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Der Gourmet

Masayuki Kusumi, Jiro Taniguchi
Der Gourmet
Von der Kunst allein zu genießen

Manga, Softcover, Carlsen, Hamburg, Oktober 2014, 192 Seiten, 14,90 Euro, ISBN: 9783551768674, ab 14 Jahren

Der Gourmet ist ein Handlungsreisender, der auf seinen Geschäftsreisen altbekannte oder neue Restaurants und Garküchen aufsucht, immer mit dem Ziel, gut zu essen. Dabei entdeckt er anstelle von alten, mittlerweile aufgegebenen Restaurants neue, erinnert sich an seine Gedanken, Gefühle oder Menschen, als er das Restaurant das letzte Mal aufgesucht hatte, vergleicht neue mit alten, ärgert sich über fades Essen, ist überrascht von einfachen Garküchen, die köstliche Mahlzeiten anbieten, oder wütend auf unfähige Restaurantbesitzer, die ihre Untergebenen quälen. Manchmal geht es auch nur zum nächsten Supermarkt, in dem er sich ein zwar vorgefertigtes, aber individuell zusammengestelltes Mitternachtsmahl gönnt. Ausgangspunkt ist immer der große Hunger vor allem während eines Geschäftstages, der ihn dazu veranlasst, in der Umgebung nach für ihn geeigneten Restaurants zu suchen. Aber auch ein Baseballspiel kann Grundlage für eine kulinarische Entdeckung der positiven oder negativen Art sein.

Zeichner Jiro Tanaguchi hat schon einmal mit Masayuki Kusumi einen Manga kreiert: Der geheime Garten des Nakano Broadway. Dementsprechend gibt es ein Grundthema beider Werke, nämlich das Spazierengehen. In Der Gourmet hat der Spaziergang allerdings ein festes Ziel: Die Hauptfigur will essen, und das möglichst gut und zu moderaten Preisen. Deshalb kann ein Spaziergang auch schon einmal länger dauern, wenn die Möglichkeiten der Essensaufnahme ihm zunächst nicht zusagen. Oder er gerät einen Streit mit einem Restaurantbesitzer, der lauthals seinen Angestellten runterputzt, weil der Gourmet unter diesen Bedingungen sein Essen nicht genießen kann. Auch fade Speisen werden vorgestellt – es ist also nicht so, dass der Gourmet immer nur nach sorgfältiger Abwägung das teuerste und beste Restaurant aussucht, sondern er findet sein Genussglück oder  -unglück in ganz alltäglichen Speiselokalen oder sogar im Supermarkt. Das macht den Manga (zusammen mit den sorgfältigen realistisch-detaillierten Zeichnungen, die so typisch für Taniguchi sind) realitätsnah und den Gourmet so sympathisch, denn er ist im Grunde genommen ein Mensch wie du und ich, der im Alltag sein (Essens-)Glück findet. Damit sind wir wieder bei einem typischen Thema Taniguchis: der Alltag in seinen verschiedenen Facetten, hier mit dem Hauptthema Genuss durch Essen zu finden. So wirken Zeichner und Autor einer Tendenz der heutigen Zeit entgegen, in der Fastfood und überhaupt Hektik die Oberhand gewinnen und zeigen einen Weg auf (der für östliche Kulturen philosophischen Wert hat, nämlich den Weg der Achtsamkeit, der auch im Westen immer bekannter wird), inmitten des Alltagstrubels für ein paar Momente inne zu halten und diese Momente intensiv zu genießen. Meditation ist auch und gerade im Alltag möglich, indem man im Hier und Jetzt lebt und sich den einzelnen Moment mit all seinen sensorischen, emotionalen, verstandesmäßigen, intuitiven Facetten bewusst macht. Der Gourmet tut das, indem er sein Essen in allen Details anschaut, schmeckt, riecht, sich darüber Gedanken macht, seine Umgebung einbezieht, sich erinnert, Zusammenhänge herstellt, Neuem offen begegnet und sich eine Meinung bildet. Intuition, Gefühle, Körper und Verstand bilden dann eine in sich stimmige Einheit und entheben den Mann für die Zeit des Essens dem Alltag, der einen oft genug nicht zu sich selbst kommen lässt. Damit ist Der Gourmet aktuell und ein Vorbild in einem vom Stress und Selbstentfremdung geprägten Leben, das so nicht nur in Japan geführt wird. Auch in der Hinsicht, etwas allein zu tun und sogar genießen zu können, nicht von der Meinung anderer abhängig zu sein, ist vorbildhaft (und für den durchschnittlichen Japaner untypisch). Als Extras bietet der Manga ein Vorwort von Lars von Töne, Redakteur beim Tagesspiegel in Berlin, in dem er Taniguchi, die kulinarische Kultur Japans und die realen Orte, die die beiden Künstler in ihren Manga einfließen lassen, näher beleuchtet. Das Nachwort bildet eine Art erzählende Geschichte, fast schon eine Art kurzer Erzählung, zu denen die Gedanken Kusumis verwoben worden sind.

Insgesamt vom Thema, den Zeichnungen, der östlichen Philosophie her eine runde Sache! Schade nur, dass auch diesmal ein Mann die Hauptfigur stellt; in Taniguchis Welt gibt es leider nur wenig Frauen als Hauptfiguren.

(ud)