Nick Carter – Band 17 – Das Gefängnis auf dem Meeresgrund – Kapitel 7
Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Das Gefängnis auf dem Meeresgrund
Ein Detektivroman
Eine missglückte Maßfahrt
Bereits eine Viertelstunde später saßen die beiden in einem Ruderboot und ließen die Riemen in Richtung des Prahms wacker ausgreifen.
Als sie näher herankamen, erkannten sie, dass es sich um einen der üblichen Bergungsprahme handelte, der mit einem Paternosterwerk und allerlei Maschinerien für Bergungs- und Taucherzwecke ausgestattet war.
Gerade als die Detektive in Rufweite kamen, sahen sie einen Taucher in seiner unförmigen Rüstung aus dem Wasser auftauchen.
Neben dem Prahm lag ein kleines Dampfboot. Kurz nachdem sich der Taucher auf Deck begeben hatte, gab das Dampfboot Volldampf und setzte sich in Richtung Küste in Bewegung.
An Bord befanden sich ein Passagier, der Maschinist und der Steuermann.
»Ich möchte darauf wetten«, brummte Chick, »dass sich Fillmore in der Kajüte jenes Prahms befindet!«
»Wette dein Geld lieber nicht darauf, denn wir werden es ohnehin bald herausgefunden haben«, erklärte Nick und legte sich mächtig in die Riemen.
Der Passagier im Dampfboot hatte ihre Annäherung offenbar bemerkt. Er ließ sich vom Steuermann einen Feldstecher reichen und beobachtete die beiden Ruderer aufmerksam.
»Beachte ihn gar nicht«, entgegnete Nick. »Schau nicht einmal nach ihm aus. Wenn er etwas von uns will, soll er sich mit uns verständigen.«
Der Passagier hatte sich wieder niedergesetzt, doch offensichtlich dem Steuermann einen Befehl erteilt, denn dieser änderte plötzlich den Kurs und steuerte nun auf das Ruderboot zu. Den Insassen entging nicht, dass er Volldampf gegeben hatte, wodurch der Dampfer schneller wurde.
»Sie halten auf uns zu!«, bemerkte Chick unter ununterbrochenem Rudern.
»Hallo – hallo dort!«, ertönte einen Moment später die Stimme des Passagiers vom Dampfer her.
»Rudere weiter!«, wisperte Nick. »Doch beeile dich nicht allzu sehr, wir haben ihn einfach nicht gehört, verstanden?«
»Hallo, hallo, ihr dort in dem kleinen Boot!«, schrie der Passagier wieder, »wohin rudert ihr?«
»Eh?«, entgegnete Nick, sein Ruder hochhebend und über die Schulter blickend.
Das Dampfboot war vielleicht noch dreihundert Fuß von ihnen entfernt. Der Dampf war abgestellt worden, und es glitt nun zwischen dem Ruderboot und dem noch etwas weiter entfernten Prahm dahin. Auf dem Verdeck des letzteren hatten die Beschäftigten ihre Arbeit unterbrochen, um nachzusehen, was sich ereignete.
»Wohin wollen Sie?«, rief der Passagier erneut.
»Dort hinaus!«, entgegnete Nick und winkte mit der Hand in Richtung See. Da tauchte er auch schon sein Ruder wieder ins Wasser, doch der Passagier schrie ihm zu, auf der Stelle anzuhalten.
»Umkehren! Sie dürfen nicht weiter in jener Richtung rudern!«
»Sie sind wohl meschugge!«, rief Nick unter breitem Lachen zurück. »Ist der See nicht frei? Wer will mir was verbieten?«
»Nein, dieser Teil des Sees ist nicht frei!«, schrie der Passagier.
»Ich möchte wissen, warum – der See ist doch nicht eingezäunt!«
»Das macht keinen Unterschied! Sie dürfen nicht weiter rudern!«
»Dürfen nicht?«, schrie Nick Carter. »Das wollen wir doch einmal sehen!«
»Nein, Sie dürfen nicht! Seien Sie vernünftig, lieber Mann …«
»Der Teufel ist Ihr lieber Mann!«, schrie der Detektiv im Schifferton grob zurück. »Ich sehe kein Verbotsschild, und seit zwanzig Jahren fahre ich auf diesem See. Heute ist es zum ersten Mal, dass so eine einfältige Landratte mir Vorschriften machen will. Weiter gerudert, Tommy!«
Chick, der sich nur mühsam das Lachen verkneifen konnte, legte sich gehorsam in die Riemen.
Doch bevor er den nächsten Ruderschlag ausführen konnte, schrie der Passagier bereits wieder: »Anhalten! Ihr dürft nicht weiter! Wartet eine Minute, dann will ich euch alles erklären!«
»Was ist denn jetzt wieder los?«, brüllte Nick dem Passagier zu.
»Sie sollen warten – ich werde Ihnen alles erklären!«
»Das möchte ich mir auch ausbitten! Es wäre ja noch schöner, wenn eine alte Wasserratte sich von jedem Dummkopf Vorschriften machen lassen müsste!«
»Wollen Sie mich anhören?«
»He?«
»Unter jenem Prahm dort liegt ein Wrack!«
»Das weiß ich längst!«
»Ich habe die Bergung der Ladung übernommen. Sie haben doch sicherlich schon von den Dunbars gehört, den Generalunternehmern, oder nicht?«
»Ja, habe ich, aber was weiter?«
»Ich bin Dunbar jr.!«
»So? Welcher denn?«
»Das dürfte Sie wohl nicht weiter interessieren. Doch um es kurz zu machen: Ich bin George Dunbar, der älteste Sohn!«
»Mächtig erfreut, Ihre werte Bekanntschaft zu machen, Mr. Dunbar – doch ich sehe nicht ein, warum uns das am Auswerfen unserer Netze jenseits des Prahms hindern soll!«
Heimlich flüsterte er jedoch seinem Vetter zu: »Wollen wir es darauf ankommen lassen – der Bursche soll uns fortbringen!«
»All right!«
Wir wollen es abwarten. Auch meine Geduld ist erschöpft. Wenn ihr Dickköpfe nicht hören könnt, müsst ihr fühlen!«, rief George Dunbar, während er sich dem Steuermann zuwandte.
»Fahren Sie das Boot über den Haufen, wenn die Kerle nicht umkehren!«
»All right, Sir!«, entgegnete der Mann am Steuerrad.
Nick blickte anscheinend ängstlich auf das Dampfboot.
»Sie wollen uns doch nicht im Ernst über den Haufen fahren!«, knurrte er.
»Zwingen Sie uns lieber nicht dazu«, entgegnete Dunbar.
Statt einer Antwort begannen die Detektive, wieder nach dem Prahm zu rudern.
Zwischen diesem und der Jolle, doch ganz nahe bei Letzterem, schwankte der kleine Dampfer auf und nieder. Nun begann er plötzlich, sich langsam in Bewegung zu setzen.
Wie der Detektiv alsbald erkannte, handelte es sich um ein vorzüglich gebautes Dampfboot, dessen Steuerung auf den kleinsten Handgriff prompt reagierte. Es kam dicht an die Jolle heran, wich ein wenig zurück und stieß dann mit seinem scharfen Bug gegen eine Seite des Ruderbootes. Das geschah mit einem leichten Krach, jedoch wurde dadurch kein Schaden angerichtet.
Nichtsdestotrotz sprang Nick in anscheinend großer Wut auf und hieb mit seinem Ruder auf das Dampfboot ein, als ob er dieses in Stücke schlagen wollte. Er spielte seine Rolle so gut, dass er selbst ins Schwanken kam und ihm das Ruder über den Kopf hinweg ins Wasser fiel.
»Himmeldonnerwetter, nun habe ich mein Ruder verloren!«, schrie der Detektiv auf.
»Das ist recht!«, höhnte George Dunbar, der mit untergeschlagenen Armen dasaß. »Steuermann! Schieben Sie das Boot dem Ufer zu!«
Nick Carter vollführte einen wahren Indianertanz und stampfte vor Zorn mit den Füßen auf. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn das Dampfboot die Jolle zum Kentern gebracht und ihnen ein unfreiwilliges Bad beschert hätte. Dann hätte Dunbar sie aus Menschlichkeit an Bord seines Fahrzeugs nehmen müssen.
Doch der kleine Dampfer befand sich derart unter der Gewalt des Steuermanns, dass keine solche Katastrophe eintrat. Geschickt beugte sich Dunbar nieder und fischte das über Bord gegangene Ruder auf. Dann legte sich das Dampfboot wieder mit seiner Breitseite gegen die Jolle, in die das aufgefischte Ruder geworfen wurde.
»Nehmt euer Ruder besser in Acht!«, rief Dunbar spöttisch.
»Ich werde Ihnen die Polizei auf den Hals hetzen – das werde ich tun!«, knurrte Nick Carter und setzte sein Ruder wieder ein.
»Machen Sie, was Sie wollen. Jedenfalls müssen Sie sich zu diesem Behuf an Land begeben. Ich werde der Polizei einfach sagen, dass ich Sie als Gelegenheitsdiebe beargwöhne, die etwas von der durch uns geborgenen Ladung stehlen wollen.«
»O du gemeiner Halunke, du Lump!«, schrie Nick Carter wütend. »Ich hätte Lust, an Bord zu springen und dich windelweich zu prügeln!«
»Besser ist es für dich, wenn du das sein lässt!«, entgegnete George Dunbar und zeigte dabei seinen Revolver.
»Ach was, warum sollen wir uns mit der Bande weiter abärgern, Tommy?«, schrie der Detektiv nun. »Wir rudern besser zurück.«
Das geschah. Doch auf dem ganzen Weg zur Rüste zurück hielt sich das Dampfboot dicht in ihrer Nähe.
Schließlich, als Dunbar davon überzeugt war, dass er die vermeintlichen Schiffer ausreichend eingeschüchtert hatte, gab er den Befehl, den Fluss weiter hinaufzufahren.
»Versucht es nicht noch einmal!«, rief er warnend zum Abschied. »Die Leute auf dem Prahm haben Befehl, auf jeden zu schießen, der sich ihnen nähert!«
Die Detektive gaben keine Antwort. Dunbar ließ sich dagegen an Land setzen und begab sich unverzüglich zu seinem Wohnhaus, wo er, wie der geneigte Leser bereits weiß, mit Patsy zusammentraf.
Schreibe einen Kommentar