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Sammlung bergmännischer Sagen Teil 15

Das arme Bergmannsleben ist wunderbar reich an Poesie. Seine Sagen und Lieder, seine Sprache, seine Weistümer reichen in die älteste Zeit zurück. Die Lieder, die wohlbekannten Bergreihen, die Sprachüberreste, die Weistümer sind teilweise gesammelt. Die Sagen erscheinen hier zum ersten Mal von kundiger Hand ausgewählt und im ganzen Zauber der bergmännischen Sprache wiedergegeben. Das vermag nur zu bieten, wer ein warmes Herz für Land und Leute mitbringt, wo diese uralten Schätze zu heben sind; wer Verständnis für unser altdeutsches religiöses Leben hat, wer – es sei gerade herausgesagt – selbst poetisch angehaucht ist. Was vom Herzen kommt, geht wieder zum Herzen, ist eine alte und ewig neue Wahrheit. Hat der Verfasser auch nur aus der Literatur der Bergmannssagen uns bekannte Gebiete begangen, verdient er schon vollauf unseren Dank. Seine Liebe zur Sache lässt uns hoffen, er werde mit Unterstützung Gleichstrebender noch jene Schaetze heben, die nicht an der großen Straße liegen, sondern an weniger befahrenen Wegen und Stegen zu heiligen Zeiten schimmern und zutage gefördert sein wollen.


II. Abteilung: Sagen vom Berggeist

40.

Um das Ende des Dreißigjährigen Krieges lebte der Bergknappe Daniel mit seiner wackeren Ehefrau und drei Kindern in einem Flecken des oberen Erzgebirges. Schlägel und Eisen erwarben ihm das tägliche Brot, die arbeitsame Margarethe erspann den übrigen Bedarf, Gottes Wort und der fromme Glaube an seine Verheißungen half ihnen viele Jahre lang das gemeinsame Kreuz zu tragen. Es drückte sie dann allgemach zu Boden. Ihr erstgeborener Sohn, welcher bereits lustig und kräftig heranwuchs, wurde bei einem feindlichen Durchzug von den Holkischen Jägern erschossen, das sechsjährige Christinchen durch den Blitz gelähmt, und jetzt vollendete ein Zwillingspaar die Not und brachte Margarethe an den Rand des Grabes.

Der Morgen graute, die Bergglocke rief den Knappen. Daniel raffte sich von der Strohschütte auf. Er fand das kaum vergessene Elend wieder, er warf unter Schauern den nassen Grubenkittel über und nebenbei einen forschenden Blick auf die schlummernden, vom Hunger eingewiegten Kinder und auf das bleiche Antlitz der Wöchnerin. Sie betete.

»Bete nicht!«, sprach er, mit Gott hadernd. »An uns denkt der Herr nicht mehr. Er erhört bloß die Reichen und Vornehmen, unsere gestrengen Herren etwa, die doch nicht so viel nach ihm fragen, und den Krämer Bonifaz vorn an der Malzmühle, der seinen Kindern die harten Taler zum Spielen gibt, während die unseren an der harten Brotrinde nagen.«

Die fromme, auf Gott vertrauende Margarethe schalt ihren Ehemann wegen dieser vermessenen Rede und rühmte sich eines erquickenden Traumes, in dem sie ein Zeichen aus der Höhe sehe. Sie habe nämlich bei stockfinsterer Nacht auf dem Schlackenberg hinter der Schmelzhütte gesessen, habe, unfähig, sich von der Stelle zu bewegen, große Angst ausgestanden und deshalb, wie eben jetzt geschehen, mit Inbrunst gebetet. Plötzlich sei das schwarze Sturmgewölk über ihr zerborsten, das Firmament mit feinen Sternen hervorgetreten und ein Stern nach dem anderen vom Himmel herab und ihr als Goldstück in den Schoß gefallen.

»Mein Traum klingt anders«, entgegnete Daniel. »Zu mir kam den Böse und bedauerte mich. Ich sähe ja wohl, meinte er, wie es auf Erden hergehe, dass mein Herrgott sie verlassen und sein Meister wiederum seine Macht und Gewalt habe. Schon seit Menschengedenken hause der Krieg. Was das Schwert nicht gefressen, bleibe der Pest aufgespart, und dann werde das Regiment in der Ungläubigen Hand fallen, die alle Christenkinder zu kreuzigen gedächten. Wollt ich so wohl tun und ihm die Zwillinge verschreiben, so könne noch ein ganzer Mann aus mir werden und mein Eheweib ein paar faustdicke Rubine in den Ohrringen tragen, einen für jedes Kindes Blut.« Die Mutter schlug ein Kreuz über sich und die Kinder.

»Mir lief es eiskalt durch die Glieder«, fuhr jener fort, »ich wünschte unseren Herrn Beichtiger herbei und den Steiger Martin und sprach das walte Gott. Die Bergglocke sprach erbaulich drein und weckte mich.«

»Das walte Gott!«, flüsterte Margarethe, ihre Hände faltend. Daniel ging mit einem kleinlauten Lebewohl seines Weges.

Der Irrwisch, so hieß das Berggebäude, auf welchem Daniel als Hauer arbeitete, lag eine Stunde weit von seinem Wohnort im Wald. Er hatte diesen Weg seit zwanzig Jahren Tag für Tag und Nacht für Nacht, zwischen Hunger und Kummer zurückgelegt, aber der Hoffnungsengel, welcher ihm früher zur Seite ging und jene beiden widrigen Gesellen in Schranken hielt, war allmählich dahinten geblieben. Heute gesellte sich ihm der böse, kaum beschworene Geist seines Traumes zu. »Ach!«, seufzte Daniel und blickte sehnsüchtig zu den erbleichenden Sternen auf, »ach, fallt doch, fallt, ihr himmlischen Goldgülden durch die Lücken im Dach auf die nackten Zwillinge!«

Aber die Goldgülden fielen nicht.

Daniel sprach erbittert und verzagt zu sich selbst: »Was half nun deine Treue und dein Eifer? Dein Hämmern und dein Spinnen? Dein Gottesdienst und dein Christentum? Der Irrwisch ist im Verlöschen, das Erz gebricht. Bald wird es heißen: Stirb oder stiehl! Ein Dieb? Ei, wärst du denn der Einzige? Ist Bonifaz, der feiste Krämer, nicht ein Schelm und ein Wucherer und dennoch hochgeehrt und gesegneter als der frömmste Christ? Und die Großhänse von Feldhauptleuten, die das arme Land aussaugen und wie der Würgengel hausen, die Zucht und Recht mit Füßen treten und unser Herzgeblüt verschlemmen. Sehen sie nicht aus wie das gute Gewissen? Werden sie nicht obendrein in der Chronik gepriesen, mit Gnadenketten und güldenen Schaumünzen ausstaffiert, gleich als ob der Mordbrand und die Plünderung ein löbliches, gottgefälliges Werk wäre? Wie die Zeit, so der Mensch, und ein Narr, der stromauf schwimmt. Drum greife zu und hilf dir selbst!«

So wuchs von Schritt zu Schritt der böse Wille, aber das Mittel zum Zweck blieb ihm dunkel. Er kam nach langem Sinnen auf den Krämer zurück, für dessen eisernen Geldkasten er bei der Annäherung des Feindes ein Versteck im Keller bereiten musste. Schon öfter hatten seitdem die geldsüchtigen Schweden und die raubgierigen Kroaten den reichen Würzhändler heimgesucht, aber der Mammon blieb unentdeckt und Bonifaz undankbar genug, den armen Daniel mit Härte abzuweisen, als ihn dieser, nach der Geburt der Zwillinge, um den Vorschuss einiger Gulden ansprach, eine Wehtat, welche in dem aufgeregten Gemüt des Unglücklichen um so lauter nachklang, da ihm in dieser dunklen Stunde sein und der seinen Untergang ganz unvermeidlich schien. Die Zwillinge lagen, nur zur Notdurft mit Lumpen bedeckt, auf dem Stroh. Margarethes Leben glich dem erlöschenden Grubenlicht. Der unbezahlt gebliebene Bader hatte fürder weder Rat noch Tat für die Kranke. Die wenigen früheren Helfer waren teils vom Kriegstrubel verscheucht, teils von Krankheiten und Seuchen hingerafft, und so stand er denn, verlassen und versäumt, an Gott und Menschen irregeworden, zwischen der Not und dem Tod. Des Krämers Schatzkästlein wurde zum fesselnden Magnet, und Daniel musterte bereits im Geist die reiche Beute und sann auf Mittel, seine fromme, in keine Sünde willigende Ehefrau über den Quell dieses Goldregens zu täuschen, als das Geschrei einer Krähe des Teufels Luftschloss plötzlich zertrümmerte. Daniel sah empor und sich unmittelbar unter dem Hochgericht, an dem der sogenannte lange Jonas seit Jahr und Tag in Ketten hing. Jonas war des Nachbars Sohn, sein Vetter und der Gespiele seiner Kindheit gewesen, war späterhin während der Wanderschaft in schlechte Hände gefallen und um keiner schlimmeren Tat willen aufgeknüpft worden, als welche Daniel selbst in der Angst seiner Nahrungssorge beabsichtigte. Es traf ihn wie ein Wetterstrahl, sein Gewissen sprang wie ein Riese aus dem betäubenden Schlaf auf, die Fantasie zeigte ihm bereits den Nagel, an dem er, ein Genosse dieses Windspiels, hing, und am Saum des nahen Waldes sein Hände ringendes, vom Wahnsinn übermanntes Weib. Er eilte schnell fürbass und kam mit reuigem, zerknirschtem Herzen auf dem Huthaus des Irrwisches an. Die Bergleute, welche bereits zu dem herkömmlichen Gebet versammelt im Kreis saßen, erschienen ihm heute wie eine Gemeinde der Heiligen. Er nahm, ohne aufzusehen, unter den Grubenjungen zunächst der Tür Platz. Da kam Gevatter Martin, der ehrsame Obersteiger, dessen freundlicher Gruß dem Kleinmütigen wohltat, und stimmte ein Lied an, welches Daniel dieses Mal vor innerer Bewegung nur mit leisen, zitternden Tönen begleitete. Dann sprach der Steiger das Gebet, und Daniel fühlte still erquickt, wie der Versucher von ihm wich und der versöhnte gute Geist durch die geöffnete Herzenstür wieder einzog. Er betete, wie vorhin Margarethe, inbrünstig mit. Die Blenden wurden jetzt mit Licht versehen, und Daniel stand bereits mit einem Fuß auf der Fahrt, als ihn Herr Martin ansprach, nach Gretes Zustand fragte und dem wehmütig lächelnden Gevatter zu vermerken gab, dass er recht blass und hinfällig aussehe. Er wisse wohl, wo ihn der Schuh drücke, und wolle noch heute seinetwegen mit dem Herrn Bergmeister sprechen. Daniel solle nur seinerseits nach wie vor rechtschaffen auf Gott bauen, der ja die Haare zähle auf unserem Haupt, und ohne dessen Willen kein Vöglein vom Dach falle. Er solle zudem unten vor Ort auf seinen Hut fein, weil sich dort eine Wand im Hangenden zu ziehen scheine, und nach der Schicht das Brot dort von der Kiste mit sich nehmen. Es sei ihm zugedacht. Daniel äußerte zuvörderst den eifrigsten Dank für Herrn Martins gute Absicht, nannte ihn einen heilsamen Tröster, bemerkte ferner, er stehe ja, die Wand anbelangend, in Gottes Hand, und werde sich, falls sie eingehe, wohl auch von dort aus in den Himmel finden, worauf er dann, von dem Glückauf! des Obersteigers begleitet, die schwierige, senkrecht abfallende Bahn verfolgte.

Nie war dem Daniel sein Berufsweg so schwer geworden. Es lag ihm wie Blei in den Füßen, die Sprossen schienen kein Ende nehmen zu wollen, und als er endlich die unterste Strecke betreten und sein Ort fast erreicht hatte, fand er es hell erleuchtet und belegt. Daniel stutzte, staunte, ihn schauerte wieder, wie vorhin am Hochgericht, denn das Knäpplein, welches hier in sein Amt griff, fand schwerlich in irgendeiner befahrenen Grube des Erzgebirges seinesgleichen. Es war nicht länger als ein Mädchenarm, wie Mädchen zart geformt und stattlich wie ein Vornehmer des Bergamtes am Ehrentag angetan. Der sächsische Rautenkranz prangte in Gold gestickt auf der hellgrünen Schachtmütze. Das Fahrkäppchen, zierlich mit Spitzen berändert, flatterte lustig um den Nacken, ein nettes Bergleder von glänzendem Saffian und der kohlschwarze Kniebügel erhob die Weiße des silbergewickelten Strumpfes. Selbst Schlägel und Eisen, die der Regsame trotz seiner Niedlichkeit wie Federspulen handhabte, glichen hell poliertem Stahl, und der Urgranit sprühte bei jedem Schlag des Fäustels helle Funken. Zu alledem verbreitete das Feuer der kristallenen Leuchte ein so feines, ätherisches Licht, dass Daniel auch den kleinsten Bestandteil seines Putzes gar deutlich unterscheiden konnte. »Das ist der Berggeist!«, sagte er zu sich selbst und will sich fortschleichen, um seine Mitgesellen herbeizuholen. Aber der Schreck hielt ihn fest, und ein schneidender Windstoß blies sein Grubenlicht aus. Ihm stand das Haar zu Berge, er sank erblassend an die Felswand. Das Zwerglein arbeitete mit hastigem Eifer, und der taube Gang begann zu flimmern. Daniel sah ihm unverrückt zu, lebte bei dem Anblick des unerhofften, reichen Anbruchs neu auf, gedachte der Vorteile, die er ihm einbringen würde, und sprach sich Mut zu. »Bist du nicht auf deinem Berufswege? Nicht ein getaufter Christ? Ein Bußfertiger obendrein? So fahre denn in Gottes Namen vor dein Ort und nimm die heiligen Engel zu Begleitern.«

Gesagt, getan. Er näherte sich mit raschen Schritten. »Glückauf!«, sprach er kleinlaut. Der Nachsatz erstarb ihm auf der Zunge, denn plötzlich wurde das schmucke Männchen zu einem schwefelblauen Irrwisch, der ihn dreimal hüpfend umkreiste und in dem nahen, uralten Abteufen verschwand. Als Gegengruß auf Daniels Glückauf erscholl zudem ein lautes Hohngelächter, das aus den nächtlichen Fernen der Tiefe gellend widertönte.

»Fahr in die Hölle!«, brummte Daniel und bereitete sich nach manchem Fehlschlag frisches Feuer. Er sah empor und wagte kaum seinen Augen zu trauen. Der arme Gang glänzte jetzt wie des Moguls Thron. Die Gangart strotzte von edlem Geschicke. Hier lag ein Klumpen weißgiltiges Erz, dort eine rotgiltige Druse von der seltensten Form. Aus der Kluft über ihm wand sich ein fußlanger Haarbusch gewachsenen Silbers um Riesenkristalle, des Netz- und Zahnförmigen, des Glas- und Hornerzes, das wie ein Steinregen den Boden bedeckte, nicht zu gedenken.

Daniel lachte und weinte, auf Händen und Füßen wandelnd, bunt durcheinander. Er glaubte zu träumen, er zupfte sich deshalb an der Nase. Er sah Margarethes Sternlese verwirklicht, er jubelte laut und hatte eben die weit verstreuten Massen des überschwänglichen Bergsegens zusammengetragen, als ihm der schmerzliche Gedanke kam, dass ihm kein Staubkorn dieses Reichtums gehöre.

»Dieses Abgängelchen nur!«, flehte Daniel mit bittenden, nach der Oberwelt gewandten Blicken und verbarg ein mehr als handgroßes Stück gediegenen Silbers in dem Bausch des Kittels, denn die Schritte des nahenden, zu Recht sehenden Untersteigers ließen sich zu seinem Ärger vernehmen.

Steiger Hildebrand war, ein Gegenstück des wackeren Martin, der Schrecken der Knappen und dem Daniel umso unholder, da ihn dieser seiner Armut wegen unbeschenkt lassen musste, und die keusche Margarethe sich öfters gewisser Ansprüche erwehrt hatte, die Hildebrand zu den herkömmlichen Steigerrechten zählte.

Was er nun sagen wird?, dachte Daniel, ächzte, als jener näher kam, als ob er sich übernommen habe, und rechnete mindestens nach einem solchen Anbruch auf die Gewährung des Feierabends. Hildebrand sprach dagegen nach seiner Weise von leeren Schläuchen und faulen Bäuchen, leuchtete hin, leuchtete her, verwünschte die Blende, den Glimmer und Misspickel, für den er die reiche Bescherung ansah, und ging endlich wie ein Brummbär seines Weges.

Daniel sah ihm lauschend nach. »Ist es möglich?«, rief er dann und warf den Fäustel weit hinweg. »Ist Steiger Hildebrand ein Narr oder mit Blindheit geschlagen? Oder denkt wohl gar das Grubenzwerglein mir ganz allein den reichen Anbruch zu? Dir ganz allein!«, beteuerte er sich. »Ja, der ist dir beschert!«, fuhr er fort, verbarg die köstlichen Brocken in der nahen Kluft, bewahrte den vorhin beseitigten Silberklumpen im Kittel und strebte nun aus Leibeskräften diesem schnell gesegneten Gang noch ein Erkleckliches abzugewinnen. Aber dieser war jetzt so taub wie vorher, und nur der Glimmer und die Blende, deren Hildebrand vorhin gedachte, häufte sich zu seinen Füßen.

Als endlich das Zeichen des Feierabends von oben herab scholl, fuhr Daniel auf Windes Flügeln aus, griff hastig nach dem Brot, das ihm der väterliche Martin geschenkt hatte, und stahl sich fort. Aber die Nachwehen des Schrecks und der Freude, der Anstrengung und der Eile drückten den Nüchternen am Abhang des Hügels zu Boden. Er schmiegte sich erschöpft zwischen das dichte Gebüsch und sank nach wenigen Minuten in einen totengleichen Schlaf.

Es war finstere Nacht, als der kühle Tau und ein nagender Heißhunger den Schläfer weckten. Daniel sprang betroffen auf, verwünschte seine Schlafsucht und eilte heimwärts. Der Silberklumpen schlug ihm bei jedem Schritt an den hohlen Leib, aber der Fund dieses Kleinods verscheuchte die Bekümmernis über den Gram, in den sein Ausbleiben Margarethe gestürzt haben musste. Und wiederum wurde die Wonne dieses Besitzes von den Vorwürfen des Gewissens verkümmert, das ihn einen Silberdieb schalt und mit Hartnäckigkeit auf der getreulichen Anzeige des Vorfalls und der Ausbeute bestand.

»Dass ich ein Narr wäre!«, murmelte Daniel, dem Peiniger trotzend, und vernahm jetzt den Glockenschlag der Mitternachtsstunde, die vom Turm der Heimat herübertönte. Der Gewitterwind schlug die Äste des wilden Gestrüpps gegen das Gemäuer des Hochgerichts. Die Kette des stark bewegten Jonas klirrte, er erschien ihm, von dem rötlichen Blitz beleuchtet, wie ein fliegender Bote des Abgrunds. Die drei Säulen wurden zu riesenhaften Leichnamen, jetzt klopfte es plötzlich an die moosbedeckte Tür, sie tat sich auf und ihre Angeln wimmerten.

Daniel wollte seine Seele dem Herrn befehlen, aber das Wort erstarb auf den Lippen.

»Zurück!«, rief sein Gewissen, »noch ist es Zeit! Wecke den Obersteiger und stelle ihm das veruntreute Gut zu!«

»Morgigen Tages!«, gelobte sich Daniel, »ja, morgigen Tages!«, rief er, von dem Entschluss gestärkt. »Jetzt aber geht die verlassene Frau vor, sie ist des Todes, wenn ich noch länger zögere.«

Mit dem Tag aber wuchs ihm der Mut, verschwand die Angst, und er sah in dem Klopfen und der wimmernden Tür nur die natürlichen Wirkungen des Gewittersturms. Allerdings lag Margarethe verschmachtend und verzagend daheim und hatte nichts Gewisseres, als dass er auf der Grube verunglückt oder von den herumschweifenden Kroaten als Spion ergriffen und fortgeschleppt worden sei. Ihr Zustand verschlimmerte sich von Stunde zu Stunde.

Da trat der heiß Ersehnte leise und bleich, aber lächelnd ein und entgegnete auf Margarathes kaum vernehmbare Klagen und Vorwürfe: »Sei ruhig, Herzensweib! Dein Traum geht aus, die Sterne fielen vom Himmel und wurden zu Goldstücken, und der gute Geist, der sie ausprägte, hielt mich zurück. Fürs Erste sendet er dir und Christine Brot und heißt mich nun für ein paar Stunden wieder abseits gehen, um noch gesegneter zurückzukommen.«

Die Kranke lächelte süß, aber zweifelhaft. »Wie?«, lispelte sie, »Gott hat mich erhört?« Und eine Frage folgte nun der anderen.

Daniel aber beschwichtigte sie durch die Versicherung, dass er Eile habe und nach der Rückkehr alles haarklein beantworten wolle.

Da sank Margarethe auf das Stroh zurück und lobte Gott, und der Engel des Schlafes überschattete sie.

Der Vater des unglücklichen Jonas lebte noch, war Daniels Nachbar und sein Pate.

»Herr Pate«, sagte dieser, früh am Morgen bei ihm eintretend, »ich spreche Euch um einen Liebesdienst an. Gott hat mir in der Stadt einen Freund erweckt, der aber nicht genannt sein will, und der beschied mich heute dahin. Mein Sonntagskittel steht seit Gretes Niederkunft bei dem Zöllner verpfändet, und in diesem kann ich mich, wie ihr begreifen werdet, vor den Städtern nicht sehen lassen. Wollt Ihr mir nicht für wenige Stunden ein leidliches Wams leihen?«

»Wo denkt ihr hin, Daniel?«, erwiderte der alte Jonas. »Mich haben Scham und Gram aufgezehrt, ihr würdet mir selbst mein Geräumigstes aussprenge.«

»Seid nicht ungehalten, Herr Vetter!«, fiel dieser ein, »es galt nur die Anfrage. Ich nahm da neulich in einem Kinkel Eurer Kammer ein gar stattliches wahr, das unvergleichlich passen würde.«

Der alte Jonas blickte abwärts, seufzte laut und sagte dann mit halber Stimme. »Wisst Ihr wohl, wem es gehörte?«

»Gott sei ihm gnädig«, entgegnete Daniel, »wir sind allzumal Sünder, und mich soll fürwahr keine Scham deshalb anfechten! O leiht es mir!«

»Nehmt es nur hin, ich schenke es Euch. Ist aber das Geschäft verrichtet, so vertauscht ihr das Wams in der Stadt gegen irgendein anderes, damit es mir aus den Augen komme.« Daniel gab dem Herrn Paten voll Dankbarkeit die Hand darauf, warf sich dann, nicht ohne schmerzliche Regungen, in des armen Sünders einstmaliges Feierkleid und eilte der Stadt zu. Es hauste dort ein steinalter Wucherer, der gewöhnlich den Kriegsheeren nachzog und den beutereichen Soldaten nach jeder Plünderung die goldenen Ketten, die silbernen Kirchengeräte, die Tressen und Kleinodien feil machte und um ein Spottgeld an sich brachte. Er spielte nebenbei aus der Tasche, sagte wahr, lieh auf Pfänder, drehte Wunderpillen, falsche Würfel, diente als Kundschafter und kuppelte. Daniel hatte den Tausendkünstler, als dieser eines Abends, von den Kroaten verfolgt, unweit des Irrwisches auf ihn traf, als einen Verirrten zurechtgewiesen und ihn auf Verlangen bis an seine Wohnung zur Stadt begleitete. Nun schlich er durch die Gärten zu dem abgelegenen Haus hin und klopfte an die verschlossene Pforte.

Der alte Christlieb kam herbei, besah sich zuvörderst durch ein Astloch der Haustür den frühzeitigen, unbekannten Gast, fragte, wer er sei, was er bringe und weshalb man ihn schon mit Sonnenaufgang überlaufe.

Daniel entgegnete leise und verstohlen, mit dem Hut in der Hand, er sei ein Zinngießer aus dem und dem Grenzstädtchen, welches die böhmischen Reiter bei ihrem Durchzug bekanntlich angesteckt hätten. Auch seine Wohnung liege in Asche, die Flamme habe sein wohlverwahrt geglaubtes Silberwerk in einen Klumpen geschmolzen, und da ihm Geld zum Bau fehle, so suche er einen Käufer zu diesem. Damit hielt Daniel die glänzendste Ecke seines gediegenen Silbers vor das Astloch, aus welchem die Frage kam. Den Alten gelüstete nach solcher Ware. Das demütige, schüchterne Wesen des vergeblichen Zinngießers bezeichnete sie als ungerechtes Gut und verriet das böse Gewissen des Besitzers. Er ließ ihn hereintreten, schob sorgfältig die Riegel wieder vor, suchte die Waagen und Probiersteine herbei und vermerkte als Praktikus bei dem ersten Blick, dass er den Segen des Bergbaues vor sich habe.

Daniel, welcher kleinmütig im Hintergrund weilte, bebte das Herz während dieser Besichtigung. Er zitterte, hob nicht ohne Anstrengung die Augen auf und fuhr mit Entsetzen zurück, als diese in den Spiegel blickten, denn der gehängte Vetter erschien ihm in diesem. Sein Aussehen, seine Blässe, die Verstörung seines Gemütes und das Wams des Gerichteten veranlassten diese erschütternde Täuschung. Der Alte, dem so leicht keine Regung des Nächsten entging, sah plötzlich auf, fragte, was ihm begegne, und ob er etwa zu Krämpfen geneigt sei.

»Allerdings!«, versicherte Daniel, der Ausrede froh, »es ist mir seit dem Feuerschreck ein fortwährendes Zittern und Zucken in den Gliedern verblieben.«

»Das muss hinaus!«, fiel jener ein, öffnete seinen Arzneikasten und drang ihm ein Arkanum auf, mit welchem Christlieb die zahlreiche, von demselben Übel befallene Bürgerschaft einer geplünderten Reichsstadt in wenigen Tagen hergestellt zu haben versicherte. Dann kehrte er von Neuem zu dem Mammon zurück, stach und schabte, wog und strich, gab ihn plötzlich dem Daniel zurück und sagte: »Es ist nicht christlich, Meister, dass ihr mir Euer zerlaufenes Zinn für Silber verkaufen wollt. Geht, geht, gebraucht mein Nervenöl nach der Vorschrift und lauft nach jedesmaligem Gebrauch so weit Euch Eure Füße tragen. Es drückt sonst dem Patienten leichtlich das Herz ab.«

Daniel stand erstaunt, vermaß sich hoch, dass diese Masse vom feinsten Korn sei. Der Alte beteuerte dagegen, dass er schon früher als ehegestern Schwarz und Weiß zu unterscheiden gelernt habe, und bot ihm endlich nach langwierigem Hader fünf Gulden dafür. Jener entsetzte sich vor dem bezüglichen Spottgebot. Die freche Habsucht des Wucherers empörte ihn, die Demut sprang urplötzlich in ihr Gegenteil über und seine Fäuste ballten sich.

»Euer Zufall kehrt, wie ich sehe, zurück!«, sagte Christlieb mit weicher Freundlichkeit. »Und das bekümmert mich, lieber Meister, denn ein so schreckhafter Mensch ist gleichsam sein eigener Totschläger. Will ich Euch etwa den Bettel da abdrücken? Will ich Euch mit glatten Worten beschwatzen oder listigerweise bevorteilen? Ei, da sei Gott für! Du sollst nicht begehren!, sagt das neunte Gebot, und mein Katechismus ist mir lieber als alle Schätze des Morgenlandes. Dies vorgebliche Silber bleibt Euer Eigentum, und, wie zu hoffen steht, ein gar wohl erworbenes?«

Daniel veränderte die Farbe und stotterte: »Gar wohl erworben ist das Stück, doch weil die Not mich drückt, so nehmt es für zehn Gulden hin!«

»Fünf Gulden!«, unterbrach ihn Christlieb, »und da mag dies Fläschlein mit dem Nervenöl drein gehen, das Leib und Seele ruhig macht.«

»Zehn Gulden, sage ich!«

»Fünf Gulden!«, wiederholte jener im Takt des eisernen Gleichmutes und spielte hörbar mit den klingenden Münzen im Sack. Daniel beteuerte dagegen, neun sei das letzte Gebot, und warnte den Gauner, arme Leute nicht zu drücken, und zu bedenken, dass ein Gott im Himmel walte, worauf sich dann Christlieb hastig ereiferte und des Wardeins gedachte, zu dem er ihn führen und dessen Ausspruch er sich unterwerfen wolle.

Daniel sah sich jetzt in gefangener Hand. Er dachte an die harrende Frau, an den Drang seiner Lage, an die nahende Arbeitsstunde, an die Entdeckung und ihre Folgen, und strich die kahlen fünf Gulden grollend ein.

»Meister«, rief ihm der Kaufmann nach, »falls Euch der Himmel wieder, da Gott für sei, heute oder morgen mit Feuer heimsucht, so gönnt mir den Vorkauf!«

Jetzt rauchte Daniels Schornstein wieder. Die alte Anne, eines Zimmerlings Witwe, die den Leuten zur Hand ging, hatte sich nach Empfang ihrer Rückstände bewegen lassen, der Kranken und ihren Kindern wie ehedem beizustehen. Eben kochte sie einen stärkenden Trank für Margarethe und ein wenig Fleisch für den Hausherrn, der um diese Stunde von der Grube zurückkommen musste und sich nach der heutigen Angst und dem gestrigen Fasttag auch einmal gütlich zu tun gedachte.

Als nämlich Daniel aus der Stadt heimkehrte, fand er Margarethe noch in den Armen des Schlafs. Sie war seit der Zeit seines Abgangs am Morgen nicht erwacht. Er lockte nun, wie schon erwähnt, die ausgebliebene Wärterin mithilfe seiner Gulden und guter Worte wieder herbei, deckte einige schreiende Schulden, bestellte die Küche, küsste die Zwillinge, verhieß dem schmachtenden Christinchen ein köstliches Milchmus und eilte zu dem Irrwisch, um seinem Beruf zu genügen.

Der Tag war wunderschön und windstill. Vetter Jonas regte sich nicht. Daniel vermied es, ihn anzusehen, er versuchte die Grillen des Bewusstseins im Werden zu ersticken, und versicherte sich, dass er im Vergleich mit dem Krämer Bonifaz und dem Tausendkünstler Christlieb noch immer ein exemplarischer Mann sei. Wie wird sich Grete nach dem Erwachen freuen, fuhr er fort, um dieser Verblendung zu schmeicheln, wenn ihr die lang entbehrte Wärterin zur Seite sitzt, das arme Christinchen die genossenen Speisen lobt, und unsere Zwillinge nicht länger mit den hungrigen Raben um die Wette schreien!

Das Gebet war diesmal schon zu Ende, als Daniel in das Huthaus trat. Er entschuldigte die Verspätung mit seinem Hauskreuz und wollte eben die Fahrt besteigen, als ihn der Steiger Martin am Arm ergriff und abseits führte.

»Daniel«, sprach er mit einem Blick und einem Ton, der den Schuldigen im Innersten traf, »ich frage Euch vor Gott und auf Euer Gewissen, ob Ihr mir nichts zu melden habt!«

»Dass ich nicht wüsste«, murmelte dieser, »nichts in der Welt, gestrenger Obersteiger, als ein Gott es lohn! von meiner Frau für das wohlschmeckende Brot. Gewiss, Ihr habt das beste weit und breit!«

»Und im Laufe Eurer letzten Schicht fiel nichts Bemerkenswertes vor?«

»Wie meint Ihr das?«

»Ihr saht und fandet nichts?«

»Ich, Steiger?«

»Ihr, Hauer!«

»Gesehen habe ich allerdings gar wunderbare Dinge, doch als ich ausfuhr, wart ihr im Pochwerk, und mich trieb es heim. Euch, Vater Martin, darf man dergleichen Sachen wohl vertrauen, doch Euch allein! Käme es den Knappen zu Ohren, sie fürchteten sich wohl, würden lässig und neidisch, und das tut nicht gut. Genug, ich sah den Berggeist, Herr Gevatter!«

»Den Teufel!«, rief der ungläubige Obersteiger, »und der facht Euch an, wie es scheint. Ich frage nach Erzen, Daniel!«

»Gott bescher uns die! Aber der Glimmer und die Blende setzen noch fort, der Steiger Hildebrand wird das bezeugen.«

»Ich aber zeuge gegen Euch. Vor Eurem Ort fand sich diese Glaserzstufe, dies Bäumlein gewachsenen Silbers und vielhaltiges Gestein umhergestreut!«

»So hat wohl Schönemann, der mich ablöste, einen Anbruch gemacht?«

»Daniel, besinnt Euch wohl! Ihr taugt zum Lügner nicht und würdet im ersten Verhör zu Schande. Denkt an die Fron, an die Ketten und Banden, und an das arme, unschuldige, liebende Weib daheim.«

Martins beredsame Augen blitzten bei diesen Worten wie der Blick des Gerichtsengels, sie entwaffneten den Trotz des Schuldigen. Er sank vernichtet auf die Knie, er beichtete, er beschwor den schwer beleidigten Gönner, ihn um Margarethes willen vor den Folgen der Verheimlichung zu schützen. Not ehre kein Gebot, und ihn habe augenscheinlich der leibhafte Satan geblendet. Wolle Herr Martin gefälligst mit ihm nach seinem Ort fahren, so werde er ihm den reichen, in einer Kluft geborgenen Fund bis auf das kleinste Stückchen überantworten und den Betrag des entwendeten Stückes nach und nach bei Heller und Pfennig vergüten. In dem Herzen des Obersteigers regte sich, trotz des Jähzornes, der ihn oft genug meisterte, die milde Vergebungslust. Wohl kannte er die furchtbare Gewalt des Hungers und des Elends, wohl ließ sich fürchten, dass Margarethe den Sündenfall ihres Mannes nicht überleben werde, ja er durfte kecklich voraussetzen, dass der Himmel selbst sich des verirrten Schafes erbarmen dürfte, aber zu Daniels Unglück machte diesen der Inhalt seiner Geständnisse als einen schlauen, die Geisterwelt zur Ungebühr in sein böses Spiel ziehenden Heuchler verdächtig. Der kluge Martin war, zur seltenen Ausnahme, von den Wahnbegriffen seiner Zeit frei und ein geschworener Feind alles Aberglaubens. Er sah in der Rolle, welche jener dem Zwerggespenst zuteilte, nur ein erdichtetes Gaukelspiel, sah in dem Fehlgetretenen, auf den er bisher große Stücke hielt, einen geschmeidigen Lügner, der schon entlarvt die Larve noch festhalte, kurz, den besonnenen Verbrecher.

»Wir fahren selbander!«, sagte Martin mit barschem Ton und nahm das Grubenlicht vom Haken. »Gott gnade dir«, setzte er losbrechend hinzu, »wenn dein Zwerg etwa indes die Kluft verschlossen oder das Erz verschleppt hat. Dann wirst du deines Vetters Nachbar, so wahr ich ehrlich bin!«

Daniel erwog auf dem Weg das Gewicht dieser Worte, welche zentnerschwer auf sein Herz fielen. »Und wenn der Kobold nun indes das Erz in taubes Geröll verwandelte«, sagte er zu sich selbst, »denn die Geister sind schadenfroh! Oder wenn er die Kluft verschloss oder der boshafte Untersteiger den Schatz entdeckte und davontrug, – o großer Gott, dann soll ich hängen, so wahr er ehrlich ist, und wie ich ihn kenne, würde Martin mir eher zehnmal den Hals als einmal sein Gelübde brechen!«

»Warum zögert Ihr?«, schalt der Steiger, als Daniel Atem schöpfend auf der senkrechten Fahrt weilte. »Vertritt Euch etwa der geputzte Kobold den Weg? Wohl jedem, der mit einem guten Gewissen über dem Abgrund hängt!«

»Wohl! Wohl!«, stammelte Daniel. Schwindel ergriff ihn, seine Hände umklammerten krampfhaft die Sprossen. »Mir ist so seltsam!«, fuhr er fort und bat um Geduld, aber Martin sah in dieser Äußerung nur die Furcht vor dem Strafgericht und den Behelf, um neue Winkelzüge zu ersinnen.

»Wenn Ihr nicht fahren könnt«, sagte er, »so ruf ich den Karrenläufern, die mögen Euch zum Treibeschacht hintragen und in die Tonne setzen. Gesund oder krank, lebendig oder tot, ihr müsst vor Ort.«

Da ermannte sich Daniel, folgte seinen Weg zwischen Hoffnung und Zweifel und wünschte, als ihn dieser von Neuem anfocht, dass er fahrtlos werden und in die Tiefe stürzen möchte. Jetzt waren sie am Ziel.

Martin hatte das Ort für heute absichtlich unbelegt gelassen. Die tiefe Grabesstille, welche in dem öden, unheimlichen Winkel waltete, wurde nur von Zeit zu Zeit durch den Fall der Tropfen unterbrochen, die von der feuchten Felswand auf das stehende Wasser des alten Abteufens hinabfielen, in welchem Daniel am Ende der gestrigen Erscheinung den Irrwisch verschwinden sah.

»Hier ist die Kluft«, sprach er, von Angst bedrängt, »beliebt es Euch auf diesen Aussprung zu steigen, so könnt Ihr bequem hineinschauen und den ganzen Ertrag der Ausbeute übersehen und ergreifen.«

Martin blickte ihm scharf ins Gesicht, stieg rasch hinauf, leuchtete in das Versteck, zog einen Haufen tauben Gesteins daraus hervor, fand aber nicht ein Krümlein des verheißenen edlen Geschickes. In seinem Zorn furchtbar und unbändig, sprang er tobend von dem Felsstück herab, gab das Notzeichen, um die Bergknappen dieser Strecke zu versammeln, und fasste Daniel bei der Brust. Der Arme war dem Hinsinken nahe; vergebens beschwor er bei Gott und dem heiligen Sakrament die Wahrheit seiner Aussage, vergebens umfing er die Knie des Obersteigers, der jenes Zeichen nur um so stürmischer wiederholte. Da fuhr der böse Geist in den Verzweifelnden, welcher sich bereits dem Hohn der Mitgesellen preisgegeben, sein Weib und seine Kinder verloren und in Martins plötzlichem Untergang das einzige Befreiungsmittel von der Schmach und dem Halsgericht sah. Er sprang empor: »Ihr oder ich!«, rief er schäumend, warf sich, einem Wahnsinnigen gleich, über Martin her und drängte ihn nach dem Abteufen zu. Martin begriff mit Entsetzen, dass er der Vertilgung geweiht sei. Er rang mit Riesenkräften für sein Leben und hatte den Mordlustigen bereits niedergewürgt, als dieser ihm aufstrebend aus dem Gleichgewicht hob und er rettungslos über den Rand des Schachtes taumelte. Da packte Martin im Fallen Daniels Arm. Vergebens sträubte sich der Erfasste, laut aufschreiend, die Kraft des Stärkeren riss ihn in die Tiefe – und aus der Tiefe scholl das gellende Hohngelächter von gestern.

Jetzt kamen die Bergleute, zu sehen, was sich begeben habe, fanden die beiden mit Feuer versorgten Leuchten am Boden, die Strecke mit altem Geröll bedeckt, vernahmen den Widerhall jenes Gelächters, glaubten bereits, dass sie, wie schon öfter geschehen, der Kobold foppe, und äußerten unter sich teils ihr Grauen, teils frohe Hoffnungen auf reiche Anbrüche, die er in der Regel durch irgendeinen Spuk zu verkünden pflegte.

»Horch!«, rief der eine.

Des Obersteigers wohlbekannte Stimme tönte herzhaft und befehlend aus der Gegend des Abteufens.

»Schafft Seile!«, rief der Unsichtbare, »ich hänge bei fünf Lachter tief auf einem Sumpf verfaulter Zimmerung, die gleich zerfallen wird.«

Der mitgenommene Haspelknecht trug eben ein solches auf der Schulter. Martin verfügte auf seinem verlorenen Posten mit Einsicht und Nachdruck über die Anwendung der Maßregeln und stand infolge ihrer glücklichen Vollziehung nach wenigen Minuten, zwar hier und da verletzt, doch übrigens frisch und wohlbehalten vor den staunenden Knappen. Eben fragten sie einstimmig nach seinem Befinden, wie ihm dieser Unfall habe begegnen können und ob das auch mit rechten Dingen zugegangen sei, als die Wand, vor deren Fall Martin gestern gewarnt hatte, mit einem erschütternden Getöse in das Abteufen niederstürzte und das Grab des Unglücklichen auf ewig versiegelte. Die Knappen flüchteten unter schützendes Mauerwerk, der Steiger folgte ihnen, erließ dort seinen Helfern die kaum begonnene Schicht und ermahnte sie, ein stilles and andächtiges Vater unser für den armen, verunglückten Daniel zu beten, der, fehlgetreten, in das Abteufen gestürzt sei und ihm, als er die Hand nach dem Fallenden ausstreckte, in der Todesangst mit hinabgerissen habe.

Die alte Anne sah indes daheim von Zeit zu Zeit nach der Schläferin und rückte unmutig die fertige, dem Hausvater zugedachte Speise bald vom Feuer ab, bald wieder auf die heiße Stätte, aber noch immer ließ sich kein Daniel blicken, und Margarethe regte sich nicht.

Statt des erwarteten Hauswirtes schlich Meister Martin jetzt herein. Die Wärterin winkte ihm, leise aufzutreten.

»Mir wird ganz bange«, sagte sie, »die Kranke liegt bereits seit Tagesanbruch in tiefem Schlaf. Vor etwa zwei Stunden schrie sie plötzlich laut und kläglich auf und entfärbte sich ganz.«

»Vor zwei Stunden?«, fragte Martin ergriffen und seufzte. Dann neigte er sich zu dem Strohlager der Schläferin, sah ihr ins Angesicht, fasste die kühle Hand und sprach, im Innersten bewegt: »Wohl ihr! So schläft sie bis zum Jüngsten Tag.«

Die alte Anne schrie laut auf, der Obersteiger aber nahm das arme, gelähmte Christinchen auf den Arm und sagte zu der Wärterin: »Bringt mir die Zwillinge nach, ich will fortan ihr Vater sein!«