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KnieFall

Tim Strecker,Teilkörpermodell und seit Kurzem auch Privatdetektiv, erhält mit Oswald Blabber, seines Zeichens Leiter eines Wiesbadener Supermarktes, seinen ersten Klienten. Strecker soll den Lagerarbeiter Freddy Kissler des Diebstahls von Waren und Bargeld überführen. Ein Auftrag, wie er auch für einen Berufsneuling wie Tim nicht allzu schwierig erscheinen mag. Leider hat Strecker so gar keinen Plan, wie er vorgehen soll, und macht eigentlich alles falsch, was man in diesem Gewerbe so falsch machen kann.
Erschwerend kommt hinzu, dass das, was als ein augenscheinlich einfacher Fall von Diebstahl beginnt, sich unversehens zu einem Mordfall entwickelt.
Haben am Ende sogar der Marktleiter und sein Buchhalter ihre Finger im Spiel?
Zu seinem Glück ist Tim Strecker nicht völlig allein auf sich gestellt, sondern erhält professionelle Hilfe von Kommissar Auguste Le Meur und »Maschine«, einem an den Rollstuhl gefesselten Computerhacker.
Doch durch seine unbedachten Ermittlungen bringt Tim alle, mit denen er zu tun hat, einschließlich sich selbst, in akute Lebensgefahr.

Mit KnieFall legt der gebürtige Wiesbadener Jürgen Edelmayer seinen ersten Kriminalroman vor, dessen Handlung in der hessischen Landeshauptstadt wie auch deren näherer Umgebung angesiedelt ist.
Regionalkrimis sind »in« und es ist sicherlich von Vorteil, wenn gerade ein Krimi-Autor Schauplätze wählt, an denen er sich auskennt. So gibt es keine Unstimmigkeiten bei der Beschreibung der Locations oder der Wegstrecken, die die Protagonisten zurücklegen, egal ob zu Fuß oder per Bus; sie sind plausibel und nachvollziehbar. Edelmayer hat dieses Lokalkolorit sehr gut getroffen, die Handlungsorte bleiben überschaubar und als Wiesbadener hat man das ein oder andere Aha-Erlebnis, kann den Wegen Tim Streckers im Geiste folgen und erlangt so zusätzlichen Spaß und einen Mehrwert beim Lesen.
Edelmayer hat zudem seine Personen gut charakterisiert und gerade die Schilderung des Habitus seiner Hauptfigur, Tim, ist ihm überwiegend nachvollziehbar gelungen.
Aber auch die Nebenfiguren erhalten ihren Hintergrund und damit Tiefe, wofür der Computerhacker »Maschine« ein gutes Beispiel darstellt. Der Autor berichtet von dem Überfall, der »Maschine« in den Rollstuhl gebracht hat, seinem außergewöhnlichen Hobby, seinen Depressionen und seiner Sucht. Edelmayer schlägt dabei eine erzählerische Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart.
Allein der Status von Kommissar Le Meur bleibt etwas fragwürdig, nicht unbedingt glaubhaft, aber vorstellbar.
Nicht nur die Orte, auch das Personen-Ensemble bleibt mit 9 Köpfen recht überschaubar.
Sicherlich Tims Unerfahrenheit geschuldet – immerhin ist dies sein erster Fall als Privatdetektiv – und seiner oft ziemlich naiven Vorgehensweise, ist die Handlung und deren Ablauf klar strukturiert.
Tim macht eigentlich alles falsch, was man in diesem Metier so falsch machen kann. Er ist viel zu vertrauensselig, kann keine Information für sich behalten, kann Beruf nicht von Privatleben trennen, schlägt Warnungen in den Wind und ist mehr instinktgesteuert, als dass er die Sache überlegt angeht. Ganz sicher ist er kein Held, denn auch er ist nicht frei von Schuld.

Edelmayer ist sicherlich ein guter Beobachter, aber manchmal habe ich mich bei der Lektüre schon gefragt, wo der Autor gedenkt, seinen Schwerpunkt zu setzen. Will er mit vorliegendem Werk einen spannenden und unterhaltsamen Kriminalroman schreiben oder will er vordergründig Kritik an sozialen Missständen üben? Selbstverständlich schließt das eine das andere nicht aus, doch des Öfteren war mir der erhobene Zeigefinger doch zu plakativ eingesetzt, wenn schlechte Arbeitsbedingungen im Einzelhandel angeprangert werden, Mobbing zum Thema und Kritik an regionaler Tagespolitik geübt wird. Ich spekuliere mal, dass der Autor hier persönliche Erlebnisse verarbeitet hat.
Bitte nicht falsch verstehen, das alles sind wichtige Themen, die man nicht mit einem Schulterzucken abtun sollte, doch hier, im Rahmen der Kriminalhandlung, geht es mir schlicht und einfach um deren Gewichtung im Gesamttext.
(Übrigens hat sich Edelmayer auf den Seiten 74, 75 selbst mit einem Cameo-Auftritt verewigt.)
Für mich persönlich hätte der Roman auch gerne etwas länger sein dürfen, denn im ersten Drittel passiert noch nicht allzu viel »Kriminalistisches«, wobei Diebstahl und Unterschlagung natürlich Straftaten sind, denen Tim hier nachgeht. Aber klar ist auch, dass es in diesem Erstling erst einmal der Vorstellung der Hauptfigur und der übrigen Charaktere bedarf.
Bei den Geschehnissen auf den Seiten 51-53 sind Tims Gedanken an Mord dann allerdings absolut verfrüht, schließlich hört er nur ein paar Geräusche, und selbst als er das blutüberströmte Opfer sieht, kann er nicht automatisch wissen, dass er eine Leiche vor sich hat. Diese Passagen hätten einer etwas dezidierteren Betrachtungsweise bedurft.
Viel kritischer sehe ich allerdings Tims geplante Selbstjustiz, die Handlungen »Maschines« in diesem Zusammenhang und das mögliche Ausbleiben juristischer Konsequenzen. Punkte, auf die ich im Rahmen dieser Rezension allerdings nicht näher eingehen kann, ohne potenziellen Lesern das Ende dieses Romans vorwegzunehmen oder zu verleiden.

Fazit:
Jürgen Edelmayer hat mit KnieFall einen unterhaltsamen Regionalkrimi abgeliefert, der mit Witz und feiner Ironie, aber auch mit einer ordentlichen Portion Sozialkritik aufwartet. Die Taten der Protagonisten sind gerade zum Ende hin allerdings nicht unkritisch zu bewerten. Der Roman kann selbstverständlich auch von einem überregionalen Publikum goutiert werden, Wiesbadener erlangen beim Lesen aber einen Mehrwert. Weitere Fälle des Trios sind vorstellbar.

Copyright © 2012 by Stefan Bellack

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Jürgen Edelmayer
KnieFall
Wiesbaden Krimi
Prolibris Verlag, Kassel
Juli 2011
158 Seiten, 11,00 Euro
ISBN: 9783935263849