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Der Welt-Detektiv Band 6

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Bill Hammer – Teil 2

Otto Ruppius
Bill Hammer
Episode aus dem Bürgerkrieg in Missouri
Aus: Die Gartenlaube Nummer 6 bis 9, 1862

Fünf Minuten darauf wanderte Bill schon mit schnellen Schritten wieder durch die belebte Straße zum entgegengesetzten Ende der Stadt, öffnete dort die Tür zu einem niedrigen Häuschen und stürmte in die sich unmittelbar zur Straße öffnende Wohnstube. Am Fenster saß eine alte, gebeugte Frau, den Feuerschein beobachtend. Mit einem »Nur einen Augenblick, Mutter!« schlang der Knabe seine Arme um ihren Hals.

»Was ist, Willy?«, fragte sie, sich seiner stürmischen Liebkosung halb entziehend und seinen Kopf in beide Hände nehmend, während die matt brennende Lampe eine deutlich ausgeprägte Sorge in ihrem weißen leidenden Gesicht beschien, »hast du wieder Torheiten mit deiner Wildheit begangen?«

»Nichts, Mutter, und ich begehe überhaupt keine Torheiten!«, erwiderte er, ihre Hände fassend. »Fred Minner sagt, ich heiße nicht umsonst Hammer, und so lasse ich mich nur nicht von jedem zum Amboss machen. Jetzt aber habe ich einen Auftrag für den Fred zu besorgen und komme ich nicht sogleich wieder, so wird er immer nach dir sehen. Das war es, was ich dir sagen wollte!« Damit hatte er von Neuem ihren Hals umschlungen, drückte zwei ungestüme Küsse auf ihren Mund und war im nächsten Moment bereits wieder aus dem Zimmer hinausgeeilt. Zehn Schritte vom Haus entfernt, wandte er noch einmal den Kopf zurück und sah die Frau durch das geöffnete Fenster wie in ängstlicher Sorge ihm nachblickend. Er winkte ihr einen lustigen, beruhigenden Abschiedsgruß zu und bog dann in die letzte kurze Seitengasse, welche in Richtung des Feuers ins Freie führte, ein.

Vor ihm schlängelte sich, sobald er das letzte Haus erreicht hatte, ein breiter Pfad zu der unglücklichen Mühle. Rechts hinüber lag eine lang gestreckte Anhöhe, dieselbe, welche er auf seinem Weg zur Stadt passierte. Dorthin nahm er raschen Schrittes seinen Weg über den unebenen Grasboden. Als er dann auf die Fahrstraße traf, überschritt er diese und folgte seine bisherige Richtung, immer rechts hinüber, wo ihm eine weit hervortretende Waldecke in dem ungewissen Mondlicht dunkel entgegen blickte. Eine Zeit lang wanderte er, während seine Augen stets beobachtend die Gegend überliefen, rüstig vorwärts, bis die einzelnen Waldpartien sich deutlich vor seinen Augen abzuzeichnen begannen. Da kniete er nieder und legte eine kurze Weile das Ohr auf den Boden. Mit einem Nicken der Befriedigung erhob er sich wieder. »Hier herum sind sie nicht«, murmelte er weiter schreitend, »und habe ich erst die Eisenbahn, so ist kaum noch Gefahr, auf sie zu treffen!« Er folgte den Saum des Waldes, bis sich ihm eine schmale Öffnung in den Gebüschen zeigte. Vorsichtig lauschend blieb er hier einige Sekunden lang stehen, aber nicht ein fallendes Blatt störte die Totenstille, welche über seiner Umgebung lag. Ohne weiteres Zögern schlug er den Waldpfad ein, welcher sich ihm öffnete.

Es war so dunkel unter dem dichten Laubdach, dass nur die völlige Bekanntschaft mit dem Terrain ein rasches, ungehindertes Vorwärtsgehen ermöglichen konnte, aber Bills vorsichtig austretender Fuß stockte nur, sobald irgendein Geräusch an sein Ohr drang. Stets war es nur ein fallender dürrer Ast, das Bersten der Rinde eines alten Stammes gewesen, das ihn erschreckte. Mit jeder Minute, die ihn mehr an das eigentümliche nächtliche Leben des Waldes gewöhnte, schritt er zuversichtlicher vorwärts. Dem ungeachtet aber hob sich seine Brust mit einem tiefen, erleichternden Atemzug, als er nach fast halbstündigem Marsch plötzlich das Mondlicht durch die Walddunkelheit dringen und gleich darauf eine freie, tiefe Schlucht seinen Weg unterbrechen sah.

»Die Eisenbahn, Gottlob!«, murmelte er und klomm den Einschnitt zu den Schienen hinab. Ein viel betretener Fußpfad lief hier neben dem Geleise hin, und rascheren Schritts nahm der Bursche die neue Richtung auf. Rechts und links begleitete ein dunkler Wald die Bahn, aber das Mondviertel stand noch hoch genug, um Licht auf den Weg des Dahineilenden zu streuen. Freundliche Gedanken traten in sein Gesicht, als er vor sich in den erhellten Streifen des Nachthimmels blickte. Bald begann er mit einer leise gesummten Melodie seine Schritte taktmäßig zu begleiten. Es schien auch seine Stimmung nicht zu trüben, als die Bahn eine Biegung machte und der über den Weg fallende Schatten der Bäume ihm jede Fernsicht benahm. Seinen Gedanken hingegeben und in augenscheinlichem Sicherheitsgefühl wanderte er vorwärts, bis nach geraumer Weile ein plötzlicher Zuruf von der Höhe der Böschung ihn aufschreckte und seinen Schritt anhalten ließ.

»Steh ruhig da unten, wenn ich dir nicht eine Ladung in die Beine schicken soll!«, klang es, als Bill bei dem Erblicken einer dunklen Gestalt eine unwillkürliche Bewegung zur Umkehr machte. Die Erhöhung vom Wald herab stieg eine breitschultrige Männergestalt.

»Hallo, was gibt es denn?«, erwiderte der Bursche, keck den Kopf hebend.

»Wirst es gleich hören, mein Kerlchen!«, gab der Herannahende zurück und fasste Bills Schulter, diesen zur Mondseite kehrend und scharf in sein Gesicht blickend, »willst du mir wohl sagen, wo du herkommst?«

»Von Mr. Andersons Farm«, entgegnete der Befragte trotzig und machte zugleich einen kräftigen Versuch, seine Schulter dem Griff des anderen zu entwinden. »Ich lasse mich nicht so anfassen, Sir, ich brauche vor niemand davonzulaufen!«

»Ruhig, mein Schäfchen, scheinst aus der richtigen Schule sein, musst es aber doch einmal leiden!«, sprach der Examinierende, lachte dabei und grub mit eisernem Druck seine Finger in Bills Fleisch. »Und wo soll die Reise hingehen?«

»Sie werden mir den Knochen zerbrechen!«, rief Bill, die Zähne aufeinander beißend, aber ohne Zucken den Druck aushaltend.

»So, dann sträube dich nicht, mein Herzblatt, und nun rede!«

Eine Sekunde lang war der Knabe ungewiss, was zu antworten, eine Sekunde, deren Pein sich nur in dem Zucken seiner Mundwinkel ausdrückte, aber sein Auge blieb fest auf das Gesicht des vor ihm Stehenden gerichtet. Sein Stolz hatte ihn noch niemals eine Lüge sagen lassen, und auch jetzt fühlte er, dass jede Unwahrheit in seinen Mienen zu lesen sein würde. »Ich habe einen Auftrag zu besorgen«, sagte er in seiner früheren trotzigen Weise, »und ich denke nicht, dass jeder das Recht hat, mich auf der Straße anzuhalten und auszufragen!«

»Sprichst dein Englisch recht gut, Kindchen, hast auch eine Manier, die mir ganz gefällt«, entgegnete der andere mit einem hässlichen Lächeln, »sehe dir aber doch an, dass du zu dem deutschen Sauerkraut gehörst. Wollen dir einmal die Zunge lockermachen. Du tust gut, wenn du nicht zu starrköpfig bist. Es sind Kriegszeiten, mein kleines Füllen, wo nicht viel Umstände gemacht werden!« Er setzte den Finger an den Mund und ließ einen scharfen Pfiff ertönen, der nach wenigen Augenblicken zwei andere raue Männergestalten aus den Büschen brachte.

»Ich denke, hier ist etwas nicht ganz richtig«, rief diesen der Erstere zu, »das Kerlchen wollte gerade nach Jefferson City hinauf, und ein bisschen eindringliches Befragen kann nicht schaden!«

Bill glaubte in diesem Augenblick sein Herz sich krampfhaft zusammenziehen zu fühlen. Sein Blick flog in Gedankenschnelle über die ganze Umgebung, um währenddessen nur die Unmöglichkeit einer Flucht zu erkennen. Die einzige Rettung hätte ihm der Wald gewähren können. Ehe er aber eine der steilen Böschungen an beiden Seiten der Eisenbahn zu erklimmen vermochte, mussten ihn längst die nachgesandten Kugeln erreicht haben. Er fühlte sich an beiden Armen gefasst, hörte den kurzen Wortaustausch zwischen seinen Feinden und sah sich dann rau die Erhöhung zum Wald hinaufgeführt, ohne noch imstande zu sein, einen Plan für sein Verhalten zu entwerfen. Er erkannte die dringende Notwendigkeit, sich des ihm anvertrauten Briefes zu entledigen, aber seine beiden Arme waren festgehalten und jede verdächtige Bewegung seinerseits konnte nur zu schnellerer Entdeckung seines Geheimnisses führen.

Er war unsanft durch das Strauchwerk am Rand der Böschung gestoßen worden und wurde nun zwischen hochstämmigen, spärlich stehenden Bäumen fortgeführt. Schon nach fünfzig Schritten sah er hinter einer Buschgruppe helles Feuer blitzen, hörte Stimmen und rohes Lachen. Kaum zwei Minuten danach begann der eine seiner Führer die Zweige zu teilen und vorantretend den Gefangenen nach sich zu ziehen. Da stolperte dieser und wäre zu Boden gestürzt, wenn nicht der Vorangehende ihn mit einem Fluch wieder aufgefangen hätte, aber das Gebüsch hatte dem Burschen den Hut vom Kopf gestreift und in die Dunkelheit seiner Blätter aufgenommen. Niemand als Bill selbst war es gewahr worden. Als dieser nun zwischen seinen Wächtern auf den freien, grasigen Platz, in dessen Mitte das Feuer brannte, heraustrat, glänzte es aus seinem Gesicht wie der Triumph über einen gelungenen Streich.

Es war ein wunderliches Bild, was sich in dem grellen Schein des hell lodernden Feuers dem Auge bot. Wohl an die fünfzig Männer mochten auf dem Boden umher lagern, aber ein eigentümlicher Kontrast zeigte sich zwischen den verschiedenen Gruppen. Während nahe dem Feuer ein Haufen wilder Gestalten lag, in deren Mitte ein spannendes Kartenspiel seinen Gang zu nehmen schien und jede Wendung desselben von den Zuschauern mit Flüchen oder tollem Gelächter begleitet wurde, an einer anderen Stelle eine kleinere Gruppe zwischen ausgestreckten Schläfern saß und in eifrigem Gespräch die Flasche kreisen ließ, hatte sich, mehr zur Seite, wo zwei Pferde zusammengekoppelt standen, eine Anzahl Männer auf untergelegten Decken niedergelassen, die ihrem Äußeren nach zur besseren Gesellschaft gehörten. Dort wurden Zigarren geraucht und die Worte fielen in kaum anderer Weise, als es in jedem Besuchszimmer zulässig erschienen wäre. Nachlässig an einen Baumstamm gelehnt, in einer mit goldenen Tressen besetzten Uniform, eine Art grauer Militärmütze auf dem Kopf und einen langen Kavalleriesäbel über die Knie gelegt, saß dort ein gebräunter, bärtiger Mann, wie es schien, in einer Auseinandersetzung, der er mit kurzen, energischen Handbewegungen Nachdruck verlieh, gegen seine noch unmilitärisch bekleidete Umgebung begriffen. Dorthin wurde nun Bill von seinen Begleitern geführt.

»Ein aufgefangener Vogel, Colonel, dem einmal unter die Flügel geschaut werden soll!«, rief einer der Letzteren, den Gefangenen vorführend. »Er war auf dem Weg nach Jefferson City und scheint von Pleasant-Grove zu kommen!«

Der Mann in Uniform sah rasch auf. Die noch eben im Gespräch so gefällige Miene verwandelte sich in einen eigentümlichen Zug des Hasses. Sein Blick überflog die kleine Gestalt und blieb zuletzt in den dunklen Augen des Vorgeführten hängen, die fest und furchtlos auf seinem Gesicht hafteten.

»Du gehörst zu dem deutschen Ungeziefer und bist nach Jefferson City geschickt worden?«, fragte er in einem Ton, der jeden Widerspruch abschneiden zu wollen schien.

»Ich bin ein geborener Missourier und habe nichts mit Ungeziefer zu tun, Sir«, war die kecke Antwort. »Die Männer haben mich von der Eisenbahn hierher geschleppt, und ich weiß jetzt noch nicht, weshalb!«

»Und was hattest du auf der Eisenbahn zu tun?«

»Ich habe einen Auftrag zu besorgen, den ich verschweigen soll«, erwiderte der Bursche ohne Zögern, »und wenn ich hier mit Gentlemen zu tun habe, so werde ich nicht weiter darum gepeinigt. Ich könnte leicht zehn Lügen vorbringen, aber ich mag nicht!«

Der Offizier sah dem Knaben mit einem finsteren, durch dringenden Blick, in welchem dennoch ein gewisses Behagen an seinen Worten durchschimmerte, ins Gesicht und hob dann den Kopf zu der Menge rauer Gestalten, welche beim Beginn des Verhörs ihre Plätze verlassen und sich herbeigedrängt hatten. »Ist einer von den Leuten von Pleasant-Grove hier?«, fragte er.

»O, wir kennen das Kind!«, wurde die höhnende Stimme eines sich vordrängenden Menschen laut, als habe dieser nur darauf gewartet, sein Wort anbringen zu können. »Es ist der Bill Hammer, und wenn das deutsche Volk in Pleasant-Grove einen Schlag beabsichtigt, so ist er gerade der Rechte, um mit Hand und Mund vorwegzugehen.«

Nur für einen Augenblick ging das Blut aus Bills Gesicht, als er das rote Haar und den falschen Blick des Vorgetretenen erkannte; im Nächsten schon zuckte es wie eine tiefe Verachtung um seinen Mund. »Du solltest doch richtig sagen, was du weißt, Mulligan, wenn du dich auch mit der Wahrheit noch nie viel abgequält hast. Du weißt wohl, wie lange ich schon auf Mr. Andersons Farm bin, gegen den wahrscheinlich niemand etwas einzuwenden haben wird, und dass ich so wenig in die Stadt komme, dass ich erst gestern gehört habe, wie du vom Müller Riese Prügel bekommen hast!«

Ein johlendes Gelächter brach bei den letzten Worten unter den Umstehenden los. Der Rotkopf schien unter seinen neuen Gefährten sichtbar noch wenig Freunde gefunden zu haben. Mit einem Ausdruck erbitterter Bosheit aber schrie dieser: »Lasst ihn nur einmal Hurra für Jefferson Davis rufen, und das richtige Fell wird sich gleich zeigen!«

»Wenn das solche Menschen, wie du bist, rufen«, erwiderte Bill, und nur der genaue Beobachter hätte bei der ausgesprochenen Zumutung das Zucken in seiner Miene wahrnehmen können, »so muss sich Jefferson Davis schämen und ebenso jeder rechte Mann, es nachzurufen!«

Ein tolleres Gelächter noch als vorher folgte der Abweisung, und der uniformierte Anführer samt seiner Umgebung schien sich annehmend über die Szene zu amüsieren. Als aber Mulligan mit einem bösen Blick auf den Burschen die Fäuste ballte, erhob sich der Offizier und wies jenen mit einer gebieterischen Handbewegung zurück. »Wir werden schnell wissen, woran wir mit ihm sind. Visitiert ihn genau!«, rief er Bills Führern zu. Nach kaum zwei Minuten stand der Knabe bis aufs Hemd entkleidet da, während von zehn verschiedenen Händen jeder Teil seines Anzugs untersucht, jede Tasche umgedreht und ihres Inhalts entledigt wurde. Bill sah sein Messer und sein Portemonnaie in fremde Taschen wandern, sah sein bunt seidenes Halstuch verschwinden. Fast schien es ihm, als schütze seine übrigen Kleidungsstücke nur die Nutzlosigkeit derselben für einen erwachsenen Mann vor einem gleichen Schicksal, aber keine seiner Mienen zeigte, dass er die kleinen Räubereien bemerkte. In völliger äußerer Gleichgültigkeit legte er die ihm hingeworfenen Stücke seines Anzugs wieder an.

»Ich konnte mir gleich nicht recht denken, dass jemand ohne Not mit bloßem Kopf nach Jefferson City marschieren sollte«, sagte der Offizier nach beendeter Durchsuchung, sich seinem früheren Platz wieder zuwendend. »Lass ihn laufen!«

Schon drehte sich Bill, mit einer vielleicht zu raschen Bewegung, um, sich nach seinem Rückweg umzusehen, als er seinen Arm wieder von einem seiner Wächter gefasst fühlte.

»Halt, Colonel! Einen Hut hat er gehabt, so wahr, als dass die kleine Kröte uns alle zu Narren machen will!«, rief dieser.

In dem rasch gehobenen Gesicht des Anführers blitzte wieder der frühere finstere Ausdruck auf. »Und wo ist der Hut?«, fragte er, einen Blick auf den Burschen richtend, der sich bis in dessen Innerstes bohren zu wollen schien. »Lügst du, Bursche, so sollst du bei Gott für die in Pleasant-Grove ein warnendes Beispiel abgeben!«

»Fragen Sie doch die Männer, Sir, ob sie mich bis hierher eine Hand haben rühren lassen«, erwiderte Bill, der sich plötzlich fast zu schwach fühlte, ein ihn überkommendes Zittern zu unterdrücken. »Sie haben mich durch das Gebüsch geschleift wie einen gebundenen Hammel, und die Zweige haben mir den Hut abgestreift; aber ich denke, ich weiß, wo er liegt, kommen Sie nur mit mir, wenn Sie mir nicht trauen!«, setzte er wie in einem plötzlichen Entschluss hinzu und wandte sich leicht zu dem Buschwerk, durch welches er den Platz betreten hatte. Es war ihm klar geworden, als habe es ihm jemand ins Ohr gesagt, dass er jeder Aufsuchung des Hutes zuvorkommen müsse, wenn es eine Hoffnung zu seiner Rettung geben solle; war doch der ihm übergebene Brief unter dem Stirnfutter des Hutes befestigt. Mit einem Gefühl, als wollten ihm seine Beine den Dienst versagen, und doch zugleich zu jedem Wagnis bereit, sah er, wie ein loderndes Holzstück aus dem Feuer gerissen wurde, um das nötige Licht zu schaffen, fühlte seinen Arm freigelassen, zugleich aber auch einen Haufen Männer hinter sich und zu seiner Seite. Rasch schritt er den Büschen zu. Kaum teilten sich die ersten Zweige vor ihm, als sein geschärftes Auge in kurzer Entfernung auch schon den grauen Filz sich von den dunkeln Blättern abzeichnen sah.

Es galt zu handeln, ehe ihm andere Augen zuvorkamen. »Dort ist er!«, rief er, höher hob sich der Feuerbrand, und in der nächsten Sekunde waren die Vordersten wie Habichte zu dem hellen Punkt gestürzt. Im gleichen Augenblick aber war auch Bill seitwärts in dem Gebüsch verschwunden, ohne dass eine kurze Minute lang seine Bewegung bemerkt worden wäre. Schon hatte er den offenen Wald, in welchem kein Unterholz seine Flucht hemmte, erreicht und flog in einer Seitenrichtung atemlos zwischen den Bäumen hindurch, um den an der Eisenbahn aufgestellten Posten nicht in die Hände zu fallen, als ein lautes Geschrei in seinem Rücken ihm die Entdeckung des Briefs oder seiner Flucht andeutete. Mit einem Angstblick sah er sich nach einem Schlupfwinkel um. Links zeigte ihm ein matter Lichtschimmer nur den Ausgang zur Eisenbahn, welche ihn augenblicklich seinen Feinden sicher in die Hände liefern musste, und rechts ließ die Dunkelheit des Waldes keinen einzigen Gegenstand unterscheiden. Unwillkürlich drehte er den Kopf rückwärts und sah dort den Wald sich erhellen. Schon meinte er, selbst von dem Licht der auftauchenden Feuerbrände beschienen zu werden. Ohne sich Rechenschaft über sein Tun zu geben, nur instinktiv bestrebt, freie Bahn zu gewinnen, wandte er sich dem offenen Schienenweg zu. Er durchbrach in blinder Hast das Strauchwerk am Rand der Böschung und stieß hart gegen einen der baumhohen Telegrafenpfosten, wie sie den Lauf der Bahnlinie bezeichnen. Kaum aber hatte er das Hindernis in seinem Weg erkannt und war durch einen mechanisch emporfliegenden Blick belehrt, dass die Mitte des Pfahls von dem herüberragenden Zweig eines Baumes verdeckt wurde, als er auch wie eine Katze daran hinaufzuklimmen begann. Er hatte die Höhe des Zweiges gewonnen, sich zwischen den Blättern durchgearbeitet und suchte mit dem Fuß nach einem Stützpunkt, aber er traf zwischen dem Laub nur auf schwaches, dürres Holz, das bei jeder Berührung prasselnd zu brechen drohte. Schon vernahm er in der Nähe die Rufe seiner Verfolger, die unter dem roten Schein brennende Holzstücke wie eine losgelassene Meute die Umgebung abzusuchen begannen.

Die Beine fest um den rauen Stamm schlingend, gab er jeden Versuch, sich einen besseren Halt zu verschaffen, auf und blieb, kaum wagend, seiner ungestüm atmenden Lunge freie Bewegung zu lassen, über den Blättern hängen, während sein Ohr scharf jede Bewegung und jeden Ruf seiner Feinde verfolgte. Er hörte die Versicherung von der Eisenbahn her, dass nichts Menschliches die Schienen gekreuzt habe, er hörte das Buschwerk am Rand des Waldes durchsuchen, sah bereits das Licht der improvisierten Fackeln das Laub unter sich durchdringen und meinte in seinen zitternden Knien kaum mehr die Kraft zum Festklammern zu haben. Dicht unter ihm klangen Antwortrufe auf die Schreie aus den übrigen Teilen der nächsten Waldstrecke. Ein einziges Stückchen fallende Rinde, das sich durch die Schwere seines Körpers vom Pfahl losgelöst hatte, hätte ihn verraten müssen, aber die Suchenden schritten unter lauten Flüchen weiter. Der Lichtschein wurde schwächer, und nach Kurzem klang nur noch ein entfernter Lärm an seinem Ohr. Noch wagte Bill, hoch aufatmend, keine Bewegung. Erst als er seine Beine steif werden und das Blut in denselben stocken fühlte, begann er, mit peinlicher Vorsicht jedes Geräusch vermeidend, sich herabzulassen. Eine Zeit lang saß er, tief in das Strauchwerk geduckt, am Boden und überlegte seine nächsten Schritte. Er war eben zu dem Entschluss gelangt, neben den Büschen fortkriechend der Eisenbahnlinie zu folgen, bis er hoffen durfte, aus dem Gesichtskreis der ausgestellten Posten zu sein, und dann, auch ohne Brief, seinen Weg nach Jefferson City fortzusetzen, als eine Stimme in seiner Nähe laut wurde, dass er sich unwillkürlich noch tiefer unter die schützenden Blätter duckte.