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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Trapper in Arkansas – Band 1.6

Gustave Aimard (Olivier Gloux)
Die Trapper in Arkansas Band 1
Erster Teil – Treuherz
Kapitel 2 – Die Jäger

Nun ein Paar Worte über die Personen, welche den Schauplatz betreten und zu wichtigen Rollen berufen sind: Treuherz (bloß unter diesem Namen war der Jäger durch die Prärien des Westens bekannt) stand wegen seiner Gewandtheit, seiner Redlichkeit und seines Mutes unter den Indianerstämmen, mit welchen ihn die Wechselfälle seines abenteuerlichen Lebens in Verkehr gebracht hatten, in hoher Achtung, während die Jäger und Trapper, sowohl Spanier als auch Amerikaner aus dem Norden oder Mestizen sehr auf seine Kenntnis der Wälder bauten und sich häufig bei ihm Rat einholten. Sogar die Galgenstricke der Prärien, die nur von Raub und Erpressung lebten, wagten es nicht, ihn anzugreifen und vermieden es möglichst, ihm in den Weg zu kommen. Der Mann hatte es also bloß durch die Kraft seines Geistes und seines Willens dahin gebracht, dass er fast ohne sein Wissen zu einer Macht geworden war, welche bei den wilden Bewohnern jener endlosen Einöden unbestrittene Anerkennung fand.

Vor fünfzehn oder zwanzig Jahren, er war damals noch sehr jung, hatten ihn eines Tages Jäger aufgefunden, als sie an den Ufern des Arkansas ihre Biberfallen auslegten. Die kurzen Fragen, die man über seine Vergangenheit an ihn stellte, blieben ohne Antwort. Die Jäger, von Natur wortkarge Leute, glaubten in den verlegenen und ausweichenden Reden des jungen Mannes ein Geheimnis zu lesen, das er nicht enthüllt wissen wollte, und drangen daher nicht weiter in ihn. Im Gegensatz von den übrigen Jägern und Trappern der Prärie, die stets mit einem oder zwei Kameraden ihrem Gewerbe nachgehen und sich nie von diesen trennen, lebte Treuherz allein und ohne festen Wohnsitz. Er durchjagte die Wildnis, ohne irgendwo sein Zelt aufzuschlagen. Stets düster und schwermütig mied er die Gesellschaft von Seinesgleichen, obschon er bei jeder Gelegenheit sich bereit zeigte, ihnen Dienste zu leisten oder selbst sein Leben für sie zu wagen. Wollte man aber sich ihm dankbar erweisen, so gab er seinem Pferd die Sporen und legte seine Fallen in größerer Entfernung, um denen, die er sich verpflichtet hatte, Zeit zu lassen, den geleisteten Dienst zu vergessen. Fünf Jahre vor der Zeit, mit welcher wir diese Erzählung wieder aufgenommen haben, bemerkte er eines Abends, als er mit dem Legen seiner Nachtfallen fertig war, plötzlich unter den Bäumen das Feuer eines indianischen Lagers. Ein Weißer von höchstens siebenzehn Jahren war an einen Pfahl gebunden und musste den Messern der Rothäute als Ziel dienen, die sich damit unterhielten, den jungen Menschen zu martern, ehe sie ihn ihrem blutdürstigen Groll opferten. Treuherz, welcher nur der Stimme des Mitleids Gehör schenkte, warf sich ohne Rücksicht auf die schreckliche Gefahr, der er sich bloßstellte, mitten unter die Indianer und trat vor den Gefangenen hin, um ihn mit seinem eigenen Leibe zu decken. Die Indianer waren Comanchen. Betroffen ob der unerwarteten Störung und verwirrt durch die Kühnheit des Jägers, blieben sie einige Augenblicke regungslos. Treuherz verlor übrigens keine Zeit, sondern zerschnitt die Fesseln des Gefangenen und gab ihm sein Messer. Letzterer ergriff mit Freude die Waffe, und nun schickten sich beide an, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Sobald die Comanchen sich vom ersten Schreck erholt hatten, machten sie sich bereit, auf die zwei Männer loszustürzen, die ihnen Trotz zu bieten schienen. Als jedoch der Widerschein des Feuers sie das Gesicht des Jägers erkennen ließ, wichen sie wieder zurück und murmelten sich wechselseitig zu: »Treuherz, der große Bleichgesichtsjäger!«

Adlerkopf (so hieß der Häuptling des Comanchenhaufens) kannte den Jäger nicht. Er war zum ersten Mal in die Prärien von Arkansas heruntergekommen und begriff daher den Ausruf seiner Krieger nicht. Er war jedoch ein bitterer Feind der Weißen, denen er einen Vernichtungskrieg geschworen hatte, und stürzte ungeachtet der vermeintlichen Feigheit seiner Untergebenen allein auf Treuherz los. Aber nun erfolgte ein befremdlicher Auftritt. Ungeachtet ihrer Achtung vor dem Häuptling warfen sich die Indianer auf diesen und entrissen ihm seine Waffen, um ihn daran zu hindern, sich weiter an dem Jäger zu vergreifen. Nachdem Treuherz ihnen gedankt hatte, hob er selbst die Waffen des Häuptlings auf und gab sie ihm zurück. Dieser nahm sie mit einem finsteren Blick auf seinen edelmütigen Gegner in Empfang. Der Jäger aber bemerkte dies nur mit einem stolzen Achselzucken und entfernte sich mit seinem Gefangenen, erfreut, dass er einem Menschen das Leben gerettet hatte. Innerhalb der kurzen Frist von zehn Minuten hatte er einen unversöhnlichen Feind und einen hingebenden Freund gewonnen. Die Geschichte des Gefangenen ist einfach. Er war mit seinem Vater von Kanada heruntergekommen, um in den Prärien zu jagen, und in die Hände der Comanchen gefallen. Der Vater erlag nach einem verzweifelten Widerstand. Dem Sohn dagegen erwiesen die Indianer, ärgerlich darüber, dass ihnen der Tod ein Opfer geraubt hatte, alle Sorgfalt, um ihn ehrenhaft an dem Marterpfahl abtun zu können — ein Schicksal, dem er ohne Treuherzens glückliches Dazwischenkommen unausbleiblich verfallen gewesen wäre. Nachdem der junge Mann diese Auskunft über sich erteilt hatte, fragte ihn der Jäger über seine Absicht, und ob die raue Lehrzeit, die er im Waldläufergewerbe begonnen hatte, ihm das Abenteurerleben nicht gefallen würde?

»Im Gegenteil«, versetzte der andere, »ich bin mehr als je zuvor entschlossen, diese Laufbahn zu verfolgen, die mir Gelegenheit gibt, meinen Vater zu rächen«

»Ihr habt recht«, entgegnete der Jäger. Treuherz führte den jungen Mann zu einem von seinen Verstecken, ausgegrabene Erdlöcher, in welchen die Trapper ihren Reichtum zu verbergen pflegen. Er holte daraus die ganze Ausrüstung eines Trappers, Gewehr, Messer, Pistolen, Waidtasche und Fallen hervor und gab sie seinem Schützling.

»Ihr könnt jetzt gehen«, sagte er einfach zu ihm. »Gott sei Euer Geleit.«

Der andere sah ihn stumm an und wusste augenscheinlich nicht, was er aus dieser Rede machen sollte.

Treuherz lächelte. »Ihr seid frei«, fuhr er fort. »Ihr habt hier das zu Eurem Beruf nötige Gerät. Ich schenke es Euch, dort ist die Prärie, Glück auf!«

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »ich verlasse Euch nicht, wenn Ihr mich nicht unbedingt fortjagt. Ich bin allein, habe keine Familie, keine Freunde. Ihr seid der Retter meines Lebens, und ich gehöre fortan Euch an.«

»Ich lasse mich für einen geleisteten Dienst nicht bezahlen«, sagte der Jäger.

»Doch, und zwar sehr teuer«, erwiderte der andere mit Lebhaftigkeit, »wenn Ihr keinen Dank annehmen wollt. Da habt Ihr Eure Gaben wieder, die ich nicht brauche. Ich bin kein Bettler, dem man ein Almosen zuwirft, und will mich lieber aufs Neue den Comanchen ausliefern. Lebt wohl!« Und der Kanadier machte sich in die Richtung des Indianerlagers auf den Weg.

Treuherz sah ihm stumm nach. Der junge Mann hatte ein so freies, ungezwungenes Wesen, dass er eine wärmere Teilnahme für ihn zu fühlen begann. »Halt«, rief er ihm zu.

Der junge Mann blieb stehen.

»Ich lebe allein«, fuhr der Jäger fort, »und Ihr hättet bei mir nur ein trauriges Dasein. Ein bitterer Gram nagt an meinem Herzen. Warum wollt Ihr Euch einem Unglücklichen anschließen?«

»Um diesen Kummer Euch tragen zu helfen, wenn Ihr mich für würdig erachtet. Um Euch zu trösten, wenn es möglich ist. In der Einsamkeit fällt der Mensch leicht der Verzweiflung anheim. Gottes Befehl weist ihn an, Gesellschaft zu suchen.«

»Das ist wahr,«, murmelte der Jäger unschlüssig.

»Warum habt Ihr mir ›Halt‹ zugerufen?«, fragte der junge Mann beklommen. Treuherz betrachtete ihn mit einer Heftigkeit, als wolle er seine innersten Gedanken lesen. Die Untersuchung schien ihn zu befriedigen. »Wie heißt Ihr?«, fragte er.

»Belhumeur«, versetzte der andere; »oder wenn Ihr lieber wollt, Georg Talbot. Gewöhnlich aber nennt man mich mit dem ersteren Namen.«

Der Jäger lächelte. »Der Name verpflichtet etwas«, sagte er, ihm die Hand reichend. »Belhumeur, fortan bist du mein Bruder auf Leben und Tod.« Und er küsste ihn nach dem in solchen Fällen üblichen Präriebrauch auf die Augen.

»Auf Leben und Tod!«, erwiderte der Kanadier, indem er auf ihn zustürzte und mit Innigkeit die ihm dargebotene Hand drückte. Dann küsste er den neuen Bruder gleichfalls auf die Augen.

So waren Treuherz und Belhumeur miteinander bekannt geworden. Seit fünf Jahren hatte nicht die geringste Wolke die Freundschaft getrübt, welche die beiden trefflichen Männer angesichts Gottes sich in der Wildnis geschworen hatten. Der Mensch hat das Bedürfnis, seine Gefühle und Leiden einem treuen Freund mitzuteilen. Nach ein Paar Monaten, welche Treuherz dazu benutzte, seinen neuen Gefährten zu studieren, hatte er vor Belhumeur keine Geheimnisse mehr.

An dem Tage, an welchem wir ihnen wieder in den Prärien begegnet sind, hatte ihr alter Feind, der Comanchenhäuptling Adlerkopf, dessen Hass und Groll mit der Zeit nicht geringer geworden, sondern eher gewachsen waren, einen kühnen Diebstahl an ihnen begangen. Der Indianer verbiss mit der seiner Rasse eigentümlichen Hinterlist die Schande, den er um der beiden weißen Jäger willen von den Seinigen erlitten hatte, und harrte geduldig der Stunde der Rache. Er hatte heimlich unter den Füßen seiner Feinde einen Abgrund gegraben, indem er ihnen allmählich die Rothäute abgeneigt machte und geschickt Verleumdungen über sie verbreitete. Auf diese Weise glaubte er es endlich dahin gebracht zu haben, dass die beiden sogar bei den weißen Jägern und Mestizen in Misskredit gekommen waren, und demnach von allen durch die Prärie zerstreuten Personen als Feinde angesehen wurden.

So standen die Dinge, als Adlerkopf in der Absicht, einen Sturm herbeizuführen, in welchem diejenigen zugrunde gehen sollten, welchen er den Tod geschworen hatte, in einer einzigen Nacht sämtliche Fallen der beiden Jäger stahl. Er durfte überzeugt sein, dass sie eine solche Beleidigung nicht ungestraft lassen, sondern Rache suchen würden. Und wenn sie dann weder bei den Indianern noch bei den Jägern Beistand fänden, so konnte er sich mit den entschlossenen dreißig Kriegern, die er befehligte, leicht ihrer bemächtigen, um sie dem grausamsten Foltertod preiszugeben.