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John Tanner – Das Leben eines Jägers 17

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Siebenzehntes Kapitel

Als ich zum Kontor am Moosefluss unterwegs war, erfuhr ich, dass einige Weiße aus den Vereinigten Staaten dorthin gekommen wären, um mehrerlei für Leute einzukaufen, welche sich damals gerade im Dorf der Mandan aufhielten. Ich bedauerte sehr, dass sich mir keine Gelegenheit bot, meine Landsleute zu sehen. Da man mir indessen zu verstehen gab, dass sie in jenem Dorf eine feste Ansiedlung gründen würden, so tröstete ich mich mit der Hoffnung, dass schon einmal eine Zeit kommen würde, wo ich sie besuchen könnte. Danach habe ich erfahren, dass jene Männer zum Gefolge des Gouverneurs Clarke und des Capitains Lewis gehörten, die eben damals zu den Felsengebirgen und dem Pazifik unterwegs waren.

Als wir uns an den Ke-new-kau-nesche-way-boant, wo reichlich Wild vorhanden war, auf den Weg machten, waren schon beinahe alle Blätter abgefallen. Wir beschlossen, dort den Winter zu verbringen. Ich überließ mich hier zum ersten Mal mit Wa-me-gon-a-biew und anderen Indianern dem Spiel, einem Laster, das unter diesen Völkern ebenso verderblich wirkt wie die Trunksucht. Besonders häufig spielten wir das Mokassinspiel. Die Zahl der Spieler ist dabei unbegrenzt. Es sind ihrer aber insgemein nicht viele. Man nimmt vier Mokassins. In einen derselben wird irgendein Gegenstand, zum Beispiel ein Stückchen Holz oder ein Tuch verborgen, und zwar vonseiten der einen Partei. Dann werden die Mokassins in eine Reihe gestellt, und einer von der Gegenpartei muss zwei derselben mit dem Finger oder einem kleinen Stab bezeichnen. Befindet sich das Stückchen Holz oder das Tuch in dem ersten von ihm berührten Mokassin, so verliert er acht Points. Ist es im Zweiten nicht, dann verliert er zwei. Er gewinnt aber acht, wenn es nicht im Ersten, wohl aber im Zweiten befindlich ist. Die Kris spielen dieses Spiel auf eine abweichende Art. Sie stecken die Hand in jeden einzelnen Mokassin und gewinnen nur, wenn das Pfand sich im Letzten befindet. Ist es gleich im Ersten, so verliert der, welcher hineingegriffen hat, acht Points. Diese Letzteren haben einen willkürlichen Wert. Zuweilen gilt eine Biberhaut oder eine Decke acht Points, ein Pferd oder ein Ochse hundert. Mit Fremden spielen die Indianer gern recht hoch, sodass manchmal ein Pferd nur zu zehn Points gerechnet wird.

Am leidenschaftlichsten aber spielen sie das Bug-ga-sauk- oder Beg-ga-sah-Spiel, und daraus entstehen denn oftmals die traurigsten Folgen. Die Beg-ga-sah-nuks sind kleine Stücken Holz, Knochen oder Metall von einem alten Kessel. Die eine Seite ist schwarz bemalt, während man die andere recht gern sehr glänzend hat. Die Anzahl der Stückchen ist verschieden. Weniger als neun nimmt man aber niemals. Diese werden zusammen in ein großes hölzernes Gefäß getan oder einen eigens zu diesem Zweck gefertigten Napf oder Eimer. Die Spieler, in zwei Gruppen getrennt, von denen jede einzelne manchmal dreißig Mann stark ist, setzen sich einander gegenüber oder bilden einen Kreis. Das Spiel besteht nun darin, dass man an den Rand des Gefäßes so schlägt, dass alle Beg-ga-sah-nuks emporspringen. Von der Art, wie sie wieder in das Gefäß zurückfallen, hängt Gewinn oder Verlust ab. Wenn das Ergebnis bis zu einem gewissen Punkt günstig gewesen ist, dann spielt der Spieler weiter fort, ohne dass die Reihe an einen anderen käme, ganz wie beim Billard. Erst wenn er fehlt, kommt ein anderer. Gewöhnlich werden beide Parteien bald sehr hitzig, und da der eine gern dem anderen das Gefäß wegreißen will, ehe der Letztere sich genau überzeugt hat, ob er wirklich verloren hat, so entsteht sehr häufig Zank und Streit.

Die alten und vernünftigen Leute sind erklärte Feinde dieses Spieles, und Net-no-kwa hatte bisher nie gelitten, dass ich an diesem teilnahm. Anfänglich hatte unsere Partie ziemliches Glück. Aber bald wendete sich das Blatt, und wir verloren endlich alles, was wir besaßen. Da die, welche gewonnen hatten, wohl sahen, dass uns nicht das Geringste mehr übrig blieb, so schlugen sie ihr Lager in einiger Entfernung von uns auf und machten, wie das gewöhnlich geschieht, viel Geschrei über ihren Sieg. Als ich das hörte, rief ich alle Männer von unserer Partei zusammen und sagte ihnen, wir müssten eine Wette mit ihnen eingehen, um ihrer unverschämten Ruhmredigkeit ein Ende zu machen. Wir borgten daher einige Dinge von unseren Freunden und gingen damit zu unseren Gegnern, die bereitwillig waren, abermals mit uns zu spielen, als sie sahen, dass wir nicht mit leeren Händen kamen. Dieses Mal schlug uns das Beg-ga-sah ein, und wir gewannen am Abend so viel, dass wir für den anderen Morgen tüchtig etwas einzusetzen hatten. Es wurde Scheibenschießen gespielt, und wir setzten alles, was wir besaßen. Jene hatten gewiss keine große Lust, konnten aber unser Anerbieten nicht wohl ablehnen. Das Ziel wurde etwa hundert Ellen weit gesteckt. Ich schoss zuerst, und meine Kugel saß ziemlich im Mittelpunkt. Keiner unserer Gegner traf so gut. Ich war Sieger, und so gewannen wir auf einmal so ziemlich alles wieder, was wir im Laufe des Winters verspielt hatten.

Der Frühling war schon ziemlich vorgerückt, und wir trafen bereits Vorkehrungen zum Abzug, als ein alter Mann, namens O-zhusk-ku-kon (die Moschusrattengalle), der einer der Metai-Oberhäupter war, mit seiner Enkelin und den Verwandten dieses Mädchens in meine Hütte kam. Sie war sehr schön und erst fünfzehn Jahre alt. Net-no-kwa hatte aber keine sehr gute Meinung von ihr. Sie sprach zu mir. »Mein Sohn, diese Leute werden nicht aufhören, dich zu quälen, solange du hier bleibst. Da das Mädchen sich durchaus nicht zu deiner Frau passt, so rate ich dir, nimm dein Gewehr und geh fort. Mache dir ein Jagdlager und komm nicht eher wieder, bis sie sich überzeugt haben, dass du auf ihre Anträge nicht eingehen willst.«

Diesen Rat befolgte ich, und O-zhusk-ku-kon schien die Hoffnung aufgegeben zu haben, mich mit seiner Enkelin zu verheiraten.

Als ich bald nach meiner Rückkehr eines Abends vor meiner Hütte saß, sah ich ein junges hübsches Mädchen, das rauchte, spazieren gehen. Es blickte mich von Zeit zu Zeit an, kam endlich zu mir und schlug mir vor, mit ihm zu rauchen.

Ich antwortete aber, dass ich nicht rauchte.

»Du schlägst es mir nur ab«, sprach sie, »weil du meine Pfeife nicht berühren willst.«

Da nahm ich die Pfeife und rauchte ein wenig, was ich in der Tat früher noch niemals getan hatte.

Die Unbekannte blieb noch einige Zeit bei mir und fing an mir zu gefallen. Seit jenem Abend kamen wir öfter zusammen, und nach und nach gewann ich sie sehr lieb.

Ich erzähle dieses, weil eine solche Art Bekanntschaft zu machen, sonst unter den Indianern gar nicht gebräuchlich ist. Denn wenn ein junger Mann ein Mädchen aus seinem Stamm heiratet, dann hat er vorher mit ihr noch in keinerlei vertrautem Umgang gestanden. Beide haben sich im Dorf wohl schon gesehen, aber vielleicht noch nie miteinander gesprochen. Die Heirat wird von den Eltern bestimmt und abgemacht, und das junge Paar ist gewöhnlich beiderseits damit zufrieden, da sie wissen, dass die Verbindung sehr leicht aufgelöst werden kann, wenn eines dem anderen missfällt.

Über meine Unterhaltungen mit Mis-kwa-bun-o-kwa (die Morgenröte), denn so hieß das Mädchen, welches mir seine Pfeife angeboten hatte, wurde bald im ganzen Dorf hin- und hergesprochen. Eines Tages trat der alte O-zhusk-ku-kon in meine Hütte und führte abermals eine seiner zahlreichen Enkelinnen an der Hand, denn er hoffte, dass ich nun, wie alle jungen Männer in meinen Jahren, mir endlich eine Frau nehmen würde.

»Hier ist«, sprach er zu Net-no-kwa, »das hübscheste und beste Mädchen aus meiner gesamten Nachkommenschaft. Ich trage sie deinem Sohn an.«

Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, ging er aus der Hütte und ließ seine Enkelin stehen. Dieses junge Mädchen war von der Net-no-kwa stets mit einer ungewöhnlichen Aufmerksamkeit behandelt worden und galt in unserer Gruppe als eine vortreffliche Partie. Net-no-kwa schien ein wenig verlegen und nahm endlich einen günstigen Augenblick wahr, mir zu sagen: »Das Mädchen, welches dir angetragen wird, mein Sohn, ist hübsch und gut. Aber du darfst es nicht nehmen, weil es in seiner Brust ein Übel trägt, woran es, ehe ein Jahr vergeht, sterben muss. Du musst eine gesunde, starke Frau haben. Diesem Mädchen hier wollen wir ein hübsches Geschenk machen und es nach Gebühr behandeln. Es kann alsdann zu seinem Vater zurückkehren.«

Das Mädchen zog mit reichen Geschenken beladen ab. Aber ehe ein Jahr verging, war die Prophezeiung der Alten eingetroffen. Mis-kwa-bun-o-kwa und ich gewannen einander von Tag zu Tag mehr lieb, und wahrscheinlich missbilligte Net-no-kwa nicht, was ich tat. Ich sagte ihr zwar nichts, aber sie musste doch etwas davon erfahren haben, und bald überzeugte ich mich davon. Ich hatte zum ersten Mal einen großen Teil der Nacht bei meiner Geliebten zugebracht, war erst spät in meine Hütte geschlichen und dann eingeschlafen. Am anderen frühen Morgen erhielt ich einen leisen Schlag auf meine Füße und wachte auf.

»Steh auf«, rief die Alte, die einen dünnen Stecken in der Hand hielt und dicht neben mir stand, »steh auf, junger Mensch. Du willst ein Weib nehmen. Du musst aber auch auf den Beinen sein und dem Wild nachjagen. Dann wird die Frau, welche du dir selbst gewählt hast, dich höher achten, wenn sie weiß, dass du schon früh mit ergiebiger Beute zurückkommst. Das ist besser, als wenn du noch im Dorf umhergehst und den Schönen spielst, wenn alle anderen schon auf der Jagd sind.«

Ich entgegnete kein Wort, nahm aber mein Gewehr, ging fort und kam schon um Mittag mit einer schweren Ladung Fleisch von einem Moosetier zurück. Das warf ich der Alten vor die Füße und sprach in barschem Ton: »Hier hast du, Alte, was du heute früh von mir gefordert hast.«

Sie freute sich sehr und lobte mich, woraus ich schloss, dass sie mein Verhältnis zur Morgenröte nicht ungern sah. Es machte mir viel Vergnügen, dass mein Betragen von ihr gebilligt wurde. Es gibt unter den Indianern viele, die ihre alten Eltern vernachlässigen und abstoßend behandeln. Ich aber habe der Net-no-kwa, obwohl sie jetzt schon alt und schwächlich geworden war, stets die höchste Achtung erwiesen.

Ich verdoppelte meine Tätigkeit auf der Jagd, kam daher gewöhnlich schon früh oder doch gewiss vor Abend heim und nie ohne Beute. Auf meine Kleidung legte ich möglichst viel Sorgfalt und ging zuweilen, die indianische Flöte, Pe-be-gwun, spielend, im Dorf umher. Eine Zeit lang tat Mis-kwa-bun-o-kwa, als wollte sie mich nicht zum Mann nehmen. Als aber meine Neigung etwas nachlassen zu wollen schien, entsagte sie dieser Ziererei. Ich meinerseits aber fühlte bald nachher in allem Ernst, wie mein bisheriger Wunsch, bald ein Weib in meine Hütte einzuführen, immer schwächer wurde. Ich legte es darauf an, allen Verkehr mit ihr abzubrechen und sie nicht mehr zu besuchen. Als sie deutlich sah, dass meine Gleichgültigkeit immer augenscheinlicher wurde, suchte sie bald durch Vorwürfe und Tadel, bald durch Bitten und Tränen mein Herz zu rühren. Ich sagte aber der Alten nicht, dass sie mir die Morgenröte in unsere Hütte bringen sollte, und hatte von Tag zu Tag weniger Lust, sie öffentlich als meine Frau anzuerkennen.

Um diese Zeit musste ich zum Kontor am Red River reisen und ging dahin in Begleitung eines halbblütigen Indianers, welcher zu jener Niederlassung gehörte. Er hatte ein sehr leichtes Pferd, und der Weg, welchen wir zurückzulegen hatten, beträgt, wie späterhin durch englische Pflanzer ermittelt worden ist, siebzig englische Meilen. Wir stiegen abwechselnd zu Pferde, und wer gerade gehen musste, hielt sich am Schweif des Tieres fest. Den weiten Weg (vierzehn deutsche Meilen) legten wir an einem Tag zurück. Die Rückreise machte ich zwar allein und ohne Pferd, wollte aber den Weg in eben so kurzer Zeit zurücklegen. Doch musste ich, weil es dunkel wurde, und mein Körper zu geschwächt war, nur noch sechs Meilen von meiner Hütte entfernt liegen bleiben.

Als ich am anderen Morgen in dieselbe eintrat, sah ich Mis-kwa-bun-o-kwa an meiner Stelle sitzen. Ich blieb an der Tür stehen und zauderte, weiter hineinzugehen. Sie senkte den Kopf.

Da sprach Net-no-kwa in barschem Ton, in welchem sie sonst nie mit mir zu reden pflegte: »Willst du unserer Hütte den Rücken kehren und dieses junge Weib entehren, das in allem betrachtet mehr wert ist als du? An allem, was geschehen ist, bist du schuld. Sie oder ich haben keine Veranlassung dazu gegeben. Bis diesen Tag bist du ihr im Dorf nachgelaufen. Willst du sie nun verstoßen, als ob sie sich dir in den Weg geworfen hätte?« Die Vorwürfe, welche Net-no-kwa mir machte, waren nicht ganz ohne Grund, und meine Neigung tat ein Übriges. So trat ich denn näher, setzte mich neben Mis-kwa-bun-o-kwa, und wir wurden auf diese Weise Mann und Frau.

Während meiner Reise zum Red River hatte die alte Net-no-kwa , ohne sich darum zu scheren, ob ich einwilligen würde oder nicht, die Sache mit den Eltern meiner Geliebten richtig gemacht, und diese in unsere Hütte eingeführt. Sie mochte wohl denken, dass es nicht schwer sein würde, von mir Billigung und Gutheißen ihres Betragens zu erhalten. Bei den meisten Verbindungen, welche die jungen Leute unter den Indianern miteinander eingehen, haben sie weit weniger dabei zu tun, als dieses Mal ich und meine Frau. Der Wert der Geschenke, welche die Eltern eines jungen Mädchens für die Abtretung ihrer Person in Anspruch nehmen können, wird um so geringer, je mehr Männer die Braut schon gehabt hat.