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Timetraveller – Episode 10

Kampf der Wel­ten

Teil 1: Ge­fan­ge­ne und Hel­den

Pro­log

I

Als das Glü­hen der Zeit­ma­schi­ne er­losch, herrsch­te sti­cki­ge Dun­kel­heit. Staub und Rauch la­gen in der Luft und er­schwer­ten den vier Zeit- und Welt­en­rei­sen­den das At­men.

Doch sie nah­men noch sehr viel mehr wahr als das.

Der Ge­stank von Blut und Tod hing in der Luft. Der süß­li­che Ge­ruch von frisch ver­gos­se­nem Blut, da­zwi­schen ver­fau­len­des Fleisch und Ex­kre­men­te.

Clai­re press­te an­ge­wi­dert eine Hand auf den Mund. Wie­der muss­te sie wür­gen. Ge­ra­de erst wa­ren sie ei­ner al­ter­tüm­li­chen Are­na mit flie­gen­den Lö­wen ent­kom­men, die vor ih­ren Au­gen ei­nen Men­schen zer­fleischt hat­ten. Nun sa­ßen sie in der war­men, sti­cki­gen Fins­ter­nis, um­ge­ben von wi­der­li­chem Ge­stank. »Wo in al­ler Welt sind wir hier?«, frag­te sie lei­se.

»Kei­ne Ah­nung«, gab Mar­kus zu­rück. Er schau­te sich um, doch sei­ne Au­gen konn­ten die Dun­kel­heit nicht durch­drin­gen. Vor­sich­tig tas­te­te er um­her. Sei­ne Fin­ger be­rühr­ten et­was War­mes, Wei­ches. Er pack­te zu, hob den Ge­gen­stand an – und schleu­der­te ihn ent­setzt von sich, als ihm klar wur­de, was er in sei­ner Hand hielt.

Es war der Arm ei­nes Men­schen. Nur der Arm. Er hat­te un­mit­tel­bar vor ihm ge­le­gen, ab­ge­trennt vom Rest des Kör­pers.

Auch Ken und Dan ver­such­ten, sich zu ori­en­tie­ren. Der Ja­pa­ner war es schließ­lich, der nach ei­ni­gem Tas­ten eine klei­ne Ta­schen­lam­pe auf dem Bo­den fand und sie ein­schal­te­te.

Der Licht­ke­gel glitt über den Bo­den und riss je­des grau­si­ge De­tail des­sen aus der Fins­ter­nis, was sie um­gab.

»Schalt die Zeit­ma­schi­ne ein!«, kreisch­te Clai­re, wäh­rend sie sich in Kens Arme flüch­te­te. »Schalt die ver­damm­te Ma­schi­ne an und hol uns hier raus.«

Mit Hor­ror in den Au­gen sah sie die Lei­chen.

Nicht eine, nicht zwei. Es wa­ren un­zäh­li­ge, die in dem gro­ßen Raum ver­streut la­gen. Man­chen war die Keh­le auf­ge­schlitzt wor­den, an­de­re hat­te man mit ro­her Ge­walt zer­fetzt. Arme, Bei­ne und Köp­fe, da­zwi­schen Blut und In­ne­rei­en. Der Bo­den, auf dem die Vier sa­ßen, war blu­tig rot. Eine jun­ge Frau, sie war kaum zwan­zig, glotz­te sie mit to­ten Au­gen an. Ihr Ma­gen und ihr Un­ter­leib wa­ren auf­ge­ris­sen wor­den, als habe sich ein wü­ten­des Tier an ihr aus­to­ben dür­fen. Der zu ei­nem stum­men Schrei ge­öff­ne­te Mund war das letz­te Über­bleib­sel des Schre­ckens, den sie in den letz­ten Se­kun­den ih­res Le­bens durch­ge­macht hat­te.

»Geht nicht«, gab Mar­kus dumpf zu­rück. Er ver­such­te, den Schre­cken aus­zu­blen­den, der sich ih­nen bot. »Die Ma­schi­ne ist tot. Die Not­funk­ti­on funk­ti­o­niert nicht be­lie­big oft, denn sie ver­braucht die Re­ser­ve­ener­gie. In den nächs­ten Stun­den sit­zen wir hier in die­ser Welt fest, ob wir wol­len oder nicht.«

»Dann müs­sen wir hier raus!«, rief Dan. Er sprang auf, rutsch­te je­doch auf dem Blut aus, schlit­ter­te über den Bo­den und stürz­te. Er blieb ne­ben ei­nem äl­te­ren Mann lie­gen, dem man das Herz aus der Brust ge­ris­sen hat­te.

»Ich wür­de nicht ins Freie ge­hen«, hör­ten sie plötz­lich eine dün­ne Stim­me. »Sie sind noch da drau­ßen!«

Er­schro­cken schau­ten sie in jene Rich­tung, aus der die Stim­me er­klun­gen war. Bis auf die To­ten war die­ser Raum leer, kei­ne Mö­bel, kei­ne Ver­ste­cke. Und doch hat­te je­mand zu ih­nen ge­spro­chen, den sie zu­vor nicht be­merkt hat­ten.

Wie sich zeig­te, han­del­te es sich da­bei um ein Mäd­chen, höchs­tens acht, neun Jah­re alt. Es rich­te­te sich auf. Die Klei­ne blu­te­te aus ei­ner Wun­de am Kopf, ihr lin­ker Arm war un­ver­kenn­bar ge­bro­chen. Den­noch wein­te sie nicht, son­dern hielt sich tap­fer.

»Wer?«, frag­te Ken. Er hielt sei­ne Freun­din im Arm, um sie vor dem Grau­en rings­um zu schüt­zen. »Wer ist noch da drau­ßen?«

»Sie!« Das Mäd­chen schien die Fra­ge nicht zu be­grei­fen. »Die Feind­we­sen. Sie ka­men und ha­ben alle ge­tö­tet. Ryk, In­sek­ten-Men­schen und Pries­ter, aber auch ein paar Spin­nen. Wir kämpf­ten, aber am Ende hat­ten wir kei­ne Chan­ce. Wir ver­steck­ten uns hier un­ten und schal­te­ten den Schutz­schild ein, aber sie fan­den ei­nen Weg, es zu um­ge­hen.«

»Feind­we­sen? Spin­nen, In­sek­ten­men­schen? Ryk?« Dan rap­pel­te sich wie­der auf. »Ich habe kei­ne Ah­nung, von was du sprichst. Wir … sind nicht von hier.«

»Der Krieg ist über­all«, er­wi­der­te das Mäd­chen er­staunt, »auf der gan­zen Welt. Wie kommt es, dass ihr nicht …«

Ihre Au­gen wei­te­ten sich.

»Ihr stammt aus ei­ner an­de­ren Welt. So wie die Frau, die vor ei­nem Jahr auf Burg Rau­en­fels er­schien und sich den Ama­zo­nen an­schloss, ehe sie wie­der ver­schwand. Es heißt, sie kehr­te heim.«

Clai­re ver­gaß für ei­nen Mo­ment ihre Pa­nik. »Du … weißt, dass es an­de­re Wel­ten gibt? Es … es ist nicht fremd für dich?«

Die Klei­ne schenk­te ihr ei­nen ver­ächt­li­chen Blick. »Was denkst du, wo­her die Feind­we­sen kom­men?«, frag­te sie tro­cken. »Je­der von uns weiß, dass wir in ei­nem Mul­ti­ver­sum le­ben. Es heißt, Ro­ger Mül­ler sei dem Rät­sel der Welt­en­rei­se auf der Spur.«

Mar­kus ließ die Arme mit der Ma­schi­ne sin­ken. »Wir müs­sen zu die­sem Ro­ger Mül­ler«, wis­per­te er ton­los. »Wir müs­sen zu ihm und ihn um Hil­fe bit­ten. Wenn uns je­mand hel­fen kann, dann er.«

Zum ers­ten Mal, seit sie ihre Rei­se be­gon­nen hat­ten, spür­ten die vier Zeit­rei­sen­den ech­te Zu­ver­sicht. Nicht nur die Hoff­nung, dass sie der nächs­te Sprung nach Hau­se brin­gen könn­te.

»Er lebt in Landau auf Burg Rau­en­fels«, sag­te das Mäd­chen. »Eine wei­te und ge­fahr­vol­le Rei­se steht euch be­vor.«

»Wir müs­sen …« Dan un­ter­brach sich, als eine Tür am Ende des Rau­mes auf­ges­to­ßen wur­de und blen­den­de Hel­lig­keit in den Raum flu­te­te. Zwei dun­kel­häu­ti­ge Män­ner be­tra­ten den Kel­ler. Sie wa­ren nackt bis auf ei­nen Len­den­schurz, in ih­ren Hän­den hiel­ten sie Spee­re mit Kris­tall­spit­zen.

Wäh­rend das Mäd­chen ei­nen schril­len Schrei aus­stieß und sich in die hin­ters­te Ecke kau­er­te, sprang Ken auf. An­hand der Re­ak­ti­on der Klei­nen war es nicht schwer, die bei­den als Fein­de zu er­ken­nen. Als jene, die die­ses Blut­bad an­ge­rich­tet hat­ten.

Die bei­den Män­ner rich­te­ten ihre Spee­re auf das Mäd­chen. Plötz­lich glüh­ten die Kris­tal­le auf, ehe ein hel­ler Strahl aus ih­nen her­vor­schoss und die Brust des Kin­des traf.

Von ei­ner Se­kun­de auf die an­de­re stand das Mäd­chen in Flam­men. Das Feu­er war so heiß, dass die Haut zu schmel­zen be­gann. Mit gro­tes­ken Be­we­gun­gen zap­pel­te die Klei­ne, die Au­gen weit auf­ge­ris­sen. Un­vor­stell­ba­re Schmer­zen hiel­ten ih­ren klei­nen Leib um­fan­gen.

Und doch kam kein Laut aus dem weit auf­ge­ris­se­nen Mund. Das Feu­er ver­hin­der­te jeg­li­chen Schrei.

Nach nur we­ni­gen Se­kun­den brach das Mäd­chen zu­sam­men. Noch im­mer zuck­te es in Ago­nie. Es dau­er­te wei­te­re schreck­li­che Se­kun­den, bis der Kör­per zur Ruhe kam.

»Noch vier von ih­nen«, rief ei­ner der Män­ner, die das Kind ge­tö­tet hat­ten. Er rich­te­te sei­nen Stab auf Ken. »Eine glück­li­che Fü­gung des Schick­sals.«

»Ge­nau«, stimm­te ihm der Zwei­te zu. »Ihr kommt mit. Je­ret wird sich eu­rer an­neh­men.« Ein bos­haf­tes Stak­ka­to­la­chen be­en­de­te die kur­ze Aus­füh­rung.

»Wer … wer ist Je­ret?«, frag­te Clai­re. Sie wun­der­te sich, dass sie über­haupt den Mut fand, die Fra­ge zu stel­len. Voll Grau­sen schau­te sie auf die ver­kohl­te Lei­che des Mäd­chens, ehe sie die bei­den Män­ner an­blick­te.

Eine Ant­wort er­hielt sie nicht. Wei­te­re Män­ner be­tra­ten den Raum. An­ders als die bei­den mit den Stä­ben wa­ren die Neu­an­kömm­lin­ge groß ge­wach­sen und mus­ku­lös. Kein Gramm Fett war an ih­ren Kör­pern zu se­hen, jede Be­we­gung drück­te An­mut und Kraft aus. Sie wirk­ten wie Bo­dy­buil­der von ei­nem Pla­kat für Spe­zi­al­nah­rung, bis zum Schei­tel voll­ge­pumpt mit Ste­ro­i­den. Nicht ein­mal Ar­nold Schwarz­eneg­ger hät­te es zu sei­ner bes­ten Zeit mit ih­nen auf­neh­men kön­nen.

»Schaf­ft sie in das Ver­lies. Je­ret wird sich freu­en.«

Ei­ner der Bo­dy­buil­der mus­ter­te Clai­re nach­denk­lich. Dann dreh­te er den Kopf und schau­te zu den Stab­trä­gern. »Das Weib­chen ist jung und ge­sund. Sie könn­te zur Brut die­nen.«

»Kein schlech­ter Ge­dan­ke. Also schön, dann son­dern wir sie aus. Viel Spaß mit der Klei­nen. Aber pass auf, dass du sie nicht wie­der ent­zwei­reißt, wenn es dir kommt. Sonst müs­sen wir dich aus dem Zucht­pro­gramm neh­men. Die Weib­chen sol­len Kin­der be­kom­men, nicht ge­tö­tet wer­den.«

Mar­kus woll­te sich schüt­zend vor Clai­re stel­len, er­hielt je­doch ei­nen Stoß vor die Brust, der ihn ge­gen die Wand schleu­der­te. Da­bei ent­glitt die Zeit­ma­schi­ne sei­nen Fin­gern und fiel schep­pernd zu Bo­den.

Nie­mand küm­mer­te sich um das Ge­rät, als ei­ner der Bo­dy­buil­der die zap­peln­de und krei­schen­de Clai­re da­von schlepp­te, der an­de­re Mar­kus und Ken pack­te und zur Tür schob. Kei­ner der drei jun­gen Män­ner wag­te es, Wi­der­stand zu leis­ten. Noch im­mer wa­ren die Stä­be auf sie ge­rich­tet.

Se­kun­den­lang war Clai­res Ge­schrei zu hö­ren. Dann brach es plötz­lich ab. Ken schluck­te hart, als er an sei­ne Freun­din dach­te. Er ver­moch­te sich nicht vor­zu­stel­len, was nun mit ihr ge­schah. Zu grau­sam war, was die­ser Bo­dy­buil­der an­ge­deu­tet hat­te.

Sie wur­den aus dem Raum ge­drängt. An ihn schloss sich eine Trep­pe an. Erst jetzt be­grif­fen sie, dass sie sich nicht in ei­nem Ge­bäu­de, son­dern im War­te­saal ei­ner U-Bahn-Sta­ti­on be­fun­den hat­ten.

Kurz da­rauf tra­ten sie in blen­den­de Hel­lig­keit – nur, um so­fort in eine be­reitste­hen­de Schei­be ver­frach­tet zu wer­den, die gro­ße Ähn­lich­keit mit ei­nem UFO be­saß.

Das darf doch al­les wahr nicht sein, dach­te Mar­kus, wäh­rend er ei­nen letz­ten Blick auf die Ge­bäu­de rings­um warf. Sie wa­ren größ­ten­teils zer­stört. Flam­men schlu­gen aus den Trüm­mern em­por, bi­zar­re We­sen lie­fen in hek­ti­scher Un­ord­nung über die Stra­ßen. Ein post-apo­ka­lyp­ti­sches Sze­na­rio, wie es sich nicht ein­mal in sei­ner Hei­mat­welt ab­ge­spielt hat­te. Trotz der Ver­än­der­ten dort.

Zum ers­ten Mal be­grif­fen die drei Freun­de, wel­chen Schre­cken frem­de Wel­ten be­reit­hal­ten konn­ten.

Dann schloss sich die Luke der Schei­be, und kurz da­rauf hob das Flug­ge­rät ab, um über die Dä­cher hin­weg Kurs auf ein nur den Feind­we­sen be­kann­tes Ziel zu neh­men.

 

Im War­te­raum der U-Bahn-Sta­ti­on hob ein klei­ner Jun­ge vor­sich­tig den Kopf. Er hat­te sich die gan­ze Zeit über nicht ge­regt. Selbst, als die vier Welt­en­rei­sen­den er­schie­nen wa­ren, hat­te er nicht ein­mal ge­blin­zelt.

Doch nun spür­te er, dass die Ge­fahr ge­bannt war. Die Feind­we­sen wür­den nicht ein drit­tes Mal kom­men, um nach Über­le­ben­den zu su­chen.

Den­noch blieb er an Ort und Stel­le lie­gen. Ir­gend­wann, in ein paar Stun­den viel­leicht, wür­den Trup­pen der Hu­man De­fen­se Group ein­tref­fen. Ih­nen konn­te er be­rich­ten, was sich hier zu­ge­tra­gen hat­te.

So lan­ge wür­de er zwi­schen all den Lei­chen und dem Ge­stank aus­har­ren.


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