigen Verbeugung.

»Aber«, fuhr der Graf fort, »da Ihr des Verrates überführt seid und daher den Tod der Verräter sterben müsst, nämlich von hinten erschossen zuwerden, sollt Ihr aus Rücksicht auf die mexikanische Uniform, die Ihr tragt und welche wir nicht in Eurer Person schänden wollen, zuvor degradiert werden.«

Der Räuber zuckte die Achseln. »Was kümmert es mich?«, sagte er.

Auf einen Wink des Grafen trat ein Unteroffizier aus den Reihen und vollzog die Degradierung.

El Garrucholo ertrug diese furchtbare Demütigung mit Fassung. Der Räuber hatte die Oberhand über den Caballero gewonnen, und da ihm wirklich, wie er es erklärt hatte, wenig daran lag, ob er degradiert werde, das heißt soviel, wie entehrt sei, lag ihm überhaupt an seiner Ehre nichts.

Als der Unteroffizier wieder in Reih und Glied getreten war, wandte sich der Graf zu dem Verurteilten und sagte: »Ihr habt zehn Minuten Zeit, um Eure Seele Gott zu empfehlen. Möge er Euch gnädig sein. Von den Menschen habt Ihr im Diesseits nichts mehr zu hoffen.«

Der Räuber schlug ein schallendes krampfartiges Gelächter auf. »Ihr seid verrückt!«, rief er aus. »Was habe ich mit Gott, wenn es ja einen solchen gibt, zu schaffen? Canarios! Ich habe ihm nichts zu bitten. Lieber kann ich mich dem Teufel empfehlen, in dessen Gewalt ich ja ohnehin komme, wenn die Mönche die Wahrheit sagen.«

Bei dieser entsetzlichen Gotteslästerung wandten sich die Abenteurer voll Abscheu ab.

El Garrucholo schien es nicht zu bemerken. »Ich habe nur eine einzige Gnade zu erbitten«, sagte er.

»Redet«, antwortete der Graf, der sich bemühte, seinen Widerwillen zu bezwingen.

»An meinem Halse trage ich ein kleines Futteral aus Samt an einem stählernen Kettchen. Es enthält eine heilige Reliquie, die mir meine Mutter gegeben hat, weil sie mir, wie sie sagte, Glück bringen würde. Ich habe diese von meiner Geburt an getragen. Ich wünsche, dass sie mir mit ins Grab gelegt wird. Vielleicht wird sie mir dort, wohin ich gehe, nützlich sein.«

»Es soll geschehen, wie Ihr wünscht«, antwortete der Graf.

»Ich danke!«, sagte er sehr zufrieden.

Es ist eine seltsame Eigentümlichkeit des mexikanischen Charakters, dass das Volk, obgleich es weder Glauben noch Religion hat, doch so leichtgläubig und abergläubisch ist. Es ist ein in der Kindheit stehendes Volk, das zu lange in der Sklaverei gelebt und zu plötzlich in Freiheit gesetzt worden ist und daher keine Zeit gehabt hat, weder zu vergessen noch zu lernen.

»Das Pique!«, befahl der Graf. Acht Mann, unter dem Befehl eines Unteroffiziers, traten aus den Reihen. Der Bandit drehte den Soldaten den Rücken zu und kniete nieder.

»Angelegt, Feuer!«

El Garrucholo fiel, von hinten erschossen, lautlos nieder, er war tot. Man warf ein Zarapé über seine Leiche.

»Jetzt«, sagte der Graf kaltblütig, »kommen die anderen Gefangenen an die Reihe!«

Man führte die neun Gefangenen an den Tisch, sie zitterten, denn das kurze Verfahren der Abenteurer erfüllte sie mit Schrecken.

Plötzlich erhob sich in geringer Entfernung ein großes Geräusch, begleitet von Geschrei und Verwünschungen. Zwei Frauen erschienen, sie ritten prächtige Pferde und jagten mit locker gelassenen Zügeln bis in die Mitte des Platzes, wo sie haltmachten.«

Die beiden Frauen waren Dona Angela und ihre Zofe Violanta.

Dona Angelas Haar war aufgelöst, ihr Gesicht war wahrscheinlich von dem schnellen Ritt erhitzt und ihre Augen sprühten Feuer.

Eine Weile blieb sie vor der Menge, die sie verwundert ansah, unbeweglich stehen. Plötzlich aber schien sie einen entscheidenden Entschluss zu fassen. Sie hob den Kopf und redete mit durchdringender Stimme die Abenteurer, welche ihre Schönheit und Unerschrockenheit mit Bewunderung erfüllte, folgendermaßen an:

»Hört, ich, Dona Angela Guerro, Tochter des Gouverneurs des Staates Sonora, erscheine hier, um gegen den Verrat, dessen Opfer Ihr seid und den mein Vater an Euch begeht, feierlichen Protest einzulegen, Don Louis, Anführer der französischen Räuber, ich liebe dich. Willst du mich zur Frau haben?«

Ein stürmischer Beifall nahm diese eigentümlichen Worte auf.

Don Louis trat langsam zu dem jungen Mädchen, als zöge ihn ihr Blick unwiderstehlich an und sagte: »Komm, wenn du dich nicht fürchtest, dich dem Unglück zu verbinden!«

Das junge Mädchen stieß einen wilden Freudenschrei aus, ließ die Zügel ihres Pferdes los und stürzte sich mit leidenschaftlicher Hast in die Arme des Grafen, der sie heftig an sein Herz drückte.

Nach einer Weile erhob er stolz den Kopf, hielt sie noch fest umschlungen und sagte, indem er sich mit herrschendem Blicke umsah: »Hier seht Ihr die Frau des Räuberhauptmanns, Brüder! Liebt sie wie eine Schwester, sie soll unser Schild und unser Schutzengel sein!«

Der Jubel der Abenteurer ließ sich nicht schildern, es war ein Taumel, ein wahrer Rausch. Der sonderbare Auftritt erschien wie ein Traum.

Der Graf wandte sich zu den Gefangenen, die ihr Urteil zitternd erwarteten.

»Geht!«, sagte er zu ihnen, »erzählt, was Ihr gesehen habt. Dona Angela begnadigt Euch.«

Die Gefangenen entfernten sich unter Danksagungen und Segenswünschen, denn nachdem, was sie gesehen hatten, hielten sich die armen Teufel für verloren.

Valentin trat zu dem jungen Mädchen. »Sie sind ein Engel«, sagte er mit leiser Stimme zu ihr, »werden Sie ausharren?«

»Ich bin sein, bis an das Grab«, antwortete sie mit fieberhafter Aufregung.

Eine Antwort auf Curumilla – Erstes Buch, Kapitel 6