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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Teufel auf Reisen 58

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Zwölftes Kapitel – Teil 3
Wer die Wahl hat, hat die Qual

Voll Selbstvertrauen und Eitelkeit bestand des ehemaligen Schreibers Hauptsorge auch jetzt noch immer darin, was für eine Wahl er treffen und wen er mit seiner Hand beglücken sollte. »Wer die Wahl hat, hat die Qual«, seufzte er und begann wieder an seinen Knöpfen gerade und ungerade abzuzählen.

Endlich gelangte er zu einem Entschluss. »Mit einer dummen Frau«, so meinte er, »lasse es sich am Ende immer noch am besten auskommen. Da bei Apothekers Charlotte Polyhymnia (die Muse der Beredsamkeit) nicht Gevatter gestanden hatte, so beschloss er, dort zunächst anzuklopfen.

Papa Apotheker, als ein Mann, der sich mit jedem im Städtchen gut halten musste, empfing den Herrn »Gutsbesitzer« Pußkuchen mit dem freundlichsten Gesicht von der Welt, obgleich er eben damit beschäftigt war, ein Brechmittel zurechtzumachen. Charlotte klimperte wie gewöhnlich im Nebenzimmer auf dem Klavier und die Frau Mama las eben das Gänsebacher Wochenblatt, in dessen letzter Nummer ein neues Gedicht von Mathilde, der Tochter des Forstinspektors erschienen war.

»Darf ich Sie für einige Augenblicke um eine Unterredung unter vier Augen bitten?«, fragte unser Bekannter, indem er sich sehr zuvorkommend verbeugte und in ein liebenswürdiges Lächeln hüllte.

Teufel, dachte Papa Rizinus, der Patron will mich am Ende anpumpen! Als ein Mann von Welt ließ er sich jedoch von dem aufsteigenden Verdacht nichts anmerken und führte unter einem süßen Lächeln den ehemaligen Schreiber in sein Arbeitszimmer.

»Womit kann ich dienen?«, fragte er hier mit ziemlicher Zurückhaltung.

»Es gibt im Menschenleben Augenblicke«, begann Christian Pußkuchen äußerst pathetisch.

»Allerdings, und die meinen sind sehr gezählt, sechs Rezepte sollen noch in einer Viertelstunde abgeholt werden.«

»Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme«, fing der Brautwerber wieder an.

»Aber bester Herr«, rief Herr Rizinus etwas ungeduldig, »Zugpflaster kenne ich wohl, aber Zug des Herzens …« Er schüttelte sehr bedenklich das Haupt.

»Nun, wie gesagt, es gibt Augenblicke, wo man eine Leere empfindet.«

»Aha, jetzt rückt er mit seinen eigentlichen Absichten heraus, er will Geld haben«, dachte der Apotheker und öffnete sehr diplomatisch seine Dose.

»Des Lebens Last allein zu tragen, ist schwer«, fuhr Pußkuchen fort, »deshalb – wenn sich Fräulein Charlotte entschließen könnte – ihr hoher Geist – ihre Liebenswürdigkeit – ihr musikalisches Talent – wie angenehm muss es sich nach ihrer Flöte tanzen – deshalb und darum, mein hochverehrter Herr Rizinus, wage ich es hiermit um deren Fräulein Tochter Hand bei Ihnen anzuhalten.«

Herr Rizinus lächelte wieder sehr diplomatisch. »Große Ehre, aber gleichzeitig auch großer Schmerz, bester Herr Pußkuchen«, erwiderte er mit einem höhnischen Augenblinzeln. »Ich weiß ganz bestimmt, dass meine Tochter in diesem Augenblick nicht die geringste Neigung fühlt, in den Stand der Ehe zu treten. Ich muss daher zu meinem Bedauern ganz entschieden Ihren Antrag ablehnen – ja ablehnen.« Dabei öffnete er die Tür des Kabinetts und sagte: »Bitte, haben Sie die Gewogenheit voranzugehen. Kann ich Ihnen vielleicht mit einem Magenbitter aufwarten?«

Aber Pußkuchen hatte keineswegs Lust, noch mehr Bitteres hinunterzuschlucken. Über und über rot im Gesicht empfahl er sich und noch röter wurde er, als der böse Zufall es fügte, dass Charlotte gerade in dem Augenblick, wo er die Apotheke verließ, mit heller Stimme zu singen begann:

Liebchen ade, scheiden tut weh.
Ob ich dich jemals wohl wiederseh’?

»Es wurde von mir unrichtig angefangen«, murmelte der auf solche Art Abgewiesene. »Der alte Pillendreher ist ein vertrockneter zusammengeschrumpfter Wurm, dem das Herz im Leibe fehlt. Charlotte würde ganz anders geantwortet haben. Doch es sei drum, es stehen mir ja noch mehr Wege offen! Da ist zum Beispiel des Forstinspektors Mathilde – ebenfalls eine poetische Natur, im Wald aufgezogen, munter wie ein Eichkätzchen, gurrend wie ein Turteltäubchen. Ja, an die will ich mich wenden, und diesmal werde ich den Herrn Papa übergehen und unmittelbar an die richtige Tür klopfen. Oh, wer die Wahl hat, hat die Qual!«, seufzte Pußkuchen. Damit trat er in die Krone. Den Korb, welchen er eben empfangen hatte, von sich schleudernd, blickte er lächelnd in den goldblinkenden Römer und war überzeugt, dass seine nächste Bewerbung ganz nach Wunsch ausfallen würde.

Es traf sich sehr glücklich, als er zwei Tage darauf im Forsthaus anlangte, denn der Inspektor befand sich im Wald und die Mama in der Stadt.

Mathilde wiegte sich in einer Hängematte, welche sie unter dem Blätterdach zweier prächtiger Linden ausgespannt hatte.

»Wie reizend«, rief Pußkuchen schon von Weitem, »nun sehe ich doch einmal die Lieblichste aller Waldnymphen in ihrer poetischen Häuslichkeit.«

»Ist gar nicht nötig«, antwortete lachend die lebhafte junge Dame und sprang leichtfüßig auf den Boden. »Gleich und Gleich gesellt sich gern und deshalb will ich mich Ihnen gegenüber bis an die Nasenspitze in Prosa hüllen.«

Unser Bekannter ließ sich hierdurch aber nicht stören. Den Ausdruck der möglichsten Liebenswürdigkeit annehmend, begann er zu deklamieren:

Beseligend war ihre Nähe
und aller Herzen wurden laut …

Mathilde erwiderte hierauf sofort aus dem Stegreif

Wenn ich Sie mir so recht besehe,
so mein’ ich, dass ich nichts geschaut

und brach dabei in ein für unseren Helden eben nicht schmeichelhaftes Gelächter aus.

»Wieso?«, stieß dieser nun ziemlich verlegen heraus und richtete sich dabei in die Höhe, als hätte er sich größer machen wollen. »Wieso, Sie kleiner Wildfang? Und doch trage ich Ihnen mein Herz entgegen, ist das etwa auch nichts?«

»Das ist erst recht nichts«, rief die Tochter des Forstinspektors, »wenn Sie nur das hierher führte, so hätten Sie sich den Weg sparen können.«

»Sie scheinen heute nicht besonders gut gelaunt zu sein.«

»Oh, vorzüglich!«

»Nun, dann haben Sie die Gewogenheit, für einen Augenblick den Scherz beiseitezulassen und mich ernsthaft anzuhören.«

»Aber seien Sie kurz und vor allen Dingen vermeiden Sie jede Albernheit.«

Pußkuchen biss sich auf die Lippen. »Gut, ich werde Ihrem Befehl nachkommen. Zunächst also, reizende Mathilde …«

»Oh, sehen Sie, jetzt halten Sie schon nicht Wort«, rief diese.

»Nun, Sie wollen es und so sei denn in wenigen Worten das gesagt, was ich auf dem Herzen trage. Ich liebe Sie und um dieses Geständnis zu Ihren Füßen niederzulegen, trieb es mich hierher.«

»Dann hätten Sie sich den Weg sparen können«, antwortete das Waldfräulein in ein Gelächter ausbrechend, »denn wenn es sich einmal um Geständnisse handelt, so gestehe ich Ihnen, dass ich Sie ganz und gar nicht liebe.«

Pußkuchen machte ein sehr enttäuschtes Gesicht. »Es ist eine Ihrer Launen«, stotterte er.

»Es ist ein offenes Bekenntnis, welches Sie mir zugutehalten wollen.«

»Aber mein Fräulein …«

»Geben Sie sich keiner Hoffnung hin«, bemerkte Mathilde sehr ernst, indem sie dabei entschieden den Lockenkopf schüttelte, »und nun lassen Sie es genug sein, wenn Sie mich nicht ernstlich böse machen wollen.«

Pußkuchen fühlte trotz seiner Eitelkeit, wie er unvermerkt vor diesem jungen entschlossenen Mädchen um einen halben Kopf zusammenschrumpfte.

»Mein Antrag war ein ehrenvoller«, sagte er kleinlaut, »ich wollte Sie als Herrin und Gebieterin in mein Haus einführen.«

Die junge Dame zuckte in einer Weise mit den Achseln, als hätte sie sagen wollen: »Dieses Haus wird wohl nächstens einstürzen.« Aber sie besaß doch zu viel Bildung, um dem eben so unsanft Zurückgewiesenen noch eine neue Kränkung hinzuzufügen. Indem sie sich daher höflich verbeugte, erwiderte sie: »Ich bedauere, wie gesagt, Ihren Absichten nicht entgegenkommen zu können. Sie nötigten mich zu einer Antwort und ich habe Ihnen dieselbe mit aller Offenheit gegeben.«

»Sehr schmerzlich für mich, sehr schmerzlich«, murmelte Pußkuchen, an seinem Hut drehend. »Indessen, wenn ich auch im Gefühl der erlittenen Niederlage den Rückweg antrete, so wird dies doch meiner Verehrung und Hochachtung für Sie keinen Abbruch tun.«

Mit dieser Phrase empfahl er sich, und Mathilde war rücksichtsvoll genug, ihn nicht zu fragen, ob er nicht die Rückkehr ihres Vaters abwarten wollte, denn sie fühlte wohl, dass seine Lage in diesem Augenblick eben nicht die angenehmste sei.

Ich will jetzt einmal in meinen Bewerbungen eine Pause eintreten lassen, dachte der ehemalige Schreiber, als er wieder langsam der Stadt zuschritt, aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und es bleiben mir ja noch andere junge Damen, auf die ich meine Wahl richten kann. Da ist zum Beispiel die hochblonde Julie, die beißt wie ein Karpfen an, wenn ich die Angel auswerfe. Davon bin ich fest überzeugt.

Der Teufel der Eitelkeit und des Hochmuts hatte ihn also schon wieder beim Schopf, aber diesmal vergaß er, dass noch ein alter Karpfen in der Gestalt des Kämmerers vorhanden war, welcher mit ungewöhnlicher Schlauheit und List darüber wachte, dass der junge Karpfen keine Unvorsichtigkeit beging.

Inzwischen dehnte sich die von Pußkuchen bestimmte Pause so lange aus, bis der Termin herankam, wo er die Zinsen des sowohl rückständigen Halbjahres als auch die des eben abgelaufenen bezahlen sollte. Da er dies nicht vermochte, so wurde Herr Schwindelmeier klagbar. Nachdem er sich ein rechtskräftiges Urteil erstritten hatte, kam Finkenrode unter den Hammer und wurde wieder Eigentum des früheren Besitzers, während unser Held Zeit hatte, darüber Betrachtungen anzustellen, wie leicht ein kleines Vermögen unter den Händen zerfließt, wenn man dasselbe nicht zusammenzuhalten versteht.

Seine Lage war eben jetzt nicht die beneidenswerteste. Gern hätte er seine Rolle noch weiter gespielt und doch fühlte er, dass es damit zu Ende sei. Seine Freunde verließen ihn zwar noch nicht unmittelbar, da er noch immer mit ihnen in den Familien schmauste und zechte, die er kannte, fand er allerdings auch noch Zutritt, aber er wurde doch kalt aufgenommen und man ließ es ihm bereits anmerken, dass man wünsche, seiner loszuwerden.

Wie oft blickte jetzt Pußkuchen zum Gerichtsgebäude hinauf und legte sich die Frage vor, ob er denn eigentlich doch nicht als armer Schreiber glücklicher als jetzt gewesen wäre, wo er Wünsche und Bedürfnisse nicht gekannt hatte, die ihm nun bereits zur Gewohnheit geworden waren. Auch nach dem Häuschen der Witwe Höfner richteten sich seine Blicke. Eines Tages fasste er sich ein Herz und stattete Mutter und Tochter einen Besuch ab.

Hannchen saß wie gewöhnlich an ihrem Platz und schwang fleißig die Nadel, aber als ob sie sich dieselbe tief ins Fleisch hineingestochen hätte, so fuhr sie zusammen und ein hohes Rot übergoss ihre Wangen, als der ehemalige Mieter eintrat.

»Werden Sie mich noch für würdig halten, Ihnen unter die Augen zu treten, nachdem ich mich so undankbar gegen Sie benommen habe?«, fragte Pußkuchen mit dem Ausdruck aufrichtiger Reue.

»Setzen Sie sich«, sagte die Witwe und schob freundlich einen Stuhl herbei. »Ein Groll gegen Sie ist ja nie bei uns vorhanden gewesen. Weh hat es uns freilich getan, dass Sie so ganz die Vergangenheit vergessen konnten, aber wir haben doch immer teil an Ihnen genommen. Wir haben Sie im Stillen bedauert, denn Sie sind in schlechte, in sehr schlechte Hände geraten, Herr Pußkuchen. Und jetzt, wo es mit der Herrlichkeit aus ist, ziehen sich die vornehmen Leute kalt von Ihnen zurück.«

»Ich weiß es«, antwortete dieser, »ich habe die Erfahrung gemacht, dass man nur so lange unter ihnen eine Rolle spielen kann, wie man imstande ist, sich ihnen gleich zu stellen. Und Sie, Hannchen«, fuhr er mit bewegter Stimme fort, »die Sie sich stets so gütig, so nachsichtig, so teilnehmend gegen mich zeigten, werden Sie mir auch meine grobe Undankbarkeit verzeihen können?«

»Oh, ich«, erwiderte diese mit bewegter Stimme, »ich bin ein armes unbedeutendes Mädchen und wer fragt nach dem?«

Dabei senkte sie aber doch den Kopf, um die Träne zu verbergen, welche gleichzeitig auf das vor ihr liegende Kleid hinunterträufelte.

Pußkuchen fühlte sich in diesem Augenblick, den beiden einfachen, aber edlen Frauen gegenüber recht beschämt. Nie war es ihm mehr wie gerade jetzt zur Wahrheit geworden, wie schwer sich oft Hochmut und Geringschätzung gegen andere strafen und dass es noch andere Güter wie den elenden Mammon gibt, nach denen man den Wert eines Menschen beurteilen müsse. Der Vers des schönen Liedes

Wir Menschen sind ja alle Brüder,
ein Jeder ist mit uns verwandt,
die Schwester in dem Leinwandsmieder,
der Bruder mit dem Ordensband

trat recht lebhaft in sein Gedächtnis. Als er das kleine Häuschen verließ, lächelte er befriedigt und das Gefühl, jetzt wieder der arme Christian Pußkuchen von früher zu sein, erschien ihm lange nicht mehr so bitter.

Ganz spurlos sollte aber doch der harte Schlag, der ihn getroffen hatte, nicht an ihm vorübergehen. In seinem Inneren nagte es und das viele Trinken und das nächtliche lange Aufbleiben taten auch ihre Wirkung. Eines Tages lag er im heftigen Fieber, Phantasien umdunkelten seinen Geist und der Kampf zwischen Leben und Tod begann. Als er denselben siegreich überstanden hatte und wieder mit vollem Bewusstsein die Augen aufschlug, saß eine Frauengestalt an seinem Bett, die ihm sanft zulächelte.

»Sie hier, Hannchen?«, fragte der Kranke bewegt und blickte dankerfüllt in das bleiche Gesicht des jungen Mädchens.

»Musste ich denn nicht?«, antwortete dieses mit milder Stimme, »es war ja niemand da, der sich um Sie kümmerte. Alle hatten Sie ja verlassen.«

»Nur Sie nicht, Sie Edle, Sie Gute«, murmelte Pußkuchen, »möge Gott es Ihnen lohnen, ich vermag es nicht.«

»Still«, bat Hannchen, »der Arzt hat jede Aufregung streng verboten. Erst werden Sie wieder gesund und dann unterhalten wir uns wie in den früheren, alten Tagen.«

Sechs Wochen später saß der ehemalige Schreiber abermals in dem kleinen Stübchen der Witwe, das erste Rot zeigte sich wieder auf seinen Wangen, und Hannchen – sie lächelte so hold und ihr treues gutes Auge begegnete dem Pußkuchens, dessen Gesicht strahlte, als ob er in eine neue schöne hoffnungsreiche Zukunft blickte.

»So ganz arm bin ich doch nicht, wie die Leute glauben«, sagte er befriedigt, »fünftausend Taler habe ich noch aus dem Schiffbruch gerettet und dies, mein gutes, treues Hannchen, genügt noch immer, um unseren Ehestand etwas behaglicher zu machen. Ein Glück, dass ich auf meine Stelle als Aktuar nicht verzichtete. Wie ich heute erfuhr, habe ich die besten Aussichten, bald angestellt zu werden.«

Diese Anstellung erfolgte denn auch wirklich binnen Kurzem, und zwar in einer anderen Stadt an einer anderen Gerichtsstelle. Als Christian Pußkuchen von der Trauung zurückkehrte und seine Frau in die Arme schloss, sagte er lachend: »Wer die Wahl hat, hat die Qual. Ich habe lange herumgesucht, aber nun glaube ich, die Richtige getroffen zu haben. Ich fühle es in meinem Herzen, mit einer Frau, wie du es bist, lässt es sich froh und glücklich durchs Leben gehen!«