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Nick Carter – Band 12- Eine gestörte Hochzeit – Kapitel 5

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Eine gestörte Hochzeit
Ein Detektivroman

Im Tenderloin

Chick und Patsy verließen sich auf ihre Kenntnisse der Aufenthaltsorte der Verbrecher in der Stadt, welche sie auf die Spur Lannigans führen konnten. Es war beinahe sieben Uhr, als sie Nicks Wohnung verließen.

»Ich wette, Patsy«, sagte Chick, »dass die Bande, die heute früh Sanborns Haus berauben wollte, aus Philadelphia ist.«

»Das denke ich auch«, war Patsys Antwort.

»Wenn das so ist«, sagte Chick, »und sie sind noch in der Stadt, so werden wir sie sicher im Tenderloin finden, wo sie sich aufhalten werden, um ein Trinkgelage zu veranstalten.«

»Denkst du, dass sie das tun werden?«, fragte Patsy. »Ihr Plan ist gründlich gescheitert.«

Chick erwiderte: »Sie haben für eine Weile genug. Das Beste ist, wir suchen Lannigan in den Musikhallen.«

»Es ist noch ein wenig früh, um die Jagd zu eröffnen, aber wir können einstweilen etwas zu uns nehmen, ich habe seit heute früh noch nichts gegessen.«

Sie gingen in ein bekanntes Hotel und hatten sich noch nicht niedergesetzt, als sie einen guten Bekannten trafen. Es war der Detektiv Merton, den sie baten, mit ihnen zu essen.

Nachdem sie sich gesetzt hatten, kamen sie ins Gespräch, und so fragten Nicks Gehilfen ihren Kollegen, was für ein Geschäft ihn hierhergeführt hätte.

»Ich arbeite einen ganz leichten Fall aus«, sagte Merton. »Ein junger Mensch, der mehr Geld als Verstand hat, befindet sich auf einer Bierreise, um sein Geld unter die Leute zu bringen. Seine Familie hat uns beauftragt, ihn zu überwachen, damit ihm nichts zustoßen kann. Das ist mein Auftrag. Mein Chef sagt, es sei eine Art Erholung für mich.«

»Sagen Sie, Merton«, meinte Chick, »schickte ihr Chef einige seiner Leute zu der Sanbornschen Hochzeit heute früh?«

»Nein«, versetzte Merton, »der Chef war sicher, dass Sanborn Mr. Nick Carter darum bitten würde. Deshalb hat er niemanden geschickt.«

»Wenn also jemand kam, dann waren es Fremde«, sagte Patsy.

»Das ist todsicher«, war Mertons Antwort. »Aber versuchte denn jemand, in das Haus zu kommen?«

»Ich glaube, ja«, meinte Chick vorsichtig.

»Sagen Sie«, fragte Merton plötzlich, »hat die Geschichte von Ellisons Flucht etwas Wahres an sich?«

Chick war für den Augenblick völlig verblüfft, sodass er nicht wusste, wie er diese direkte Frage beantworten sollte.

Nick und die Sanborns hatten gehofft, dass die Gäste den Abbruch der Hochzeitsfeier der plötzlichen Erkrankung der Braut zuschreiben würden und dass sie die Flucht Ellisons verheimlichen könnten.

So frage er Merton: »Was wissen Sie darüber, Kollege?«

»Ich weiß eigentlich gar nichts«, erwiderte dieser. »Ein Freund von mir, der sich unter den Gästen befand, hörte Herrn Sanborn mit seinem Neffen sprechen. Daraus entnahm er, dass die Krankheit der Braut davon herrührte, dass Ellison das Haus plötzlich verlassen habe. Mit anderen Worten, mein Freund vermutete einen Streit, der Ellison dazu getrieben hatte, ohne Weiteres seiner Wege zu gehen. Gut«, sagte Merton, »wenn ein Versuch gemacht wurde, in das Haus zu dringen, von wem wäre er dann ausgegangen?«

»Nick denkt, dass Lannigan hereinzukommen versuchte, indem er sich für einen von Euch ausgab.«

»Lannigan? Der bekannte Salon-Einbrecher aus Philadelphia?«

»Genau derselbe. Wissen Sie, ob er sich jetzt hier aufhält?«

»Freilich«, entgegnete Merton, »ich sah ihn vor kaum einer Stunde. Sie werden ihn zu jeder Zeit im Tenderloin finden. Die zwei Nächte, die er hier ist, war ein Frauenzimmer bei ihm, die zu seiner Sippschaft zu gehören schien.«

Chick wandte sich zu Patsy. »Du siehst, ich habe richtig geraten. Wir haben ihn im Tenderloin zu suchen.«

»Wer ist die Frau, welche ihn begleitet?«, fragte Patsy.

»Sie ist groß, hübsch, mit einem Gesicht wie Marmor, hat rote Lippen, große, blaue Augen und helles, gekräuseltes Haar. Sie ist vornehm gekleidet und sieht mir aus wie eine Dame, die einmal die Schattenseiten New Yorks kennen lernen möchte.«

Chick und Patsy wechselten einen schnellen Blick.

»Suchen Sie eine solche Dame? Ich dachte, Nick Carter beschäftigt sich überhaupt nicht mit solchen Fällen.«

»Doch«, sagte Chick, »wir sollen diese beiden beobachten.«

»Dann ist es das Beste«, meinte Merton, »wir gehen zusammen, denn wenn sie hier in der Stadt sind, werden wir schon mit ihnen zusammenstoßen.«

Nachdem die drei ihre Mahlzeit beendet hatten, brachen sie auf.

Merton hatte wenig Schwierigkeiten, den Mann, welchen er zu überwachen hatte, zu finden, auch die zwei, die von Chick und Patsy gesucht wurden, waren nirgends zu entdecken. Alle möglichen und unmöglichen Plätze wurden durchsucht, aber von Lannigan war keine Spur zu finden. Die Stunden vergingen, und Mitternacht war schon herangekommen, als Patsy sagte: »Ich fürchte, Chick, dass Lannigan nach Philadelphia zurückgekehrt ist, nachdem sein Plan durchkreuzt wurde.«

»Meinst du das Stehlen der Sanbornschen Hochzeitsgeschenke?«

Plötzlich zeigte Merton zu der anderen Seite der Straße.

»Da sind ja die Gesuchten.«

Hinübersehend bemerkten sie einen Herrn und eine Dame, beide elegant gekleidet, auf sie zukommen.

Die drei Detektive versteckten sich in einem Torweg und ließen das Paar an sich vorbeigehen. Sie folgten ihnen und sahen, dass die beiden ein Restaurant betraten, welches sein Hauptgeschäft nach Mitternacht machte.

Nachdem die drei eine Zeitlang gewartet hatten, damit es nicht aussah, als verfolgten sie das Paar, sagte Chick zu Merton: »Ich glaube, wir können jetzt hineingehen.«

In demselben Augenblick kam ein junges Mädchen auf Merton zu und redete ihn mit den Worten an: »Haben Sie heute Nacht etwas für mich zu tun?«

»Nein, Bess, ich habe nichts von Wichtigkeit«, erwiderte der Detektiv.

Sie entfernte sich, und Chick fragte, wer die junge Dame eigentlich wäre.

»Sie ist bei mir beschäftigt«, gab Merton zurück.

»So brauchen Sie sie bei der Arbeit?«

»Ja, sie ist unser Adressbuch, sie weiß tatsächlich alles.«

»Bitte rufen Sie sie zurück«, bat Chick. »Wir werden sie mit hineinnehmen. Sie könnte uns von Nutzen sein.«

Bald kam Merton mit ihr zurück, und die vier betraten zusammen das Restaurant.

Es war schwer, einen Tisch in der Nähe Lannigans zu finden, wo sie ihn unbemerkt beobachten konnten. Endlich fanden sie einen, von wo aus sie nicht nur Lannigans Tisch, sondern auch das ganze Zimmer übersehen konnten.

»Chick«, sagte Patsy, »Lannigan ist nicht niedergeschlagen, wie ich bemerkte, im Gegenteil, er kommt mir äußerst aufgeräumt vor.«

Sie bestellten sich Getränke, und Merton fragte das Mädchen: »Kennst du den Stutzer da drüben, der sich eben Sekt mit Burgunder mischt?«

»Gewiss. Ich kenne ihn noch von Philadelphia her.«

»Denkst du, dass er dich kennt?«

»Ich glaube kaum«, lautete die Antwort.

»Kennen Sie die Dirne, welche bei ihm ist?«, fiel Chick ein.

»Nein, ich habe sie noch nie zu Gesicht bekommen, bis vor drei Tagen, und dann sah ich sie stets mit ihm.«

»Dann könnte er sie nur von Philadelphia mit herübergebracht haben. Wenn er es getan hätte, wäre es nicht ohne Bedeutung für uns.«

»Ist es für Sie sehr wichtig, etwas über die Dame zu erfahren?«, fragte Bess.

»Sieh mal«, sagte Merton, »diese beiden Herren, zwei gute Freunde von mir, möchten gern Klarheit über die Dame, welche sich bei Lannigan befindet. Ich weiß nicht den Beweggrund dafür und will auch nicht danach fragen, aber wenn du ihnen hilfst, unterstützt du auch mich.«

»Und ich werde Sie genauso bezahlen, wie es Merton tut, wenn Sie für ihn gearbeitet haben«, fiel Chick ein.

»Ich verlange nicht viel«, sagte Bess lachend, »nur die übliche Bezahlung eines Abends. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen helfen kann, doch werde ich es versuchen.«

»Dann werde ich Sie gleich jetzt bezahlen«, erwiderte Chick und drückte ihr eine Zehndollarnote in die Hand.

»Danke schön«, sagte Bess und fuhr fort: »Heute Nacht wird ein Mädchen hierherkommen, sie ist sehr bekannt in der Stadt, und wenn sie etwas über die Dame weiß, wird sie es mir gewiss sagen.«

Die kleine Gesellschaft gab sich nun den Tafelfreuden eines kleinen Soupers hin, welches Chick bestellt hatte.

In der Zwischenzeit füllte sich der Raum zusehends. Bald war alles in Tabakrauch eingehüllt, und man konnte in dem Stimmengewirr kaum sein eigenes Wort verstehen.

Sie behielten stetig den Tisch mit dem Pärchen im Blick und sahen, wie sich ein Mann den Weg zu Lannigan bahnte und ihm etwas zuflüsterte. Lannigan sah beunruhigt aus, reichte dem anderen einen Zettel und schickte ihn wieder fort.

»Donnerwetter«, sagte Patsy erstaunt, »den habe ich heute früh schon einmal gesehen. Es war einer von denen, die die Blumen brachten und der so erstaunt aufschrie, als er Nick gewahrte.«

»Er ist einer unserer hiesigen schweren Jungen«, meinte Merton gelassen.

Bei diesen Worten stand Bess unvermittelt auf und winkte jemandem zu, der den Salon betrat. Es war ein auffallend gekleidetes junges Geschöpf, welches sich in Gesellschaft von zwei Damen und zwei Herren befand.

Sie nahmen einen Tisch am anderen Ende des Zimmers ein, und das junge Mädchen kam sofort zu ihr herüber, als sie Bess bemerkte.

Nachdem die beiden sich begrüßt hatten, begann Bess: »Sage mal, ist dir die Gesellschaft da drüben sehr angenehm?«

»Durchaus nicht«, sagte das Mädchen. »Die beiden Kerle sind nicht meine, sondern der beiden anderen Mädchen Freunde, und sie haben mich nur mit hierher verschleppt.«

»Entschuldige dich bei ihnen und komme zu uns, ich möchte dich etwas fragen«, bat ihre Freundin.

Das Mädchen tat, wie sie gebeten worden war, und kam zurück.

»Alice«, sagte nun Bess, »sieh dir einmal den Herrn und die Dame da drüben an.«

»Das ist Jimmy Lannigan. Er treibt sich hier in New York schon drei Nächte herum«, sagte Alice ohne Besinnen.

»Kennst du auch die Dame, welche bei ihm ist?«

»Ja, freilich«, antwortete Alice lachend. »Sie stammt aus Philadelphia. Sie ist die Gattin eines reichen Mannes, ist aus guter Familie und lebt in den besten Verhältnissen. Ihr Mann ist ein äußerst tätiger Geschäftsmann und lässt sie ihre eigenen Wege gehen, während er Tag und Nacht arbeitet, um bald reich zu werden.«

»Wie kommt es, dass sie sich mit solch einem Menschen, wie Lannigan ist, sehen lässt?«, fragte Chick.

»Ich weiß nicht, wie ich das beantworten soll«, sagte Alice, »aber Sie wissen ja, er ist nicht hässlich, also vermute ich, dass er ihr den Kopf verdreht hat.«

»Sie setzt viel aufs Spiel, sich hier öffentlich mit ihm sehen zu lassen, da er doch überall so bekannt ist«, sagte Patsy.

»Sie liebte immer schon solche Extravaganzen«, entgegnete Alice. »Vor zwei oder drei Monaten reiste sie mit einem jungen Engländer überall umher, aber es war doch wenigstens einer aus ihren Kreisen. Ich hatte einen Freund, welcher bei ihr verkehrte. Er erzählte mir sehr viel von ihr. Sie war mit dem jungen Engländer eine Woche lang auf seiner Yacht, und ihr Gatte wusste nichts davon.«

»Was, sie denn allein mit ihm?«

»O nein«, sagte Alice. »Es war eine ganze Gesellschaft beisammen.«

»Wann war das?«, fragte Patsy interessiert.

Alice dachte eine Weile nach und äußerte: »Ich kann mich genau entsinnen, es war im letzten September.«

»Wissen Sie auch den Namen des jungen Engländers?«

»Nein, ich habe ihn vergessen, jedoch war er hier in New York und fuhr oft nach Philadelphia, um sie zu besuchen.«

»Wie heißt die Dame?«

»Sie ist eine Mrs. Ladew.«

»Das wird nicht lange ihr Name sein, wenn sie sich noch oft mit Lannigan sehen lässt«, meinte Patsy und lachte. »An ihrer Stelle würde ich es auf keinen Fall tun.«

Es schien, als hätten Chick und Patsy nun genug gehört von dem, was sie zu erfahren wünschten, denn Chick gab das Zeichen zum Aufbruch, und die ganze Gesellschaft verließ das Lokal.