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Der Welt-Detektiv Band 6

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Eine Räuberfamilie – Erstes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Erstes Kapitel
Am Golf von Neapel

Ein prachtvoller Septembertag des Jahres 1864 neigte sich dem Ende zu und warf seine letzten Strahlen wie funkelnde Diamanten über jene himmlisch schöne Gegend, von welcher es heißt: Ein Stück Himmel auf die Erde gefallen. Neapel sehen und sterben.

Die Sonne sank tiefer und tiefer, ein wunderbarer Anblick, anbetungswürdig, bis die laue Sternennacht den Zauber der Landschaft zum Feenmärchen umwandelte.

Wohl eine Stunde lang bis zu diesem Moment lag ein Mann der Länge nach am Ufer des Golfs hingestreckt, den Blick mit blinzelndem Ausdruck unverwandt auf die leicht gekräuselten Wellen des Meeres gerichtet.

Es war ein Lazzaroni, einer jener faulen Bettler, von denen Neapel an 80.000 zählt, welche das Leben im Nichtstun, im angenehmen dolce far niente verträumen, in dem sie die Nahrung, die beliebten Makkaroni, durch Betteln oder eine geringe Anstrengung, oft eben nicht gesetzlicher Art, gar leicht verdienen und eines Obdachs in dem wunderbaren Klima nicht einmal bedürfen.

Der Mann mochte ungefähr vierzig Jahre zählen. Klein und mager, als hätte ihn die Sonne ausgetrocknet, erschien sein verschmitztes Gesicht mit den kleinen schwarzen Augen, das langes, struppiges Haar wie eine Mähne umwallte, wie von einer Pergamenthaut überzogen.

Als die Sonne tiefer sank und die Gegend samt Stadt und Golf in Dunkelheit hüllte, da erhob er sich katzenartig und spähte aufmerksam über das Wasser hin, worauf er angestrengt horchte.

Das Geräusch in der volkreichen Stadt war verstummt, zuweilen nur drang zu dem Mann in diese einsame Gegend der Ton einer lustigen Barkarole herüber, sonst war an dieser Seite alles verstummt.

Cecci, so hieß unser Lazzaroni, schritt eine kleine Strecke ungeduldig am Ufer entlang, als plötzlich ein langgezogener Pfiff und bald darauf das Geräusch taktmäßiger Ruderschläge ertönte.

Er legte die hohlen Hände an den Mund und beantwortete das Signal, denn ein solches war es, mit einem gleichen Pfiff.

Wenige Minuten später legte ein Fischerboot an, aus welchem zwei Männer sprangen, während der dritte, in Fischertracht, bemüht war, das Boot zu befestigen.

»Beim Blut des heiligen Januarius!«, rief Cecci halblaut, indem er den beiden Männern, welche in einfach neapolitanische Bürgertracht gekleidet waren, die Hände schüttelte, »ihr habt mich ungebührlich lange warten lassen. Es ist höchste Zeit. Der alte Spitzbube von Marco wird mittlerweile eingenickt sein. Diavolo! Wie die Filomena sich stattlich ausnimmt als ehrsamer Bürger. Allons, Carlo, wir haben noch viel zu tun.«

Er schritt hastig voran, von den beiden ebenso eilig gefolgt, während der Fischer bei dem Boot blieb, sich nun, nachdem er es befestigt hatte, der Länge nach hineinlegte und, vom Mondlicht fantastisch übergossen, sich träumerisch von den Wellen leise wiegen ließ.

Carlo, wie Cecci den Neuangekommenen nannte, war ein großer, schöner Mann von dreißig Jahren mit kühnem Antlitz und verwegen blitzenden Augen, mit dem Stempel der Verworfenheit in den ziemlich regelmäßigen Zügen. Als der schwarze Mantel von der einen Schulter glitt, sah man Waffen verschiedener Art in dem breiten buntgestickten Gürtel stecken. Sein Begleiter war eine Frau von hoher, stolzer Gestalt und auffallender Schönheit, seine Geliebte Filomena, welche ihn häufig auf seinen nächtlichen Streifzügen in Männerkleidung begleitete.

Alle drei schritten schweigend durch die mondhelle Nacht dahin, der Stadt zu, welche sich vom reizenden Meerstrand die Berge heraufzieht, ohne Mauern und Tore.

Hier und da begegneten ihnen lustige Brüder, auch huschten schattenhafte Gestalten an ihnen vorüber. Sie achteten ihrer nicht, sondern betraten ebenso schweigend die Straßen Neapels, welche ziemlich eng und mit Lava gepflastert sind.

Das Getümmel des lärmenden Volkes, das mehr vor als in den Häusern lebt, war verstummt. Sie wendeten sich der schönsten Straße, der Via Toledo zu, in der sich das königliche Schloss befindet, und blieben vor einem prächtigen Palast stehen, wo sie sich in den Schatten eines Winkels verbargen.

Cecci schlich nach einigen Minuten, als er sich überzeugt hatte, dass nirgends eine Gefahr drohe, unter den prächtigen Portikus und klopfte an ein ziemlich niedriges Fenster, welches sich an dem einen Ende im Dunkel befand.

Es währte eine geraume Weile, bevor auf wiederholtes Anklopfen das Fenster geöffnet wurde und eine Stimme flüsternd fragte: »Fließt das Blut des heiligen Gennaro?«

»Man ließ es lange nicht zur Ader, Marco«, versetzte Cecci ebenso leise. »Du scheinst von den Augen der schönen Zia Maria geträumt zu haben, dass du mich bis zur Auferstehung hast klopfen lassen.«

»Still, Cecci«, versetzte Marco, ein Diener des Hauses. »Du bist auch so lange ausgeblieben. Ist Carlo mitgekommen?«

»Carlo mit seiner schönen Filomena, welche ihn auf Schritt und Tritt mit gezücktem Dolch begleitet.«

»Die Närrin! Ich hoffte schon, Carlos Nachfolger zu werden«, brummte Marco. »Nun, ich fürchte, es ist heute Nacht nichts. Wir haben einen Gast bekommen, der dicht neben dem alten Marchese schläft. Der Kerl ist ein Hund von Tedesco, scheint Mut zu besitzen wie ein Teufel und kann es, meine ich, mit zwei solchen Gesellen, wie du einer bist, aufnehmen.«

»Du vergisst den lieben Carlo Schiavone, cara mia!«, flüsterte Cecci verächtlich, »er nimmt es mit zehn Teufeln von Profession auf, weißt du. Ein solches Bürschchen mehr oder weniger darf uns nicht kümmern. Oder solltest du vielleicht an Gewissensangst leiden? Komm morgen zum Pater Gennaro nach Bisaccia, er absolviert von allem.«

»Das nun eben nicht«, meinte Marco nachdenkend, »dieser verdammte Tedesco will mir nicht aus den Gliedern. Seine Augen schauen so sanft und fromm darein, wie die Heilige Jungfrau selber, und dann scheinen sie wieder Flammen zu speien. Der heilige Marco, mein Schutzpatron, schütze mich, aber ich fürchte von dem Signor Leonardi, wie der Herr ihn nannte, alles Schlimme.«

»Was ist er denn?«, fragte Cecci ungeduldig.

»Ach, was ist er? Alles, was du willst, darin liegt ja eben das Unheimliche«, flüsterte Marco ängstlich. »Ich horchte, wie er mit dem Marchese sprach, konnte aber nichts verstehen. Sie redeten in fremder Zunge. Sein Diener indessen, ein plumper, baumlanger Riese, mit einem wunderlich klingenden Namen, ich nenne ihn Corso, versteht es einigermaßen, sich in unserer Sprache auszudrücken. Er erzählte, sein Herr sei ganz hoch oben aus dem Norden und verstehe alles: Reiten, Fechten, Schießen, habe die ganze Gelehrsamkeit sozusagen mit Löffeln gegessen, verstehe die schönste Musik zu machen, die herrlichsten Bilder zu malen, habe bei Solferino mitgekämpft, und verstehe auch …« Hier wurde Marcos Stimme noch leiser und ängstlicher. »… das Zaubern!«

»Dummkopf«, murrte Cecci, »da hat dir der Tedesco schönen Wind vorgemacht. Ich sage dir, wir wollen in dieser Nacht die reiche Kassette des Signor Marchese Cantonelli ansehen, oder, na, du kennst die Rache des geheimen Bettelordens an jedem Verräter …«

»Sprich doch lieber erst mit dem Carlo Schiavone«, flüsterte Marco. »Wenn er darauf besteht, nun dann mag es geschehen. Ich will das Bild des heiligen Marcos beistecken, vielleicht bricht das den Zauber.«

Er bekreuzigte sich und murmelte einige Paternoster, während Cecci sich leise zu dem ungeduldig harrenden Carlo Schiavone, dem gefürchtetsten Räuber der ganzen Gegend, zurückbegab und diesem Marcos Begehr mit leisen geflügelten Worten mitteilte.

»Ich werde dem Dummkopf die Angst mit meinem Dolch austreiben«, murmelte Carlo. »Indessen will ich erst einmal selber mit ihm reden. Bleib hier, Cecci!«

»Ich begleite dich, Carlo!«, flüsterte Filomena, ihre Hand auf seinen Arm legend. »Diavolo, wo du bist, bleib ich auch.«

»Hier beim Cecci bleibst du, Weib! Nicht gemuckst, du weißt, ich kenne keinen Widerspruch.«

Er schlich zu dem Portikus und stand im nächsten Augenblick bei Marco am Fenster.

»Hier hast du ein Goldstück, Cecci!«, flüsterte Filomena, »verrate mich nicht, wenn ich ein wenig horche, beim heiligen Gennaro, Mann! Du bist des Todes, wenn du ein Wort dawiderredest, es ist in unserem Interesse. Carlo wird den Marco für sich allein bestechen und uns beide betrügen.«

»Nun, so geht, aber seid vorsichtig«, flüsterte Cecci, leise mit dem Fuß stampfend. Wusste er es doch zu gut, wie fürchterlich diese Banditenbraut oder Brigantine, wie sie im Neapolitanischen heißen, sein konnte. Hatte sie doch den Schiavone vor Eifersucht schon einmal beinahe mit eigenen Händen erdrosselt und eine Nebenbuhlerin vor seinen Augen niedergestoßen.

Filomena schlich so gewandt und geräuschlos wie eine Katze zu dem Portikus und kauerte sich in den Schatten einer schlanken Marmorsäule nieder, wo sie in unmittelbarer Nähe jedes leise Wort deutlich verstehen konnte und mit angehaltenem Atem lauschte.

»Ich möchte diesen Zauberer doch mal näher ansehen, mein guter Marco!«, sprach Carlo. »Was gilt es, ich bin fest dagegen, trage ein Stück vom Heiligen Kreuz, das ich dem Bischof von Bisaccia aus seinem Reliquienschrein gestohlen habe, bei mir. Da trifft mich weder Hieb, Stich noch Schuss.«

»Du könntest es aber leichter haben, Schiavone!«, meinte Marco zögernd. »Ich weiß, dass mein Herr morgen Abend mit dem fremden Zauberer und seiner wunderschönen Nichte Neapel verlässt, um auf einige Wochen nach Capua oder noch nördlicher zu gehen. Die Kassette und übrigen Kostbarkeiten wandern natürlich mit.«

»So, das wäre freilich ein anderes Ding, mia cara, auch eine wunderschöne Nichte? Hm, wenn sie mir gefällt, trete ich dir Filomena ab. Sie tyrannisiert mich mit ihrer Eifersucht. Gut also, morgen Abend. Um welche Zeit?«

»Punkt zehn Uhr, sie wollen die Nacht benutzen.«

»Kann ich mir denken. Viel Begleitung?«

»General Pallavicini, der hier aus- und eingeht, gibt uns sechs Soldaten als Bedeckung mit.«

»Du gehst jedenfalls auch mit, Marco?«

»Das versteht sich, ich werde natürlich ebenfalls Waffen erhalten.«

»Ohne Zweifel, mein Bester! Um dich gegen die Briganten zu wehren«, erwiderte Carlo, leise lachend. »Wir werden dir an geeigneter Stelle schon Gelegenheit dazu geben. Du merkst dir den Ort, wo man die Kassette verbirgt, und rettest die Signorina!«

»Filomena?«

»Esel! Die wunderschöne Nichte. Die Töchter des hohen Adels werden die besten Brigantinen. Gute Nacht, Marco!«

»Gute Nacht«, murmelte dieser, hastig das Fenster schließend, und sich zitternd auf einen Sessel niederlassend.

»Heilige Mutter Gottes, heiliger Jacob von Compostella, wie soll ich mich aus den Krallen dieser Teufel retten?«, stöhnte er. »O, ein Verlorener bleibt auch auf ewig verloren, da hilft kein Beten und kein Kasteien, auch keine Absolution. Wehe mir, dass ich dem Priester Gennaro Rapo gehorchte, als er im Namen der Kirche von mir forderte, ein Brigant zu werden. Jetzt bin ich hier, um meine gütige Herrschaft ins Verderben zu stürzen. Der arme Marchese und die liebe schöne Signorina Arabella. Ich nannte sie nur, um ihn in dieser Nacht loszuwerden und Zeit zu gewinnen. Aber wenn es unglücklich ginge, ja, Schiavone, dann würde ich sie retten, doch sicherlich nicht für dich.«

Er legte sich mit einem Seufzer zur Ruhe und zermarterte sein Gehirn, um einen Ausweg zu finden, der Rache seiner früheren Brüder zu entgehen und die bezeichneten Opfer zu retten.

Filomena war indessen geräuschlos wie eine Schlange zu Cecci zurückgekehrt, die Augen starr, das Gesicht totenbleich, die Hände geballt.

Als Schiavone zurückkehrte, sagte er kurz: »Es ist nichts für heute Nacht. Unten werden wir weiter davon reden, nur vorwärts.«

Kein Wort wurde weiter gesprochen, Cecci schritt wieder voran, während die beiden andern schweigend folgten.

Auf den blauen Wellen des Meeres träumte der Fischer noch immer in seinem Boot, von schaukelnder Bewegung gewiegt.

»Maledetto!«, fluchte Cecci, »hast genug geschlafen, Filippo! Auf, es ist Zeit, bevor es im Osten wieder tagt.«

»Per bacco! Seid Ihr schon wieder da?«, rief der Fischer, sich gähnend in dem schaukelnden Boot erhebend, »wo habt Ihr denn die Schätze?«

»Dummkopf, halt’s Maul«, sprach Schiavone, »rudere uns hinaus aufs Meer. Halt, dort kommt ein Fahrzeug. Heraus mit dir, Filippo, verbergen wir uns hinter jenem Steinhaufen. Tutto il tempo, es ist eine vornehme Gondel, sie kommt hierher. Flink, rührt eure faulen Beine, noch können sie uns nicht gesehen haben!«

Rasch sprangen die vier unheimlichen Menschen hinter den bezeichneten Steinhaufen und harrten der Gondel, welche anmutig und leicht wie ein Schwan durch die leicht gekräuselten Wellen schwamm.

Endlich war sie am Ufer, dicht neben dem Fischerboot, ein wunderbarer Anblick, vom zitternden Silberlicht des Mondes märchenhaft bestrahlt.

Ein junger Mann, groß und schlank, sprang mit leichter, elastischer Bewegung aus der Gondel und hob eine Dame heraus, worauf er einem alten Herrn die Hand reichte, um ihm beim Aussteigen behilflich zu sein. Vier Diener in reicher Livree folgten in ehrerbietiger Entfernung, unter ihnen eine riesige Gestalt.

»Maledetto, der Hund von Marco hat uns betrogen, das ist der Marchese Cantonelli«, brummte Cecci. »Ich kenne die Gondel. Warum sie nur hier aussteigen und nicht dicht an der Stadt?«

Die Gondel entfernte sich, während die kleine aristokratische Gesellschaft im prachtvollsten Mondenschein der Stadt zuschritt.

»Also das ist die Nichte und der andere wahrscheinlich der Zauberer«, murmelte Carlo Schiavone zwischen den Zähnen. »Ich hätte wohl Lust, mir ein Mitglied der feinen Gesellschaft zu holen.«

Mit diesen Worten war er auch schon fort und schoss, auf dem Bauch liegend, wie eine Schlange der Gesellschaft nach, welche im heitersten Gespräch langsam weiterschritt und sich des prachtvollen Abends freute.«

Plötzlich sprangen die Diener erschreckt auf die Seite, während der Riese unter ihnen der Länge nach hinstürzte, einen lauten Fluch dabei ausstoßend.

»Was gibt es?«, fragten die Herren, erstaunt stehen bleibend. »Ist das mein langer Corso?«, setzte der Jüngere lachend hinzu.

Im selben Augenblick stieß die Dame einen entsetzlichen Angstschrei aus, wankte und hob die Arme verzweiflungsvoll empor. Sie fühlte sich wie von einer Schlange umwunden und emporgehoben.

»Ha, Bandit!«, schrie der jüngere Herr, »dieser Wahnsinn kostet dir dein Leben!«

Schiavone hatte die Dame mit dem linken Arm an sich gepresst und hielt ein Pistol empor.

»Die Kleine gibt eine prächtige Brigantine ab«, rief er hohnlachend. »Platz da, den Ersten, der mich anrührt, schieß ich über den Haufen. Herbei, Cecci, Filippo, jagt die feinen Signori zum Teufel!«

Wie die wilde Jagd stürmten die Gerufenen, an ihrer Spitze Filomena, herbei. Nun entstand ein wilder Kampf, worin das Stilett die Hauptrolle spielte. Der helle Mondschein begünstigte die Fechtkämpfe des jungen Kavaliers, der sich gegen zwei zu wehren hatte, während Schiavone die Übrigen mit seiner Schießwaffe auf äußerst gewandte Weise, wobei ihn Filomena unterstützte, in Respekt hielt.

»Nimm die Waffe und halte mir das feige Gesindel vom Leib«, raunte der Räuber seiner Geliebten zu. »Ich muss meine Beute ins Boot bringen, denn lange halten wir es nicht aus gegen die Übermacht.«

»In die Hölle mit dem Weib!«, knirschte Filomena. »Ich erwürge sie vor deinen Augen.«

»Närrin, ich tue es ums Lösegeld«, erwiderte der Räuber, lachte über Filomenas Eifersucht, während er die Mündung der Waffe eine Sekunde lang gegen sie wandte. »Maledetto, der lange Hund dort kommt seinem Herrn zu Hilfe. Auf, es steckt noch ein Terzerol im Gürtel, ich behalte dieses hier.«

Als die Brigantine die wirkliche Gefahr sah, wie der lange Diener sich von seinem jähen Fall erholte und seinem Herrn, gut bewaffnet, zu Hilfe eilte, da riss sie dem Geliebten blitzschnell ein Pistol aus dem Gürtel und manövrierte bewunderungswürdig damit.

Der alte Herr stand noch immer starr vor Überraschung und Entsetzen ob des geisterhaften Überfalls. Als Schiavone sich nun mit der Dame entfernte, welche ohnmächtig in dessen Armen lag, stieß er einen Schrei der Verzweiflung aus und wollte ihr nachstürzen.

Filomena hielt ihm das Pistol entgegen, während ein langes Stilett in der Linken die feigen Diener abhielt.

»Signor Leonardi, zu Hilfe, sie morden mein Kind!«, schrie der alte Marchese, halb ohnmächtig in die Knie sinkend.

Da ertönte Pferdegetrappel, dann ein lautes Halt in der Nähe.

»Vorwärts«, rief Filomena, »ins Boot!«

Cecci und Filippo waren hart in das Gedränge geraten. Nun machten sie einen bogenförmigen Satz, der um ein Haar den langen Diener wieder mit der Erde in Berührung gebracht hätte, und liefen mit dem Wind um die Wette ihrem Boot zu.

In der Nähe desselben hielt ein Reiter, dem Schiavone soeben die ohnmächtige Beute aufs Ross gehoben hatte.

»Ah, cara mia, du auch hier, Filomena, böses Kind«, flüsterte der Reiter, »vorwärts in das Boot, die Verfolger sind euch dicht auf den Fersen.«

»Signor Pasquale Rapo, so wahr meine Seele lebt, ich bin dir für dein Kommen dankbar. Willst du die Beute für dich?«

»Maledetto, wollt Ihr Bekanntschaft mit den Sbirren machen?«, fluchte der Reiter, indem er ein Pistol hervorzog und in die Luft schoss.

Dann sprengte er den herannahenden Verfolgern entgegen, während die Räuber eilig davonschifften.

»Beim heiligen Januarius!«, rief er mit lauter Stimme, »muss man dicht vor der Stadt solche Raubüberfälle erleben? Und doch wimmelt es drinnen von Soldaten und Sbirren.«

»Sie haben die Dame gerettet?«, rief der junge Mann mit einer Stimme, welche vor Freude bebte. »Wie war solches nur möglich? Sie allein gegen diese Tollkühnen, welche uns alle in Schach hielten? Herr Marchese, kommen Sie, die Signorina ist gerettet!«

Der alte Herr kam daher gewankt, noch gänzlich unter dem Eindruck des Entsetzens.

»Heilige Jungfrau, sei gepriesen für deine Gnade«, betete der Marchese, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Kommen Sie, lieber Herr! Folgen Sie mir zu meinem Haus, dass ich Ihr Antlitz schauen, Ihnen danken kann aus Herzensgrund!«

»Soll ich die Dame auf dem Sattel behalten?«, fragte der Reiter.

»O, wenn ich darum bitten dürfte«, versetzte der Marchese lebhaft, »kommen Sie, lieber Herr! Das soll mir für die Zukunft eine Warnung sein. Der General Pallavicini behauptete stets, die Umgebung von Neapel sei eine Meile im Umkreis vollkommen sicher. Das Brigantentum wage sich nicht so nahe an die Hauptstadt. Da wollten wir eine kleine nächtliche Gondelfahrt machen und eine Strecke zu Fuß am Ufer lustwandeln, und wurden so tollkühn überfallen. Jesus Maria! Wären Sie nicht gekommen, Signor, ich mag den Gedanken nicht ausdenken!«

»Ja, der Gedanke ist so grausig, dass er mich wahnsinnig machen könnte«, sagte Signor Leonardi, »nur bleibt es mir noch immer unerklärlich, wie es Ihnen möglich gewesen war, dem gewandten Räuber, welcher noch durch drei Komplizen Sukkurs erhielt, die Beute abzujagen?«

»Ei, mein werter Signor, Sie scheinen, nach Ihrer Aussprache zu urteilen, ein Deutscher zu sein und somit die Umgangssprache der Briganten nicht zu verstehen«, gab der Reiter lachend von sich, »sehen Sie her, ich bin bewaffnet bis an die Zähne, dann Student, was so viel wie der Inbegriff jeglicher Tollkühnheit heißt, dazu der Vorteil eines Rosses, welches sich nicht fürchtet, einen Banditen niederzureiten. Pah, die Geschichte ist so einfach wie möglich. Ich bitte tatsächlich, nicht so viel Aufhebens davon zu machen.«

Sie waren während dieses Gespräches langsam weitergekommen. Der Student trieb sein Ross auf des Marcheses Bitte schneller vorwärts, während jeder noch unter dem Eindruck des Schreckens seinen Gedanken nachhing.

So gelangten sie in kurzer Zeit zur Via Toledo vor den prächtigen Palast des Marchese, wo der Reiter die noch immer ohnmächtige Dame dem jungen Deutschen übergab.

»Sie sind mein Gast, Signor!«, rief der Marchese lebhaft. »Nach diesem ungeheuren Dienst, den Sie mir geleistet, lasse ich Sie nicht sogleich wieder fort. Bitte, wenn es gefällig ist, steigen Sie vom Pferd. Giacomo! Giuseppe! Schnell, führt das Ross in den Stall. Wie darf ich Sie nennen, mein verehrter Signor?«

Der Reiter schien sich einen Augenblick zu besinnen, ob er die Einladung annehmen sollte, dann flog ein blitzschnelles Lächeln über sein auffallend schönes Antlitz. Er schwang sich gewandt aus dem Sattel, warf dem Diener den Zügel zu und sprach: »Mein Name ist Pasquale Rapo, Student der Medizin, aus Bisaccia, wo meine ziemlich große Familie jedem bekannt ist.«

»So seien Sie mir herzlich willkommen auf der Schwelle meines Hauses, Signor Rapo!«, versetzte der Marchese mit bewegter Stimme. »Madonna segne Ihren Eintritt und lasse das Gefühl der Dankbarkeit niemals schwinden in meinem Herzen.«

Der junge Deutsche warf einen finsteren Blick auf den Studenten und trug die Dame rasch in den Palast, auf dessen Schwelle soeben Marco mit einer großen brennenden Kerze erschien.

Als er den eintretenden Studenten aus Bisaccia erblickte, fuhr er so heftig zusammen, dass der Leuchter in seiner Hand schwankte, während dieser ihn durchaus nicht zu beachten schien.

Mit schlotternden Knien und aschgrauem Gesicht leuchtete Marco den Herrschaften die breite marmorne Stiege hinauf, in das große, prächtige Wohnzimmer, wo er mit zitternden Händen eine der blitzenden Kristallkronen anzünden musste, um dann Wasser zur Wiederbelebung der Ohnmächtigen herbeizuholen.

»Es wird nichts zu sagen haben«, meinte Rapo, »der Schrecken hat die zarten Nerven der Signorina angegriffen. Sie erlauben meine Hilfe, Signor, ich bin Arzt.«

»Bitte, auch ich beschäftige mich ein wenig mit dieser Wissenschaft«, antwortete der Deutsche, welcher sich um die Dame kümmerte. Seine großen blauen Augen begegneten einen Moment dem düster funkelnden Blick des Studenten.

Beide Männer wussten und fühlten es nach dieser Minute, dass sie Todfeinde waren.

Rapo trat zurück und schon nach wenigen Augenblicken schlug die junge Dame die Augen auf.

Arabella della Cantonelli war eines jener Wesen, die dazu bestimmt scheinen, in allen Männerherzen, welche sich ihnen nähern, Leidenschaft und Verwirrung anzurichten. Von tadelloser Schönheit, südlicher Glut und hohem, lebhaftem Geist war sie mit siebzehn Jahren die Perle von Neapel, welche, da sie einzige Erbin des unermesslich reichen Marchese war, hierdurch die echte Einfassung erhielt.

Pasquale Rapo blickte mit unverkennbarem Staunen auf die wunderbare Schönheit dieser jugendlichen Frau, das der Schöpfer mit allem Glück der Erde überschüttet zu haben schien. Er warf einen raschen Seitenblick in den hohen, venezianischen Spiegel und durfte sich mit zufriedenem Lächeln sagen, dass die Natur auch ihn nicht vernachlässigt habe. Schon oft hatte er die berühmteste Schönheit von Neapel in der Ferne gesehen, ohne jemals einen Wunsch, irgendeine Begier danach zu haben; so schön hatte er sich keine Frau in seinen kühnsten Träumen gedacht.

Welche Gedanken bei ihrem Anblick seine Brust durchzogen, wollen wir nicht vorzeitig enthüllen, hätte indessen der gute, von Dankbarkeit überströmende Marchese dieselben nur zum kleinsten Teil ahnen können, er hätte den Gast sicherlich mit Schaudern von seiner Schwelle gestoßen.

Ob Leonardi, der Deutsche, sie ahnte? Ach, ist es nicht eine genug bewiesene Tatsache, dass die Eifersucht blind, aber in manchen Dingen auch eine Hellseherin ist?

Und die Furie der Eifersucht war es, welche mit ihren furchtbaren Schlangenhäuptern in den Herzen der beiden Männer sich zischend erhob.

Als Signorina Arabella zum Bewusstsein zurückgekehrt war, beeilte sich Leonardi, sie so rasch wie möglich den Blicken des Fremden, der ihm trotz des Dienstes in tiefster Seele verhasst war, zu entziehen und den Händen ihrer weiblichen Bedienung zu übergeben. Er schärfte der Kammerfrau noch einige Verhaltungsregeln für die Nacht ein und zog sich dann mit einer tiefen Verbeugung auf sein Zimmer zurück, um die Ruhe zu suchen, welche er für diese Nacht nicht finden sollte.

Der Marchese indessen zeigte die größte Lust, noch ein wenig mit seinem Gast, den er schon wie einen langjährigen Freund in sein Herz geschlossen hatte, zu plaudern. Er ließ deshalb ein reiches Nachtmahl auftragen, verabschiedete die Diener bis auf seinen alten Kammerdiener Antonio und lud den Studenten mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen und es sich in seiner Gesellschaft gut schmecken zu lassen.

Der feurige Cyperwein übte bald seine Wirkung. Rapo erzählte mit einer gewissen prahlerischen Beredsamkeit von seinem Haus in Bisaccia, von dem Bruder Michel Rapo, der als Offizier der Nationalgarde und Mitglied des Gemeinderats großen Einfluss in der Stadt habe, von seinen fünf Schwestern. Alle wegen ihrer großen Schönheit in dortiger Gegend berühmt, von dem Oheim, dem frömmsten Pfarrer der Stadt, welcher die Aussicht habe, Bischof zu werden, und dem ob seiner Klugheit und Frömmigkeit jedenfalls der Weg zum päpstlichen Stuhl offen stände.

Der alte Marchese hörte sehr aufmerksam zu und nickte zuweilen zufrieden. Als er in seiner Freude mehr getrunken hatte, als er vertragen konnte, umarmte er den Studenten einmal über das andere und schwur, ihn reich, glücklich und angesehen zu machen, als ob er sein leiblicher Sohn wäre.

Rapo stürzte mit triumphierendem Lächeln den großen goldenen Pokal voll des edlen Weines mit einem Zug hinunter, strich sich dann den zierlichen schwarzen Schnurrbart und fragte so gleichgültig wie möglich: »Ist das vielleicht ein Verwandter von Ihnen, Herr Marchese, der deutsche Arzt oder was er eigentlich ist?«

Der alte Herr stützte den etwas schweren Kopf auf die rechte Hand und sagte dann leise, als scheue er sich, von jenem Mann laut zu reden.

»Mein Verwandter ist er nicht, aber ich habe ihn sehr, sehr lieb. Er stammt aus dem hohen Norden Deutschlands, nicht sehr weit von der großen Seestadt Hamburg. In Frankreich lernte ich ihn kennen, eine Ähnlichkeit zog mich zu ihm, ach! Signor, es gibt vieles im Leben, das besser ungeschehen wäre, aber die Jugend hat keine Tugend, und wir Männer üben diesen schlechten Satz wie ein Gesetz aus. Ja, wenn ich ihn anschaue, steigt die Vergangenheit empor, um mir alle Skorpione der Reue ans Herz zu legen. Wäre er aus dem Süden Deutschlands, dann könnte er mit mir verwandt sein, nahe verwandt, Signor! Aber es ist nichts, nur ein Spiel der Natur, das ich mir als ewige Buße mitgenommen habe, um in diesem Spiegel niemals zu vergessen, dass Reue und Buße auch dem größten Sünder die Pforten des Himmels öffnen.«

»Pah, Signor!«, sprach Rapo verächtlich, »ich dächte, für diesen Fall hätten wir die Absolution, hat die Mutter Kirche doch treu genug für die Seelen ihrer Kinder gesorgt.«

Der Marchese schüttelte traurig das schneeweiße Haupt, wollte etwas erwidern, seufzte dann und erhob sich mühsam, um nach der Schelle zu greifen, worauf der alte Kammerdiener erschien.

»Leuchte dem Signor Rapo in das gelbe Zimmer, Antonio«, sagte er langsam, »sorge für seine Bequemlichkeit und kehre dann zu mir zurück!«

»Gute Nacht, Signor!«, sprach Rapo, sich tief vor ihm verneigend, doch der alte Herr streckte ihm die Hand entgegen, drückte die seine herzlich und entließ ihn mit freundlichem Wunsch, gut zu schlafen.