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Das Steppenross – Kapitel 18 – Teil 1

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 18
Das Comanchen-Lager
Teil 1

Ich mochte das Lager noch so aufmerksam betrachten, so zeigte sich mir doch keine Möglichkeit, demselben unbemerkt nahe zu kommen.

Wie schon erwähnt, war die ganze umliegende Ebene, tausend Schritte im Umkreis, eine flache mit Gras bedeckte Steppe. Das Gras war so kurz, dass sich nicht das kleinste Wild, viel weniger der Körper eines Menschen oder eines Pferdes darin verbergen konnte.

Selbst wenn ich die Strecke bis zum Lager hin auf Händen und Füßen gekrochen wäre, würde dies nichts genutzt haben, denn ich musste auch in dieser Lage von den Bewohnern des Lagers oder den Pferdewächtern gesehen werden. Unter diesen Umständen hätte es mir auch nichts geholfen, wenn ich Isolina gefunden hätte, denn es war ebenso wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass wir das Lager ungesehen verlassen könnten. Wenn man uns verfolgte, wie gewiss vorauszusehen war, so blieb uns keine Hoffnung, zu entrinnen. Von allen verfolgt, konnten wir nicht tausend Schritte weit kommen, sondern würden eingeholt, gefangen genommen und von Sperren durchbohrt oder mit der Kriegsaxt niedergeschlagen worden sein. Mein Plan war gewesen, mein Pferd in die Nähe des Indianerlagers zu bringen und in einer solchen Entfernung zurückzulassen, dass ich es zu Fuß erreichen konnte. Dann wollte ich Isolina in meine Arme nehmen und zu meinen Gefährten zurückgaloppieren. Letztere sollten sich in einen Hinterhalt legen, den der Boden an irgendeiner Stelle bieten würde. Dieser Plan wurde aber durch die Eigentümlichkeit des Indianerlagers vereitelt. Ich fand nichts von den erwarteten Bäumen, Gebüschen oder Hügeln, unter deren Schutz wir uns hätten nähern können.

Mit Ausnahme des Gehölzes, in welchem wir uns befanden, gab es keine Bäume in der Nähe. Wollten wir das zweite Gehölz erreichen, so mussten wir gewissermaßen das Lager selber betreten. Wenn wir unseren Standort verließen, so verloren wir jede Deckung. Nur wenige Schritte vorwärts genügten, uns über den Rand des Gehölzes hinauszuführen, wo wir den Indianern jedenfalls sichtbar geworden wären.

Voll Zorn und Ärger richtete ich meine Augen auf den Himmel. Es war noch hell. Die Sonne war zwar untergegangen, aber der Mond ging fast gleichzeitig rund und rot auf. Ich würde mit Freuden den Schatten der Erde über die glänzende Kugel haben ziehen sehen, wenn auch nur auf eine Stunde. Es war aber ebenso wenig auf eine Mondfinsternis, wie auf einen bewölkten Himmel zu rechnen.

Wenn ich meinen Plan aufgab, blieb mir dann noch ein anderer zur Befreiung Isolinas? Ich konnte keinen anderen aussinnen. Es wäre ein rein verzweifelter Streich gewesen, der allen zum Verderben gereichen musste, wenn wir im Galopp vorwärts geritten wären und das Lager angegriffen hätten.

Neun gegen Hundert, die wir deutlich zählen konnten, war es nicht möglich, die roten Feinde zu zerstreuen.

Jedenfalls hätten sie uns schon von Weitem gesehen und mit Waffen empfangen und vielleicht vollständig vernichtet.

In diesem Augenblick fiel mir ein neuer Plan ein, der, wenn auch gefährlich, doch vielleicht ausführbar war. Es war keine Zeit, die Gefahr zu überdenken, und ich war auch nicht dazu aufgelegt.

Wir hatten das Pferd des gefangenen Comanchen bei uns, dasselbe, welches Stanfield für das seinige ausgetauscht hatte.

Mein Plan war der, ich wollte das Indianerpferd besteigen und auf demselben dreist in das Lager reiten. Der Gedanke war gut und wich nicht bedeutend von meinem ersten Plan ab, denn ich wollte von vornherein die Rolle eines indianischen Kriegers spielen. Es kam jetzt nur darauf an, diese Rolle schon außerhalb des Lagers anzufangen. Die Sache wurde dadurch nur gefährlicher. Die Gefahr lag darin, dass ich mit den Freunden des Kriegers zusammentreffen musste und von ihnen angeredet werden würde. Da sie natürlicherweise eine Antwort erwarteten, so ließ sich diese nicht vermeiden. Die wenigen Worte, welche ich von der Comanchensprache verstand, genügten aber nicht zu einem Gespräch und ich würde mich entweder durch meine falsche Aussprache oder schon durch meine Stimme verraten haben. Wollte ich in spanischer Sprache antworten, so würde dies Verdacht erregt haben, obwohl viele von diesen Indianern die spanische Sprache reden.

Eine andere Gefahr lag noch darin, dass ich mich nicht auf das Indianerpferd verlassen konnte. Es hatte schon unterwegs Stanfield abwerfen wollen, heftig ausgeschlagen und nach seinem neuen Reiter gebissen. Benahm es sich auf meinem Ritt zum Lager auf ähnliche Weise, so musste dies die Aufmerksamkeit und den Argwohn der Indianer erregen.

Selbst wenn es mir gelang, den wichtigsten Teil des Unternehmens auszuführen, die Gefangene in dem Lager aufzufinden und den Händen der Wächter zu entreißen, so konnte ich nicht darauf rechnen, mit diesem launenhaften Steppenpferd der Verfolgung zu entgehen. Jedenfalls gab es noch ebenso schnelle oder schnellere Rosse, und wir würden zu einem gewissen Tod zurückgeschleppt worden sein. Ganz anders, wenn ich mein eigenes Pferd bis in die Nähe jener Wachen hätte bringen können.

Während ich alle diese Umstände überlegte, gelangte ich zu der Überzeugung, dass ich den Gedanken aufgeben musste.

Ich teilte meinen Kameraden meine Gedanken mit und fragte sie über ihre Meinung. Diejenigen, welche meinen Beweggründen nicht beipflichteten, betrachteten die Sache als zu gefährlich und rieten mir davon ab. Andere sahen zwar die Gefahr ein, wussten wir aber keinen anderen Rat zu erteilen und bestärkten mich in meinem halb gefassten Entschluss. Ein Mann, auf dessen Meinung ich den größten Wert legte, hatte noch nicht gesprochen. Es war der alte Trapper, den ich für ebenso klug hielt, wie alle Übrigen zusammengenommen.

Mich verlangte danach, den nachdenklichen, stummen, klugen und mutigen Rube zu hören. Er urteilte stets klar und kaltblütig und berechnete alle Hoffnungen, die sich auf ein Gelingen hegen, oder alle Gefahren, die für eine Niederlage fürchten ließen. Seine Meinung hätte mich zur Entscheidung gebracht.

Rube stand, von den Übrigen entfernt, gegen seine Büchse gelehnt, deren Kolben an einem Baumstumpf ruhte, während die Mündung seine Nase zu berühren schien.

Der Mann und das Gewehr waren von fast gleicher Länge und bildeten, so zusammengestellt, einen spitzen Winkel, dessen nach oben gekehrte Spitze durch die dicht anliegende Mütze des Trappers bezeichnet wurde. Beide Hände hielt er um den Lauf in der Nähe der Mündung, die Finger ineinander geschoben, die Daumen flach an die Nase gelegt.

Man konnte nicht entscheiden, ob er in den Gewehrlauf oder in das Indianerlager blickte.

Für mich hatte diese Stellung nichts Überraschendes, denn ich hatte ihn schon oft darin beobachtet. Es war dies seine Lieblingshaltung, wenn seine ganze Geisteskraft durch eine ungewöhnliche schwierige Frage in Anspruch genommen wurde.

Nach einiger Zeit sprach niemand mehr, sondern alle beobachteten den Trapper. Man wartete um so ungeduldiger, als man wusste, dass Rubes Rat durchaus nötig war, ehe irgendein Schritt getan werden konnte.

Die Trapper und Jäger bezeigen einen scharfsichtiger und mutiger Menschen eine ganz besondere Achtung. Sie verlassen sich auf diene Gaben, welche sie mit Unrecht Instinkt nennen, da sie nur durch jahrelange Erfahrung und genaue Beobachtung der Natur erlangt werden können.

Obwohl mehr als zehn Minuten verflossen waren, gab der Trapper weder ein Zeichen noch eine Antwort vom sich. Lippen und Muskeln blieben regungslos. Nur die Bewegung der kleinen, in den tiefen Höhlen blitzenden Augen war das einzige Lebenszeichen, das er von sich gab.

Nachdem ich ihn eine Weile beobachtet hatte, bemerkte ich, dass er zu gleicher Zeit in den Lauf seiner Flinte und darüber hinaus sah. Bald erhob er das Auge und blickte in die Ebene, dann senkte er es wieder und schaute in die hohle Röhre.

Die Übrigen wurden bereits ungeduldig, denn jeder nahm Anteil an dem Ausgang seiner Überlegung, da es sich hier um eine Lebensgefahr handelte.

Keiner versuchte es aber, den sonderbaren Alten zu stören oder zu befragen. Einige von der Gesellschaft hatten bereits seine üble Laune erfahren müssen, wenn sie ihn geärgert oder belästigt hatten, und die scharfen Worte des Trappers wurden von den meisten gefürchtet. Nachdem Rube endlich den Kopf aufgeworfen und ein halblautes »Pah!« hatte hören lassen, trat Garey vertraulich zu ihm.

Ich hatte das Zurückwerfen des Kopfes und den Ausruf des Trappers mit Vergnügen bemerkt, denn es waren dies die Zeichen, dass der Trapper einen ausführbaren Plan ersonnen hatte.

Garey und ich traten zu ihm, aber wir fragten ihn nicht, denn wir wussten, dass wir ihm Zeit lassen mussten, seinen Plan erst zu entwickeln.

Endlich sagte er nach einem tiefen Atemzug: »Nun, Bill und Sie, junger Bursche, was haltet ihr beide von dieser Geschichte? Nicht wahr, Jungens, es sieht böse aus?«

»Sehr böse«, antwortete Garey.

»Ich dachte mir das anfangs auch.«

»Es ist gar nicht möglich, in das Lager zu kommen«, meinte der junge Trapper in mutlosem Ton.

»Den Henker auch! Welcher Gelbschnabel hat dir das in den Kopf gesetzt, Bill?«

»Nun, es gibt wohl einen Plan, mit dessen Hilfe man das Indianerlager betreten könnte. Aber es ist nicht viel daran, wir haben eben davon gesprochen.«

»Lass einmal hören«, antwortete Rube lächelnd, »schnell heraus damit, Junge! Die Zeit ist jetzt kostbar.«