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Tötet Nemo!

Ned Land
Jules Vernes Kapitän Nemo – Neue Abenteuer
Band 1
Tötet Nemo!

Abenteuer, Taschenbuch, Blitz Verlag, Windeck, April 2016, 160 Seiten, 12,95 Euro, Covermotiv und -gestaltung: Mark Freier
blitz-verlag.de

[…]Als er (Cyrus Smith) allein war, betrachtete er sehr nachdenklich die erneut verloschene Zigarre, griff zu den Zündhölzern und riss eines davon an. Nemo und todkrank? Was zum Teufel war denn nun die Wahrheit? Das, was der Mann ihm bruchstückweise selber berichtete, oder das, was der französische Autor in seiner Fabulierkunst ausgeschmückt hatte? Dann erinnerte er sich an den Roman, der sein eigenes Schicksal schilderte und lehnte sich schmunzelnd zurück. Na, dieser Romancier hatte wohl doch eine sehr blühende Phantasie. […]

Kapitän Nemo und seine Mannschaft treffen Vorbereitungen, Nemos U-Boot Nautilus mithilfe einer neuen Erfindung Roburs aus ihrem steinigen Gefängnis im Inneren der Insel Lincoln zu befreien. (siehe Jules Vernes Die geheimnisvolle Insel. Dort wurde die unterirdische Grotte, in der die Nautilus lag, bei einem Vulkanausbruch verschüttet.) Gleichzeitig ist Kapitän Thomas Blunt auf der Suche nach Nemos Schätzen und überzeugt davon, dass die Berichte vom Tod des Inders nicht der Wahrheit entsprechen. Zu diesem Zweck hat Blunt den Ingenieur Cyrus Smith entführt, der einst auf der Insel Lincoln gestrandet ist und von Nemo gerettet wurde. So wartet Blunts Seahunter bereits vor der Insel, als die Nautilus aus ihrem unterirdischen Gefängnis entkommen kann.

Von New York aus ist außerdem der Schnelldampfer Albatros auf dem Weg zur Insel Lincoln, deren genaue Lage der Öffentlichkeit noch immer unbekannt ist. Die New York Times hat ein beträchtliches Preisgeld für denjenigen aussetzt, der zuerst die amerikanische Flagge auf der unbekannten Insel hisst. An Bord der Albatros befinden sich Cyrus Smiths Tochter Martha, ihr Freund Bob Martens und der französische Romancier Jules Verne, der ebenfalls um die Lage der geheimnisvollen Insel weiß.

[…]Nun gibt es kurz hintereinander also zwei Fälle, in denen man an den Mann mit seinem ungewöhnlichen Unterwasserfahrzeug erinnert wird – das Attentat auf Professor Arronax und das Verschwinden des Ingenieurs Cyrus Smith. Die Polizei in Boston schließt jeden Zusammenhang aus und erklärte, dass der Ingenieur zu einer privaten Reise in den Rocky Mountains unterwegs sei. […]

Neue Abenteuer klassischer Helden. Seit einigen Jahren schon ist dies eine Hauptdomäne des Windecker Blitz Verlages. Sei es Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes, Dan Shockers Larry Brent, G. W. Jones Die schwarze Fledermaus, Der Butler (für alle Butler Parker-Fans) oder seit Kurzem Gilbert Keith Chestertons Pater Brown, Karl Mays Kara Ben Nemsi und eben Jules Vernes Kapitän Nemo.

So wie Vernes Die geheimnisvolle Insel eine Art Fortsetzung von 20.000 Meilen unter dem Meer war, nur aus einer anderen Richtung aufgezäumt, ist Tötet Nemo! eine Fortsetzung des Erstgenannten. Der Autor, außerdem Literaturwissenschaftler, Historiker und Jules Verne-Biograf Thomas Oswald (Rolf Torring, Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin), der hier unter dem Pseudonym des Harpuniers Ned Land (einer der unfreiwilligen Gäste Nemos in 20.000 Meilen unter dem Meer) schreibt, steigt ohne lange Vorrede gleich in die Handlung ein, die einige Jahre nach Die geheimnisvolle Insel spielt. Die letzten Vorbereitungen Nemos und Roburs zur Befreiung der Nautilus aus ihrem unterirdischen Gefängnis laufen auf Hochtouren. Und ganz in der Nähe belauert die Seahunter unter dem Kommando des starrsinnigen Kapitän Thomas Blunt, der um jeden Preis hinter Nemos unermesslichen Schätzen her ist, die Insel und wartet kampfbereit nur auf das Auftauchen der Nautilus.

Mittels recht unvermittelt eingebauten Rückblenden fächert Thomas Ostwald die Handlung immer weiter auf. Er lanciert gleich zwei Vorgeschichten, die in Paris und New York beginnen und verschiedene Personen, garniert mit einigen trivialen Widrigkeiten, schließlich zur Insel Lincoln führen sollen, wo sich just am Siedepunkt des Konflikts zwischen Nemo und Blunt die Handlungsstränge vereinen und wo am Ende eine Art Ehemaligentreffen stattfindet. Dieser Aufbau macht das Ganze nach und nach deutlich interessanter, als es die ersten recht simpel gestrickten Seiten des Romans vermuten lassen. Eine kurze Orts- und Zeitangabe zu Beginn jedes Kapitels wäre allerdings ganz hilfreich gewesen, sich schneller in der Handlung zurechtzufinden.

Formal und auch ideologisch ist Tötet Nemo! (ein sehr einfallsloser Titel gegenüber den abenteuer-verheißenden Verne-Romantiteln) eher grob gezimmert und erinnert an die Groschenheft-Abenteuer vergangener Zeiten, in denen moralische Grautöne kein Thema waren. So liegt auch der Fokus des Romans viel mehr auf dem Abenteuer- als beispielsweise dem SF-Charakter des Romans. Der zu erwartende Sense-of-Wonder, bedingt durch allerlei wundersame Erfindungen, will sich nicht einstellen.

Zusätzlich zum Fortsetzungscharakter verfolgt der Autor den Ansatz, dass Jules Verne mit seinen Geschichten um Kapitän Nemo keine fiktionalen Roman, sondern einen Tatsachenbericht nach der Aussage von Cyrus Smith verfasst hat; wenn auch im Dienst der Spannung weidlich ausgeschmückt. D.h. in der Realität dieser Geschichte gibt es sowohl Kapitän Nemo und seine Mannschaft, Cyrus und Martha Smith als auch Jules Verne selbst. Es werden mit dem Auftauchen von Robur (aus Robur, der Eroberer und Herr der Welt), Professor Arronax (aus 20.000 Meilen unter dem Meer) und dem Einsatz eines Filmprojektors (aus Das Karpatenschloss) sogar dünne Fäden zu anderen Werken Vernes gesponnen. Außerdem, mit der Erwähnung des Mordanschlags auf Verne durch seinen Neffen, auch in die Realität.

Das exklusive Covermotiv von Mark Freier zeigt die in sturmgepeitschter See zwischen Riffen auftauchende Nautilus vor der im Hintergrund lauernden Seahunter.

Das Buch ist exklusiv über den Blitz-Verlag erhältlich und verfügt nicht über eine ISBN.

Fazit:
Geradliniger Abenteuerroman mit überholtem Groschenheftcharakter, der als Fortsetzung von Jules Vernes Die geheimnisvolle Insel funktioniert.

(eh)