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Der Welt-Detektiv Band 6

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Verspäteter Besuch

Verspäteter Besuch

Er warf einen Blick auf den Wecker. Kurz vor sieben Uhr. Wieder zu früh wach geworden …
Du brauchst anscheinend immer weniger Schlaf, dachte er. Rake Willowby überlegte, ob er den Wecker abstellen und aufstehen sollte oder … Wenn du jetzt liegen bleibst, zählst du doch nur die Minuten, bis das Mistding endlich klingelt!
Die Hand mit den dürren Fingern fuhr auf den Wecker nieder und stellte ihn ab. Er brauchte zwei Anläufe, um sich aufsetzen zu können. Seine alten Gelenke knackten mit dem Bett um die Wette.
Er schlurfte in Richtung Badezimmer. Als er im Flur am großen Wandspiegel vorbeikam, blieb er stehen. Die Vorhänge an den Fenstern waren noch verschlossen, draußen war es eh noch dunkel. Deshalb schaltete er die schwache Lampe ein, deren staubiger Glaskegel noch mehr Licht schluckte. Doch das trübe Scheinen der Glühbirne reichte aus, um ihn einen Blick in den Spiegel werfen zu lassen. Am liebsten hätte er das Licht bei seinem Anblick sofort wieder ausgeschaltet.
»Du wirst alt, Willowby«, sagte er zu seinem Spiegelbild, das ihn höhnisch anzugrinsen schien. Doch es blieb stumm und so antwortete er sich selbst in Gedanken: Du bist schon alt und nicht erst seit gestern.
Plötzlich schellte es an der Tür. Um sieben Uhr morgens? Wer konnte das sein? Er ging die wenigen Schritte bis zur Treppe, die nach unten in sein Ladenlokal führte, und blieb an der obersten Stufe stehen. Nach einem kurzen Moment klingelte es wieder. Seine Hoffnung, der ungebetene Gast würde wieder verschwinden, wurde mit diesem Geräusch zerschlagen.
»Warum mach ich das überhaupt noch? Warum gebe ich in meinem Alter nicht endlich das Antiquariat auf?«, sprach Rake zu sich selbst, nur um sich danach an den Unbekannten unten vor der Tür zu wenden.
»Es ist noch geschlossen!«, rief er.
Als Antwort erhielt er ein energisches Klopfen.
»Niemand in meinem Alter arbeitet noch«, murmelte er wieder.
»Beeil dich, Alter!«
Eine Stimme schien plötzlich in ihm zu sein. Genauso drängend wie das Klopfen an der Tür. Rake zögerte kurz, dann strich er sich die zu langen weißen Haare aus der Stirn und ging, wieder mit knackenden Kniegelenken und sich am Handlauf festhaltend, mit langsamen Schritten die Treppe hinab.
»Ich komme ja schon, ich komme ja schon … heutzutage hat auch niemand mehr Zeit.«
Dass er noch seine Schlafsachen trug, war ihm jetzt völlig egal. Er wollte den Besucher abwimmeln und sich dann erst fertigmachen.
»Schneller, Alter!«
Wieder diese seltsame Stimme, die direkt in seinem Kopf aufzuklingen schien. Aber das war ja Unsinn, er musste sie durch die Tür gehört haben. Wahrscheinlich war er einfach noch etwas müde.
Der Schlüssel der Ladentür steckte von innen. Er drehte ihn um und gänzlich gegen seine Gewohnheit, ohne einen Blick durch den Türspion geworfen zu haben. Dann zog er die Tür auf.
»Sie wünschen?«, fragte er seinen Besucher. Der Mann … oder war es eine Frau? Rake konnte es nicht auf Anhieb erkennen. Sein morgendlicher Besucher trug eine Art Mantel aus dunklem, schwerem Stoff. Eine Kapuze war tief ins Gesicht gezogen worden. Zusammen mit der draußen herrschenden Dunkelheit machte sie es Rake unmöglich etwas zu erkennen.
»Ich brauche eine Uhr. Eine bestimmte Uhr und es ist dringend.«
Die Stimme! Es war die Stimme, die in seinem Kopf gewesen war.
»Hören Sie, es ist noch geschlossen. Kommen Sie in zwei Stunden wieder.«
Eigentlich wollte Rake die Tür schließen, aber etwas hielt ihn davon ab.
»Zwei Stunden sind zu spät, ich sagte Ihnen doch, dass es dringend ist.«
Wieder diese seltsame Stimme, sie klang uralt, aber fest und als sei sie es gewohnt, dass man ihren Anweisungen Folge leisten würde. Noch einmal versuchte Rake Widerstand aufzubauen.
»Was für eine bestimmte Uhr suchen Sie überhaupt? Ich führe kein Uhrengeschäft, sondern ein Antiquariat. Wahrscheinlich habe ich außer ein paar uralten Standuhren gar nichts hier.«
»Es ist keine Standuhr.«
»Dann habe ich vielleicht noch Taschenuhren.«
»Es ist auch keine Taschenuhr.«
»Dann finden Sie hier nicht, was Sie suchen.«
»Doch.«
Wieder diese Gewissheit in der Stimme.
»Woher wollen Sie das wissen?«
Langsam wurde Rake ungehalten.
»Weil ich die Uhr hier vergessen habe.«
Der alte Händler versuchte sich seinen Besucher nun genauer anzusehen, doch noch immer war es zu dunkel und der Gast hatte sich nicht die Höflichkeit gemacht, seine Kapuze wenigstens aus der Stirn zu ziehen.
»Ehrlich gesagt, das glaube ich nicht. Ihr ganzer Auftritt kommt mir doch eher seltsam vor. Wenn Sie die Uhr hier vergessen haben wollen, dann hätten Sie ja als Kunde in meinem Geschäft gewesen sein müssen. Und das waren Sie nicht. Ich merke mir jeden Besucher und kenne die meisten seit Jahren. Ich bin zwar alt, aber so alt auch wieder nicht.«
»Sie sind nicht nur alt, sie sind sogar schon zu alt.«
Rake schnappte nach Luft. Das reichte! Das musste er sich nicht gefallen lassen. Dabei vergaß er völlig, dass er sich vor wenigen Minuten selbst noch als zu alt für den Job gehalten hatte. Er wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als ihn der Besucher am Arm fasste und in Richtung Tür schob. Die Berührung war sanft, was zärtlich, aber er hatte keine Chance sich dagegen aufzulehnen. Der Griff der Finger löste sich erst, als sein Besucher ihn vollständig hineinbefördert und die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Mr. Willowby«, setzte er nun zu einer Erklärung an, »es tut mir ja leid, dass ich einen solchen Auftritt hinlegen muss, aber es gibt Gründe, die keinen Aufschub dulden. Ich hoffe, Sie verstehen das. Und nun helfen Sie mir bitte, meine Uhr zu finden.«
Nachdem er den Satz beendet hatte, drehte er sich um und schritt zwischen die hohen Regale. Licht schien er nicht zu benötigen, und ob Rake ihm folgte, schien ihm völlig egal zu sein. Dieser schaltete erst einmal das auch hier recht trübe Licht ein, damit er etwas erkennen konnte.
Aber sonst wusste Rake Willowby nicht, was er machen sollte. Die Polizei rufen? Schließlich schien das ein Irrer zu sein. Aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Weglaufen? In seinem Alter wohl eher keine Alternative.
»Weglaufen? Vor mir kann man nicht weglaufen, Mr. Willowby.«
Hatte er wieder Selbstgespräche geführt? Eine Angewohnheit, die er sich nach dem Tod seiner Frau leider angewöhnt hatte und nicht mehr ablegen konnte.
»Ach ja, ihre Frau. Ich erinnere mich noch an sie.«
»Bitte? Woher wollen Sie meine Frau gekannt haben? Ich kenne ja nicht mal Sie.«
»Es war auch eher eine flüchtige Bekanntschaft. Wann ist sie noch mal gestorben? Warten Sie, sagen sie nichts.«
Mit der rechten Hand griff der namenlose Besucher unter seinen Mantel und zog ein dünnes Buch hervor. Mehr als zwanzig Seiten konnte es nicht enthalten zwischen den beiden dunklen Ledereinbänden. Doch der Gast blätterte und blätterte, schlug Seite um Seite um, ohne dass dabei jedoch eine der beiden Hälften dicker wurde.
»Aber … wie … wie machen sie das?«, stotterte Rake und trat näher heran.
»Einen kleinen Augenblick Geduld bitte noch. Nun, darauf kommt es nun eh nicht mehr an und ohne meine Uhr können wir auch nicht weiterarbeiten. Es wird halt doch langsam viel in meinem Buch.«
»Es hat doch kaum zwanzig Seiten.«
»Und doch hat es Millionen Namen, Mr. Willowby.«
Rake versuchte einen Blick in das Buch zu werfen, aber der Unbekannte blätterte so schnell, dass er außer verschwommen Buchstaben und Zahlen nichts erkennen konnte.
»Hier steht es ja. Rose Willowby, abzuholen am letzten Montag im November 1995. Ist es doch schon so lange her? Tja, die Zeit vergeht für jeden. Nur im Moment halt nicht.«
»Abzuholen?«, flüsterte Rake.
»Ja, das sagte ich doch eben.«
Mit einem Schlag kamen all die Erinnerungen hoch. Rose, seine Frau. Er hatte Zeit gehabt, sich auf ihren Tod vorzubereiten. Die Diagnose Krebs war schon lange bekannt. Aber die Ärzte hatten ihr eigentlich noch etwas mehr Zeit eingeräumt, darum war ihr Tod ihm an eben jenem Montag im November 1995 so plötzlich vorgekommen.
»Ich war gerade in der Nähe und dachte, dann könnte ich sie auch gleich abholen. Zwei Fliegen mit einer Klappe, sie verstehen. Ich hoffe, sie verzeihen mir diese leichte Voreiligkeit. Und Krebs … nun ja, irgendeinen Grund muss ich den Menschen ja geben. Aber im Grunde geht es nur darum, dass ich meine Arbeit erledige, dafür brauche ich keinen Genehmigungsschein. Wollen Sie das ursprünglich geplante Todesdatum ihrer Frau wissen? Schauen Sie hier.«
Mit einem unglaublich dünnen Finger, dürrer noch als seine eigenen, die schon fast an Spinnenbeine erinnerten, wies der Mann im Mantel auf einen Eintrag im Buch und gestattete Rake einen Einblick. Diese Zeile konnte er lesen, alles Weitere auf der Seite war nicht zu entziffern.
»Rose Willowby, Todesursache: Krebs, abzuholen am: 4. Januar 1996, vorzeitige Erledigung: 27. November 1995«, las er den Eintrag vor.
»Aber … aber …«, Rake stammelte fassungslos.
»Haben Sie nun begriffen?«
Rake konnte nicht begreifen, wollte nicht begreifen!
»Dann sind Sie …«
»Sprechen Sie es ruhig aus.«
Ein Ruck ging durch den alten Mann, er straffte sich.
»Der Mörder meiner Frau.«
Sein Gast hob zum ersten Mal den Kopf, sodass er einen Blick unter dessen Kapuze werfen konnte. Leere Augenhöhlen sahen ihn an, in denen es rötlich aufglomm, nur um Sekunden später erst zu einem eisblauen Funkeln und dann zu undurchdringlicher Schwärze zu werden. Dann ein tief in der Kehle geborenes Lachen.
»Mr. Willowby, das können Sie mir nicht vorwerfen. Nein, wirklich nicht. Ich hole nur die bestellten Menschen ab.«
»Bestellt?«
»Über die Auftraggeber darf ich ihnen leider nichts sagen. Es gibt da zwei verschiedene Firmen, um es mal so auszudrücken. Aber kommen wir wieder zum Geschäft zurück. Meine Uhr, Mr. Willowby, meine Uhr. Suchen Sie bitte, ja?«
Mit dem letzten Satz wandte er sich ab und zog sich wieder zwischen die Regale zurück. Rake stand allein gelassen mit seinen Gedanken im Vorraum seines Geschäfts, das er nun schon seit Jahrzehnten führte, und wusste nicht weiter.
Ein Traum, das muss ein Traum sein …
»Soll ich Sie mal zwicken?«
Wieder dieses leicht höhnische Lachen. Es war ein widerliches Gefühl, wenn jemand seine Gedanken las.
»Entschuldigung, aber über die Jahrtausende gewöhnt man sich das eben so an. Sie erlauben, dass ich mal ihre Wohnung betrete?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, machte sich der Unheimliche an den Aufstieg.
Das ist meine Chance! Hau ab! Jetzt!, dachte Rake.
»Ach, Mr. Willowby?«
Auf halber Höhe drehte sich der Mann zu ihm um.
»Würden Sie mir bitte folgen?«
Wieder wartete er keine Antwort ab, sondern erklomm die nächsten Stufen. Und Rake folgte ihm, er konnte nicht anders. So müde und langsam wie noch nie nahm er die Treppe nach oben.
»Da ist sie ja. Endlich habe ich mein gutes Stück wieder.«
Die Stimme kam aus dem Schlafzimmer. Er folgte ihr. Sein Gast stand vor dem Bett und hielt eine Sanduhr in der Hand.
»Wenn die Uhr hier stand, hätte ich sie doch sehen müssen«, sagte Rake.
»Die Uhr sieht man nur in meiner Gegenwart. Und wenn es soweit ist.«
»Dann sind sie also wirklich …«
»Sprechen Sie es schon aus, Mr. Willowby.«
Er holte tief Luft, dann sagte er mit einer fast tonlosen Stimme: »Sie sind der Tod.«
»Ja, das ist richtig.«
»Also werde ich sterben.«
»Seien Sie nicht zu traurig. Jeder muss mal sterben.«
»Hat dieser Satz schon jemals einen ihrer Kunden getröstet?«
Zum ersten Mal ein Lächeln auf dem knöchernen Gesicht, über dem sich uralte Haut spannte.
»Ich glaube nicht.«
»Sie sind nicht ganz so, wie ich Sie mir vorgestellt habe.«
»Wie haben Sie sich mich denn vorgestellt? Ein Gerippe mit Sense?«
»Nun ja …«
»Das scharfe Ding wurde mir einfach zu unhandlich, ich werde ja auch nicht jünger. Und das Gerippe? Irgendwann werde ich wohl auch eins werden, bin ja schon auf dem besten Wege.«
»Und dann?«
Der Tod hob das Stundenglas.
»Sehen Sie hinein.«
Rake warf einen Blick auf den Sand. Nein, das war kein Sand. Das waren Unmengen kleiner Skelette. Es mussten Hunderte oder Tausende sein.
»Am Ende werde ich vergehen und ein neuer Diener der Zeit wird aus dem Glas entsteigen. Es wird noch sehr lange dauern, zumindest nach ihrem Zeitempfinden. Der Tod lebt anders als alle anderen Lebewesen, aber auch ich bin an die Gesetze der Ewigkeit gebunden, Mr. Willowby.«
»Nennen Sie mich doch Rake«, murmelte dieser.
»Sehr freundlich. Ich würde Ihnen ja auch gerne meinen Namen nennen, aber ich habe nur diese Bezeichnungen, die man mir über die Jahrhunderte gab: Sensenmann, Schnitter, der große Gleichmacher … nun, sind Sie so weit?«
»Eigentlich nein.«
»Kommen Sie schon, Rake.«
Der Tod sprach seinen Namen aus, als wären sie alte Freunde.
»Das sind wir ja im Grunde auch. Verzeihen Sie, ich habe wieder etwas in ihren Gedanken gelesen, das passiert mir leider ständig. Ich war immerhin schon zweimal sehr nahe bei ihnen. Der Sturz von der Treppe vor zwanzig Jahren, erinnern Sie sich? Und als sie als Kind fast ertrunken wären? Eigentlich sollte ich sie da schon abholen, aber spontan entschloss man sich um. Sie haben Glück gehabt. Aber heute sind sie 80 Jahre alt, das dürfte doch in Ordnung gehen. Verhandeln Sie bitte nicht mit mir, ich kann ihnen doch keinen Aufschub geben.«
»Nein, nein. Das ist es nicht, mich würde nur noch interessieren, wie es kam, dass Sie ihre Uhr hier vergaßen.«
»Das ist schnell erklärt. Ich wollte Sie gestern im Schlaf holen, eine kleine Gefälligkeit, die ich hin und wieder Menschen erweise, die mir sympathisch sind. Ja, Rake, das sind Sie mir wirklich. Und es ist ein Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern. In der üblichen Hektik schaffe ich es sonst nie, aber in dieser Situation … Sie müssen verstehen, ohne meine Uhr vergeht die Lebenszeit der Menschen nicht. Haben Sie gestern Abend die Nachrichten gesehen? Der schwere Busunfall?«
Rake überlegte kurz, dann erinnerte er sich an die Bilder, die in den Abendnachrichten gezeigt wurden.
»Warum schwer? Es gab doch nur Verletzte und keine Toten.«
»Hätte es aber geben sollen, mehr als dreißig waren bestellt. Aber ich bin nicht mehr der Jüngste und war spät auf meiner Runde. Der Unfall geschah, bevor ich hier fertig war. Also beeilte ich mich, um zum Unfallort zu gelangen. Und was soll ich sagen? Ich habe meine Uhr bei Ihnen vergessen. Deshalb gab es keine Toten. Und ich vergaß auch noch, wo ich meine Uhr gelassen habe. Zum Glück ist es mir noch eingefallen. Stellen Sie sich vor, es würde niemand mehr sterben? Aber jetzt ist ja alles wieder gut.«
Der Tod beendete seine lange Ausführung und sah Rake an.
»Sind Sie dann nun so weit?«
»Ehrlich gesagt …«
»Nein, Rake, nein. Ich kann nun wirklich nicht mehr mit Ihnen diskutieren. Möchten Sie dabei vielleicht liegen? Wo wir schon einmal in Ihrem Schlafzimmer.«
»Warum? Tut es weh?«
Zum ersten Mal mischte sich Angst in Rakes Stimme.
»Woher soll ich das wissen? Ich bin ja noch nie gestorben. Aber ich dachte, dann liegen Sie schon einmal. Sonst fallen Sie um und liegen hier einfach rum, bis man sie findet. So wird man denken, sie sind im Schlaf gestorben und alle werden wieder sagen: Er hatte einen schönen Tod. Nun, eine Schönheit bin ich nach ihren Maßstäben ja nun nicht.«
Wieder lachte der Tod. Kopfschüttelnd legte sich Rake in sein Bett.
»Sehr schön. Verzeihen Sie die Eile, aber ich muss noch die dreißig Busunfallopfer einsammeln heute. Doppelte Schicht, gestern und heute zusammen. Würden Sie hier noch einmal quittieren?«
Der Tod zog wieder sein kleines Büchlein hervor, blätterte, bis er den Eintrag von Rake Willowby gefunden hatte, und legte es dem bald Verstorbenen vor. Dann zog er einen Stift aus dem Mantel und reichte ihn Rake. Dieser konnte wieder nur die eine Zeile im Buch lesen und fand bestätigt, was der Tod ihm erzählt hatte. Zwei Mal war sein Todesdatum geändert worden.
»Ganz hinten in der letzten Spalte, bitte.«
Rake kritzelte seinen Namen hinein und der Tod nahm Stift und Buch wieder an sich. Prüfend besah er sich die Unterschrift.
»Etwas krakelig, aber man kann es lesen. Sie glauben ja gar nicht, was die Menschen alles probieren. Sogar ihre Unterschrift versuchen sie mit falschem Namen zu geben. Dabei ist das nur eine reine Formsache. Also, Rake, dann schlafen sie mal schön, es ist soweit. Nun …«
»Halt!«
»Ach, Rake …«
»Eine letzte Frage: Sehe ich meine Frau wieder?«
»Moment.«
Der Tod blätterte wieder in seinem dünnen Auftragsbuch.
»Ihre Abholung hat beides Mal den gleichen Auftraggeber, sieht gut aus.«
»Danke.«
»Nichts zu danken, Rake. Vielleicht sieht man sich mal wieder.«
»Vielleicht …«, murmelte Rake Willowby, schloss die Augen und starb.

Copyright © 2009 by Oliver Müller