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Der bayerische Hiesel – Teil 12

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Der Trüffelhund

So grausam auch Hiesel mit den Jägern und Soldaten verfuhr, deren Pflicht es war, gegen ihn auszuziehen, so hatte er doch viele Augenblicke, besonders frühmorgens, wenn er vom Lager aufstand und das süße Erwachen der schönen Natur erblickte, wo die Stimme des rächenden Gewissens zu seinem Herzen sprach.

Eines Tages trat er gegen 9 Uhr morgens aus dem Wald, der treue Tiras an seiner Seite. Vor ihm, kaum eine halbe Viertelstunde entfernt, lag ein romantisches Dörflein zwischen früchteschweren Obstbäumen, aus welchem ihm fröhliche Musik entgegenschallte.

Er warf sich im Schatten einer Nussstaude in das Gras, stützte seinen Kopf in die Hand und schaute mit düsterem Blick auf das Dörflein hinüber.

Da bewegte sich ein großer Zug sonntäglich geputzter Burschen und Mädchen unter Voraustretung des Herrn Pfarrers im geistlichen Ornat in die Dorfkirche, um die Kirchweihmesse zu hören. Die Musiker gingen voran und bliesen einen lustigen ländlichen Marsch.

»Diese Menschen können so fröhlich sein, « sprach Hiesel mit sich selbst. »Ein solcher Festtag ist ihnen Ersatz für die anstrengende Arbeit eines ganzen Jahres. Sie sind glücklich, weil kein Verbrechen auf ihrer Seele lastet. Aber ich! Wäre ich doch in Kissing geblieben, hätte ich den ersten Hirsch nicht geschossen, der mich auf diese Lasterbahn stieß, wie könnte ich jetzt in den Armen der frommen Marie so glückliche Standen verleben!«

Die Reue presste ihm Tränen aus.

»O, warum kann ich jene Zeit nicht zurückrufen, warum nicht ungeschehen machen, was geschehen ist! Ich gäbe gerne zehn Jahre meines Lebens dafür hin!«

Hätte irgendein frommer Priester diese weiche Stimmung Hiesels in diesem Augenblick benutzen können, um ihm mit guten, aber eindringlichen Worten die schrecklichen Folgen seiner Lebensweise zu schildern, vielleicht hätte er sein furchtbares Handwerk aufgegeben und wäre zurückgekehrt auf die Bahn der Tugend.

Als der ländliche Zug von der Kirche in das Wirtshaus zurückgekehrt war und die Musiker lustige Ländler aufspielten, begab sich Hiesel auf den Weg dahin, in der Hoffnung, unter der fröhlichen Jugend seine eigenen Grillen zu verscheuchen.

Um jedoch nicht erkannt zu werden, zog er über seine Schützenkleidung ein blaues Reisehemd mit einem ledernen Gürtel, setzte ein Käppchen auf und umwickelte sein Gewehr mit Getreidehalmen, von denen er die Ähren abgeschnitten hatte.

Seinen Hut mit drei Spielfahnfedern verbarg er im Gebüsch und befahl dem Tiras, ihn zu bewachen, bis er ihm pfeifen werde. Der Hund war hierzu abgerichtet.

Viele Gäste aus Nah und Fern hatten sich bei diesem Kirchweihtanz eingefunden.

Hiesel mischte sich unerkannt unter die Menge und musterte die vielen schönen Mädchen mit Wohlgefallen.

Er trank ruhig einen Krug Bier, als plötzlich in der Nähe des Wirtshauses ein lauter Lärm entstand und ein dichter Kreis von jungen Burschen sich um etwas versammelte, was er nicht bewerten konnte. Er hörte sie nur immer rufen: »Willst du auch tanzen, alter Trüffelhund? Für einen Tanzbären bist du zu alt!«

Plötzlich vernahm er ein bitterliches Weinen in der Mitte des Kreises, dem ein schallendes Gelächter der Burschen folgte.

»Was gibt’s denn da?«, fragte Hiesel.

»Ei, der Trüffelhund ist wiedergekommen, den necken sie nun wieder«, war die Antwort.

Das Weinen mit einem schauerlich- heiseren Geächze dauerte fort, und eine dumpfe widrige Stimme flehte: »Lasst mich Armen doch meine mühsam gegrabenen Trüffel wieder ruhig zusammenklauben, die ihr mir ausgestreut habt. Ich muss einen ganzen Monat davon leben. Oder soll ich verhungern? Ihr gebt mir ja doch nichts zu essen!«

Die Stimme hatte für Hiesel einen bekannten Klang. Mit kräftigen Armen brach er sich eine Bahn durch die dichte Menge und stand nun plötzlich vor einem wundersamen grauen Männchen in einer bis auf die Fäden abgetragenen Kutte, dessen Kopf ein breit gekrämptes, völlig verwittertes Hütlein deckte, und dessen ehrwürdiger Bart bis auf die Mitte der Brust herab reichte.

Hiesel zitterte bei dem Anblick dieses Männleins, und sein erster Gedanke war: »Wäre mein Vater 100 Jahre alt geworden, so hätte er gerade so aussehen müssen, wie dieses Männlein!«

Aber auch das Männlein fuhr bei Hiesels Anblick sichtbar zusammen, entblößte das eisgraue Haupt, machte zwei unbehilfliche Bücklinge und bat mit kreischender Stimme, während ihm einige Tränen über die tief gefurchten Wangen flossen: »Gestrenger Herr, nehmt Euch doch um Gottes willen um mich armes Männlein an, damit ich meine Trüffel wieder zusammenklauben darf!«

»Das sollst du ungestört, Alter! Ich nehme dich unter meinen Schutz und will den sehen, der dich daran hindern möchte«, erwiderte Hiesel mit festem Ton.

Dieser stolze Ton reizte die rauflustigen Burschen. Sie ließen nun von dem Trüffelhund ab und wendeten sich gegen Hiesel, der sie mit flammenden Blicken von oben bis unten maß.

Nach der Weise jener Burschen begnügten sie sich anfangs damit, ihn nur verächtlich anzusehen, sich einander zu stoßen und in die Ohren zu zischen, dann bisweilen auszurufen: »Oho! Der traut sich! Der muss stark sein! Der frisst uns freilich auf dem Kraut! Geht, bittet ihn um Verzeihung!« usw. Inzwischen hatte Hiesel den Trüffelhund an einen Seitentisch geführt und mit Bier und Braten bewirtet.

Der Haufen wurde immer schnippischer und umstellte den Tisch, woran Hiesel saß. Da stand dieser auf, sagte zum Trüffelhund, er werde gleich wiederkommen. Er solle sich’s nur recht schmecken lassen, und schritt mitten durch die Burschen hin, die es nicht wagten, Hand an ihn zu legen.

»Auf und nach!«, rief nun der Keckste unter ihnen, »wir wollen ihn derb durchprügeln, den eingebildeten Menschen!«

»Lasst’s gut sein«, kreischte ihnen der Trüffelhund zu, »wenn euch euer Leben lieb ist, und wenn ihr nicht wollt, dass heute noch der rote Hahn auf den Dächern des Dörfleins sitzt, und in zwei Tagen auf den Hütten von euch allen!«

»Das dank euch der Teufel«, schrien jene. »Wenn der Mensch so gefährlich ist, so wollen wir ihn binden und zum Gerichtsdiener führen. Sag an, alter Trüffelhund, wer ist der Kerl!«

»Der bayerische Hiesel!«, rief eine kräftige Stimme hinter ihnen.

Als die Burschen erschreckt auseinanderfuhren, stand der kühne Wildschützenhauptmann da und sprach: »Hier bin ich, bindet mich!«

Tiras fletschte die spitzigen, blitzenden Zähne, und schien nur einen Wink des Gebieters zu erwarten. Doch alle schwiegen. Die Meisten zogen ihre Hüte ab und schlichen furchtsam von dannen. Bald darauf ging wieder ein Ländler los, und der kleine Zwist wurde bei Tanz und Trunk vergessen.

Hiesel sah noch ein Stündchen dem Tanz zu, schenkte den Musikern einen Taler und verließ dann mit dem Trüffelhund das Dörflein, nachdem er dem Ortsvorsteher auf dessen Bitte versprochen hatte, das Betragen der Burschen dem Dörflein nicht entgelten zu lassen. Kaum waren beide, Hiesel und der Trüffelhund, in der Mitte des schaurigen Waldes angekommen, als dieser sein langes Schweigen brach und zu Hiesel sagte: »Ich bin dir großen Dank schuldig, Hiesel, dass du dich meiner so mutig angenommen hast. Da ich weit und breit bekannt bin, so erfahre ich auch alles, was man gegen dich im Schilde führt. Verlass dich darauf, dass ich dich jederzeit warnen werde, wenn dir eine Gefahr droht. Bisweilen wird es nicht möglich sein, dass ich mit dir spreche. So oft du mich aber von nun an wiedersehen wirst, sei auf deiner Hut; denn es ist ein Zeichen der nahen Gefahr. Keiner von deiner Bande aber wird mich jemals sehen, und wären sie auch dicht an deiner Seite, wenn ich dir erscheine.

Eden wollte Hiesel ihm herzlich danken und sich nach seinen Verhältnissen näher erkundigen, als der Trüffelhund in den Boden huschte, als versinke er im Wasser so, dass Hiesel nur eben noch den verschwindenden Hut sah. Hiesel war, wie alle Landleute, die keinen vernünftigen Unterricht erhalten, abergläubisch, und hielt nun den Trüffelhund für den bösen Geist, der sich seiner bloß annehme, um ihn zu einem Seelenverkaufskontrakt zu verleiten. Er beschloss von diesem Abenteuer seinen Kameraden nichts zu sagen, sondern die Warnungen, wenn sie gegeben werden, für sich zu benutzen, um dadurch den Anschein einer höheren Macht zu bekommen.