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Der Welt-Detektiv Band 6

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Curumilla – Erstes Buch, Kapitel 1

Gustave Aimard
Curumilla
Eine Abenteuergeschichte aus dem Jahr 1861
Kapitel 1 – Die Zusammenkunft

Die Jesuiten hatten in Mexiko Missionsdörfer gegründet, um welche es ihnen, mit jener Barmherzigkeit und Standhaftigkeit, welche sie bisher stets ausgezeichnet hat, gelungen war, eine große Anzahl Indianer zu versammeln, denen sie die hauptsächlichsten und edelsten Lehren unserer Religion beibrachten, die sie tauften, unterrichteten und sie anleiteten, den Boden zu bebauen.

Jene Missionsdörfer, die anfangs unbedeutend waren und in weiten Entfernungen voneinander lagen, hatten sich allmählich ausgebreitet. Die Indianer fühlten sich durch die Sanftmut und Leutseligkeit der guten Väter angezogen und scharrten sich unter ihren Schutz. Ohne Zweifel hätten es die Jesuiten dahin gebracht, dass die Mehrzahl der wildesten und grausamsten Indios sich zu ihnen gesellt und sich den Ansprüchen der Zivilisation gefügt und ihr Nomadenleben aufgegeben hätten, wenn nicht die frommen Väter als Opfer der Eifersucht der spanischen Vizekönige, welche sie nicht nur schändlich ausplünderten, sondern auch aus Mexiko verbannten, hätten fallen müssen.

Wir führen den Leser, einen Monat nach den Ereignissen, die wir in einem früheren Werk berichtet haben, in eines jener Missionsdörfer.

Die Mission de Nuestra Senora de los Angeles war auf dem rechten Ufer des Rio San Pedro, ungefähr sechzig Meilen von Pitic errichtet worden.

Die Umgebung dieses Dorfes ist von unaussprechlicher Großartigkeit und Eigentümlichkeit. Die Gegend, welche sich dem Blicke eröffnet, ist von einer so wilden, rauen und imposanten Erhabenheit, dass sie das Herz des Betrachters zugleich mit Schrecken und sanfter Schwermut erfüllt. Steile, himmelhohe düstere Felsen neigen sich, gleich riesenhaften Mauerwerken, deren ungeheure, von tiefen Spalten und gähnenden Abgründen zerrissene Zinnen, auf eine gewaltsame Erderschütterung hinzudeuten scheinen, über das Wasser des Flusses. Inmitten jenes Felsenchaos voll Abgründen und schwindelnden Höhen liegt, am Fuße einer senkrechten, achtzig Klafter hohen Felsenwand, über welche der Fluss wild schäumend mit weithin tönendem Getöse in Gestalt eines breiten Wasserfalles herunterstürzt, in einem reizenden, mit frischem Grün bewachsenem Tal, verborgen und schüchtern, das Missionsdorf, welches von drei Seiten durch hohe Berge eingeschlossen wird, deren nebelhafte Höhen bis in die Wolken ragen.

Leider ist jener liebliche Ort, in dessen grüner Abgeschiedenheit ein Abglanz des verlorenen Eden zu leuchten schien, mit seinem heiteren Leben und stillen Frieden der Ort, von wo aus früh und abends die Töne der frommen Hymnen zugleich mit dem Brausen des Wasserfalles zum Allmächtigen emporstiegen, gegenwärtig ausgestorben und verödet. Die Hütten sind verfallen und verlassen, die Kirche fällt in Trümmer und auf dem Chor wächst das Gras. Die Mitglieder jener friedlichen, einfachen Gemeinde, sind vor den Verfolgern erschrocken in die Wildnis geflüchtet und zu jenem wilden Leben zurückgekehrt, aus welchem sie mit großer Mühe gerissen worden waren. Die Raubtiere hausen gegenwärtig im Tempel Gottes, und in den verödeten Häusern und dem verfallenen Gemäuer wird nur die Stimme der Einöde laut, und das Unkraut und die Schlinggewächse werden bald auch diese letzten Überreste vernichtet und mit einem grünen Leichentuch bedeckt haben.

Eines Abends, wo der Strom dumpf unter den Platanen rauschte und am wolkenlosen Himmel Tausende von Sternen, die ebenso viele Welten sind, glänzten, und der Mond sein mattes, geheimnisvolles Licht verbreitete, während ein kühler Wind die von tausend Wohlgerüchen angefüllte Luft erfrischte, saßen bei einbrechender Nacht drei Reisende an einem großen Feuer, das unter den Trümmern brannte und dessen wohltätige Wärme sie angenehm zu empfinden schienen.

Jene Reisende, auf deren charakteristische Züge das Feuer seinen unsicheren Schein warf, würden den Pinsel eines Malers, wie sie in ihrer seltsamen malerischen Tracht an ihrem Feuer in der Mitte jener großartigen und wilden Natur lagerten, einen würdigen Gegenstand zu einem schönen Gemälde geboten haben.

Im Hintergrund waren vier Pferde angepflockt und verzehrten eifrig ihre Mahlzeit, indessen ihre Reiter ihr einfaches Abendessen, das aus einem Stücke Wildbret, etlichen Tafeln Tasajo und Maistortillas und statt des Getränkes aus einer Mischung von Wasser und Resino bestand, einnahmen.

Die drei Männer waren der Graf Louis, Valentin und Don Carnelio.

Obgleich sie mit der Esslust und dem Eifer von echten Jägern aßen, konnte man doch unschwer wahrnehmen, dass sie sämtlich sehr ernst und nachdenklich gestimmt waren. Ihre Augen irrten rastlos umher und suchten die Dunkelheit zu durchdringen. Mitunter hielten sie, im Begriff, die Hand an den Mund zu führen, inne, suchten unwillkürlich mit der Linken nach der Büchse, die neben ihnen am Boden lag und lauschten mit vorgestrecktem Kopf aufmerksam auf jene tausend namenlosen Laute der amerikanischen Wildnis, welche sämtlich eine Ursache haben und für denjenigen, der sie zu deuten weiß, untrügerische Hinweise enthalten.

Die Mahlzeit wurde aber ohne Störung beendet.

Don Carnelio griff nach seiner Jarana, legte diese aber auf einen Wink Louis’ wieder hin, hüllte sich in sein Zarapé und streckte sich auf dem Boden aus.

Valentin war in tiefe Gedanken versunken, und Louis stand auf, lehnte sich an eine verfallene Mauer und schaute sich aufmerksam um.

Es verstrich eine ziemlich lange Zeit, ohne dass ein Wort gesprochen wurde.

Endlich kehrte Louis zu dem Jäger zurück, setzte sich neben ihn und sagte: »Es ist seltsam!«

»Was?«, antwortete Valentin zerstreut.

»Ich meine die lange Abwesenheit Curumillas! Er hat uns bereits seit drei Stunden verlassen, ohne uns einen Grund anzugeben und ist noch nicht zurückgekehrt.«

»Misstraust du ihm etwa?«, fragte der Jäger mit einiger Bitterkeit.

»Bruder«, versetzte Louis. »Du bist ungerecht. Nicht Misstrauen hege ich, sondern Besorgnis. Ich empfinde gleich dir, eine zu warme und aufrichtige Freundschaft für den Häuptling, um nicht irgendein Unglück zu befürchten.«

»Curumilla ist vorsichtig und mit den Schlichen der Indianer so vertraut wie keiner. Er hat auf jeden Fall wichtige Gründe, weshalb er nicht wiederkommt. Das kannst du sicher glauben.«

»Ich bin davon überzeugt. Aber der Aufenthalt, den uns sein Ausbleiben verursacht, kann uns zum Nachteil sein.«

»Wer weiß Bruder? Vielleicht hängt gerade unser Heil von dieser Abwesenheit ab. Glaube mir, Louis, ich kenne Curumilla weit besser als du, habe zu lange mit ihm gelebt, um nicht unbegrenztes Vertrauen zu ihm zu haben. Auch erwarte ich, wie du siehst, geduldig seine Rückkehr.«

»Wenn er aber in einen Hinterhalt gefallen oder gar getötet wäre?»

Valentin blickte seinen Milchbruder1 bedeutsam an, zuckte mit den Achseln und antwortete im Ton der größten Verachtung: »Er, in einen Hinterhalt fallen! Curumilla tot! Du scherzt, Bruder. Du weißt ja, dass es unmöglich ist.«

Louis musste auf diese Versicherung voll Zuversicht und unerschütterlichen Vertrauens nichts zu erwidern.

«Jedenfalls«, fuhr er nach einer Weile fort, »lässt er sehr auf sich warten.«

»Warum das? Bedürfen wir seiner in diesem Augenblick? Du denkst doch nicht daran das Lager zu verlassen, nicht wahr? Nun was liegt daran, ob er eine Stunde früher oder später kommt?«

Louis legte seinen Unmut an den Tag, hüllte sich in sein Zarapé und streckte sich neben Don Cornelio hin, indem er in mürrischem Tone sagte: »Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Bruder«, antwortete Valentin lächelnd.

Zehn Minuten später schlief Louis, trotz seiner Verstimmung, von Müdigkeit überwältigt, so fest, als sollte er nicht mehr aufwachen.

Valentin ließ noch eine Viertelstunde vergehen, ehe er sich bewegte. Dann stand er leise auf, schlich zu seinem Milchbruder hin, neigte sich über ihn und betrachtete ihn aufmerksam einige Minuten lang.

»Endlich!«, murmelte er, indem er sich aufrichtete, »schon fing ich an zu fürchten, dass er darauf bestehen würde, zu wachen und mir Gesellschaft zu leisten.«

Der Jäger steckte seine Pistolen, die er auf die Erde gelegt hatte, in den Gürtel, warf seine Büchse über die Schulter, und nachdem er behutsam über die Steine und Trümmer aller Art, die den Boden bedecken, gestiegen war, entfernte er sich rasch doch geräuschlos und war bald in der Dunkelheit verschwunden.

Er schritt ungefähr zehn Minuten auf diese Weise weiter, bis er ein Dickicht von peruanischen Palmen und Mosquitos erreicht hatte. Dort angekommen verbarg er sich hinter einem Busch, und nachdem er mit scharfem Blick die Umgegend durchspäht hatte, pfiff er dreimal verschieden leise.

Nach zwei bis drei Minuten ertönte der Schrei des Wassergeiers aus der Mitte der Platanen, welche die Ufer des Flusses einfassten, die kaum wenige Schritte von der Stelle entfernt waren, wo sich der Jäger befand.

»Gut!«, murmelte dieser, »unser Freund ist pünktlich. Aber die Weisheit der Völker besagt, dass die Vorsicht die Mutter der Sicherheit sei. Wir wollen daher behutsam sein, das kann solchen Schlingeln gegenüber niemals schaden.« Bei diesen Worten lud der Jäger seine Büchse.

Nachdem er diese Vorsichtsmaßregel getroffen, verließ er das Dickicht, in welchem er sich versteckt gehalten hatte, und trat dem Anschein nach mit Entschlossenheit hervor, versäumte aber keine Vorsicht, die ihn vor einem Hinterhalt bewahren konnte, indem er sich der Stelle näherte, von wo aus man seinen Ruf beantwortet hatte.

Als er ungefähr die Hälfte der Entfernung zurückgelegt hatte, kamen ihm vier bis fünf Männer entgegen.

»Oho!«, sagte der Jäger, »Achtung! Die Leute scheinen große Eile zu haben, mit mir zu reden.«

Er blieb stehen, legte seine Büchse an, zielte auf denjenigen, der ihm am nächsten stand, und sagte: »Halt! Oder ich schieße.«

»Capa de Dios! Ihr seid ungestüm, Caballero,« antwortete eine höhnische Stimme. »Ihr seid sehr unnahbar. Entladet aber Euer Gewehr, denn wir sind, wie Ihr seht, ohne Waffen.«

»Scheinbar wohl. Wer steht mir aber dafür, dass Ihr deren keine verborgenen bei Euch führt?”

»Meine Ehre, mein Herr!«, versetzte jener hochmütig. »Zweifelt Ihr etwa daran?«

Der Jäger schlug ein Hohngelächter an. »Des Nachts zweifle ich an allem, besonders wenn ich mich allein in der Wildnis sehe und vier Männer vor mir stehen, die, wie ich allen Grund habe zu glauben, nicht zu meinen besten Freunden gehören.«

»Nun, nun, mein Herr, Sie können immer ein wenig liebenswürdiger sein, wenn es beliebt.«

»Ich bin zufrieden, bringe Euch aber in Erinnerung, dass Ihr diese Zusammenkunft gewünscht habt, daher Ihr meine Bedingungen annehmen müsst, nicht ich die Eurigen.«

»Wie es beliebt, Don Valentin. Es geschehe nach Eurem Wunsche. Ich muss indessen sagen, dass ich Euch das erste Mal, wo wir miteinander zu tun hatten, zugänglicher gefunden habe.«

»Ich leugne es nicht. Kommt allein, so bin ich bereit mit Euch zu reden.«

Der Fremde befahl seinen Begleiter durch einen Wink da stehen zu bleiben, wo sie waren und kam allein näher.

»Dies lasse ich mir gefallen!«, sagte der Jäger, indem er seine Büchse entlud, worauf er den Kolben auf die Erde stützte und sich mit übereinander gekreuzten Händen darauf lehnte.

Der Mann, welchem Valentin so wenig Vertrauen, oder richtiger gesagt, so großes Misstrauen zeigte, war kein anderer, als der General Don Sebastian Guerrero.

»So, jetzt werdet Ihr wohl zufrieden sein, denn ich glaube, Euch einen großen Beweis von Nachgiebigkeit gegeben zu haben«, sagte der General näher tretend.

»Ihr habt höchst wahrscheinlich Eure guten Gründe dazu«, antwortete der Jäger in spöttischem Ton.

»Mein Herr!«, rief der General empört aus.

»Reden wir offen und unumwunden miteinander, wie es Leuten ziemt, die sich nach ihren wahren Werten zu schätzen wissen«, antwortete Valentin trocken. »Da ich weder ein Dummkopf noch ein eingebildeter Narr bin, so kann nur, ich wiederhole es, durch Offenheit, und zwar gegenseitige Offenheit, eine Verständigung herbeigeführt werden, wenn es überhaupt, was ich bezweifle, zwischen uns möglich ist.«

»Was mutmaßen Sie denn, mein Herr?«

»Ich mutmaße nichts, General, sondern behaupte ganz einfach, was ich weiß. Es ist doch gewiss nicht wahrscheinlich, dass ein hoch angestellter Mann wie Ihr, General, der Gouverneur von Sonora ist und was weiß ich sonst noch, sich herablassen wird, einen armen Teufel von einem Jäger, wie ich, um eine nächtliche Zusammenkunft inmitten der Wildnis zu bitten, wenn er sich nicht große Vorteile davon verspricht. Nur ein Dummkopf oder ein Narr würde das nicht auf den ersten Blick merken, und ich bin, Gott sei Dank, keins von beiden.«

»Gesetzt den Fall, dem wäre so, wie Ihr sagt.«

»Gut, ich bin zufrieden. Kommen wir also zur Sache«

»Hm! Das scheint mir mit Euch keineswegs leicht zu sein.«

»Warum denn! Die ersten Beziehungen, die wir miteinander hatten, und deren Ihr eben gedachten, müssen Euch doch bewiesen haben, dass ich in Geschäften ziemlich umgänglich bin.«

»Ganz recht. Der Vorschlag aber, den ich zu machen habe, ist etwas von heikler Natur und ich fürchte …«

»Was denn? Dass ich mich weigere? Ja, Ihr werdet wohl begreifen, dass Ihr Euch der Gefahr aussetzen müsst.«

»Nein, ich fürchte vielmehr, dass Ihr den eigentlichen Sinn meines Vorschlages nicht richtig auffasst und Euch daher erzürnt.«

»Meint Ihr? Das ist übrigens möglich. Soll ich Euch die Mühe ersparen, Euch dies zu erklären?«

»Wieso?«

»Hört mich an.«

Die beiden Männer standen sich von Angesicht gegenüber, und Valentin, der stets auf seiner Hut war, beobachtete verstohlen die drei bis vier Männer, die zurückgeblieben waren.

»Redet«, sagte der General.

»Ihr wollt mir ganz einfach vorschlagen, General, Euch meinen Freund zu verkaufen.«

Bei diesen, im scharfen Ton gesprochenen Worten konnte sich Don Sebastian nicht enthalten, seine Verwunderung an den Tag zu legen, indem er unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.

»Mein Herr!«

»Ist es wahr? Ja oder nein?«

»Ihr gebraucht Ausdrücke …«, stotterte der General.

»Die Ausdrücke tun nichts zur Sache. Jetzt, wo Ihr zu der Überzeugung gekommen seid, dass der Graf Louis nicht ein Bundesgenosse ist, von dem Ihr erwartet mit dessen Hilfe den Stuhl des Präsidenten einzunehmen hofft, es auch aufgegeben habt, ihn zu bekehren, wollt Ihr ihn gern los sein, das ist in Ordnung.«

»Mein Herr!«

»Lasst mich ausreden. Zu dem Zweck ist Euch nichts Besseres eingefallen, als ihn zu kaufen. Ihr seid übrigens mit solchen Angelegenheiten vertraut. Es befinden sich in meinen Händen die Beweise etlicher ähnlicher Verträge, die Euch alle Ehre machen.«

Der General war vor Schreck und Wut totenblass geworden. Er ballte die Fäuste, stampfte mit dem Fuß und murmelte einige zusammenhanglose Worte.

Der Jäger schien seine Heftigkeit nicht zu bemerken, sondern fuhr gelassen fort: »Ihr habt Euch freilich darin geirrt, dass Ihr Euch zu dem Zweck an mich wendet. Ich bin kein Mensch wie jener Hundekopf, mit welchen Ihr zu seiner Zeit einen vortrefflichen Handel abgeschlossen habt. Ich habe allerdings mit Vieh gehandelt, aber nie mit Menschenfleisch. Ein jeder besitzt seine eigenen Talente, und in diesem Punkte mache ich Euch die Eurigen nicht streitig.«

»Aber, mein Herr«, rief der General höchst entrüstet aus, »was wollen Sie damit sagen. Haben Sie meiner Aufforderung nur deshalb Folge geleistet, um mich zu beleidigen?«

Valentin zuckte die Achseln.

»Ihr seid weit entfernt, das zu denken«, sagte er, »denn es wäre gar zu albern. Nein, ich will Euch ein Geschäft vorschlagen«

»Ein Geschäft?«

»Oder einen Handel, wenn Euch das Wort besser zusagt.«

»Welchen Handel?«

»Ich werde mich in zwei Worten erklären. Ich habe gewisse Papiere in Händen, welche Euch, wenn sie bekannt würden und gewissen Personen zu Gesicht kämen, nicht nur Euer Vermögen, sondern auch Eure Stellung kosten würden, ja sogar Euer Leben.«

»Papiere?«, stotterte Don Sebastian.

»Ja, General. Es ist der Briefwechsel zwischen Euch und einem gewissen nordamerikanischen Diplomaten, in welchen Ihr Euch bereit erklärt, nicht nur Sonora, sondern auch zwei andere Staaten abzutreten, wenn die Vereinigten Staaten Euch die Mittel verschaffen, zur Präsidentschaft über die Republik Mexiko zu gelangen.«

»Jene Papiere sind in Eurem Besitz?«, fragte der General, sichtlich beklommen.

»Ja, ich besitze sowohl Eure Briefe als die Antworten Eures Korrespondenten.«

»Haben Sie diese bei sich?«

»Gewiss«, versetzte Valentin spöttisch.

»In dem Fall musst du sterben!«, rief der General aus, indem er sich wie ein Panther über den Jäger herstürzte.

Letzterer war aber auf der Hut. Mit einer Bewegung, welche so rasch als die seines Feindes unerwartet war, fasste er ihn bei der Gurgel, warf ihn unter sich zu Boden, setzte ihm den Fuß auf die Brust und sagte kaltblütig zu den Begleitern des Generals, die eifrig zu seinen Beistande herbeieilten: »Wenn Ihr einen Schritt näher kommt, ist er tot!«

Der General war ohne Zweifel ein tapferer Mann. Er hatte häufig unleugbare Beweise eines an Tollkühnheit grenzenden Mutes gegeben. Nun aber sah er eine solche Entschlossenheit in den düsteren Blicken des Jägers leuchten, dass er an allen Gliedern bebte, sich verloren gab, und sich fürchtete.

»Halt! Halt!«, rief er seinen Freunden mit erstickter Stimme entgegen.

Letztere gehorchten.

»Ich könnte Euch töten«, sagte Valentin, »denn Ihr seid vollständig in meiner Gewalt. Was kümmert mich aber Euer Leben oder Euer Tod, halte ich doch beides in meiner Hand. Steht auf! Achtet wohl auf eine letzte Warnung. Hütet Euch etwas gegen den Grafen zu unternehmen!«

Der General hatte sofort Gebrauch von der Aufforderung des Jägers gemacht und sich leicht benommen von seinem Sturz erhoben. Als er sich aber wieder frei bewegen konnte und festen Boden unter den Füßen fühlte, ging eine plötzliche Wandlung in seinem Inneren vor und sein Mut kehrte zurück.

»Jetzt hört auch mich an«, sagte er, »ich werde mich gegen Euch ebenso unumwunden und rücksichtslose aussprechen, wie Ihr es gegen mich getan habt. Zwischen uns beiden besteht fortan eine Todfeindschaft ohne Gnade und Barmherzigkeit. Und sollte es meinen Kopf kosten, so muss der Graf sterben, denn ich hasse ihn und bedarf seines Todes, um meine Rache zu befriedigend.«

»Gut«, antwortete Valentin gelassen.

»Ja«, erwiderte der General spöttisch, »geht nur, ich fürchte Euch nicht. Bedient Euch immerhin der Papiere, welche Ihr erwähnt habt. Es ist mir gleich, denn ich bin unantastbar.«

»Meint Ihr?«, antwortete der Jäger langsam und mit Betonung.

»Ich verachte Euch. Ihr seid nur ein Abenteurer und vermögt nichts gegen mich auszurichten.«

Valentin beugte sich zu ihm.

»Gegen Euch«, sagte er, »vermögen wir vielleicht nichts. Aber gegen Eure Tochter!«

Hierauf benutzte der Jäger die Bestürzung des Generals, den diese Worte mit Schrecken erfüllten, und eilte mit einem durchdringenden höhnischen Gelächter in das Dickicht, wo es unmöglich war, ihm zu folgen.

»Ach!«, murmelte der General nach einer Weile, indem er mit der Hand über seine feuchte Stirn strich, »ach! Der Satan! Meine Tochter hat er gesagt! … Meine Tochter!«

Er kehrte zu seinen Begleitern zurück und entfernte sich mit ihnen, ohne eine der an ihn gerichteten Fragen zu beantworten.

Fortsetzung folgt …

Show 1 footnote

  1. Männliche Person, die als Säugling zugleich mit einem von anderen Eltern stammenden Säugling von derselben Amme genährt wurde

Eine Antwort auf Curumilla – Erstes Buch, Kapitel 1