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Die Trapper in Arkansas – Band 1.4

Gustave Aimard (Olivier Gloux)
Die Trapper in Arkansas Band 1
Vorspiel – Der Ausgestoßene
Kapitel 4 – Die Mutter

Zwei Pferde, welche Eusebio am Zügel hielt, warteten vor der Tür der Hazienda.

»Soll ich Euer Gnaden begleiten?«, fragte der Mayordomo.

»Nein!«, antwortete der Haziendero kurz.

Er schwang sich in den Sattel und legte seinen Sohn quer vor sich hin.

»Führe das zweite Pferd wieder hinein«, sagte er, »ich brauche es nicht.«

Darauf drückte er seinem Pferd, welches vor Schmerz wieherte, die Sporen in die Seiten und sprengte in gestrecktem Galopp davon.

Der Mayordomo schüttelte traurig den Kopf und kehrte in den Hof zurück.

Als die Hazienda hinter einer Erderhöhung verschwunden war, hielt Don Ramon an, zog ein seidenes Tuch aus der Brust, verband seinem Sohn, ohne ein Wort mit ihm zu sprechen, die Augen und ritt weiter.

Dieser Ritt durch die Einöde dauerte lange. Er hatte etwas Düsteres, das die Seele erkalten ließ.

Der schwarzgekleidete Reiter, der schweigend über den Sand glitt und einen gefesselten Knaben, dessen krampfhafte Zuckungen und Bewegungen allein verrieten, das er lebte, vor sich auf dem Sattel liegen hatte, bot einen seltsamen und unheimlichen Anblick, vor welchem sich der Kühnste erschrocken haben würde.

Es vergingen viele Stunden, ohne dass zwischen Vater und Sohn auch nur ein Wort gewechselt worden wäre. Die Sonne begann am Horizont zu sinken, schon blitzten einige Sterne am dunklen Blau des Himmels, doch das Pferd lief noch immer dahin.

Die Einöde nahm mit jedem Augenblick einen traurigeren und wilderen Charakter an. Jede Spur von Vegetation war verschwunden, nur hier und da bedeckten Haufen von Knochen, welche die Zeit gebleicht hatte, gleich fahlen Flecken, den Sand. Die Raubvögel umkreisten den Reiter langsam und mit heiserem Geschrei und in den geheimnisvollen Tiefen der Chaparrals begrüßten die wilden Tiere den herannahenden Abend mit einem dumpfen Geheul als Vorspiel ihrer düsteren Konzerte hören.

In jenen Regionen gibt es keine Dämmerung. Sobald die Sonne verschwunden ist, herrscht vollständige Nacht. Don Ramon galoppierte noch immer.

Sein Sohn hatte keine Bitte an ihn gerichtet und keine Klage laut werden lassen.

Endlich, gegen acht Uhr abends hielt der Reiter an. Der rasende Ritt hatte bereits zehn Stunden gedauert. Das Pferd röchelte dumpf und stolperte bei jedem Schritt.

Don Ramon warf einen Blick um sich. Ein Lächeln der Zufriedenheit flog über seine Lippen.

Die Wüste breitete nach allen Seiten ihre ungeheure Sandfläche aus. Nur von einer Seite zeigten sich die ersten Anfänge des Urwaldes und zeichneten ihre Umrisse, die gegen die ganze Landschaft abstachen, gegen den Horizont ab.

Don Ramon stieg vom Pferd, legte seinen Sohn auf den Sand und nahm seinem Pferd das Zaumzeug ab, damit es das Futter, welches er ihm reichte, fressen konnte. Nachdem er sich dieser verschiedenen Pflichten mit großer Kaltblütigkeit entledigt hatte, trat er zu seinem Sohn und nahm ihm die Binde von den Augen.

Der Knabe blieb unbeweglich und heftete einen kalten, glanzlosen Blick auf seinen Vater.

»Sennor«, sagte Don Ramon in kurzem, barschem Ton zu ihm, »du bist hier mehr als zwanzig Leguas von meiner Hazienda entfernt, in welche du bei Todesstrafe nie wieder den Fuß setzen darfst. Von diesem Augenblick an bist du allein, du hast weder Vater noch Mutter noch Verwandte mehr. Da du zum wilden Tier geworden bist, so verurteile ich dich, unter den wilden Tieren zu leben. Mein Entschluss ist unerschütterlich, deine Bitten können daran nichts mehr ändern, verschone mich daher damit.«

»Ich bitte dich nicht«, antwortete der Knabe mit dumpfer Stimme, »den Henker bittet man nicht.«

Don Ramon zuckte zusammen, er ging einige Mal mit fieberhafter Aufregung auf und ab, fasste sich jedoch sogleich und fuhr fort: »Hier in diesem Sack befinden sich Lebensmittel für zwei Tage. Ich lasse dir auch diese gezogene Büchse, die in meiner Hand niemals ihr Ziel verfehlt hat. Ferner gebe ich dir diese Pistolen, diese Machete dieses Messer, dieses Beil, Pulver und Kugeln in diesen Büffelhörnern. In dem Sack mit Lebensmitteln wirst du auch einen Feuerstahl und alles Nötige, um Feuer anzuzünden, finden. Die Bibel deiner Mutter habe ich ebenfalls beigelegt. Du bist für die Gesellschaft, in welche du niemals zurückkehren darfst, gestorben. Die Wüste liegt vor dir, sie gehört dir. Ich habe keinen Sohn mehr, lebe wohl! Gott sei dir gnädig. Zwischen uns ist auf dieser Erde alles aus. Du bist allein und ohne Angehörige. Nun ist es an dir, ein neues Dasein zu beginnen und für dich selbst zu sorgen. Die Vorsehung verlässt diejenigen, die ihr vertrauen, nie. Sie allein wird von nun an über dich wachen.«

Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, zäumte Don Ramon mit unbewegter Miene sein Pferd wieder auf gab seinem Sohn die Freiheit wieder, indem er seine Fesseln durchschnitt, schwang sich in den Sattel und sprengte eilig von dannen.

Rafáel erhob sich auf die Knie, neigte den Kopf nach vorn, lauschte ängstlich auf den Galopp des Pferdes auf dem Sand und folgte mit den Augen dem unheimlichen Schattenbild, welches sich im Mondschein schwarz gegen den Himmel abzeichnete, solange er es erkennen konnte. Als der Reiter in der Dunkelheit verschwunden war, führte der Knabe die Hand an seine Brust und rief mit einem Ausdruck unaussprechlicher Verzweiflung: »Meine Mutter! … meine Mutter! …«

Dann sank er auf den Sand.

Er war ohnmächtig.

Nachdem Don Ramon eine ziemlich lange Zeit im Galopp fortgeritten war, begann er allmählich und unwillkürlich, die Schnelligkeit des Laufs seines Pferdes zu mäßigen und den fernen Tönen der Wüste zu lauschen, immer ängstlicher horchend, ohne sich selbst recht klar einzugestehen, welche Gründe ihn dazu bewogen hatten. Vielleicht aber in der Hoffnung, einen Ruf seines Sohnes zu vernehmen, um zu ihm zurückzukehren. Zweimal zog sogar seine Hand unwillkürlich die Zügel an, als ob er einer inneren Stimme gehorchte, welche ihm gebiete, umzukehren. Doch immer behielt sein wilder Familienstolz die Oberhand, und er ritt weiter.

Die Sonne ging auf, als Don Ramon in die Hazienda zurückkam.

Zwei Personen standen zu beiden Seiten der Tür und erwarteten seine Rückkehr.

Die eine war Donna Jesusita, die andere der Mayordomo.

Als der Haziendero seine Gattin blass und stumm wie ein Bild der Verzweiflung vor sich stehen sah, schnürte ihm ein Gefühl unbeschreiblicher Trauer das Herz zusammen. Er wollte vorüberreiten.

Donna Jesusita trat zwei Schritte vor und fasste die Zügel des Pferdes.

»Don Ramon«, sagte sie angstvoll, »was hast du mit meinem Sohn gemacht?«

Der Haziendero antwortete nicht. Beim Anblick des Schmerzes seiner Gattin fühlte er, wie sein Herz vor Reue in seiner Brust bebte, und fragte sich im Geist, ob er wirklich das Recht habe, so zu handeln, wie er es getan hatte.

Donna Jesusita wartete vergebens auf Antwort. Don Ramon blickte seine Frau an. Er erschrak, als er die tiefen Furchen entdeckte, welche der Kummer auf diesem Gesicht hinterlassen hatte, das noch wenige Stunden vorher so still und ruhig gewesen war.

Die edle Frau war leichenblass. Ihre verzerrten Züge hatten eine unglaubliche Starrheit. Ihre Augen brannten in fieberhaftem Glanz, waren rot und trocken und von so tiefen, dunklen Rändern umgeben, dass sie eingesunken und übermäßig groß erschienen. Auf ihren Wangen zeigte ein rot unterlaufener Fleck die Spur der Tränen, welche bereits versiegt waren. Sie konnte nicht mehr weinen, ihre Stimme war rau und abgerissen, ihre Brust hob sich schmerzhaft unter ihrem fliegenden Atem.

Nachdem sie einige Augenblicke auf eine Antwort auf ihre Frage gewartet hatte, wiederholte sie diese: »Don Ramon, was hast Du mit meinem Sohn gemacht?«

Der Haziendero wandte verlegen den Kopf zur Seite.

»O! Du hast ihn getötet!«, stieß sie mit einem gellenden Schrei aus.

»Nein! …«, antwortete er voll Schrecken über ihren Schmerz und musste zum ersten Mal das Ansehen einer Mutter anerkennen, welche Rechenschaft über das Schicksal ihres Kindes fordert.

»Was hast Du mit ihm angefangen«, fuhr sie dringender fort.

»Später«, sagte er, »wenn du dich beruhigt hast, sollst du alles erfahren.«

»Ich bin ruhig«, erwiderte sie, »warum heuchelst du Mitleid, welches du nicht empfindest? Mein Sohn ist tot, und du hast ihn umgebracht!«

Don Ramon stieg vom Pferd.

»Jesusita«, sagte er zu seiner Gattin, indem er ihre Hände erfasste und sie zärtlich anblickte, »ich schwöre dir, bei allem, was mir das Heiligste auf der Welt ist, dass dein Sohn lebt. Ich habe nicht kein Haar gekrümmt.«

Die arme Mutter schien einige Augenblicke nachzudenken.

»Ich glaube dir«, sagte sie nach einiger Zeit, »was ist aus ihm geworden?«

»Nun«, fuhr er zaudernd fort, »da du alles wissen willst, so erfahre, dass ich deinen Sohn zwar in der Wüste verlassen habe … doch mit allen Mitteln, um für seine Sicherheit und Bedürfnisse zu sorgen.«

Donna Jesusita schreckte auf, ein krampfhaftes Zittern erfasste ihre Glieder.

»Du bist barmherzig gewesen«, sagte sie im schneidenden Ton und mit bitterem Spott. »Du bist gegenüber einem 16-jährigen Knaben barmherzig gewesen, Don Ramon. Da es dir widerstand, deine Hände mit seinem Blut zu beflecken, so hast Du es vorgezogen, dies den Indianern und wilden Tieren, welche allein jene Wildnis der Wüste bewachen, zu überlassen.«

»Er war schuldig«, antwortete der Haziendero mit leiser, aber fester Stimme.

»Ein Kind ist für diejenige, welche es unter dem Herzen getragen und mit ihrer Milch genährt hat, niemals schuldig«, sagte sie mit Kraft. »Sehr wohl, Don Ramon, du hast deinen Sohn verurteilt, ich werde ihn retten.«

»Was willst du tun?«, fragte der Haziendero, erschrocken über die Entschlossenheit, welche in den Augen seiner Gattin blitzte.

»Was kümmert es dich, Don Ramon? Ich werde meine Pflicht tun, wie du geglaubt hast, die deinem tun zu müssend. Gott wird zwischen uns richten! Zittere, dass er nicht einst Rechenschaft von dem Blut eines Sohnes von dir fordert.«

Don Ramon beugte unter diesem Fluch das Haupt. Er ging blass und von bitterer Reue zerrissen langsam in die Hazienda zurück.

Donna Jesusita folgte ihm eine Sekunde lang mit den Augen.

»O!«, rief sie aus, »mein Gott! Gib, dass ich noch zur rechten Zeit komme.«

Dann ging sie, von Eusebio gefolgt, hinaus.

Zwei Pferde erwarteten sie, hinter einer Baumgruppe versteckt. Sie stiegen auf.

»Wohin reiten wir, Señora?«, fragte der Mayordomo.

»Meinen Sohn suchen!«, antwortete sie mit lauter Stimme.

Die Hoffnung schien sie umgewandelt zu haben. Eine tiefe Röte färbte ihre Wangen. Ihre schwarzen Augen blitzten.

Eusebio band vier prächtige Jagdhunde, die in jener Gegend Rastreros genannt werden und zum Aufspüren des Wildes dienen, los, ließ sie an ein Hemd, welches Rafáel getragen hatte, riechen. Die Hunde folgten der Spur mit lautem Gebell, Eusebio und Donna Jesusita jagten ihnen nach, indem sie einander einen Blick der Hoffnung zuwarfen.

Die Hunde folgten der Spur ohne Mühe, sie ging gerade und ohne Abweichung vorwärts, und sie ruhten daher keinen Augenblick.

Als Donna Jesusita die Stelle erreichte, wo Rafáel von seinem Vater verlassen worden war, fanden sie den Platz leer … der Knabe war verschwunden.

Die Spuren seines Aufenthaltes waren noch sichtbar. Die letzten Kohlen eines Feuers glimmten noch. Alles wies darauf hin, dass Rafáel den Ort seit kaum einer Stunde verlassen haben musste.

»Was ist nun zu tun?«, fragte Eusebio mit Angst in den Augen.

»Vorwärts!«, antwortete Donna Jesusita entschlossen, drückte ihrem Pferd, welches vor Schmerz wieherte, die Sporen in die Seiten und begann ihren rasenden Lauf von Neuem.

Eusebio folgte ihr.

Am Abend desselben Tages herrschte die größte Bestürzung in der Hazienda del Milagro.

Donna Jesusita und Eusebio waren nicht zurückgekehrt.

Don Ramon ließ alle auf die Pferde steigen.

Die Vaqueros und Peones begannen mit Fackeln versehen eine sorgfältige Suche, um ihre Herrin und den Mayordomo aufzuspüren.

Die ganze Nacht verstrich, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu führen.

Bei Tagesanbruch fand man das Pferd der Donna Jesusita halb zerfleischt in der Wüste. Sattelzeug und Geschirr fehlten.

Das Erdreich, welches rings um die Leiche des Pferdes lag, schien der Schauplatz eines wütenden Kampfes gewesen zu sein.

Don Ramon befahl voller Verzweiflung den Rückzug.

»Mein Gott!«, rief er aus, als er die Hazienda wieder betrat, »fängt meine Strafe schon an?«

Es vergingen Wochen, Monate, Jahre, ohne dass der geheimnisvolle Schleier, welcher die schreckliche Begebenheit erfüllte, gelüftet worden wäre, und trotz der eifrigsten Nachforschungen konnte man von dem Schicksal Rafáels, seiner Mutter und Eusebios nichts erfahren.