Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Colorado Sunrise – Folge 9

Rodeo

»Sieh nur, wie sie herausgeputzt ist. Hat es wohl auf unsere Männer abgesehen.«

Die beiden Frauen spazierten an Mae vorbei und bedachten sie mit verächtlichen Blicken. Sie legten es darauf an, dass Mae ihr Gespräch hörte. Ihr hellgrünes Kleid mit weitfallendem Rock hätte sie im Osten als Tageskleid getragen, doch hier war es für eine Festlichkeit zu elegant. Vor allem war es zu tief dekolletiert. Und auch der dazu passende Hut war zu schick. Die Siedlerfrauen trugen einfache Baumwoll- oder Kattunkleider und Hauben, die Bürgersfrauen schöne, aber einfach geschnittene Kleider.

Mae biss sich auf die Lippen. Sie hielt Ausschau nach Grace, konnte sie aber nirgendwo sehen. Zwei junge Frauen flüsterten und brachen in Gelächter aus. Machten sie sich über sie lustig, über ihre Kleidung? Würde sie jemals in den Kreis dieser Menschen aufgenommen werden?

Sämtliche Stadtbewohner, Siedler und Rancher waren anwesend, um das Rodeo zu verfolgen. Kinder lärmten und Halbwüchsige rangelten. Süß und würzig roch es an den Ständen, wo Frauen Köstlichkeiten verkauften. Die aufgestellten Tische und Bänke füllten sich mit Besuchern. An einigen saßen Männer, spielten Karten, diskutierten und schlossen Wetten ab. Gebannt beobachtete sie zwei Männer, die hemdsärmelig an einem Tisch Arm drückten. Die Mienen der beiden spiegelten ihre Anstrengung wider. Die Umstehenden feuerten sie an. Die Lippen des bulligen Rothaarigen kräuselten sich zu einem Siegerlächeln, als der Arm seines Gegners fast die Tischplatte berührte. Die Augen seines Kontrahenten traten fast hervor, als er aufschrie und den Arm des Rothaarigen auf die Tischplatte knallte. Der Rothaarige warf den Tisch um, sprang brüllend auf den anderen zu und beide stürzten ringend zu Boden. Erschrocken floh Mae, die nahe den beiden stand.

»Zum zweiten Mal fallen Sie in meine Arme.« Der Mann gab sie sofort frei.

Mae bemerkte seinen kurzen, aber intensiven Blick auf ihr Dekolleté.

Sie lächelte und strich ihr Kleid glatt. »Sie bestreiten keinen Wettkampf, Mr. Morehead?«

»Diese Dinge habe ich hinter mir. Kommen Sie. Wenn wir einen guten Platz wollen, müssen wir uns auf den Weg machen. Das Rodeo beginnt gleich.«

Männerlachen und eine laute Frauenstimme lenkte sie ab.

»Das darf nicht wahr sein«, flüsterte Morehead. Seine Stimme klang verzweifelt.

Mae folgte seinem Blick. Kathryn Morehead stand vor dem Tisch, an dem die Anmeldungen für das Rodeo entgegengenommen wurden. Ihr Gesichtsausdruck war finster.

»Sam«, einer der Cowboys lachte. »Deine Schwester will doch tatsächlich mitmachen.« Er spie einen Schwall Kautabak auf die Erde. »Mach ihr klar, dass das nichts für kleine Mädchen ist. Seit wann reiten Frauen Rodeo? Das ist Blödsinn.«

Die Umstehenden murmelten und nickten zustimmend.

»Warum sollten Frauen nicht reiten dürfen? Ich nehme es mit jedem Reiter auf, das wisst ihr.« Kat stemmte ihre Hände in die Hüften.

»Frauen machen nicht mit und damit Schluss.«

»Das lasse ich mir nicht bieten. Ich habe dasselbe Recht, daran teilzunehmen, wie alle anderen, wenn ich das Startgeld bezahle.«

Der Mann am Anmeldetisch erhob sich. »Die Anmeldung ist zu Ende.« Mit diesen Worten ließ er Kat stehen.

»Sam, damit deine Schwester in Zukunft nicht auf dumme Gedanken kommt, solltest du ihr einen Mann suchen. Er soll sie ordentlich …«

Den Rest des Satzes verschluckte der Cowboy, als sich Sams Hände in seinen Hemdkragen krallten.

»Genug«, zischte Sam mit zorngerötetem Gesicht.

Der Mann wurde bleich und schnappte nach Luft. »Schon gut. War nicht so gemeint.«

Abwehrend hielt er die Hände in die Höhe. Eine Weile starrten sich beide an, bevor Sam seinen Gegner losließ und sich zu seiner Schwester umdrehte.

»Was fällt dir ein? Wenn du schon Aufmerksamkeit auf dich ziehen willst, dann reicht es, in Hosen herumzulaufen.«

Kat stieß seinen Arm beiseite. »Du hast mir gar nichts zu sagen.«

»Denk wenigstens an Brian«, bat Sam leise.

Mae stand nah genug, um alles zu verstehen.

Kat schnaubte und drehte sich weg. Brian beobachtete das Ganze aus einiger Entfernung.

Sam trat zu Mae. »Tut mir leid.«

Mae zwang sich zu einem Lächeln. Sie fand es peinlich, Familienzwistigkeiten mitzuerleben.

Der Bürgermeister betrat die Umzäunung, die für das Rodeo errichtet worden war, und begrüßte die Anwesenden. Er erwähnte, wie er sich für die Bürger der Stadt einsetzte und alles tat, dass die Stadt wuchs und eines Tages einen Eisenbahnanschluss bekäme. Einige der Zuhörer lachten und riefen, dass Coldwell viel zu klein für die Eisenbahnbosse sei und dass man froh sei, eine Postkutschenstation zu haben. Green ignorierte die Einwände und eröffnete das Rodeo. Auf einer Seite befand sich ein Gatter, hinter dem eine kleine Umzäunung errichtet war. Darin stand ein Pferd. In dem Augenblick, indem sich ein Cowboy vom Zaun aus auf den Pferderücken schwang, wurde das Gatter geöffnet. Das Tier stand für einige Sekunden still, dann schnellte es in den Korral. Die Zuschauer johlten und feuerten den Reiter an. Das Pferd bockte, um seine Last abzuschütteln. Für Mae sah es grotesk aus, wie der Mann wie eine Strohpuppe hüpfte und seine rechte Hand wilde Zuckungen in der Luft vollführte. Staub hüllte Pferd und Reiter ein.

»Warum hält sich der Mann nicht mit beiden Händen fest?«, fragte sie flüsternd.

»So sind die Regeln beim Rodeo«, erwiderte der Rancher.

Erschrocken hielt sie die Luft an, als der Reiter in hohem Bogen vom Pferd flog. Das Tier vollführte einige Sprünge und blieb dann mit zitternden Flanken stehen. Der Mann erhob sich taumelnd, drohte dem Tier mit der geballten Faust, ergriff seinen Hut vom Boden und humpelte aus dem Korral.

Zuerst konnte Mae diesem Wettkampf nichts abgewinnen, doch er übte eine gewisse Faszination auf sie aus. Gedämpft wurde ihre Begeisterung von den unflätigen Ausdrücken, wenn sich der Reiter nicht lange genug auf dem Pferd halten konnte. Für die Pferde empfand sie Mitleid. Staub lag wie feiner Nebel über dem Platz und kratzte in ihrem Hals.

Der Reiter, der eben gestürzt war, wurde von zwei Männern gestützt. Er hatte sich ein Bein gebrochen. Der Besitzer des Pferdes, ein Hagerer mit Hakennase, betrat den Korral und wollte das Pferd hinausführen. Er kam jedes Jahr zum Rodeo und hatte mit seinem halbwilden Pferd bereits viel Geld gewonnen. Dieses Jahr hatten wenige dagegen gewettet, als er lauthals verkündete, niemand würde es schaffen, sich länger als acht Sekunden auf dem Pferd zu halten, erzählte Sam Morehead.

»Was ist los, ihr Feiglinge?«, rief der Hagere. »Hat niemand Mumm?«

»Setz dich selber auf deinen Gaul«, rief eine Stimme aus dem Publikum.

»Lassen wir dem Tier eine kurze Ruhepause.« Der Hagere lachte.

»Nichts da«, ereiferte sich der Mann. »Der Gaul hat noch genug Feuer. Hinauf mit dir, oder bist du zu feige, dein eigenes Pferd zu reiten?«

Der Hagere quittierte die Aufforderung mit einer abweisenden Handbewegung. Doch die Menge brüllte. Wollte er nicht als Feigling gelten, musste er sein Glück versuchen. Als die Zuschauer tobten, hob er die Hand zum Zeichen seines Einverständnisses. Auf Mae machte er einen geknickten Eindruck.

»Mister«, rief Charly Treston, der Stallbursche. »Darf ich Ihr Pferd behalten, falls Sie ins Gras beißen?«

Die Menge grölte vor Vergnügen.

»Verdammter Lümmel«, pfauchte der Hagere und sah in Charlys Richtung. Dabei drehte er sich vom Pferd weg. Der Braune schnappte nach seiner Schulter, was dem Tier einen Hieb auf die Nüstern einbrachte.

»Was ist nun?«, hakte Charly nach.

»Dann kannst du den Gaul behalten«, murrte der Mann.

Er führte sein Pferd in den Pferch und kletterte auf den Zaun. Mit langsamen Bewegungen glitt er in den Sattel. Kaum war das Gatter geöffnet, stürmte das Pferd hinaus, vollführte Bocksprünge, als gelte es, den Rekord zu brechen. Je wilder das Tier bockte, umso lauter brüllten die Zuschauer. Die Sympathie kam eindeutig dem Pferd zuteil. Der Hagere war ein guter Reiter. Der Braune stieß mit der Flanke an den Zaun. Sein Besitzer, der die Macken seines Pferdes wohl kannte, nahm schnell seinen Fuß aus dem Steigbügel und schwenkte ihn in Höhe des Pferdehalses. Immer wieder stieß der Braune mit voller Wucht gegen das Gatter, bis er merkte, dass er so gegen seinen Reiter nicht ankam. Er drehte sich um die eigene Achse und stieß mit der anderen Flanke dagegen. Der Hagere nahm seinen linken Fuß ebenfalls aus dem Steigbügel. Bevor er jedoch sein rechtes Bein wieder in den Steigbügel bringen konnte, verlor er das Gleichgewicht. Er stürzte, kam unter dem Pferd zu liegen, das sich noch immer gegen das Gatter warf. Ein Raunen ging durch die Menge. Der Mann versuchte unter dem Tier wegzurollen. Der Braune warf den Kopf zurück, rollte mit den Augen, stieg hoch und traf den Kopf des Mannes unter ihm.

»Der hat den Satan im Leib. Knallt das Biest ab!«, rief jemand.

Einige Männer liefen in den Korral, einer hatte ein Gewehr im Anschlag.

»Er ist tot«, sagte derjenige, der dem Hageren am nächsten stand.

»Wer so aussieht, kann nur tot sein«, entgegnete ein anderer.

Der Kopf des Toten war eine blutige Masse.

»Weiß jemand, wie er heißt oder woher er kommt?«

Niemand hatte Antworten auf diese Fragen.

Mae erschrak über so viel Gleichgültigkeit.

»Los, erschieß den Gaul. Der ist verdorben.«

»Nein«, rief Charly und stellte sich vor den Mann. Ich bin der Besitzer und niemand erschießt mein Pferd.«

Bürgermeister Green trat von außen an den Zaun. »Das Tier gehört der Stadtverwaltung. Die Beerdigungskosten müssen schließlich gedeckt werden.«

»So ein Schwachsinn.« Der Sprecher blieb wohlweislich im Hintergrund. »Charly hat das Pferd redlich geerbt und der Tote hat sicher genug Geld in der Tasche, um seine eigene Beerdigung zu bezahlen.«

Einer der Männer griff in die Jackentasche des Hageren und zog ein Bündel Dollarnoten heraus.

»Der Junge hat doch kein Geld, um ein Pferd zu erhalten«, ereiferte sich Green.

Gordon Press, der Mietstallbesitzer, schob seinen Priem von einer Backe in die andere und sprach ebenso bedächtig wie er kaute.

»Wir werden uns schon einig. Irgendwo ist immer eine Box frei.«

Charly bedankte sich grinsend bei seinem Boss, ging langsam auf das Tier zu, nahm es am Halfter und führte es aus dem Korral. Er achtete darauf, den Kopf des Braunen im Auge zu behalten. Wie selbstverständlich führte der Vierzehnjährige das Tier mit, das kurz zuvor seinen Besitzer getötet hatte.

***

Als Charly weit genug von der Menschenmenge entfernt war, blieb er stehen.

»Wir beide wissen, wie dumm und böse viele Menschen sind, nicht wahr?«

Es war unwichtig, was er sagte, das Tier verstand ihn nicht, doch es sollte sich an seine Stimme gewöhnen. Außerdem tat es gut, mit einem Lebewesen zu sprechen, auch wenn er keine Antwort erhielt. Vorsichtig glitt seine Hand unter die Satteldecke.

»Wir müssen in den Stall, dort kann ich dich versorgen.« Er zog das Pferd mit. »Die Leute denken, ich bin dumm, nur weil ich nicht lesen und schreiben kann. Aber die Idioten irren sich. Charly hat seine Augen überall.«

Er redete mit dem Pferd, bis sie im Stall ankamen, brachte es in eine leere Box, hängte den Sattel auf einen Holm und zog das Sattelpad herunter.

»Der Bastard hat es nicht anders verdient. Vielleicht bist du für immer verdorben, das wird sich zeigen.«

Eingerissene Mundwinkel und schlecht verheilte Sporennarben an den Flanken des Braunen erzählten eine deutliche Sprache. Am Schlimmsten sah der Rücken aus. Charly zog vier Dornen heraus, die sich tief in das Fleisch gegraben hatten. An zahlreichen Stellen erkannte er, dass sein Besitzer dies nicht zum ersten Mal getan hatte. Kein Wunder, dass sich das Tier wie verrückt gebärdete, sobald es eine Last spürte. Vorsichtig verarztete Charly die Verwundungen. Ohne nach ihm zu schnappen, ließ das Tier die Behandlung über sich ergehen.

»Wir sind beide Ausgestoßene. Wir passen gut zueinander, Devil.«

Copyright © 2011 by Montana