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Der Welt-Detektiv Band 6

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Hanns Heiling … – Teil 6

Friedrich Wilhelm Bruckbräu
Hanns Heiling, vierter und letzter Regent der Erd-, Luft-, Wasser- und Feuergeister und sein Kampf mit den Teufeln der Hölle
Eine höchst merkwürdige, abenteuerliche und wundervolle Ritter-, Räuber-, Geister- und Teufelsgeschichte
Verlag der J. Lutzenberger’schen Buchhandlung, Altötting, 1860

Die Mitternachtsstunde

In einer Entfernung von etwa 200 Schritten sah er ein auf einer kleinen Erhöhung sitzendes Bauernmädchen, das eben aufstand, als es ihn sah, und ihm entgegenging. Ralf beschleunigte seine Schritte und grüßte freundlich.

»Guten Morgen, schöne Jungfrau«, sagte er, seine Hand ihr reichend. »Hast du vielleicht geglaubt, dein Geliebter komme, und gingst du mir deswegen entgegen?«

»Nein, lieber Herr«, antwortete sie, »ich habe keinen Liebhaber mehr. Mein Geliebter ist schon lange gestorben, vor vielen, sehr vielen Jahren.«

»Warum hast du ihn nicht geheiratet?«

»Weil er zu spät kam. Es konnte nicht mehr sein«, seufzte sie.

»Ich verstehe nicht, wie du das meinst. Hast du dir den seitdem nicht einen anderen Bräutigam gesucht?«

»Nein, ich kann meinen Konrad nicht vergessen und möchte keinen anderen, wenn er nicht so schön und so lieb wäre wie Ihr.«

Bei diesen Worten schaute sie dem Jüngling auf­merksam ins Gesicht. Ihre Züge waren regelmäßig schön, aber kein Strahl aus den großen, schwarzen, schmachtenden Augen glitt über die elfenbeinweißen Wangen.

»Du schmeichelst, holde Jungfrau«, versetzte Ralf lächelnd. »Wie heißt du?«

»Walburg!«

In diesem Augenblick begann im Dorf drüben wieder eine wilde Tanzmusik.

»Ist heute ein Festtag im Dorf, Walburg?«, fragte Ralf.

»Ja, ein Jahrestag wird gefeiert.«

»Also ist auch ein Wirtshaus dort?«

»Freilich, und ich bin die Wirtstochter.«

»Nun, das macht sich ja recht gut; da kann ich wohl meinen Hunger und Durst stillen?«

»Das will ich glauben, Ihr sollt gewiss das Beste bekommen und kostet nichts, denn heute sind alle Dorfbewohner und alle Gäste, die zu uns kommen, zechfrei.«

»Das kommt mir erwünscht, da ich kein Geld mehr habe und nur mit meinem Gesang bezahlen könnte, denn ich bin ja ein Minnesänger.«

»Dachte ich mir es doch! Nun, das wird eine große Freude sein für meine Eltern und für alle im Wirtshaus. Kommt, ich führe Euch hin!«

»Wie heißt denn dieses Dorf?«

»Schwammau.«

»Ist denn dieser abscheuliche Nebel oder Rauch, der wie eine Kappe auf dem Dorf liegt, und von dem man da heraus ganz verschont ist, das ganze Jahr hindurch vorhanden?«

»Nein, er kommt aber an unserem Jahrestag immer. Es wird wohl so sein müssen. Habt Ihr wohl eine Geliebte ?«

»Eine Geliebte hätte ich schon, aber da ich kein Vermögen habe, kann sie auch nicht meine Braut und nicht meine Frau werden. Ihr goldsüchtiger Vater gibt sie mir nicht.«

»Wenn ihr mein Schatz würdet, würbe mein Vater gewiss gleich Ja sagen zum Heiraten und nicht viel fragen, ob Ihr Geld habt.«

»Je nun, nicht alle Väter haben gleiche Gesinnung«, erwiderte Ralf ausweichend auf Walburgs deutlichen Antrag.

Im Wirtshaus angekommen, wurde der Jüngling vom Wirt und der Wirtin ganz freundlich empfangen und sogleich eingeladen, Platz zu nehmen, und tüchtig zu essen und zu trinken, was er sich nicht zweimal sagen ließ, indem er mit dem größten Appetit über eine große Schüssel mit lieblich duftenden Schinkenknödeln herfiel und einige Flaschen alten feurigen Weines tüchtig zusetzte. Walburg saß an seiner Seite und trank ihm immer fleißig zu. Noch an drei Tischen saßen männliche und weibliche Gäste, die es sich wacker schmecken ließen. Das Auftragen von allerlei Speisen und Weinen wollte gar kein Ende nehmen.

Nach dem Ende des festlichen Jahrtagesmahles begann der Tanz, welchen Ralf, auf Walburgs Aufforderung, mit ihr eröffnete. Die anwesenden Burschen und Mädchen machten diesmal nur die Zuschauer und bewunderten das zierliche Tanzen des Minnesängers. Als der Tanz vorüber war, ruhte er eine Viertelstunde plaudernd an der Seite Walburgs aus und sang dann auf ihre Bitte zur Laute ein Lied der Liebe, das alle Anwesenden wahr­haft entzückte.

Der Wirth, welcher zur anderen Seite Walburgs saß, flüsterte ihr leise ins Ohr: »Burgl, der wäre der Rechte für dich; mit dem könntest du ein lustiges Leben führen. Sei nicht so dumm, ihn wieder auszulassen wie den Konrad!«

Ralfs scharfem Gehör entging keine Silbe. Diese Worte klangen ihm verdächtig. Er dachte an die Äußerung des Bettlers über die Bewohner dieses Dorfes und beschloss, sich wieder auf den Weg zu machen. Er tanzte noch zweimal mit Walburg und erklärte, dass er nicht ferner tanzen dürfe, um seine Stimme nicht zu verderben, von der er leben müsse.

»Ja, warum nicht gar!«, äußerte der Wirt, »aus dem Fortgeben darf heute nichts mehr werden. Es rückt schon die Nacht heran, und dann wird es erst recht lustig. Mit dem Schlag Mitternacht ist der Tanz zu Ende, dann schlafen wir ein paar Stunden, frühstücken hierauf und ich geleite Euch auf den nächsten Weg zur nahen Ritterburg, Herr Minnesänger, wir beide zu Ross, wenn Ihr wollt.«

»Einverstanden!«, erwiderte Ralf, um keinen Verdacht zu erregen, dass er heimlich sich davonzumachen gedachte, »aber der Wirt soll mein Übernachten büßen, denn nach dem Schluss der Tanz­musik will ich, anstatt zu schlafen, einen Becher des besten Weines nach dem anderen leeren und der Wirt und die Jungfrau Walburg sollen mir or­dentlich Bescheid tun.«

Walburg zeigte sich äußerst vergnügt. Sie blieb mit ihrem Vater und Ralf am Tisch sitzen, während die Burschen und Mädchen im wilden Knäuel forttanzten.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht äußerte Ralf: »Mir wird von dem vielen starken Weine schrecklich heiß. Ich muss in die frische Luft hinaus.«

»Gut, ich gehe mit Euch, lieber Minnesänger, und zeige Euch zugleich das ausgedehnte Dorf«, sagte Walburg.

»Aber nicht darüber hinaus, Burgl, damit ihr nicht in einen Sumpf fallt! Auch ist jetzt nicht mehr die rechte Zeit zu einem solchen Spaziergang«, mahnte der Wirt.

Die beiden jungen Lente verließen indessen das Haus.

Kaum war Walburga über die Schwelle getreten, als sie fröstelnd sagte: »Hu, es ist kalt und ich bin vom Tanzen und Wein trinken erhitzt. Ich will geschwind meinen Mantel holen oben in meiner Schlafkammer und werde gleich wieder da sein. Wartet also nur ein wenig, mein lieber künftiger Herzensschatz!«

Sie eilte ins Haus. Diese zudringlichen Worte hatten den Jüngling angewidert. Gern wäre er nun entflohen, wenn er den Weg gekannt hätte.

Aber fast augenblicklich trat Walburg wieder aus dem Haus, fasste den Arm des Jünglings und flüsterte ihm hastig zu: »Schnell fort! Euch droht Verderben! Ich will Euch retten! Sprecht kein Wort, bis ich es Euch sage!«

Sie gelangten zwischen die ersten Bäume des nahen auf der entgegengesetzten Anhöhe befindlichen Waldes. Sie schritten noch tiefer hinein bis zu einem etwas erhöhten Boden von trockenem weichen Moos.

»So«, sagte Walburg, »legt Euch hier nieder und schlaft bis zum Anbruch des Morgens, dann werde ich Euch Näheres wegen Eurer Rettung sagen. Jetzt muss ich wieder heim, damit meine Eltern mich nicht vermissen. Gute Nacht indessen!«

»Gute Nacht, teure Retterin! Ich danke dir!«

»Nicht nötig, ist gern geschehen!«, hörte Ralf die forteilende Jungfrau erwidern. Dann betete Ralf wie alltäglich kniend sein Abendgebet und hatte soeben das letzte Wort desselben gesprochen, als die Glocke des dörflichen Kirchturmes mit dem heiseren Tone eines alten Sprunges die Mitternachtsstunde schlug. Nach dem Dröhnen des zwölften Schlages vernahm Ralf einen so gewaltigen Donner, als ob ein ungeheurer Felsen ein­gestürzt wäre. Er konnte sich die Ursache nicht vorstellen, dachte sich indessen, er werde sie schon am anderen Tag erfahren, hüllte sich in seinen Mantel und entschlief mit der Ruhe eines guten Gewissens.