Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Vampir – Viktor Berzek

Hans Wachenhusen
Der Vampir
Eine Novelle aus Bulgarien, 1878

Viktor Berzek

In einem der türkischen Kaffeehäuser saß inzwischen eine bunte Gesellschaft fremdländischer, in türkische Dienste getretener Instrukteure, französischer und englischer Offiziere, die von Pravadi, dem vorgeschobensten Posten der eben anlangenden westmächtlichen Truppen, herübergekommen, um im Auftrag die Pässe des Balkan zu inspizieren.

Man war in lebhafter Unterhaltung. Der Krieg sollte, nachdem die Russen sich in die Walachei zurückgezogen hatten, in eine ganz neue Phase treten. Die Flotten trugen eben die Armeen und die Materialien durch die Dardanellen und den Bosporus ins Schwarze Meer; Russland konzentrierte seine Truppen auf der Krim. Den arg mitgenommenen türkischen Regimentern sollte Ruhe vergönnt werden, eine Ruhe, die sie später zu vollständiger Untätigkeit zwang, als Frankreich das Oberkommando in der Person des kranken und wurmstichigen Generals St. Arnaud übernahm.

Der Lustigste und Lebhafteste der am Boden auf den Schilfmatten sitzenden jungen Männer war eben derselbe, den wir am Nachmittag im Tor des Paschakonak stehen sahen, der einzige Zivilist unter der bunt uniformierten Gesellschaft.

Der Abenteurer stand ihm in dem trotzigen, jugendlichen Gesicht; das dunkle Haar krauste sich mutwillig über der freien Stirn; er machte den Eindruck eines jener zahlreichen jungen Avantüriers und Glückssucher, die der Krieg wie die Adler um die Beute sammelt.

»Ich wiederhole, es ist ein Gewaltstreich des Paschas!«, rief er in französischer Sprache, dem Idiom, in welchem man sich hier verstand, mit lebhaft funkelnden Augen, die Bernsteinspitze seines Nargileh in den Schoß legend, den über seinen Stab gebeugten Greis nicht bemerkend, der bescheiden sich eben auf die Schwelle des stets offenen Kaffeehauses hockte.

»Was kann das Kind verbrochen haben, wenn man wirklich seinen Vater der Spionage für Russland beschuldigt! Der Pascha hat schnöde Zwecke im Auge! Er lässt sich des Mädchens als Geisel bemächtigen, da seine Kawassen den Vater nicht fanden, und sie soll schön, soll sogar die Tochter eines der reichsten, angesehensten bulgarischen Kaufleute sein! Ist es denkbar, dass ein Mann, der alles zu verlieren hat, sich zum Spionagedienst hergeben wird! Und warum ließ er das Mädchen mit gebundenen Händen abführen, nur unter dem Vorwand der Mitschuld in das Gefängnis seines Konak schleppen? Ein Bubenstreich, sage ich! Ich selbst sah zufällig das arme Kind durch die Hinterpforten des Konak transportieren, ein schlankes, geschmeidiges Ding, das jetzt dem Pascha auf Gnade und Ungnade verfallen ist, bis es dem unglücklichen Bulgaren vielleicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen, wenn der Mudessarif überhaupt Lust hat, Beweise anzuerkennen!«

»Man riecht Spione hier überall!«, warf einer der Instrukteure ein. »Es verging unten an der Donau kaum ein Tag, an welchem man uns nicht diesen oder jenen Spion zuschleppte. Ja selbst uns christliche Offiziere, die wir für den Beherrscher aller Gläubigen unsere Haut täglich zu Markte trugen hält man jedes Verrats für fähig und umlauert uns heimlich. Man nennt uns Köpek giaur, ungläubige Hunde, während wir uns für ihre Religion totschlagen lassen …«

Der Handstreich des Mudessarif gegen ein schönes Christenmädchen erregte das Interesse der jungen Männer. Eine Demonstration gegen ihn sollte geschehen, aber wie? Man kam dem Islam nicht zu Hilfe, um seine eigenen Glaubensgenossen misshandelt zu sehen! Aber was beginnen, wenn der Mudir den Vorwand des Landesverrats hatte!

Schwerer, dumpfer Takt auf der dunklen Straße unterbrach die Sprechenden. Die türkischen Truppen, auf dem Weg nach Schumla, dem Hauptquartier, marschierten durch die Stadt, um draußen zu kampieren.

Einige national-türkische Offiziere in zerlumpten, von Staub bedeckten Uniformen traten in das Kaffeehaus und schlugen sich mit gekreuzten Beinen in demselben nieder.

Pferdegetrappel vor dem Eingang des Hauses jagte den greisen Bettler von der Schwelle auf; einige höhere Offiziere sprangen vom Sattel und riefen nach Kaffee und Scherbet.

Auch die Gruppe erhob sich, um den Ermüdeten den Platz zu räumen, und trat auf die Straße.

An die Mauer des Hauses gelehnt, stand der Bettler da, den jungen Mann fixirend, der sich mit den anderen zur guten Nacht die Hand schüttelte.

Eben wandte dieser sich zum Heimweg, als er eine schwere, aber zitternde Hand auf seinem Arm fühlte.

»Verzeiht«, redete ihn der Bettler in ungarischer Sprache an, während die andere Hand demütig zu dem Filzkäppchen griff. »Ich hörte Euch Berzek nennen von den Offizieren.«

»So heiße ich! Was wollt Ihr?«

Es waren der flüchtigen Ungarn damals durch die Revolution so viele über die Balkanhalbinsel hingestreut, doch meist nur junge Leute, welche dem Arm der fahndenden österreichischen Behörden entronnen. Diese greise Gestalt befremdete den jungen Mann als Kompatrioten.

»So seid Ihr vielleicht Viktor Berzek, der Sohn des Berzek Ferenz bei Debreczin?«

»Der bin ich! Woher kennt Ihr mich?«

»Ihr kennt den armen Marko, den Zigeuner, nicht mehr, der sich einmal die Hirnschale fast zertrümmern ließ vom Pferdehuf, als Euer Rappe damals – Ihr wart noch ein Kind – Euch im Bügel durch die Puszta schleifte?«

Der junge Mann starrte überrascht den Greis an. Er fasste ihn an beiden Armen und zog ihn zurück gegen das aus dem Kaffeehaus dringende Licht.

»Marko! … Der Zigeuner!«, rief er und des Alten Hand erfassend und preisend, »Marko, wenn du wirklich unser Marko … Du bist alt geworden! Und wie kamst du hierher?«

Marko senkte das Haupt.

»Ihr wisst es also nicht mehr? Euer Vater jagte den armen Zigeuner wie einen Hund davon. Es war im Herrenhaus Silberzeug gestohlen worden. Mich hatte man im Verdacht, obwohl ich nie meine Hand an fremdes Gut gelegt habe. Man peitschte mich und jagte mich davon, weil ich nicht gestehen wollte. Aus Scham und Schande ging ich fort über die Grenze, damit mich niemand sehe, und jetzt sind es wohl zwanzig Jahre her, dass ich hier bin.«

»Armer Marko! … Ich erinnere mich! … Ich zählte damals wohl fünf Jahre … Das Silberzeug fand sich bei einem anderen. Wir ließen nach dir suchen, aber du warst verschwunden. Du hast mir, dem Knaben, lange gefehlt, du warst ja mein bester Freund …«

»So wissen die Leute im Dorf wenigstens, dass ich ehrlich, dass ich kein Dieb war!« Marko neigte mehrmals, in Erinnerung versunken, das greise Haupt. »Ich bin zwar nur ein Zigeuner, Herr, aber es ist hart, unverdient gezüchtigt zu werden und in Schanden davon zu müssen … Ich habe es Eurem Vater längst vergessen, Herr!«, fuhr er fort. »Sagt mir, wie es ihm geht, ihm und …«

Der junge Mann senkte traurig die Stirn . »Er ist tot, Marko! Und ich stand nicht an seinem Sterbebett! Er war auch streng gegen mich; er hat es mir nie verziehen, dass ich unter die Honveds ging, dass ich die Schuld ward an seiner Verarmung, dass meine unglückliche Schwester in elenden Verhältnissen in Wien lebt, an der Seite eines noch unglücklicheren Mannes ihr Dasein vertrauert.«

Marko versank in die Erinnerung an damals. Trauernd schaute er den jungen Mann an, dessen erste Lebensschritte er begleitet hatte.

»Lass uns nicht dran denken, Marko!«, rief dieser, sich von seinen Gedanken losreißend und ihm die Hand auf die Schulter legend. »Ich möchte es dir gern vergelten, was dir einst Unrecht geschah, aber ich selber bin ja arm und flüchtig!« Marko legte sinnend die Hand an die Stirn. »Was damals geschah, Herr, ach, das ist längst vergessen! Aber wollt Ihr vergelten, o, Ihr könntet es! Wenn Ihr auch flüchtig seid, ich sah Euch mit den fränkischen Offizieren, die alles jetzt hier vermögen.«

»Was können sie, was kann ich!«, fragte Viktor Berzek erstaunt. »Du bist bedrückt, Marko! Was ist dir?«

»Nicht mir ist Leid und Gewalt geschehen, meinem Herrn, dessen treuer Diener ich seit zwanzig Jahren bin. Jowan Silowic ist der reichste und angesehenste aller christlichen Kaufleute hier, der Mudessarif aber scheint ihn verderben zu wollen; er hat heute sein armes Kind fortschleppen lassen …«

»Deinem Herrn ist das geschehen?«, rief Viktor mit Lebhaftigkeit. »Ich sah und hörte davon im Konak des Mudir. Es war auch vorhin im Kaffeehaus die Sprache davon. Dem Pascha soll der Teufel auf den Kopf fahren, aber leider hat dein Herr ihm einen Vorwand gegeben. Er ist der Spionage für die Russen verdächtig und das kann ihn allerdings den Hals kosten.«

Markos Glieder schüttelte der Schreck. »Jowan Silowic der Spionage verdächtig! Jowan ein Spion!« Der Zigeuner lächelte traurig vor sich hin. »Nein, Herr, das ist Lüge! Für Jowans Unschuld lege ich diese Hand ins Feuer! Der Pascha suchte nur einen Vorwand, um Jowan zu stürzen. Er kam vor einigen Tagen in Jowans Haus; er ließ sich wie ein Freund mit gleißnerischer Miene Jowans Tochter zeigen …«

Erbauliche Zustände in diesem Land! Ich selbst sah zufällig das Mädchen in den Konak transportieren.«

»Mein armes Kind!«, seufzte Marko unhörbar.

»Du kannst deine Rede verantworten? Du weißt bestimmt, dass dein Herr unschuldig?«

»Ich weiß es! Jowan hat sich nie um dergleichen gekümmert; er ist reich!«

»Der Mudessarif hat natürlich das Mädchen als Geisel für die Person des Vaters abführen lassen, so hieß es im Konak!«

»Mein Kind!«, hauchte es wieder leise zitternd aus des alten Zigeuners Brust.

»Marko! Vermag ich etwas, so zähle auf mich!« Der junge Mann schien eine Idee gefasst zu haben. »Ist dir irgendeine Handlung deines Herrn bekannt, die den Vorwand zu des Mudessarifs Verfahren gegeben haben? Steht oder stand er in irgendeiner Beziehung zu Russland?«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Und doch!«, rief er. »Die Moskows sind drüben auf dem jenseitigen Ufer. Jowan hat Niederlassungen, Faktoreien in der Walachei; eine große Metzgerei, durch die er die Schiffe im Schwarzen Meere verproviantierte, ehe der Krieg ausbrach.«

»So steht er noch heute mit seinen Agenten in Verbindung?«

Marko zauderte mit der Antwort. Es schien auch ihm ein Licht aufzugehen und damit wuchs die Gefahr in seinen Augen.

»Rede die Wahrheit, wenn ich nützen soll!«

»Ja, Herr! Aber das geht die Moskows, das geht den Krieg nicht an! Jowan war nur besorgt, als der Krieg ausbrach, sein Eigentum zu retten.«

»So weißt du mit Sicherheit, dass er nichts getan hat …«

»Es standen, als der Krieg ausbrach, große Summen auf dem Spiel. Jowan hat viel verloren.«

»Er erhielt aber heimlich Briefe von seinen Agenten?«

Marko nickte schweigend, denn er selbst hatte die Boten, zerlumpte Zigeuner, kommen gesehen, die sich auf weitem Umweg über Serbien durch die Vorposten geschlichen hatten.

»Der Mudessarif wird das erfahren haben.«

Marko nickte wieder trauernd, mutlos.

»Diese Agenten haben ihm aber heimlich nichts geschrieben, was verdächtig sein könnte? Ist es dem Pascha gelungen, Briefe an deinen Herrn aufzufangen?«

»Herr, es handelte sich ja nur um Jowans Geschäfte! Ich kann nicht lesen, aber ich will darauf schwören, dass …«

»Es ist gut, Marko! Wird Jowan bereit sein, uns seine sämtlichen Handelspapiere, die Briefe, die er empfangen hatte, vorzulegen, wenn ich morgen mit meinen Freunden komme, um mich mit ihnen in sein Haus einzuquartieren und es vorläufig wenigstens vor des Mudirs Kawassen zu schützen?«

»O, Herr, ganz gewiss wird er das! Es gilt sein Leben, das … seines Kindes!«

»Die Korrespondenz mit Feindesland ist strafbar, sie kann den Kopf kosten.«

Der Zigeuner fuhr entsetzt zusammen.

Viktor sann schweigend vor sich hin. Markos Brust hob und senkte sich unter schweren Seufzern.

»Herr, dem Pascha gelüstet es nicht nach Jowans Kopf, nur nach seinem Geld.«

»So nimmt er beides! Doch geh heim, alter Marko!« Der junge Mann legte wieder die Hand auf des Zigeuners Schulter. »Morgen mit Tagesanbruch bin ich mit meinen Freunden vor eurer Tür. Das Weitere findet sich. Sag deinem Herrn, was ich tue, geschehe um deinetwillen, weil ich dir eine Schuld zurückzuzahlen habe. Sag ihm, er solle sein Geld verstecken und was Geldes wert, so tief er kann; er solle seine Papiere zusammentun, damit wir sie einsehen können, und uns nichts verheimlichen. Geh, Marko! Morgen siehst du mich!« Er reichte dem Zigeuner die Hand zum Abschied. »Aber das Kind, Herr, das arme, unglückliche Kind!«

»Muss für die Nacht Gottes Schutz befohlen sein! … Leb wohl, Marko!«

Der Ungar verschwand dem blöden Blick des alten Mannes und dieser setzte seufzend seinen Stab hinaus in die immer tiefer sinkende Nacht.

Er hatte wenig Vertrauen in den guten Willen des jungen Mannes, der die Gewalt und Willkür der Paschas nicht kannte. Er sollte also sein Kind heute nicht daheim finden! Er hätte gern die Nacht lauernd vor dem Konak des Pascha gelegen, aber was nützte es! Er musste Jowan Nachricht bringen, ihn warnen, denn Jowan hatte sicher noch keine Ahnung von des Pascha Absicht. Jowan musste, wenn es in seinen Papieren Verdächtigendes gab, alles beiseiteschaffen, auch das Bargeld sicherer verstecken. Es gab vielleicht die ganze Nacht hindurch zu tun!

Marko schritt schneller und schneller aus; er schlich durch die düstersten Gassen und als er den Plan erreichte, über welchem seines Herrn Gehöft im Hintergrund wie ein schwarzer Klumpen hervorragte, schaute er ängstlich umher, denn wer konnte wissen, ob der Mudir nicht seine Leute schon wieder herausgeschickt, um Jowans Haus heimlich überwachen zu lassen.