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Bis dass die Zeit den Tod besiegt

»Es gibt Dinge, die für das menschliche Auge bestimmt sind, und solche, die für immer verborgen bleiben sollten – düstere Hinterlassenschaften und dunkle, unnennbare Dinge, die in ihrer abgrundtiefen Bösartigkeit den Geist zerstören und die Seele verdorren lassen. Und manche dieser Dinge wagen es gar, wie Menschen auf der Erde zu wandeln, obwohl es ihnen kaum zustünde, im widerlichen Schlamm der finsteren Tiefen der Schöpfung zu kriechen.«

(Das Leichenhaus)

Bereits zu H. P. Lovecrafts Lebzeiten wurden seine Ideen und Geschöpfe auch von anderen Autoren für eigene Erzählungen genutzt. Viele davon hat Lovecraft selbst darin bestärkt, neue Geschichten innerhalb seiner Mythologie zu verfassen. Heute scheint der »Einsiedler von Providence« aktueller und beliebter denn je. Nach wie vor erscheinen unzählige Lovecraft- und Cthulhu-Geschichten und –Sammlungen in allen möglichen Sprachen und was der Lovecraft-Zirkel konnte, können die jungen wilden Horrorautoren schon längst. Der bekennende Lovecraft-Fan Tim Curran hat sogar fünf Erzählungen verfasst, die direkt auf Geschichten des Meisters basieren und die – gemeinsam mit ihren Paten – hier gesammelt sind.

Herbert West: Reanimator – Das Leichenhaus
Herbert West ist Student an der medizinischen Fakultät der Miskatonic Universität, wo er »berüchtigt war wegen seiner abenteuerlichen Theorien über das Wesen des Todes und die Möglichkeit, ihn künstlich zu überwinden.« Aufgrund unethischer Experimente folgt bald der Ausschluss von der Fakultät, doch Herbert West findet Mittel und Wege, sein Ziel weiter zu verfolgen.
Vier Jahre nachdem Herbert West durch seine Kreaturen in Stücke gerissen wurde, wird ein Reporter des Bolton Chronicle während einer Razzia auf dem Christchurch Friedhof Zeuge, wie dort ein lebender Toter umhergeht, der sich von den vergrabenen Leichen ernährt. Trotz seiner Abscheulichkeit weckt das Ereignis die Neugier des Reporters und er beginnt sich näher mit Herbert West und seinen Experimenten zu beschäftigen, nicht zuletzt, weil auch die Leiche seiner im Kindbett verstorbenen Schwester zum Zeitpunkt von Wests Aktivitäten aus ihrer Gruft auf dem Christchurch Friedhof verschwunden ist.
Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt grassiert außerdem gerade eine weitere Serie von Vermisstenfällen in Bolton.

Jäger der Finsternis – Der Schatten des Jägers
Der Künstler Robert Blake bezieht eine hochgelegene Wohnung, von wo aus er einen prachtvollen Blick über den Federal Hill hat. Dort erregt eine bedrohlich wirkende, schwarze Kirche seine Aufmerksamkeit, doch es ist gar nicht so leicht, diese vom Boden aus wieder zu finden. Die Personen, die er nach dem Weg fragt, scheinen eine panische Angst vor dem Bauwerk zu haben. Endlich dort angekommen, entdeckt er eine Bibliothek voll von unheiligen Büchern. In einem Turmzimmer der Kirche entdeckt Blake das Skelett eines Journalisten, dessen verwirrende Notizen und eine Kiste mit einem merkwürdig geformten, glühenden Stein. Blake schließt die Kiste und befreit damit ein lichtscheues Wesen, das im Kirchturm gefangen war.

Zwei Jahre nach Robert Balkes seltsamem Ableben, betritt dessen Schwester Elizabeth das Büro des Privatdetektivs Lou Sparrow und bittet diesen, die wahren Hintergründe von Blakes Ableben herauszufinden. So sieht sich auch Sparrow bald dem leuchtenden Trapezoeder und dem riesenhaften Wesen mit dem dreilidrigen Auge gegenüber. Doch der Detektiv entwickelt einen Plan, das Wesen zu vernichten.

Das Unnennbare – Die Pestilenz, die im Finstern schleicht
Randolph Carter und sein Freund … diskutieren über das »Unnennbare« oder »Unbeschreibbare«, das Carter gerne in seinen Gruselgeschichten anführt. Während der Autor selbst hierin die beste und legitime Beschreibung … sieht, stuft … diese Formulierung als Unzulänglichkeit herab. Die Diskussion gipfelt in der Erforschung einer lokalen Legende um ein verfluchtest Haus, in dessen Dachkammer ein unbeschreibbares Wesen eingeschlossen sein soll.

Als Roland Clabe sich mit dem Volkskundler Cray – der gerade an einem Buch über Mischwesen und Halblinge im Volksglauben schreibt – in Verbindung setzt und ihm in Aussicht stellt, ihn über die wahren Hintergründe von H. P. Lovecrafts Geschichte Das Unnennbare zu unterrichten, zögert Cray nicht, die Einladung anzunehmen. Doch die Erwartung, es handelt ich um eine harmlose örtliche Legende, die von Lovecraft für seine Zwecke bearbeitet worden ist, erfüllt sich nicht. Stattdessen berichtet Clabe, dass das beschriebene Wesen tatsächlich existierte und dass Lovecraft seine Inspiration aus Ereignissen aus Zeitungen und Briefen jener Zeit zog. Schlimmer noch, dass dieses Ding immer noch lebt

Pickmans Modell – Die Wurmfresser
Die Recherchen für eine Monographie über die unheimliche Kunst führt den Erzähler des Öfteren ins Atelier des Malers Pickman. Dieser hat allerdings noch ein weiteres, geheimes Atelier, das verborgen im Labyrinth der Bostoner Altstadt liegt, wo er »den nächtlichen Geist uralten Grauens einfangen und Dinge malen kann, an die ich in der Newberry Street noch nicht einmal denken könnte«. Doch warum meidet der Erzähler seit seinem Besuch dort den Maler, den er selbst einst als »größten Maler Bostons mit profunder Einsicht in die Schöpfung« bezeichnet hat? Und woher rührt die plötzliche Angst vor dem Benutzen der U-Bahn und dem Hinabsteigen in den Keller?

Um eine Serie von Leichendiebstählen und -schändungen aufzuklären, wird eine Polizeiaktion anberaumt, an der auch der Assistent des städtischen Leichenbeschauers beteiligt ist. Auf dem Friedhof wird ein weitverbreitetes Netzwerk von Tunneln entdeckt und der Totengräber weiß von hungrigen Kreaturen zu berichten, die dort in großer Zahl hausen. Als Gewäsch abgetan werden seine Warnungen ignoriert. Eine Gruppe beginnt die Tunnel zu erkunden und stößt dort auf archaisches Grauen.

Aus dem Jenseits – Die Augen des Howard Curlix
Crawford Tillinghast ist überzeugt, dass der Mensch über mehr als fünf Sinne verfügt. Eine von ihm entwickelte Maschine soll diese schlafenden Sinne wecken. Tatsächlich ist es ihm möglich, mithilfe seiner Erfindung einen Blick ins Jenseits zu werfen, doch auch er kann von dort aus wahrgenommen werden.

Eines Tages tritt der Physiker Howard Curlix an George J. Kramer – den Chefredakteur des paranormalen »Enthüllungsblatts« Weekly World Examiner – heran. Er erzählt von den Versuchen, Lichtwellen zu verlangsamen und wie dabei auch nicht sichtbare Wellen gebremst und so sichtbar gemacht wurden. Bei einem Laborunfall wurden Curlix Augen in Mitleidenschaft gezogen und seine Sehorgane haben sich so umgebildet, dass er in der Lage ist, Bilder aus einer anderen Dimension wahrzunehmen.

»Doch am interessantesten war das, was man im Morast u Schlamm entdeckte, als die Fluten sich zurückgezogen hatten: ein halbes Dutzend Leichen, Männer, Frauen und Kinder, allesamt von einem äußerst verstörenden Erscheinungsbild. Ja, sie waren aufgedunsen und halb aufgelöst, doch keiner, der sie sah, wird jemals die bestialische Form dieser Gesichter vergessen, die platten Nasen, die stark vorstehenden Kiefer mit ihren scharfen Zähnen. Was immer die Fluten aus diesem Friedhof heraus gespült hatten, es war nicht menschlich.«

(Die Wurmfresser)

Mit Bis dass die Zeit den Tod besiegt hat der Festa-Verlag eine weltweit einzigartige Veröffentlichung im Programm, die durch die Limitierung zusätzlichen Seltenheitswert erfährt. Die Gegenüberstellung von Lovecrafts Originalen und den Fortführungen/Neuinterpretationen, die Tim Curran dazu verfasst hat (und die zuvor nur verstreut in Zeitschriften und Kleinverlagsanthologien erschienen sind), war eine Idee von Verlagschef Frank Festa, die Tim Curran – gemäß Vorwort – nur zu gerne unterstützt hat. Der Band ist als Sonderausgabe 2 innerhalb von H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens erschienen und auf 666 handnummerierte und signierte (von Tim Curran und Cyril van der Haegen) Exemplare limitiert.

Auffällig ist, dass sich Tim Curran einige Originale ausgesucht hat, die den typischen Lovecraft-Suspense – geschürt Andeutungen und Legenden – bieten, Cthulhu und Co. aber außen vor lassen. In seinen Fortschreibungen »kopiert« Curran Lovecraft dann auch auf diese typische Art und Weise, indem auch er – absichtlich durchschaubar – mit der »dunklen Büchse der Pandora voller Gerüchte und immer wieder erzählter Geschichten und entsetzlicher Familiengeheimnisse, die noch nie das Licht des Tages erblickt hatten« (Die Pestilenz, die im Finsteren schleicht) arbeitet. Vage Anhaltspunkte, die nahelegen, dass die im Folgenden beschriebenen Ereignisse in der Lage sind, einen Menschen in seinem Innersten zu verändern. Curran treibt dies so weit auf die Spitze, dass seine Geschichten stellenweise schon den Rand zur Parodie streifen.
Formal bleibt Curran des Öfteren etwas schnoddrig, was aber sehr gut zu seinen bodenständigen und hemdsärmeligen Protagonisten – im Gegensatz zu Lovecrafts akademisch gebildeten oder künstlerisch tätigen Hauptfiguren – passt und überraschend gut mit dem Lovecraft-Stil harmoniert.
Wem Currans Der Leichenkönig (Atlantis-Verlag, 2011) gefallen hat, dem kann auch diese Sammlung uneingeschränkt empfohlen werden.

Das Coverbild, auf dem man sieht, wie Abdul Alhazred H. P. Lovecraft in eine Gruft führt, wo u.a. eine Cthulhu-Statue, das Necronomicon, die Geige des Erich Zann und viele weitere Artefakte auf den Schriftsteller warten, wurde ebenso wie die Signiervignette von dem holländischen Künstler Cyril van der Haegen gestaltet. Wie alle aktuellen Festa-Veröffentlichungen ist der Schutzumschlag in exklusiver Lederoptik gestaltet.

Weltweit einzigartige und sehr schön ausgestattete Sammlung von Lovecraft-»Fortsetzungen« und ihren Paten. Ein »Geschenk« an die Fans.

Copyright © 2012 by Elmar Huber

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H. P. Lovecraft & Tim Curran
H. P. Lovecrafts Bibliothek des
Schreckens Sonderband 2
Bis dass die Zeit den Tod besiegt
Festa-Verlag, Leipzig, 2011
Hardcover, Horror
256 Seiten,
ASIN: B0073D4030
Coverillustration und Signiervignette:
Cyril van der Haegen
Auf 666 Exemplare limitierte und
nummerierte Sonderausgabe inkl.
der Autogramme von Tim Curran und
Cyril van der Haegen

www.festa-verlag.de
www.corpseking.com/
www.facebook.com/tegehel