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Zandos Bücher

I

Papis und Elida lebten in dem kleinen Dorf Sodia. Sie waren zusammen aufgewachsen und als junge Erwachsene zu einem Liebespaar geworden. Elida konnte sich keinen anderen Mann als Bräutigam vorstellen, und Papis hatte nur Augen für sie.

Eines Tages aber kam Elida völlig aufgelöst bei ihrem gemeinsamen Treffpunkt an, einer alten Scheune am Waldrand. Papis wartete bereits seit einiger Zeit, denn sie waren dort schon vor einer halben Stunde verabredet gewesen.

»Was hast du?«, fragte er seine Liebste, als diese völlig außer sich bei ihm ankam. »Du bist ja außer Rand und Band!«

»Ach, Liebster, es ist furchtbar!«, antwortete Elida, den Tränen nahe. »Brakos, der Sohn unseres Fürsten Remio, hat bei meinem Vater um meine Hand angehalten. Er hat mich wohl im Dorf gesehen und sich sofort in mich verliebt.«

»Und was hat dein Vater dazu gesagt?«, fragte Papis.

»Er hat zu Brakos gesagt, er müsse natürlich zuerst mit mir darüber reden, aber er werde mich wohl schon davon überzeugen, dass es für mich nichts Besseres geben könne, als einmal Fürstin zu werden«, erwiderte Elida. »Und dann hat er mich dazu gedrängt, dem Werben des Fürstensohnes nachzugeben. Wie nun, wenn man mich dazu zwingt, die Frau des Brakos zu werden?«

»Wir könnten zusammen in eine andere Region des Landes fliehen, wo uns keiner kennt,« gab Papis zu Antwort. »Dort könnten wir uns gut verstecken und heiraten.«

»Das ist die rechte Idee!«, sagte Elida und seufzte erleichtert. »«Wir wollen noch heute durchbrennen, Papis!«

Die beiden gingen zum Dorf zurück und schnürten dort heimlich ihr Bündel. Noch in derselben Nacht flohen sie dann gemeinsam aus ihrer Heimat und wanderten in eine weit entfernte Gegend des Landes.

II

»Ich habe die Bauerntochter Elida von meiner Geheimpolizei beobachten lassen«, sagte Fürst Remio zu Zando, dem Zauberer, den er zu seiner Burg bestellt hatte. »Mein Sohn Brakos hat sich in sie verliebt und will sie unbedingt heiraten. Sie ist zusammen mit ihrem Liebsten in die Region Braskant am Ende meines Reiches geflohen, wie mir meine Leute berichtet haben. Ich könnte sie natürlich zwingen, Brakos zu heiraten, aber er will, dass sie freiwillig seine Frau wird. Was also, lieber Zando, kann ich nun tun?« »Hör zu, mein Fürst!«, gab der Zauberer zur Antwort. »Ich brauche eine Locke vom Haar der Schönen, dann kann ich dafür sorgen, dass sie zu deinem Sohn kommt und seine Frau werden will.«

»Du sollst eine Locke von Elida bekommen!«, sagte der Fürst bestimmt. »Ich werde meinen besten Mann darauf ansetzen.«

Der Zauberer verabschiedete sich von Remio und zog nach Hause zurück, während der Fürst seinem besten Polizisten den Auftrag gab, nach Braskant zu reisen und eine Locke vom Haar der Bauerntochter zu Zando zu schaffen. –

Alles geschah, wie Remio es befohlen hatte. Der Polizist ließ sich eine Locke vom Haupt Elidas durch deren Friseur in Braskant besorgen und brachte sie dann zu Zando. Zwei Tage, nachdem dieser ihre Locke erhalten hatte, eröffnete Elida, deren Blick über Nacht ausdruckslos und deren Art plötzlich völlig anders geworden war, ihrem Freund Papis, dass sie ihn nun verlassen und zu Brakos ziehen werde, um diesen zu heiraten.

»Ich dachte, du liebtest mich allein!«, rief Papis außer sich. »Woher nun dieser Sinneswandel?«

Elida zuckte nur teilnahmslos mit den Achseln, bestieg ihr Pferd und ritt davon.

III

Traurig und völlig ratlos zog Papis ohne Ziel durch das Land, während Elida beim Fürstensohn Brakos eintraf und mit diesem die Hochzeit plante.

Nachdem Papis mehrere Wochen umhergewandert war, legte er sich eines Nachmittags, an welchem die Sonne vom Himmel schien, unter einer großen Eiche nieder, um in ihrem Schatten ein Schläfchen zu halten. Gegen Abend erwachte er dann aus seinem Schlaf, weil in seiner Nähe zwei Frauenstimmen miteinander sprachen. Er hielt die Augen geschlossen und hörte zu, was sie sagten.

»Hast du schon gehört, dass die schöne Elida ihren Liebsten Papis verlassen hat, um den Sohn des Fürsten zu heiraten?«, fragte die erste Stimme.

»Ja!«, erwiderte die zweite Stimme. »Und ich weiß auch, warum!«

»Also, warum?«, fragte die erste Stimme.

»Der Zauberer Zando hat dafür gesorgt, dass sie Papis verließ, und dafür vom Fürsten viel Geld bekommen,« entgegnete die zweite Stimme. »Er hat sich eine Locke von ihrem Haar bringen lassen und diese verbrannt. Die Asche hat er dann in eine von ihm selber hergestellte Zaubertinte gegeben und mit dieser in ein Buch geschrieben, dass Elida Papis verlassen und von nun an den Fürstensohn lieben und auch heiraten solle.«

»Und das hat tatsächlich gewirkt?«, fragte die erste Stimme ungläubig.

»Alles, was Zando mit seiner auf diese Weise präparierten Zaubertinte in seine Bücher schreibt, geschieht so, wie er es aufgeschrieben hat«, antwortete die zweite Stimme. »Auf genau die gleiche Weise hat er schon andere Zauberer, deren Haar er bekommen hatte, sterben lassen, um der mächtigste Zauberer des Landes zu werden. Auch hat er sich von reichen Bürgern des Landes, deren Haar er ebenfalls bekam, Ländereien und auch seine Burg übereignen lassen, ohne dass er dafür Gegenleistungen erbringen musste. Wenn du mich fragst, dann muss unser Landesfürst aufpassen, dass Zando nicht eine Locke von seinem Haar in die Finger bekommt, denn sonst wird er aufschreiben, dass der Fürst zu seinen Gunsten abdanken soll, und es wird wieder alles so geschehen, wie er es aufgeschrieben hat.«

»Und der arme Papis?«, fragte die erste Stimme. »Gibt es für ihn denn keine Möglichkeit, seine Braut zurückzubekommen?«

»Es gibt da eine Chance für Papis,« gab die zweite Stimme zur Antwort. »Zando verzaubert aus reiner Bosheit gerne Gäste, die ihn in seiner Burg aufsuchen, in Kellerasseln. Derjenige, der ihn dort aufsucht und mit ihm zusammen in seiner Küche isst und aus seinen Zauberbechern seinen Wein trinkt, wird zur Kellerassel, sobald er aus der Burg hinaus ins Freie treten will. Wenn aber nun Papis Zando aus seiner Burg hinauslockt und beide im Freien aus den Bechern des Zauberers einen Schluck eines Weines trinken, den Papis mitgebracht hat, dann wird etwas geschehen, was Papis die Chance gibt, Elidas Herz zurückzugewinnen.«

»Und was wird das sein?«, fragte Papis laut, öffnete die Augen und richtete sich auf, um die Sprecherinnen sehen zu können.

Da aber sah er, wie in der Nähe zwei Rauchsäulen vom Boden in den Himmel hinaufstiegen und sich dort schließlich auflösten. Ansonsten war weit und breit weder Mensch noch Tier zu erblicken.

IV

Papis zog unverzüglich zur Burg des Zauberers Zando. Als er dort angekommen war und an das Tor klopfte, öffnete dieser und fragte ihn, ob er mit ihm zusammen in der Burgküche das Abendbrot zu sich nehmen wolle.

»Gern!«, erwiderte Papis. »Aber zuerst kommt zu mir heraus, bringt zwei Becher mit und trinkt mit mir zur Begrüßung einen Schluck des Weines, den ich mitgebracht habe! Dies ist dort, wo ich herkomme, Sitte!«

Zando tat, was Papis verlangt hatte. Dann aber drängte er den Gast, mit ihm hineinzugehen. Papis folgte ihm. Kaum aber war Zando über die Schwelle ins Innere der Burg getreten, da verwandelte er sich selber auf der Stelle in eine Kellerassel.

Papis suchte in der ganzen Burg nach Zandos Büchern und den verschiedenen Gläsern mit Zaubertinte, mit welchen er seine Schurkereien begangen hatte. Im Zauberzimmer, das im Turm gelegen war, fand er endlich, was er suchte. Aber welche Tinte passte zu Elidas Buch?

Papis untersuchte alle Tintengläser nach den verschiedensten Kriterien, doch er konnte keinen Unterschied der Tinten feststellen. Schließlich öffnete er alle Gläser und roch daran. Eine der Tinten aber roch nach Rosen. So hatte Elidas Haar gerochen, bevor sie ihn verlassen hatte!

Mit dieser Tinte schrieb Papis in das Buch über Elida, dass sie sich nun wieder ihm zuwenden und den Sohn des Fürsten verlassen solle.

V

Eine Woche später kam Elida tatsächlich bei der Burg des Zauberers an, in welcher sich Papis noch immer aufhielt. Sie sagte, sie habe seinetwegen den Fürstensohn verlassen und wolle nun mit ihm, ihrer einzig wahren Liebe, glücklich werden. Aber sie müssten auf der Hut sein. Der Fürstensohn und sein Vater riefen gerade ihre Truppen zusammen, um Papis durch diese jagen und töten zu lassen.

Fieberhaft durchstöberte Papis Zandos Zauberbuch nach einem Zauber, der den Fürsten und seinen Sohn aufhalten konnte. Da erblickte er weiter hinten folgenden Spruch:

»Willst du jemanden ausschalten, der dir gefährlich wird, so nimm vom Briefpapier mit den drei Lilien und schreibe darauf, was du ihm wünschst! Diesen Brief sende zu ihm und warte ab, was geschieht!«

Papis suchte eilig nach dem genannten Briefpapier und fand es schließlich in einer Schublade von Zandos Schreibtisch. Er verfasste darauf sofort einen Brief an den Fürsten und seinen Sohn und schrieb darin, dass er sich nichts sehnlicher wünsche, als dass sie beide auf der Stelle tot umfielen. Diesen Brief brachte er dann zu einem Kurier, der im Dorf am Fuß des Berges lebte, auf welchem sich Zandos Burg erhob. Er gab ihm fünfzig Dukaten und bat ihn, den Brief so schnell wie möglich zur Burg des Fürsten zu bringen. Der Kurier machte sich ohne Verzug auf den Weg.

VI

Remio und sein Sohn wollten ihren Truppen gerade befehlen, Papis zu suchen und zu töten, als der Kurier des Papis bei ihnen eintraf.

»Ein Brief des ruchlosen Papis?«, schimpfte der Fürst.

Dann öffnete er das Schreiben. Kaum aber hatte er gelesen, dass Papis wünschte, dass er und sein Sohn auf der Stelle tot umfielen, da traf ihn der Schlag, und er fiel tot zu Boden. Sein Sohn ließ sofort den Arzt rufen und nahm dem Toten den Brief aus der Hand, die ihn noch immer umklammerte, um ihn ebenfalls zu lesen. Als er aber gelesen hatte, dass Papis ihm ebenfalls den Tod wünschte, traf auch ihn der Schlag, und er fiel tot neben seinem Vater zu Boden.

Zwei Tage später erhielten Papis und Elida die frohe Kunde, dass ihre Feinde nun tot waren. Wenige Wochen später heirateten die beiden, und Papis gab allen, die Zando um ihr Hab und Gut betrogen hatte, ihre Güter zurück, goss die Zaubertinten des Zando in den nahen Fluss und verbrannte die Bücher, in welche dieser mit den Tinten hineingeschrieben hatte, sodass nun endgültig kein weiteres Unheil damit geschehen konnte.

Copyright © 2008 by Hanno Berg