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Sherlock Holmes und die seltsamen Särge

sherlock-holmes-und-die-seltsamen-saergeBarbara Büchner
Meisterdetektive 05 (Hrsg.: Alisha Bionda)
Sherlock Holmes und die seltsamen Särge

Historischer Krimi/Mystery, Paperback, Fabylon Verlag, Markt Rettenbach, November 2014, 200 Seiten, 14,90 Euro, ISBN: 97839927071629, Covermotiv und Innenillustrationen: Crossvalley Smith, Reihenlayout: Atelier Bonzai
www.fabylon.de

Wenn Gott mir schon einen analytischen Verstand gegeben hat, die kompliziertesten Rätsel zu lösen, warum lässt er mich dann an Langeweile zugrunde gehen? Ich verlange doch nichts weiter von ihm als einen unlösbaren
Fall – das heißt, einem Fall, den niemand außer mir lösen kann!

Von der Tatsache ernüchtert, dass er für die Festland-Europäer offenbar nur noch ein spleeniges Kuriosum ist, lässt sich Sherlock Holmes während einer Abendgesellschaft auf eine Wette ein. Den Herausforderern ist es gestattet, sieben ungelöste Rätsel aus offiziellen Archiven auszusuchen und dem Meisterdetektiv zur Lösung vorzulegen. Dieser muss den Täter namhaft machen oder stichhaltige Indizien liefern, die einen plausiblen Tathergang beschreiben. Dabei streifen die Fälle wie so oft das Reich des Übersinnlichen, sei es ein rätselhafter Todesfall in einer verwunschenen Landsenke, die allgemein als Tummelplatz für Zwerge gilt, das Wiederauftauchen eines Gespensterhasen, das Rätsel eines verfluchten Landhauses oder der augenscheinliche Totschlag eines Passanten durch eine lebendig gewordene Steinfigur. Und als wären Holmes Fähigkeiten durch diese Wette nicht genug gefordert, gibt es auch einige aktuelle Fälle zu lösen, von denen nicht selten Menschenleben abhängen.

Jeder Mensch hat Erinnerungen, die er am liebsten aus seinem Gehirn ausbrennen würde. Ach, wenn das möglich wäre! In dem Fall würde ich als Erstes die Erinnerungen an Dartmoor und den Höllenhund der Baskervilles herausoperieren lassen – und als Zweites nicht etwa meine Erinnerungen an den Afghanistan-Krieg, obwohl die unerfreulich genug waren, sondern an ein Abenteuer, das ich noch als Medizinstudent gehabt hatte, lange vor meiner ersten Begegnung mit Holmes.

Mit Sherlock Holmes und die seltsamen Särge hat Barbara Büchner nach Sherlock Holmes und das verschwundene Dorf erneut einen Episodenroman um den Meisterdetektiv aus der Baker Street 221b verfasst. Eine schriftstellerische Herausforderung, die weit mehr Planung erfordert als das Schreiben einer klassischen Kurzgeschichtensammlung. Und die Verzahnung der einzelnen Fälle wurde hier noch kunstvoller und filigraner angegangen als im Vorgänger, zudem derart variiert, dass man gar nicht von einer reinen Wiederholung sprechen kann. Es gibt hier knappe und ausführliche Erzählstränge, Ermittlungen werden begonnen, unterbrochen und später wieder aufgegriffen, Nachforschungen zu unterschiedlichen Fällen parallel geführt. Einige Themen ziehen sich sogar durch das komplette Buch. Indem die einzelnen Geschichten derart ineinander und übereinander »geschoben« sind, überholt Barbara Büchner die starre Struktur einer einfachen Kurzgeschichtensammlung und macht daraus ein kompaktes Werk. Das klingt zwar unübersichtlich und wirr, doch die Autorin hält ihre Erzählung(en) so kunstvoll zusammen, dass Inhalt und Form eine reizvolle Einheit eingehen. Als dankbarer Nebeneffekt läuft man als Leser gar nicht in die unbewusste Gefahr, die einzelnen Fälle auf Umfang und »Qualität« gegeneinander abzuwägen, wie es ansonsten zwangsläufig vorkommt.

Was die Tonart angeht, versteht es die Wienerin vortrefflich, die einzelnen Fälle wunderbar mysteriös und skurril aufzuziehen, auch wenn sich die Auflösung stets irdisch gibt. Eine Methode, die schon Arthur Conan Doyle selbst gepflegt hat. Man denke nur an den vermeintlichen Höllenhund der Baskervilles und die den Reiz vieler Sherlock-Holmes-Geschichten ausmacht.

Wie gewohnt ist der Band auch ein Fest fürs Auge. Crossvalley Smiths Covermotiv mit der vermeintlichen Alienleiche ist ein kunstvoll-bizarrer Blickfang, dem das etwas größere Taschenbuchformat sehr zugute kommt. Auch Satz und Layout sind vertraut gefällig und übersichtlich, wie es bei Veröffentlichungen aus dem Hause Bionda die Regel ist. Als Bonbon verfügt jedes Kapitel noch über eine eigene Innenillustration.

Im Nachwort erläutert Barbara Büchner noch ihre Inspirationen für die einzelnen Kapitel. Tatsächlich basiert vieles davon auf realen Ereignissen.

Fazit:
Ein fabelhafter Episodenroman voller skurriler Fälle für den Meisterdetektiv Sherlock Holmes und seinen Freund und Begleiter John Watson. Elegant geschrieben und mit experimenteller Note. Großartig!

Ein dezent experimentelles Highlight in der derzeitigen Flut an Sherlock-Holmes-Geschichten.

(eh)