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Buchen auf eigene Gefahr – Hotels im Horrorfilm

Buchen auf eigene Gefahr – Hotels im Horrorfilm

Geschichten über unheimliche Herbergen gibt es seit der Antike. So gesehen reihen sich Filme, deren »Hauptakteur« ein zwielichtiges Hotel ist, in eine zweitausendjährige Erzähltradition ein. Das »Unheimliche« an Hotels und Herbergen ergibt sich aus der Tatsache, dass man letztendlich nicht weiß, auf was für ein Abenteuer man sich bei einer Übernachtung einlässt. Schmutzige Zimmer sind keine Seltenheit, ein miserables Frühstück ebenso wenig. Ganz zu schweigen von einem unfreundlichen Personal. Es ist anzunehmen, dass sich manche Leute in der Antike über Missstände dieser Art ebenfalls aufregten.

In der Postmoderne ergibt sich jedoch ein ganz anderer Bezugspunkt. Es geht nicht mehr allein um den Unterschied zwischen Werbung und Tatsache bzw. zwischen Schein und Sein, sondern um die von Georg Simmel in seinem Essay über die Großstadt und das Geistesleben erwähnte Aversion, deren Ursprung in einer durch den Modernisierungsprozess initiierten Entfremdung liegt. Man begibt sich, überträgt man diesen Aspekt auf Hotels und Herbergen, in die Hände von Fremden. In modernen Gesellschaften muss, frei nach Anthony Giddens, das Vertrauen gegenüber Mitmenschen stets neu gebildet werden. Das heißt, Vertrauen in modernen Gesellschaften ist aufgrund von Individualisierungsprozessen und damit einhergehender Entfremdung kein Normalzustand. Vielmehr herrscht ein stets gegenwärtiges Misstrauen. Die Folge davon ist eine latente Angst vor dem anderen.

Horrorfilme machen sich diese Angst zunutze, um daraus Geschichten zu entwickeln, in deren Zentrum der (unheimliche) Fremde steht. Es handelt sich dabei zum großen Teil um Psychothriller, und speziell das Subgenre Torture Porn macht sich diesen Aspekt zunutze. Die Angst vor dem Fremden, verbunden mit dem Aspekt der unheimlichen Herberge führte im Laufe der Zeit zu einer Reihe von Filmen, die man – wenn man denn möchte – durchaus innerhalb eines Subgenres zusammenfassen könnte. Interessanterweise aber existiert dafür keines. Die Filme werden unter den Oberkategorien »Psycho«, »Haunted« oder eben »Torture Porn« eingeordnet. Daher begeben wir uns nun auf eine kleine Besichtigungstour. Mal schauen, was die diversen Hotels und Herbergen so alles zu bieten haben.

Bates’ Motel

Am bekanntesten unter den Absteigen ist sicherlich Bates’ Motel. Dieses findet sich in dem Film Psycho von Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1960. Psycho ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Robert Bloch (übrigens einem Schüler H. P. Lovecrafts). Erst vor wenigen Jahren entstand ein Film über die Entstehung von Psycho, der auf dem Sachbuch des Filmexperten Stephen Rebello basiert. Viel muss über den Inhalt von Psycho nicht gesagt werden, außer dass Hitchcock einer der Ersten war, der mithilfe eines neuartigen Storytellings die Zuschauer in Panik versetzte. Die angebliche Hauptfigur stirbt nach dem ersten Drittel des Films. Und die Frage, die man sich seitdem stellte, ist nicht, ob man Janet Leighs Brüste sieht oder das Messer tatsächlich in den (Puppen-)Körper dringt, sondern, ob die Schauspielerin blinzelt oder nicht, nachdem die Kamera sich langsam von ihrem schreckerstarrten Gesicht entfernt. Wie immer liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte, denn Leigh blinzelt zwar nicht, bewegt aber zweimal hintereinander kaum merkbar ihre Augen, da sie nun einmal krampfhaft versucht, nicht zu blinzeln.

Psycho gilt als Begründer des modernen Horrorfilms, bevor neun Jahre später Romeros Nacht der lebenden Toten für eine erneute Wende sorgte. Interessant ist, dass sich Psycho dennoch auf eine geradezu klassische, ja man möchte fast schon sagen traditionelle Erzählweise konzentriert, wenn es darum geht, das Motel zu verorten. Dieses befindet sich nämlich auf einer kaum mehr befahrenen Landstraße, praktisch irgendwo im Nirgendwo. Wie es sich später herausstellt, sind bereits vor dem berühmten Mord mehrere Personen in dieser Gegend spurlos verschwunden. Was natürlich fehlt, sind irgendwelche Gerüchte, doch ansonsten kommt man mit diesen Merkmalen den Aspekten der klassischen Geisterhausgeschichte sehr nahe. Hier vor allem den Geschichten von Ambrose Bierce, der mehrfach über einsam stehende Häuser in den USA schrieb.

So gesehen haben wir hier die moderne Variante eines Spukhauses vor uns, in dem kein Gespenst für Furore sorgt, sondern eben unser alter Freund Norman Bates Gänsehaut garantiert. Ende der 90er versuchte sich Hollywood an einem Remake und scheiterte dabei kläglich. Es ist immer die Frage, inwieweit es für einen Regisseur sinnvoll ist, sich ausgerechnet an einem Klassiker zu versuchen. Das Ergebnis von 1998 war jedenfalls ein durchschnittlicher Slasher, der all das falsch machte, was Hitchcock richtig gemacht hat.

Ein Hotel in England

Doch kehren wir zurück zu Hitchcocks Storytelling. Interessant ist diese neue und überraschende Form daher, da Hitchcock die Idee des plötzlichen Todes der vermeintlichen Hauptfigur streng geheim hielt. Anscheinend aber war sie dann doch nicht so geheim. Denn im selben Jahr wies die englische Produktion Horror Hotel dieselbe Strategie auf.

In diesem Film, der auch unter dem Titel City of the Dead bekannt ist, geht es um eine Studentin, die in einen kleinen Ort fährt, um dort über das Thema Hexenkult zu recherchieren. Genau diese angebliche Hauptfigur stirbt nach dem ersten Drittel des Films. Der restliche Film handelt davon, wie ihre Schwester versucht herauszubekommen, was mit ihr geschehen ist. Im Grunde genommen besitzt die Story dieselbe Form wie Psycho, nur dass es in Horror Hotel eben um einen Hexenkult geht.

Horror Hotel ist ein sehr spannender Horrorfilm, der im gewissen Sinne die Okkultismuswelle der 60er Jahre vorwegnimmt und bis heute nichts von seinem Reiz verloren hat. Es ist eine Mischung aus Lovecraft und modernem Thriller, der in Deutschland leider fast völlig unbekannt ist. Inwieweit tatsächlich eine heimliche Verbindung zur Produktionsgeschichte von Psycho besteht, bleibt wohl für immer in den Sternen. Meiner Meinung nach gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gilt der obere Fall, dass irgendjemand aus Hitchcocks Team trotz Schweigepflicht doch geplaudert hat, oder Regisseur John Moxey und Drehbuchautor George Baxt kannten schlicht und ergreifend Blochs Roman, der ja dieselbe Überraschung beinhaltet wie der Film und konstruierten daher ihre Story auf Grundlage von Blochs Idee. Aber egal, suchen wir uns ein anderes Hotel.

Judds Hotel in den Sümpfen

1977 versuchte sich Regisseur Tobe Hooper, der vier Jahre zuvor mit Texas Chainsaw Massacre Filmgeschichte geschrieben hatte, sich erneut an einem Schocker. Das Ergebnis war Eaten Alive, einer Horror-Groteske, wie sie im Buche steht. Der Film war in Deutschland bis vor wenigen Jahren indiziert. Inzwischen wurde die Indizierung aufgehoben.

Es geht darin um den Hotelbesitzer Judd, der zusammen mit seinem Lieblingskrokodil mitten im Sumpf lebt. Sicherlich kein guter Platz für ein Hotel. Doch eines Nachts kommen plötzlich mehrere Gäste kurz nacheinander. Judd, der seine Kunden gerne an sein Krokodil verfüttert, hat plötzlich alle Hände voll zu tun.

Mit Sicherheit reicht Eaten Alive nicht an Hoopers Debüt heran. Der Film ist unglaublich schräg, voll mit schwarzem Humor und ziemlich überdreht. Man weiß nicht genau, was Hooper eigentlich wollte, dennoch wurde sein Film zu einem Klassiker des Genres. Dies wahrscheinlich deshalb, da sich mehr und mehr Gerüchte über die angebliche drastisch visualiserte Brutalität bildeten. Der Film selbst ist alles andere als drastisch. Vielmehr gleitet Eaten Alive ab ins Surreale und Verstörende.

Steven Spielberg machte sich das Image, das Hooper inzwischen genoss, zunutze und engagierte ihn Anfang der 80er Jahre als Regisseur für Poltergeist. Böse Zungen behaupten jedoch, dass Hooper diesen Film gar nicht drehte, sondern Spielberg ständig das Sagen hatte. Die Machart des Films bestätigt meiner Meinung nach dieses Gerücht, da Poltergeist so unglaublich Hooper-untypisch ist und so unglaublich Spielberg-typisch.

Doch geht es uns ja ums Hotel. Und dieses erweist sich in Eaten Alive als eine Art bessere Bretterbude. Eine sehr intensive Farbgebung, die an Mario Bavas Farbenspiel erinnert, erhöht dabei den Touch des Surrealen. Wenn z. B. durch eines der Fenster ein knalliges und zugleich künstlich wirkendes Rot scheint, so gibt dies dem Ganzen eine geradezu apokalyptische Note.

Hoopers Film ist eine Art Horror-Slapstick, in der die Figuren ständig kreischend durch das Hotel rennen, verfolgt von Judd, der schier verzweifelt, dass plötzlich ein Gast nach dem anderen kommt. Wenn man am Ende des Films an Kopfschmerzen leidet, ist dies alles andere als verwunderlich.

Hooper lehnt seinen Film an dem typischen, überdrehten Stil von Ken Russel an, der mit Lisztomania eine der beiden bekannten Trash-Musicals der 70er Jahre drehte. Die andere war Phantom of the Paradise von Brian de Palma. Natürlich ist Eaten Alive alles andere als ein Musical, doch die Machart vor allem von Russels typischer Exzentrik findet sich auch in Hoopers Psycho-Tierhorror-Groteske wieder.

Eine einsam gelegene Herberge

Machen wir nun einen Sprung von etwas 20 Jahren. Die Hollywoodkrise ist nicht mehr zu übersehen, andere Nationen drängen daher mit ihren Filmen zunehmend auf den internationalen Markt, um das ästhetische Vakuum zu füllen. Neben Japan erwies und erweist sich Südkorea als eine der führenden nicht-westlichen Filmnationen. Dort nahm man sich des Themas Herberge bereits am Anfang der Korean Hallyu an. Mit diesem Begriff wird die Phase beschrieben, in der Südkoreas Popkultur (angefangen von K-Horror bis hin zu K-Pop) quasi den Westen überrannte. Jetzt könnte ich weiter über mein Lieblingsthema schreiben, aber es geht um Hotels. Also zurück zum eigentlichen Thema.

1998 drehte Kim Jee-Woon den Thriller The Quiet Family, der ein Remake des französischen Klassikers “Die rote Herberge” (1951) darstellt. 2001 schuf der japanische Regisseur Takeshi Miike ein weiteres Remake mit dem Titel The Happyness of the Kamakuris. In Kims Film geht es um die Großfamilie Kang, die auf die Idee kommt, eine Herberge in den Bergen zu errichten. Dummerweise aber liegt diese ziemlich weit ab von sämtlichen Wanderwegen, sodass sich nur wenige Wanderer hierher verirren. Und diejenigen, welche die Herberge besuchen, kommen ums Leben.

Kim schuf mit dem Remake eine nette Thriller-Komödie, die gegen Ende hin leider ziemlich an Fahrt verliert, insgesamt aber mit einem überaus schwarzen Humor glänzt. Besetzt mit einem koreanischen Staraufgebot wurde der Film ein großer Erfolg, im Gegensatz zu Miikes Version, die sang- und klanglos unterging.

1951 spielte niemand anderer als Fernandel die Hauptrolle in der schwarzen Komödie. Als Bettelmönch kommt er zusammen mit einer reichen Reisegesellschaft in die Rote Herberge, um dort aufgrund schlechten Wetters zu übernachten. Was niemand weiß, die Besitzer der Herberge haben bereits viele ihrer Gäste bestohlen und ermordet. Dasselbe haben sie nun mit den neuen Besuchern vor. Doch die Besitzerin beichtet zugleich dem Mönch ihre Taten, was letztendlich zu einer genialen Situationskomik führt.

L’Auberge Rouge zählt inzwischen zu den Filmen, die am meisten neu verfilmt wurden. Neben dem koreanischen und dem japanischen Remake wurde der Film in Frankreich selbst vier Mal neu bearbeitet, die letzte Version stammte aus dem Jahr 2007. Zwar wurde immer behauptet, dass es sich bei Die rote Herberge um eine Adaption einer Erzählung von Balzac handelt, doch in der Tat geht die Geschichte auf einen wahren Kriminalfall zurück, der sich im 19. Jahrhundert in Frankreich zugetragen hat.

Ein Horrorhotel in Spanien

Die spanische Version eines Horror Hotels lieferte 2006 der Film H 6. Es geht darin um den Hotelbesitzer Antonio Frau, der nachts Prostituierte entführt, um sie in seinem Hotel zu foltern. Der Grund: Er möchte die Menschheit von ihren Sünden befreien. Später brät er seiner Frau aus Stücken seiner Opfer erstklassige Steaks. Wie auch Die rote Herberge basiert der Film auf einen echten Fall, der sich Ende des 19. Jahrhunderts in Chicago während der Weltausstellung zugetragen hat. Dort hatte ein Mann ein Hotel bauen lassen, das bespickt war mit allerhand Falltüren und geheimen Zimmern, in denen er seine Opfer, vor allem Frauen, ermordete.

Regisseur Martin Garrido Baron verlegte die Geschichte ins Spanien der Gegenwart. Der Film entstand während der Hochzeit des modernen spanischen Horrorfilms, dessen Ära Anfang 2000 begann und zur inzwischen wieder pleitegegangenen Produktionsfirma Fantastic Factory führte, die ausschließlich Horrorfilme produziert hatte.

Auch wenn die skizzierte Handlung nach einem »Torture Porn« klingt, begeht Baron zum Glück nicht den Fehler, sich an den Merkmalen dieses (auch bei bekannten Horrorregisseuren) umstrittenen Subgenres zu orientieren. Baron zeigt nicht, er deutet an. Er macht aus dem Kriminalfall einen düsteren, sehr ästhetisch angehauchten Thriller. Manche Aufnahmen sind wie Gemälde konzipiert. Dies hat einen Grund, ist doch Martin Garrido Baron eigentlich Künstler und lieferte mit H6 sein Kino-Debüt ab.

Eli Roths Hostel

Ein Jahr später verschlug es – in filmischer Hinsicht – zwei amerikanische Studenten in die Slovakei, wo sie in einem vermeintlichen Hotel einen wahren Albtraum durchleben. Eli Roth, der zuvor mit Cabin Fever eine hervorragende Satire auf die moderne Gesellschaft ablieferte, trug mit seinem umstrittenen Hostel zum kommerziellen Erfolg des Torture Porn Subgenres bei.

Roth teilte in einem Interview mit einem Augenzwinkern mit, dass er sich wundere, wer sich solch krankes Zeug überhaupt ansehe. Sein Film ist nicht ohne Ironie und satirische Seitenhiebe. Dem slowakischen Tourismusministerium aber war die Produktion ein Dorn im Auge. Das Land befürchtete einen Rückgang bei den Touristenzahlen. Der Film, der von Quentin Tarantino mitproduziert wurde, zählt inzwischen zu den erfolgreichsten Horrorfilmen der Filmgeschichte.

Und noch ein Hotel in New York

2012 drehte Ti West den Film The Innkeepers. Es geht darin um das Yankee Pedlar Inn, das wenige Tage vor seiner Schließung steht. Die beiden Angestellten, die an den letzten beiden Tagen Dienst haben, möchten herausfinden, ob die Spukgerüchte, die sich um dieses Hotel ranken, den Tatsachen entsprechen.

West machte aus der Handlung einen wunderbaren, altmodischen Geisterfilm, der leider in Deutschland falsch vermarktet wurde. Der deutsche Vertrieb wollte, dass der Film ein FSK 18 erhält, was viele Zuschauer mit falschen Erwartungen an diesen Film herangehen ließ. Denn Blut und Monster sind hier Mangelware.

West schuf einen sehr witzigen und kurzweiligen Horrorfilm, der vor allem mit Andeutungen arbeitet und dessen Ende echte Gänsehaut hervorruft. Das Hotel gibt es übrigens wirklich. Und, wie Produzent Larry Fessenden mir gegenüber in einem Interview erwähnte, sind auch die Spukgerüchte nicht erfunden. Während der Dreharbeiten wohnte die Crew gleichzeitig darin, um Kosten zu sparen. Ein Gespenst hat allerdings niemand gesehen.

Vielleicht solltet ihr es euch also nochmals überlegen, ob das Hotel, in dem ihr ein Zimmer gebucht habt, überhaupt das richtige ist. In den Filmen ist das jedenfalls nie der Fall. Und ihr wisst ja, etwas Wahres ist an jeder Geschichte dran.

(mp)