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Fledermaus – ein Horror-Phantastik-Zine

Er sagt von sich selbst, dass er im Auftrag der Literatur unterwegs ist. Erste Geschichten, Gedichte und Hörspiele hat Jörg Herbig bereits im zarten Grundschulalter geschrieben.
Einen Teil seiner Geschichten, Gedichte, Berichte, Rezensionen und Interviews veröffentlicht er umsonst und freizugänglich im Internet oder stellt sie unentgeltlich für Zeitschriften, kleine Zines und Anthologien zur Verfügung. Mit Vorliebe bringt Jörg seine Sachen zudem in Form von eigenen, selbst gebastelten Textsammlungen bzw. DIN A-5-Heftchen heraus, die er verschenkt, tauscht oder gegen eine geringe Unkostenpauschale abgibt. Das Herstellungsverfahren seiner Zines besteht je nach Lust und Laune aus einer mit Schere, Klebstoff und Papier kreierten oder am Computer entworfenen Kopiervorlage, die Jörg anschließend in winzigen Auflagen durch Fotokopieren vervielfältigt.
Seit Januar 2011 gibt es sein Zine Fledermaus. Darin finden interessierte Leser fiktive Texte von ihm, die in Richtung Horror und Phantastik gehen. Vereinzelt lockert er die Inhalte durch eigene Grafiken und Bilder auf. Als charakteristisch für die Fledermaus ließe sich hervorheben, dass die Ausgaben vom Stil her sehr unterschiedlich und teilweise extrem experimentierfreudig sind: In Ausgabe Nr. 1 befinden sich beispielsweise vier auf klassische Art dargebotene Erzählungen, wohingegen die Geschichte in Ausgabe Nr. 5 kaum durch Worte erzählt wird, sondern durch Kombination und Interpretation einzelner Fragmente zu erfahren ist.
Sieben Ausgaben der Fledermaus gibt es inzwischen – und es werden bestimmt noch weitere folgen.

Beziehen kann man das Zine über die Webseite.


Leseprobe aus Fluchgeschichten

Auf dem Typ-V-Planeten Mar in der Galaxie Nat lag zur Zeit der Plutonium-Kriege ein geheimes Gefangenenlager mit dem Codenamen »Das Sanatorium« mit Platz für neunundsechzig Insassen. Die künstliche Insel befand sich im Zentrum eines Lavasees und diente den Ezaar dazu, bedeutende Kriegsgefangene für Verhörzwecke zu inhaftieren. Offiziell existierte die Einrichtung nicht, doch schon nach wenigen Mondumdrehungen kursierten im halben Universum Gerüchte und Geschichten über diesen Ort. Nester Trigoir, ein Wärter aus Bestrafungstrakt C, war damals verantwortlich für die Graue Zelle, einem Glaszylinder, der die Gefangenen zum Nachdenken bringen sollte. Ein Aufenthalt in der Grauen Zelle war bekannt als Ekel-Haft.

***

Die Ekel-Haft verdankte ihren Namen der Tatsache, dass der Glaszylinder über Rohre mit zwei Auffangbecken verbunden war, in denen speziell für diesen Zweck Abwässer aus der Gefängniskanalisation gesammelt wurden. Aufsässige Kriegsgefangene wurden in den Glaszylinder gesperrt und dort in Urin und Fäkalien an den Rand des Ertrinkens gebracht. »Das Sanatorium« ist längst Vergangenheit, doch die Geschichten darüber leben weiter; nicht wenige davon drehen sich um Nester Trigoir und die Ekel-Haft.

Nester Trigoir war ein Winhuuh. Die Winhuuh sind ein friedliches Mygäen-Volk vom Planeten Winhuuh. Bereits in den Anfangstagen des Krieges hatten sie sich ohne Gegenwehr von den Ezaar unterjochen lassen. Drei Generationen waren daraufhin in Sklaverei aufgewachsen, doch die Winhuuh hatten keinen Groll gegenüber ihren Unterdrückern empfunden. Sie waren bereit gewesen, die Ezaar als Herren zu akzeptieren und ihnen loyal zu dienen. Als alle Bodenschätze geraubt und in anderen Galaxien genug neue Kolonien mit neuen Arbeitskräften ergründet worden waren, gaben die Ezaar den Winhuuh die Freiheit zurück. Nester Trigoir hasste sein Volk für den gelebten Pazifismus. In seinen Augen waren die Winhuuh feige und schwach. Nester Trigoir bewunderte die Ezaar: Sie waren mächtige Eroberer. Wenn er selbst schon kein Ezaar sein konnte, dann wollte er wenigstens so kalt und skrupellos wie einer sein – nein, er tat alles dafür, jeden Ezaar an Grausamkeit und Brutalität zu überbieten.

Nester Trigoir genoss seinen Job im »Sanatorium«: Als Wärter der Bestrafungseinheit war er gefürchtet und besaß Macht. Die Graue Zelle war sein Reich, die Gefangenen seine Untertanen; wenn er den Glaszylinder mit Notdurft volllaufen ließ, spürte er eine sadistische Befriedigung. Er hatte Feinde der Ezaar weinen, schreien, mit den Fäusten gegen die Scheibe schlagen gesehen, und sein einziger Gedanke dabei war gewesen: Einmal – nur ein einziges Mal – wollte er einen von ihnen im Zylinder ersäufen. Er wusste, dass auf Mar nur wichtige Kriegsgefangene festgehalten wurden: Kriegsgefangene, von denen die Ezaar sich eine Kollaboration oder Informationen erhofften. Tot waren sie wertlos, deshalb lautete sein Befehl, den Glasbehälter maximal soweit zu füllen, dass der Gefangene gerade noch atmen konnte. Trotzdem erregte ihn die Vorstellung, einen Feind der Ezaar während der Ekel-Haft zu ertränken. Er könnte später behaupten, es sei nur ein Unfall gewesen: Die Schotten hätten geklemmt und wären nicht zu schließen gewesen – er hätte nicht verhindern können, dass der Behälter bis zum Deckel mit Scheiße vollläuft. Nester Trigoir träumte mit der Zeit immer häufiger davon; er konnte bald an nichts anderes mehr denken. Es fühlte sich an wie ein Niesen, das nicht zu unterdrücken ging.

Als ein neuer Gefängnisinsasse sich weigerte, einem Houtschu gleich auf allen vieren zur Grauen Zelle zu kriechen, wusste Nester Trigoir, dass der große Moment gekommen war. Er hatte ein geeignetes Opfer gefunden: Dieses Wesen mit dem dürren, transparenten Leib, dem langen, mehrfach um 360-Gradgewundenen Hals, den Pinzettenhänden und dem dreiäugigen Tellerschädel würde durch seine Hand sterben.

»Von welchem Planeten stammst du?«, fragte Nester Trigoir auf Ezaar, nachdem er den Gefangenen durch einen gezielten Stiefeltritt in die Kniekehlen zu Fall gebracht hatte.

Der Fremde kämpfte sich zurück auf die Beine, bevor er per Telepathie antwortete: »Ich bin ein Fluch. Meine Heimat ist ein Planetensystem namens Ungu. Ich bin Greo von Iakill, geboren und aufgewachsen auf Fluch, dem kleinsten, aber auch dem schönsten unserer sieben Planeten.«

»Ungu?«, höhnte der Wärter. »Klingt wie N’gu – bist du ein stinkender N’gu? Sag: Ich bin ein dreckiger, kleiner N’gu.« Der Fluch ignorierte die Beleidigung. Ohne den Hauch einer Regung zu zeigen, ging er den sechseckigen Gang entlang und schwieg.

»Stolz ist er auch noch, unser hässlicher, kleiner N’gu.«

Nester Trigoir zog eine zweiläufige Widerhakennadel vom Waffengürtel und schleuderte sie dem Gefangenen in den Hinterkopf. Der Fluch erstarrte mitten in der Bewegung.

»So, Pussyratty«, sagte Nester Trigoir und legte seinen rechten Zeigefinger auf eine Schaltfläche, die in der Außenhaut seines linken Uniformärmels integriert war. »Wollen wir doch mal sehen, ob du immer noch so widerspenstig bist: Knie nieder!« Sobald Nester Trigoir das eingezeichnete Steuerkreuz nach vorne und gleichzeitig mit seinem Mittelfinger auf die untere Ecke eines auf dem Kopf stehenden Dreiecks gedrückt hatte, sank Greo von Iakill hinunter auf den Gitterboden und verharrte in einer Haltung, als wolle er beten.

»Bravo, N’gu! Wer sagt es denn: Du bist ja richtig lernfähig!« Der Fluch starrte wie paralysiert ins Leere. Er befand sich in einem Zustand absoluter Willenlosigkeit.

»Jetzt krieche auf alle vieren – Abmarsch!«


Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Autors

Quellen:

  • Fledermaus-Zine