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Der Welt-Detektiv Band 6

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Mahpiya-win – Die Entscheidung – Teil 5

Sie wusste nicht, wie viele Tage oder Wochen sie sich bereits im Lager befand, hatte jedes Zeitgefühl verloren. Täglich sank Belinda abends müde auf ihr Fell nahe dem Eingang. Die Tage waren erfüllt mit Arbeit: Wasser holen, Feuerholz, Beeren und Kräuter sammeln, primitive Kleidungsstücke nähen. Wenn Wacinyanpi-win schimpfte, wusste Belinda, dass sie wieder etwas falsch machte. Scheinbar durfte man nicht jedes Holz sammeln, sondern nur bestimmte Äste. Das erste Mal, als sie falsches Holz auf den Arm nahm, wollte Wacinyanpi-win zuschlagen, doch Belinda hatte einen Ast in die Hand genommen und die Indianerin herausfordernd angestarrt. Die Schelten endeten nie. Entgegen ihrer Annahme, Wilde seien dreckig, musste sie täglich zum Fluss hinunter, um sich im eisigen Wasser zu waschen. Frauen badeten getrennt von den Männern. Anfangs wurde Belinda wegen ihrer weißen Haut neugierig betrachtet, doch die Neugierde ließ bald nach. Manche versuchten sich mit ihr zu unterhalten, doch Belinda blockte jede Annäherung von vornherein ab. Sie wollte weder die Sprache lernen, noch irgendwelche Freundschaften knüpfen. Manche Frauen begegneten ihr feindselig. Bei der ersten Gelegenheit, die sich ihr bot, würde sie fliehen. Sie wollte nicht den Rest ihres Lebens bei den Wilden verbringen. Es gab so vieles, was für Belinda unsinnig und unverständlich war. Warum bauten sich die Menschen nicht feste Wohnhäuser und schliefen in richtigen Betten? Stattdessen nähten sie Häute zusammen, die ein Blizzard mit Leichtigkeit umriss und schliefen auf dem Boden. Zu ihrer Verwunderung gingen die Indianer mit Kindern sehr nett um. Tat ein Kind etwas, das es nicht tun sollte, wurde es mit etwas anderem abgelenkt. Niemals sah sie, dass ein Kind geschlagen wurde. Belinda hingegen erinnerte sich an viele Ohrfeigen ihres Vaters. Ein markerschütternder Schrei riss sie aus ihren Gedanken. Ein Schrei in höchster Not. Mit einigen anderen lief sie in die Richtung, aus der der Schrei erklang und stoppte abrupt. Die anderen Frauen liefen kreischend weg oder blieben in sicherer Entfernung stehen. Belinda starrte auf den Bären, der hochaufgerichtet tänzelte. Seine Größe war furchterregend. Man erzählte, dass ein Bär Menschen nicht angriff, doch die verletzte junge Frau am Boden, die langsam rückwärts robbte, widerlegte die Theorie. Unter dem zerrissenen Kleid sudelte Blut aus einer klaffenden Schulterwunde. Nun sah Belinda auch den Grund für den Angriff. Ein Bärenjunges war unweit der Mutter im Unterholz. Die Bärenmutter hatte nur zum Schutz ihres Jungen angegriffen. Sie schleuderte einige Äste auf die andere Seite, um das Tier abzulenken, das drohend auf den Hinterbeinen stand, mit den Pranken in die Luft hieb und gefährliche Laute ausstieß. Belinda war sich ihres unsinnigen Vorhabens bewusst, doch sie konnte die Frau nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Ihr Verstand befahl ihr zu laufen, aber ihr Herz befahl ihr auszuharren. Es war dumm, sich freiwillig der Gefahr auszusetzen, doch sie konnte nicht anders handeln. Auch wenn sie eine Wilde war, war sie doch ein Mensch, war verletzt und stand Todesängste aus. Genau wie Belinda. Der Ast in ihren Händen war eine lächerliche Waffe. Sie zitterte wie eine Pappel im Wind und lachte schrill auf. Wurde das Tier wütender, wenn sie schrie? Mit erhobenen Händen fuchtelte sie herum. Der Bär wiegte seinen massigen Körper, hieb die Pranken durch die Luft und lauschte auf die Laute seines Jungen, das durchs Unterholz lief. Belinda wusste nicht, wie lange sie dem Druck der Furcht noch standhielt. Weglaufen, schrie es in ihr, doch ihre Beine gehorchten nicht. Bald würde sie zerfetzt am Boden liegen. Fraßen Bären Menschenfleisch? Sie wusste es nicht. War sie erst mal tot, war es egal, was mit ihr geschah. Die Bärenmutter schützte instinktiv ihr Junges. Schmerzlich wurde Belinda bewusst, dass sich niemand um sie sorgte, dass es egal war, ob sie lebte oder nicht. Wahrscheinlich war es den Wilden sogar recht, wenn sie starb. Langsam senkte sie die Arme. Plötzlich vernahm sie hinter sich lautes Geschrei. Ein Krieger sprang heran, hob die Verletzte hoch, ein anderer zog Belinda zurück. Mehrere Männer standen mit erhobenen Speeren und versuchten schreiend den Bären in die Flucht zu schlagen. Warum töteten sie ihn nicht? Weil er ein Junges hatte? Am liebsten hätte Belinda befreiend aufgeschluchzt, doch in der kurzen Zeit, die sie im Lager war, hatte sie schon bemerkt, dass man Schmerzen tapfer ertrug. Die Verletzte musste schlimme Schmerzen haben, doch sie ertrug sie stumm mit verzerrtem Gesicht. Als sich alle weit genug zurückgezogen hatten, verlor die Bärenmutter das Interesse an ihnen und trottete mit ihrem Kleinen weg.

Fortsetzung folgt …