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Der verfluchte Berg

Der verfluchte Berg

Es war eine Taverne im Nirgendwo, wo sich verirrte Wanderer trafen, umherziehende Händler und verruchte Söldner, die auf der Reise nach einem neuen Auftraggeber einen Unterschlupf für die Nacht suchten.

Außerhalb der schmuddeligen Herberge tobte ein Sturm am heutigen Abend. Schon drei Tage hielt der Regen an, jetzt goss es wie aus Kübeln. Dicke Wolken wälzten sich am Himmel, Blitze zuckten am Horizont. Die kleinen Bäche und Flüsse waren angeschwollen und drohten das Land zu überschwemmen. Auf den wenigen Straßen plagten sich die Wagen durch den Schlamm, durch den die Pferde knöcheltief wateten.

Im Inneren der Herberge, wo sich die Straßen kreuzten und durch breites Wiesenland hindurch in die Städte des Ostens und des Südens führten, zechten Männer und Frauen gleichermaßen und verfluchten das Unwetter. Kasim, der dickleibige Wirt, zwar erfreut über die zahlreichen Gäste, fühlte sich aber fast überfordert, weil aus jeder Ecke jemand nach ihm schrie.

Unter der grölenden Menge saßen dicht an dicht Söldner und Soldaten aus verschiedenen Reichen, wenige Kaufleute und eine bedauernswerte Edeldame mit ihren Leibmägden, die sich den Tisch mit zwei schmutzigen, saufenden Männern teilen mussten, die keine Gelegenheit ausließen, die schüchternen Mägde mit schwieligen Händen zu begrapschen. Alle lauschten sie dem Gesang eines jungen Brythuniers, der wohl in keinem Königshaus Aufnahme gefunden hatte und versuchte, an diesem Ort die Gäste mit seiner kehligen Stimme zu unterhalten.

Einer der Männer kreischte nach einem Krug Bier und Kasim antwortete mit einer hastigen Geste, während er im nächsten Augenblick eine Grimasse zog und sich den Schweiß von der Stirn wischte. Ein anderer, ein Söldner aus dem Norden, warf dem Sänger zwei Kupferstücke zu. Nicht, um ihn für seine Lieder zu belohnen, sondern wohl eher, um ihn endlich zum Schweigen zu bringen. »Da hast du zwei Münzen, damit du dir etwas zu trinken leisten kannst. Vielleicht lässt du uns dann mit deinen musikalischen Kunststücken zufrieden«, sagte er dann, um seiner Geste Nachdruck zu verleihen.

Alle stimmten in Gelächter ein und der Junge tat einem fast leid, weil er sich mit traurigem Gesicht zurückzog.

Der spendable Söldner blickte sich um und erkannte einen jungen Mann, der in seiner feinen Kettenrüstung, dem sauberen Rock und scharlachroten Cape regelrecht vornehm gewandet war.

Alias war sein Name, ein Gesandter aus dem fernen Osia, der auf der Suche nach neuen Männern für die Armee des Reiches war.

»Dir auch ein Kupferstück, du vornehmer Pfau!«

Die Münze kullerte über den Steinfliesenboden, doch Alias nahm keine Anstalten, das Geldstück aufzuheben.

Der andere verzog das Gesicht und stand auf.

»Du bist wohl zu fein, um mit einem wie mir zu trinken, was?«

»Ich bezahle mir mein Bier grundsätzlich selber.«

Der hochgewachsene Söldner kam mit schweren Schritten auf den jungen Offizier zu. »Dort, wo ich herkomme, ist es eine Beleidigung, wenn man die Einladung auf einen Krug Bier ablehnt«, erklärte er und blies dem Gegenüber seinen sauren Atem ins Gesicht.

Dieser seufzte. Um eine Konfrontation zu vermeiden, machte er eine entschuldigende Geste und bückte sich langsam nach dem Kupferstück, doch der Söldner verdeckte die Münze mit seinen schmutzigen Stiefelansätzen.

»Jetzt will ich aber nicht mehr trinken, eingebildeter Pfau!«

Alias erhob sich wieder und sein Herz klopfte schneller. Er fühlte, dass ein Kampf mit dem gereizten Mann nicht mehr zu vermeiden war.

»Was sagst du jetzt?«

»Ich sage, du solltest dich zurück auf deinen Platz setzen.«

Der Angesprochene drehte sich nach seinen Gefährten um und meinte: »Habt ihr das gehört? Dieser Pfau glaubt doch tatsächlich, er könnte mir Befehle erteilen.«

Plötzlich wurde es in der Schenke ruhig. Jeder richtete die Augen auf die beiden Männer und wartete ab, was als Nächstes geschah. Selbst die beiden Kerle, die sich bisher nur für die Mägde der Edeldame interessierten, wandten sich ab und folgten dem Geschehen.

Alias ließ vorsichtig die Rechte zu seinem lederumwickelten Schwertgriff wandern.

Ein harter Schlag schmetterte in sein Gesicht, der ihm fast die Besinnung raubte. Der junge Offizier taumelte zurück, stolperte über einen Stuhl und krachte zu Boden.

Der Söldner warf den Kopf in den Nacken und lachte. Erstaunlich für seine Größe und Masse, zog er in blitzschneller Geschwindigkeit seine eigene Waffe und setzte die Schwertspitze an die Kehle von Alias an, bevor dieser reagieren konnte.

»Siehst du, wie schnell du mir ausgeliefert bist?«

Stille machte sich breit. Langsam ritzte die scharfe Spitze die Kehle des jungen Mannes auf. Wenige Blutstropfen quollen aus der kleinen Wunde.

»Ich denke, du hattest deinen Spaß«, sagte plötzlich jemand und alle folgten der weiblichen Stimme.

Hoch gewachsen war die junge Frau, die nicht viel mehr als zwanzig Sommer erlebt hatte, hellhäutig und mit weißblondem Haar, das in weichen Wellen auf die nackten Schultern fiel. Sie war, wenn auch nur knapp, gerüstet und mit einem prächtigen Schwert ausgestattet, das mit seiner Scheide von dem schmalen Gürtel baumelte. Sie trug ein Mieder aus blaugrauen Schuppenplättchen, das bis knapp unter den Busen reichte und einen kurzen Rock aus dem gleichen Material. Die Blicke der meisten Männer wanderten an den nackten, wohlgeformten Beinen herab, die in halbhohen, braunen Lederstiefeln endeten.

Der Söldner, der noch immer seine Klinge auf den hilflosen Alias gerichtet hatte, stieß ein krächzendes Lachen aus.

»Ich glaube, meinen Augen nicht zu trauen. Ein Weib mit einem Schwert, wie ein Krieger gekleidet. Eine Beleidigung für jeden Mann in diesem Raume bist du, Weib. Lege dein Schwert ab und zieh deinen knappen Fummel aus, dann könntest du vielleicht auch für eine Frau gehalten werden.«

Schon hatte sie die Waffe in der Rechten. So schnell, dass ihr kein Blick hatte folgen können.

»Zeige mal deinen Mut, wenn jemand die Klinge auf dich gerichtet hat, fettes Schwein!«

Die Spannung in dem kleinen Raum war kaum zu ertragen.

Der Söldner löste die Waffe von der Kehle Alias` und bemerkte: »Es wäre sehr schade, deinen ausgesprochen hübschen Kopf von den Schultern zu trennen. Du solltest also lieber sehr schnell verschwinden.«

Graziös und geschmeidig ließ sie das Schwert in der Hand kreisen und nahm Kampfhaltung an.

»Es wird dein Kopf sein, der gleich über den schmutzigen Boden rollt.«

Der Söldner knirschte mit den Zähnen. Dann begann der Kampf. Jeder sah gespannt zu, wie nach einem kurzen Nehmen und Geben der größere Mann erbarmungslos in die Ecke gedrängt wurde. Er stieß einen kurzen Schrei aus, als plötzlich seine linke Schulter aufgeschlitzt wurde. Ungläubig sah er auf die Schnittwunde, aus der roter Lebenssaft quoll. Der Mann verzog eine Grimasse und griff vehement an, musste aber schnell erkennen, dass er gegen die Gewandtheit der jungen Frau nichts ausrichten konnte. Schließlich fuhr die Schwertspitze der Gegnerin über seine Brust. Er krümmte sich, als auch schon ein schneller Hieb seinen Kopf von den Schultern trennte.

Ein Raunen machte sich breit.

Die Gefährten des Toten sprangen auf. Auch die übrigen Männer, welche die Schmach nicht ertragen konnten, dass ein Krieger von einer Frau getötet wurde, zogen ihre Waffen.

Kasim, der Wirt, versuchte verzweifelt zu schlichten. Dennoch entbrannte ein Kampf, in dem sich die junge Frau einer erbosten Übermacht gegenübersah. Bereits zwei Männer hatte sie in die Jenseitswelt geschickt, als endlich Bewegung in den jungen Alias kam und er in den Kampf zugunsten der Kriegerin eingriff.

Das Chaos wurde perfekt. Die Frauen kreischten so laut wie die getroffenen Kämpfer. Es sollte nicht lange dauern, bis sich die Leichen türmten, der Boden blutbesudelt und fast die ganze Einrichtung zerschmettert war.

Alias und die Kriegerin gingen als eindeutige Sieger hervor, ohne selber auch nur einen Kratzer davongetragen zu haben.

Kasim schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Bei allen Göttern, was habt ihr getan?«

Um ihre Großzügigkeit zu zeigen, warf ihm die blonde Kriegerin einen Geldbeutel zu.

»Es wird vielleicht nicht ganz für den Wiederaufbau reichen, doch es sollte dir helfen, einen Teil der Möbel zu ersetzen. Die Leichen kannst du selber vergraben.«

Dann reinigte sie ihre Klinge und warf sich einen braunen Fellmantel über.

»Wie ist dein Name?«, fragte Alias, der selber auch in seinen Geldbeutel griff, um den Wirt eine Entschädigung zu bezahlen. »Ich bin Jenna«, antwortete sie knapp und verschwand aus der Tür.

Der junge Offizier ließ seine Blicke durch den Schankraum wandern. Die Anwesenden starrten ihn stumm und mit schreckgeweiteten Augen an. Er verbeugte sich leicht vor der Edeldame und ihren Mägden und sagte: »Verzeiht, meine Damen, ich wünsche eine gute Nacht.«

Dann verschwand auch er.

***

Bei den Ställen holte er die Kriegerin ein.

Es regnete noch immer.

»Ich danke dir, dass du mir geholfen hast, doch du musst mir nicht folgen.«

Der andere schüttelte leicht den Kopf.

»Ich habe dir zu danken. Wenn du nicht gewesen wärst, läge ich jetzt mit durchbohrter Kehle dort drinnen.«

Mit einem Kopfnicken deutete er in die Richtung der Taverne.

Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen und sie schwang sich in ihren Sattel.

»Mein Weg führt über den Berg Ikuth in Richtung Westen.«

»Das ist auch mein Weg«, erklärte der andere.

Ob Alias wirklich diese Fährte beabsichtigte, oder ob er nur gewillt war, an ihrer Seite zu reisen, vermochte Jenna nicht genau zu deuten.

»Nun gut, dann lass uns gemeinsam ziehen. Doch solltest du dir falschen Hoffnungen machen, schlage sie dir gleich aus dem Kopf.«

Der junge Mann zeigte ein Kopfschütteln und lachte.

»Wenn ich sehe, wie du mit einem Mann verfährst, werde ich mich hüten, dir zu Nahe zu treten.«

Jetzt lachte auch Jenna.

»Ich verfahre nicht mit allen Männern gleich, mein Lieber. Doch pflege ich mir einen Mann nur dann zu nehmen, wenn ich seine Nähe begehre. Außerdem hast du mir noch nicht deinen Namen gesagt, Fremder.«

Alias stellte sich vor, tätschelte die Flanke seines braunen Hengstes und stieg mit einer raschen Bewegung auf den Rücken des Tieres.

»Ihr solltet nicht zum Berg Ikuth gehen«, vernahmen sie plötzlich eine Stimme. Der junge Sänger war es, der sich nun von seinem Strohlager trennte.

Vermutlich reichte sein Einkommen nicht, dass er sich ein Zimmer im Gasthaus leisten konnte, weshalb er es sich hier bei den Pferden bequem machte.

»Und warum nicht?«, fragte der junge Offizier aus Osia.

»Weil der Berg Ikuth verflucht ist. Niemand, der ihn betritt, verlässt ihn wieder lebend. Und nur ein Narr würde in der Nacht durch seine bewaldeten Hügel reisen.«

»Junge, ich für meinen Teil fürchte mich nicht vor Flüchen. Und so wie ich die Frau neben mir einschätze, fürchtet sie sich vor gar nichts.«

Alias warf dem anderen zwei Kupferstücke entgegen.

»Ihr werdet beide dort oben sterben«, sagte der Junge mit einer Bestimmtheit, dass es Alias jetzt doch kalt erschaudern ließ.

»Wir werden schon auf uns auspassen«, bemerkte Jenna und zerrte das Pferd an den Zügeln.

 

Der Ritt durch die regnerische Nacht war eine Qual und keiner sprach ein Wort. Sie nahmen den steilen, aufgeweichten Weg, der geradewegs über den Berg führte und an der anderen Seite ins Tal verlief. Oft rutschten die Pferde weg und ihren Reitern drohte die Gefahr, in einem unachtsamen Moment aus dem Sattel zu kippen.

»Dort oben können wir Unterschlupf finden«, rief Jenna plötzlich und fuhr sich mit der Hand durch das klatschnasse Haar.

So sehr sich ihr Gefährte auch anstrengte, konnte Alias nichts außer den dichten Bäumen in der Dunkelheit erkennen.

Die junge Frau deutete mit dem lang gestreckten Finger in Richtung Westen und sprach: »Ich erkenne die Ruine eines Gebäudes, vermutlich ein alter Tempel, wo wir den Rest der Nacht verbringen können«

Alias, der sich in diesem Augenblick selber schalte, weil er sich gegen eine sichere Übernachtung in der Taverne entschied, blickte angestrengt in die angewiesene Richtung, konnte aber nur mit viel Fantasie die schwachen Konturen eines Gemäuers in der regnerischen Düsternis erkennen.

Die junge Frau an seiner Seite musste die Augen eines Falken haben!

Tatsächlich war es ein alter, zerfallener Tempel, dessen Mauern geborsten waren und die Überdachung nur an wenigen Stellen standgehalten hatte. Es war mühsam, aus dem nassen Holz ein Feuer zu entfachen, doch nach einiger Zeit hatten die beiden Reisenden nicht nur einen trockenen Platz, sondern konnten sich auch an den knisternden Flammen wärmen.

»Was treibt dich eigentlich in diese ungastliche Gegend?«, fragte Jenna den jungen Offizier nach einigen, schweigsamen Momenten.

»Ich handele im Auftrag des Königs. Ich bin auf der Suche nach guten Männern, die wir als Soldaten ausbilden können.«

»Dazu musst du so weit reisen, Mann aus Osia?«

Ein kurzes Achselzucken folgte.

»Unsere Armee ist schwach und die Männer aus dem Volk können zwar mit Harken und Mistgabeln umgehen, aber es ist vergebene Liebesmüh, ihnen zu lehren, wie ein Mann eine Waffe führt. Wir können den Göttern danken, dass unser Land mit keinem benachbarten Königreich in eine Fehde verwickelt ist. Einen Krieg würden wir nicht lange überleben.«

Jennas Lippen umspielten ein Lächeln.

»Wenn du mit allen Männern das Gleiche tust wie in der Herberge, wirst du in drei Jahren noch keinen angeworben haben.«

Jetzt lachten beide.

»Aber dafür habe ich dich gefunden«, erklärte Alias dann und musterte seine Begleiterin vorsichtig.

»Du kannst gerne an meiner Seite reisen, doch niemals werde mit dir in dein Königreich zurückkehren, um als Soldat in deiner Armee zu dienen.«

Hastig erhob sich die junge Frau und nahm ein brennendes Scheit aus dem Feuer. »Was hast du vor?«, fragte Alias und folgte ihr mit seinen Augen.

»Ich möchte mich gerne erst an diesem seltsamen Ort umsehen, bevor ich mich am Boden ausstrecke und die Augen schließe.«

Der andere zog eine Grimasse, erwiderte aber nichts. Schließlich tat er seiner schönen Begleiterin gleich und ging ihr nach. Sie kletterten über die glitschigen Gesteinsbrocken einer eingestürzten Wand und gelangten in den hinteren Teil des Tempels, der noch unversehrt zu sein schien. Durch eine schmale Öffnung, in der vor Ewigkeiten eine Tür eingebracht gewesen sein mochte, kamen sie in eine abgeschlossene Halle, deren schwarze, fensterlose Wände dem Zahn der Zeit standgehalten hatten. Beide leuchteten mit ihren Fackeln über sich, doch auch die Überdachung über dem morschen Balkenwerk war unversehrt.

»Wo sind wir hier?«

Alias rümpfte die Nase. Die abgestandene Luft wurde von modrigem Fäulnisgestank geschwängert.

Etwas krachte und knirschte unter ihren Füßen, als sie sich weiter vorwärts bewegten. Gleichzeitig schwenkten sie die Fackeln über den Boden.

Nackte Schädel glotzten sie an. Vollständige Skelette, die noch in zerfallene Kleider gehüllt waren, lagen genauso da, wie zerschmetterte, durcheinander liegende Gliedmaße.

»Bei den Göttern, was ist das hier?«, wisperte der junge Mann, während Jenna in die Hocke ging und dünne Stofffetzen um das brennende Scheit wickelte, damit die Flamme nicht erlosch.

»Vielleicht eine Opferhalle«, antwortete sie und sah sich weiter um. Am anderen Ende des Raumes erkannte sie ein längliches Gebilde. Vorsichtig näherte sie sich und stellte fest, dass es sich dabei um einen Sarkophag handelte.

»Sieh dir das an!«

Alias trat an ihre Seite, als sie langsam mit der Hand über die staubige Deckenplatte strich.

»Wer mag sich wohl dort drinnen befinden?«, fragte sie. »Ich bin nicht gewillt, es unbedingt herauszufinden«, meinte er.

Alias spürte, wie er am ganzen Leib zitterte.

»Hast du Angst, Offizier der königlichen Armee von Osia?«, bemerkte die junge Frau provokant, als sie seine Aufregung bemerkte.

»Ich gebe zu, dass ich ein sehr ungutes Gefühl habe.«

»Für einen Mann, der noch vor Stunden beteuerte, sich nichts aus Flüchen zu machen, zittern dir beharrlich die Knie. Das ist nur eine Grabkammer. Die Knochen in diesem Sarg modern sicher schon tausend Jahre vor sich hin.«

Plötzlich vernahmen sie Geräusche. Ein leises Wispern und Tuscheln drang in ihre Ohren. Es schien aus dem geschlossenen Sarkophag zu kommen.

Beide verharrten kurz in Regungslosigkeit.

»Was tust du dort?«, keuchte Alias und ließ die Rechte an den Schwertgriff wandern, als Jenna langsam die Steinplatte wegzuschieben versuchte.

»Ich möchte gerne wissen, wer sich so vehement wehrt, in der Jenseitswelt zu bleiben.«

Alias deutete auf die skelettierten Leichname und meinte: »Das haben die vermutlich auch herauszufinden versucht. Sieh, was aus ihnen wurde!«

Dann krachte es, grelle Blitze zuckten und verwandelten die unheimliche Düsternis in gleißende Helligkeit. Der Gestank von Schwefel machte sich breit, beißender Rauch wirbelte umher.

Eine Kreatur, geboren aus dem Feuer der Hölle, entstand wie aus dem Nichts und ließ sich von ungläubigen Blicken mustern.

Das nackte Wesen schien geschlechtslos und hatte die Statur eines kräftigen Mannes. Jedoch glich das Gesicht einer verzerrten Dämonenfratze. Zwei gebogene Hörner wuchsen aus der Stirn, die Augen glühten und aus den breiten Nüstern stieß dunkler Qualm. Das Wesen öffnete das Maul und zeigte ein Gebiss mit Reißzähnen, das jede Raubkatze vor Neid erblassen würde. Der rechte Arm, dicker als ein Männerschenkel, hielt ein gebogenes Schwert und die Beine, die unterhalb des Knies in haarigen Pferdehufen endeten, schwebten über dem Boden.

Mann und Frau zogen die Schwerter.

Das Wesen warf den schweren Kopf in den Nacken und stieß krächzendes Gelächter aus.

»Ihr dummen Menschen, habt ihr in tausend Jahren noch immer nichts dazu gelernt? Glaubt ihr tatsächlich, eure Waffen könnten mich verletzen?«

Jenna knirschte mit den Zähnen und sprang vor.

»Wollen wir es herausfinden?«

In einer Situation, wo so mancher Krieger vor Grauen die Flucht ergreifen würde, zeigte die junge Frau grimmige Entschlossenheit und stellte sich der widernatürlichen Herausforderung. In geschmeidiger Gewandtheit tänzelte sie um den Feind herum und ließ ihr Schwert geschickt durch die Luft wirbeln. Sie parierte jeden Hieb des Gegners. Krachend trafen die Klingen aufeinander.

»Du zeigst wahrlich Mut, Menschenfrau.«

Die Kreatur ließ die schwere Waffe kreisen, Jenna tauchte ab und stieß augenblicklich in den massigen Leib.

Das Wesen lachte nur.

Die blonde Kriegerin zog das Schwert zurück und blickte ungläubig auf die Schneide, die unversehrt war und an der kein Tropfen Blut haftete.

Der dämonische Gegner holte weit aus und schlug zu. Jenna sprang zur Seite, gleichzeitig eilte Alias herbei und parierte den Hieb.

»Was ist das für ein Zauber? Die Waffen schlagen aufeinander, doch den Körper vermögen unsere Klingen nicht zu verletzen.«

Jenna rollte sich am Boden ab und schlug erneut zu, während ihr Gefährte den Feind beschäftigte. Die Klinge, die eigentlich das mächtige Bein durchtrennen sollte, traf jedoch keinen Widerstand und schnitt nur durch die Luft.

Alias überschätzte inzwischen seine Fähigkeiten. Anstatt sich zurückzuziehen, hielt er weiter vergeblich stand. Die gebogene Klinge des übermächtigen Gegners sauste herab und spaltete den Mann vom Schädel bis zum Unterleib. Jenna zog eine Grimasse, als sie beobachtete, wie die beiden Körperhälften auseinanderklappten. Blut und Gedärm klatschten schleimig auf den Boden.

»Dämon aus den Tiefen der Hölle, warum stirbst du nicht?«, schrie sie vehement.

Mit einer schnellen Bewegung kam sie hinter ihn und rammte die Klinge in seinen Unterrücken. Wieder zog sie sich resigniert zurück. Der massige Körper des Wesens beschrieb eine Drehung, doch erneut wich die junge Frau dem Angriff aus. Wieder und wieder parierte sie die Hiebe, duckte sich, tänzelte von rechts nach links. Plötzlich kam sie ins Stolpern und krachte hart gegen den Sarkophag. Der schwere Deckel, bereits halb geöffnet, rutschte weiter und polterte an der anderen Seite auf den Steinfliesenboden. Der Höllendämon glaubte seinen Sieg sicher, doch erneut wehrte die junge Frau seinen Angriff ab. Jenna sprang geschmeidig wie eine Dschungelkatze über den Sarkophag und ging in Deckung. Kurz erhaschte sie einen Blick auf das Innere, wo eine spindeldürre, nackte Gestalt mit überkreuzten Armen lag. Schwarze Pergamenthaut war über das hagere Gesicht gespannt.

»Du zeigst großen Mut und Tapferkeit, Menschenfrau«, meinte die Kreatur anerkennend und ließ den Schwertarm sinken.

»Du sollst erfahren, was sich vor über tausend Jahren zugetragen hat.«

Argwöhnisch musterte die junge Frau ihr Gegenüber. Das Schwert in der Hand, jederzeit zum Handeln bereit, lauschte sie seinen Worten.

»Der, der vor dir in seinem Grab schlummert, hörte einst auf den Namen Akosh. Er beherrschte die Schwarze Magie. Er war zu seiner Zeit der mächtigste Zauberer auf der bekannten Welt. Könige zitterten gleichermaßen beim Klang seines Namens, wie die tapfersten Krieger in ihren Rüstungen und die ärmsten Bauersleute auf ihren Feldern. Dennoch gab es jene, die ihm zu trotzen versuchten. Einer Gruppe von Weißen Magiern gelang es tatsächlich, den übermächtigen Akosh zu bändigen. In einer grausamen Schlacht, wo die tapfersten Männer sämtlicher Reiche gegen die Dämonenschar kämpfte, welche Akosh erweckte, wurde die Schwarze Magie von der vereinten Kraft der Weißen Magie geschlagen. Das Dämonenheer wurde vernichtet. Akosh fiel unter Prinz Unthil dem Tapferen. Seine Gebeine wurden in diesem Tempel bestattet. Die Totenhalle wurde mit magischen Runen versehen, damit sich Akosh nicht mehr erwecken konnte. Doch in der Stunde seines Todes gelang es ihm mich, Shalandros, zu beschwören. Seit dieser Zeit wache ich über sein Grab. Die, die sich hierher verirren, fallen unter meinem Schwert. Ihr Lebensgeist fährt nach ihrem Ableben in die verrotteten Gebeine meines Herren, auf dass Akosh, wenn er genügend Seelen in sich aufgenommen hat, auferstehen kann. Bald wird es soweit sein. Sein Körper und auch sein Geist regenerieren sich mehr und mehr. Nicht mehr lange wird es dauern, bis er erwacht.«

Der Dämon Shalandros verstummte und richtete das Schwert auf die junge Frau. Jenna sah ihr Ende bereits kommen. Sie wusste nicht, wie lange sie sich noch wehren konnte. Ohne weitere Worte ließ die massige Kreatur die Waffe sausen.

War es ein Wink der Götter, dass ihr Blick auf den vergoldeten Dolch fiel, den der mumifizierte Körper in den knorrigen Händen trug?

Aus einem Impuls heraus nahm sie den schmalen Dolch an sich. Nach kurzen Attacken landete sie mit der neuen Waffe einen Treffer. Tief schnitt sie durch den Leib der Kreatur und hinterließ eine klaffende Wunde, aus der stinkendes, schwarzes Blut quoll.

Der Dämon blickte ungläubig an sich herab.

Waren es die weißen Magier, welche den verzauberten Dolch dem Leichnam beigelegt hatten, der gegen die Macht des Bösen immun war? Hatten sie ihrem Sieg misstraut? War die Klinge für diesen Krieger aufbewahrt, der dem schauerlichen Treiben endlich ein Ende bereiten sollte?

Jenna vermochte es nicht zu sagen.

Jedenfalls focht sie mit neuem Mut gegen den übernatürlichen Feind. Und sie drängte den Verletzten zurück. Schließlich, nach einem meisterhaften Sprung, trieb sie den Dolch bis zum Heft in die Kehle Shalandros`. Der Höllendämon sackte zu Boden. Er schrie und kreischte, während sich seine Gestalt auflöste. Beißender Qualm stieg auf, als das Fleisch von den Knochen fiel, die ihm nächsten Augenblick zerbarsten und sich in Staub auflösten.

Es war vorbei.

Mit dem Tod des Unheimlichen verschwand auch das geheimnisvolle Licht. Die Halle wurde in absolute Dunkelheit gehüllt.

Jenna tastete sich hinaus. Erst jetzt dachte sie leicht melancholisch über den grausamen Tod ihres Begleiters nach.

Alias von Osia, der das letzte Opfer von Akosh und Shalandros geworden war.

Sie kehrte zu ihrem Lager zurück, wo nur noch kleine Flämmchen in der Feuerstelle züngelten. Sie raffte ihre Sachen auf und beschloss, den Ort des Grauens augenblicklich zu verlassen.

Tatsächlich hatte es aufgehört zu regnen.

Sanft tätschelte sie die Flanke ihres Hengstes und flüsterte ihm leise Worte zu. Dann warf sie sich ihren Mantel über, schwang sich in den Sattel und zog Alias` Pferd neben sich her.

***

Während die junge Frau durch die Nacht ritt, begann der mumifizierte Leib in dem Sarkophag zu zerfallen.

Mit dem Tod seines Wächters war auch die letzte Zauberkraft in den Gebeinen verloren.

Und so wurden die Überreste von Akosh zu Staub.

(ag)