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Die Waldmühle – Kapitel 1

Die Waldmühle
Ein Märchen aus Robert Reinicks Märchen- Lieder- und Geschichtenbuch, 1873
Kapitel 1

in lustiger Soldat kam aus dem Krieg zurück. Er hatte tapfer gefochten und das Herz saß ihm auf dem rechten Fleck. Den Ranzen auf dem Rücken, die dampfende Pfeife im Mund, den Knotenstock in der Hand, zog er seines Weges und dachte schon mit Vergnügen an die nächste Schenke, wo er zu Mittag einkehren würde. Die letzte Nachtherberge war erbärmlich gewesen, das Brot darin hart und das Bier sauer. In so tröstliche Gedanken vertieft, merkte er nicht, dass er von der Landstraße abgekommen war. Der Weg wurde immer öder, das Gestrüpp wilder, und ehe er es sich versah, befand er sich in einem dichten Wald.

»Auch gut!«, sprach der lustige Bruder vor sich hin, »im Schatten marschiert es sich frisch, der Tabak im Pfeifel verpafft nicht so flink, als da draußen, wo der Wind geht, und ein Lied klingt im Grünen noch einmal so schön, das weiß jeder dumme Vogel so gut wie ich!«

Bald stand die Sonne ihm hoch über dem Kopf und im Wald regte sich kein Lüftchen. Wenn sein Lied zu Ende war, hörte er die Käfer summen, die Blätter von den Bäumen fallen und das Rascheln der Eidechsen, die vor seinen Füßen am Weg ins Gestrüpp schlüpften. Aber rings im Dickicht lag der Mittag umso schwüler und stiller.

Wie er so fortschritt, bemerkte er, dass vor ihm her in der Luft sich etwas Weißes bewegte, wie ein kleines sich ringelndes Wölkchen, das vom Wind bewegt allerlei Gestalten annahm.

»Hm!«, brummte er, »was der Tabak in meinem Pfeifel heute nur für einen absonderlichen Dampf von sich gibt. Macht mir da allerlei Faxen und Figuren vor den Augen her! Bald sieht es aus wie eine Wolke, bald wie ein Vogel, bald wie ein Gesicht, bald wie eine Hand, die mir winken tut. Ist mir mein Lebtag so was nicht vorgekommen!«

Bald war aber seine Pfeife ausgebrannt und das Geflimmer hörte doch nicht auf.

Er rieb sich die Augen. Noch immer schwirrte das weiße Ding vor ihm her, aber nun sah er deutlich, dass es ein großer Schmetterling war, wie er bisher noch keinen gesehen hatte.

Den Blick immer auf das flatternde Tier gerichtet, hatte er bald auch die letzte Spur eines Fußpfades verloren. Dabei setzte ihm sein hungriger Magen gewaltig zu, und doch war weit und breit keine Menschenwohnung zu sehen, viel weniger eine rauchende Küche.

»Kamerad,«rief er dem Schmetterlinge zu, der immer auf den wegsamsten Stellen vor ihm herflatterte, »du scheinst hier Bescheid zu wissen. Des Spaßes halber will ich noch eine Zeit lang hinter deiner Fahne herlaufen. Wie wäre es, wenn du mich so rasch wie möglich in ein gutes Quartier brächtest?«

So ging er denn folgsam hinter seinem neuen Führer her.

Bald wurde die Waldung lichter, ein geschwätziger Bach ließ sich hören, immer näher und näher, ein Hund schlug in der Ferne an und es dauerte nicht lange, so vernahm er das Klappern einer Mühle. Die schönste Regimentsmusik und der prächtigste Zapfenstreich hatten ihm nie so herrlich geklungen wie dieses einfache Geklapper, denn schon sah er in seiner aufgeregten Fantasie ganze Kompanien gebratener Hühner, Gänse und Schweine in Reih und Glied nach dem Takt des Mühlrades, geraden Weges in seinen Mund marschieren.

Das fuhr ihm frisch durch alle Glieder, ganz von selbst schritten seine Beine nun vorwärts, während er sie noch eben mühsam hinter sich hergeschleppt hatte. Nun sah er bald zwischen den Bäumen ein Strohdach, worauf die Sonne glitzerte, dann erschien ein Zaun hinter dem Gesträuch. Als er endlich aus den Büschen hervortrat, stand auf einem freien Platz eine alte baufällige Mühle dicht vor seinen Augen. Ein schöner Anblick! Nur schade, die Tür war verschlossen, der schwarze Schornstein starrte rauchlos in die Luft und von menschlichen Wesen war weit und breit keine Spur zu sehen, keine Stimme zu hören.

Der Schmetterling flatterte geraden Weges auf das Haus zu. Durch das große Schlüsselloch der Tür schlüpfte er ohne Umstände hinein. Auf diesem Weg konnte ihm der Soldat beim besten Willen freilich nicht nachfolgen.

»Maulgehalten!«, rief er dem ruppigen Hund zu, der auf der Hundehütte stand und wütend an der Kette zerrend über den verfallenen Bretterzaun mit heiserer Stimme herüber klaffte. Der Soldat griff nach einem Stein und die Bestie war still, dann rüttelte er an Tür und Schloss; das rührte sich nicht.

»Heda! Wirtschaft! Hallo! Aufgemacht!«, rief er und schlug mit Knüttel und Stiefelabsätzen gegen die Pforte.

Drinnen blieb es still.

»Lumpenwirtschaft das!«, brummte der Hungrige und sah sich nach allen Seiten um. Das einzige lebende Wesen, das er jenseits des Baches sah, war ein alter langhaariger Esel,der auf der Wiese an einer Distelstaude rupfte und faul seine Augen gegen ihnaufschlug.

»O du allerglückseligstes Vieh!,« rief der Soldat, »Esel! Hätte ich nur erst ein Mittagbrot im Leibe, das mir so gut schmeckte, wie dir dein Distelfraß da! Aber so soll gleich …«

Unter einem kräftigen Soldatenfluch stieß er noch einmal mit solcher Kraft gegen die Tür, dass sie aufsprang.

»Victoria!«, jubelte er und schwang seinen Hut. Singend und pfeifend, den Knüttel auf der Schulter, zog er ins Haus hinein.

Wie es mit dem Märchen weitergeht, erfahrt ihr, wenn das nächste Türchen geöffnet wird.