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Wasser

vincent-voss-wasserVincent Voss
Wasser

Horror, Thriller, Taschenbuch, Verlag Torsten Low, Meitingen/Erlingen, März 2015, 320 Seiten, 13,90 Euro, ISBN: 9783940036315, Covermotiv, Umschlaggestaltung: Chris Schlicht
www.verlag-torsten-low.de

Um 9 Uhr drang Wasser aus dem Abflusssiel des krankenhauseigenen Waschraums im Keller der Klinik, ebenso lief das Wasser sämtlicher Toiletten im Erdgeschoss nicht ab und flutete als Erstes das Besucher-WC neben dem Empfang. […] Das Wasser drang durch den Türspalt und floss in den Flur. Leise, still und dunkel war es hier, Betten, mit Plastikfolie verhüllt, standen zu beiden Seiten des Ganges, gelegentlich raschelte es, wenn ein Luftzug durch den Keller wehte und die Abdeckungen erfasste. Es hörte sich an wie ein Flüstern.

Wie jeden Sommer in den Ferien droht sich in der Clique von Lucie, Dirk, Sasch, Mark gepflegte Langeweile breitzumachen. Zu allem Überfluss liegt ihr Anführer Paul wegen einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus, und auch Bandenanwärter Kaltz lässt den vieren keine Ruhe. Als jedoch unvermittelt Dauerregen einsetzt, mehren sich seltsame Ereignisse in Henstadt-Ulzburg, die mit dem steigenden Wasser in Verbindung stehen.

Lucie sprang den Hügel in großen Schritten hinunter und rief sich in Gedanken den Weg auf, den sie hierher genommen hatte. Dirk und Sasch stiegen den Hügel hinab, da hatte Lucie schon die ersten Schritte durch das Wasser zurückgelegt. Mindestens eine Hand breit war das Wasser angestiegen. Sie erinnerte sich an einen Fahrradkorb, der vorhin im »Trockenen« am Ufer gelegen hatte und der nun zur Hälfte unter Wasser stand. Zudem glaubte sie, die Strömung an ihren Beinen zu spüren. Sie zog an ihr. Jetzt folgte die tiefe Stelle, die, wo es ihr vorhin bis über die Knie gestanden hatte. Vorsichtig tat sie einen Schritt vor und erschrak. Das Wasser reichte ihr bis knapp unter die Leiste.

Henstadt-Ulzburg liegt nur etwa 8 km von Wakendorf II entfernt, wo gut 30 Romanjahre später die Ereignisse aus Vincent Voss Faulfleisch ihren Lauf nehmen werden. Ein Landstrich also, der offenbar für bizarre Ereignisse prädestiniert ist. Nun ist es also 1981, da sich die Clique um Paul unversehens ins Zentrum geheimnisvoller Ereignisse gerückt sehen, die sich mit dem plötzlich einsetzenden Dauerregen anbahnen. Mit dem stetig steigenden Wasser kommt etwas Körperloses zurück, das nicht nur nach den Jugendlichen greift. Fünf einflussreiche Männer in der Gemeinde wissen um die Bedrohung, die von dem Wasser ausgeht und sie benötigen die Opfer, um die Gemeinde zu schützen, so wie sie es schon lange tun, weit länger als ein normales Menschenleben. Und so kommt den Jugendlichen eine zentrale Rolle in den Plänen der Altvorderen zu.

Vincent Voss verbindet in seinem vierten Roman (seine Beiträge für Bastei-Reihen Horror Factory oder Hochspannung nicht mitgezählt) eine Coming-of-Age-Geschichte mit Elementen des Okkulten, wie es auch Stephen King in ES oder Dan Simmons in Sommer der Nacht getan haben. Dass die norddeutsche Variante eine Nummer kleiner ausfällt als die Vorbilder, sollte man dem Roman nicht ankreiden. Stattdessen muss honoriert werden, dass ein deutscher Indie-Autor durchgehend auf einem solch hohen Level schreiben kann. Wie schon die Vorgänger steht auch Wasser durchgehend unter Spannung

Wie Kollege Stefan Melneczuk in Marterpfahl versteht es auch Vincent Voss fabelhaft, den Zeitkolorit und vor allem das Sommergefühl dieser Generation (zu der ich mich selbst zähle) einzufangen. Ohne je zu weitschweifig zu werden, bringt er eine Ahnung dieser Jugend(Jahre) zurück. Die gemeinsame Fahrt der Fußballmannschaft zu einem Auswärtsspiel, das unvermittelte Zusammentreffen mit einer Bande älterer Rowdys, ja die gesamte Zeit der Sommerferien, in der man sich als Zuhause-Gebliebener selbst überlassen ist und die fast surreal regellos scheint. Ganz so als hätten Stephen Kings Die Leiche und Stand by me hier Pate gestanden. Und doch ist Wasser alles andere als eine Nacherzählung.

Denn bedrohlich mehren sich in diesem Sommer die Zeichen, dass etwas Unheimliches in dem Örtchen vorgeht. Unvermittelt setzt anhaltender Regen ein, Wasser dringt in die unteren Bereiche des Krankenhauses, es gibt Komplikationen, eine Patientin stirbt. Dirk glaubt, seinen toten Bruder zu sehen, eine Mutprobe fordert ein Todesopfer und Mark recherchiert in der Dorfchronik, dass es Henstadt-Ulzburg nicht zum ersten Mal von einem solchen Dauerregen heimgesucht wird. So spitzen sich die Ereignisse immer weiter zu, während auch die Hauptfiguren an der Herausforderung wachsen.

Für das Umschlagmotiv zeichnet die Künstlerin Chris Schlicht verantwortlich, die schon einige Bücher aus dem Verlag Torsten Low gestaltet hat. Das Wrap-around-Cover zeigt ein typisches Jugendzimmer-Interieur der 1980er-Jahre, in dem das Wasser unter dem Bett hervordringt.

Fazit:
Dicht erzählte Coming-of-Age Horrorgeschichte mit einem sogartigen Sense of Mystery, dabei mühelos weg zu lesen. Ein echter Page-Turner!

(eh)