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Der Welt-Detektiv Band 6

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Auto Tuning

Als Ben die Polizeisirenen in der Ferne hörte, löschte er das Licht und raste mit seinem Ferrari weiter. Er wusste nicht einmal, ob der Einsatz ihm galt, aber er hatte auch keine Ambitionen, sich wegen einer offenen Uraltrechnung schnappen zu lassen.

Die leicht abschüssige Straße führte auf ein Waldstück zu. Ben hoffte auf sein bisheriges Glück und darauf, dass ihm kein Tier vor das Auto lief. Das graue Asphaltband war zwischen den Bäumen kaum zu erkennen und Ben hielt sich, noch immer mit Tempo mindestens zweihundert, genau auf der vermuteten Straßenmitte. Ein paar Kilometer ging die Rechnung auch auf, dann tauchte, wie aus dem Nichts, etwas großes Dunkles genau vor ihm auf. Es knallte mörderisch, Blut spritzte über die Winschschutzscheibe und Ben hatte keine Ahnung, wie es ihm gelungen war, das Auto nicht an den nächsten Baum zu setzen. Die Wucht des Aufpralls hatte das Tier offensichtlich von der Straße geschleudert, denn auf den ersten Blick war nichts davon zu sehen, soweit es die zersplitterte Frontscheibe zuließ. Bens erster Schock legte sich verblüffend schnell. Nur weg hier, dachte er. Allerdings brauchte er mehrere Versuche, den völlig ramponierten Wagen neu zu starten. Einerseits zitterten seine Hände, andererseits schien der Motor so einiges abbekommen zu haben. Irgendetwas Metallisches schleifte auch hinterher, als sich das, was einmal ein stolzer Ferrari 599 GTB Fiorano gewesen war, mühsam in Bewegung setzte. Ben fuhr weiter. Unterschwellig hatte er Furcht davor, ein paar Überreste des Tieres, welches er mit seinem Auto erlegt hatte, zu entdecken. Er ekelte sich schon zur Genüge vor den Blutspitzern, die ins Innere des Fahrzeugs gelangt waren und sich als feiner roter Schleier auf den hellen Ledersitzen verteilt hatten, auf seiner Kleidung und natürlich auch der Haut klebten. Der Geruch fremden Blutes machte ihn fast wahnsinnig. Er würgte, schluckte und würgte wieder. Dazu röhrte der Motor wie ein waidwunder Hirsch.

Ben beschloss, das Wrack seines Autos bei einem bekannten Autotuner abzustellen, der überdies in dem Ruf stand, unzählige gestohlene Fahrzeuge umfrisiert zu haben, ohne je von der Polizei erwischt worden zu sein. Genau der richtige Mann, für Bens Geschmack, um die Unfallschäden beseitigen zu lassen. Geld spielte dabei wahrlich keine Rolle. Inzwischen hatte sich der Ferrari aus dem Wald geschleppt, holperte die letzten vier Kilometer auf der nächtlichen Schnellstrasse entlang, packte auch noch irgendwie die nächste Abfahrt, um genau vor dem Werkstatttor des Autofreaks sein Leben endgültig auszuhauchen. Ben gelang es sogar mit roher Gewalt die verklemmte Tür zu öffnen. Mühsam schälte er sich aus dem Sitz. Der Schädel brummte, der Nacken schmerzte und Ben fühlte sich, als sei er unter einen Dampfhammer geraten. Mit dem Feuerzeug in der Hand machte er sich auf die Suche nach dem Klingelknopf am Wohnhaus des Anwesens. Alles blieb still, nicht einmal Hunde schien es hier zu geben. Er ließ das Feuerzeug erneut aufflammend. »Ach, da ist er ja«, murmelte er erfreut und drückte auf die längliche Taste und noch ein zweites Mal, als sich nach drei Minuten noch immer nichts im Haus rührte. Jetzt polterte es auf der Treppe und eine völlig verschlafene Stimme maulte: »Bist du es, Larry? Ich hab dir doch schon tausend Mal gesagt, du sollst nicht immer mitten in der Nacht kommen, nur weil dir an deinem gottverdammten Schrott-Truck die Zündkerze abgesoffen ist!« Der Schlüssel wurde herumgedreht, eine kleine Lampe glühte auf und ein unrasiertes schmales Gesicht schob sich durch den Türspalt, musterte Ben, dann kam der Rest des Körpers heraus.

»Hi.« Ein spöttischer Blick auf die Uhr. »Ich wusste gar nicht, dass ich neuerdings Nachttermine vergebe.«

Ben zog nicht einmal ein saures Gesicht, obwohl ihm diese Art Humor sofort in die Nase fuhr. Aber er wollte etwas und so zügelte er sich.

»Hab im Wald gerade eine kleine Kollision mit irgendeinem Tier gehabt. Könnten Sie sich den Wagen anschauen? Ich habe noch einen weiten Weg.«

»Nachtzuschlag ist teuer«, gab John, der Autoschrauber, bekannt.

»Ist mir bewusst und kein Problem.« Ben folgte ihm vor die Werkstatt.

Ein kurzer Blick, ein meckerndes Lachen. »Kleine Kollision«, kicherte John mit bühnenreifer Stimme. »Mann, das Ding ist Schrott!« Er hakte eine Lampe von der Wand ab und versuchte etwas mehr zu erkennen. »Was wird aus dem Ragout?« Er deutete auf einige Fleischfetzen.

»Entsorgen Sie es!«

John zog ein abschätzendes Gesicht. »Wird teurer als ein Neuwagen.«

»Ist mir egal!«

»Anderthalb Mille.«

Ben fuhr auf. »Sagen Sie mal, sind Sie wahnsinnig??? Was soll der Scheiß?«

»Dann kommen Sie doch mal hier herüber Mister!«, zischte John.

Ben wechselte mit einem unguten Gefühl seinen Standort. Der andere deutete betont langsam auf die Reste der Motorhaube, wo der Lichtkegel eine menschliche Hand aus der Dunkelheit schälte.

Ben wischte sich über die Stirn. »Scheiße.«

»Anderthalb, Entsorgung Ihres erlegten Wildes inklusive.« John schaltete die Lampe ab.

Ben nickte stumm, worauf sich sofort das Werkstatttor für ihn öffnete. Er half noch, das Wrack hineinzuschieben, stellte vorab einen Scheck über gut ein Drittel des Betrages aus, drückte ihn John in die Hand, der ihn wortlos einsteckte und ein Taxi rief.

»Mister, soll ich Sie lieber ins nächste Krankenhaus fahren?«, fragte der Chauffeur unterwegs, weil Ben inzwischen die Farbe einer frisch gekalkten Wand angenommen hatte.

Ein mattes Kopfschütteln war die Antwort und der Taxifahrer behielt den alten Kurs bei.

»Sie können rein fahren«, murmelte Ben, als sie vor dem hohen schmiedeeisernen Tor seiner Villa ankamen. Er öffnete es mit der Fernbedienung und ließ sich direkt bis an die Freitreppe bringen, zahlte und quälte sich die Stufen hinauf. Der Fahrer schaute nachdenklich hinterher. Da musste jemanden ein ganz schwerer Schicksalsschlag ereilt haben.

Eigentlich hatte Ben vorgehabt, sich sofort mit einer halben Flasche Whiskey zu betäuben, nur dazu kam es nicht mehr – er kippte praktisch im Vorbeigehen auf das breite Sofa des kleinen Salons und schlief völlig erschöpft ein. Nur Ruhe fand er dabei nicht. Immer wieder blitzte das Bild der, aus seiner Motorhaube ragenden, Hand auf. Mit einem Entsetzensschrei fuhr er schließlich empor. Er hatte tote starre Augen auf sich zukommen sehen und gefühlt, wie sie in sein Gesicht klatschten. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis er begriff, dass die Augen vor seinem Gesicht seinem Angorakater gehörten, genau wie die plötzlich Feuchtigkeit von dessen Zunge herrührte, mit der er die Blutspritzer von Bens Haut leckte. Bei der Erinnerung an das Blut wurde ihm wieder übel. Sich unterwegs schon die Kleidung vom Leib reißend, rannte er ins Bad und duschte bald eine halbe Stunde. Eine ganze Flasche Duschgel schüttete er immer wieder in kleinen Tranchen über seine Haut – seine Schuld konnte er damit nicht abwaschen …

In den nächsten Tagen las er akribisch alle Tageszeitungen, hörte intensiv die Nachrichten und recherchierte im Internet. Die Fremde schien niemand zu vermissen, genau so, wie auch niemand den Unfall bemerkt haben musste. Der tagelange Regen, welcher noch in der gleichen Nacht einsetzte, hatte die restlichen Spuren wohl gründlich beseitigt.

Ben wartete einfach darauf, dass sich der Inhaber der Werkstatt melden und mit der Übergabe des Autos das restliche Geld fordern würde.

Du kannst dich nicht freikaufen!

Ben fuhr entsetzt herum. Da war niemand, obwohl er deutlich die Worte vernommen hatte. Er presste seine Fäuste an die Schläfen. »Ich werde wahnsinnig! Jetzt höre ich schon Stimmen!«, stöhnte er. »Nachts kann ich nicht schlafen, weil ich ständig die glasigen Augen sehe, die mich anstarren und jetzt das!«

Acht Wochen später erhielt er die kurze SMS: »Ihr Auto ist fertig.«

Mit klopfendem Herzen und äußerst unguten Gefühlen, machte sich Ben auf den Weg. So früh wie möglich, um bloß nicht mit anderen Kunden zusammenzutreffen. John empfing ihn, ohne nennenswerte Gefühlsregung, führte ihn in die Werkstatt, wo der Wagen unter einem schwarzen Tuch bereitstand.

Wie ein Leichentuch, wisperte es in Ben Gedanken.

»Bereit?«, fragte John und zog auf das zaghafte Nicken hin, den Stoff herunter.

»Was ist das?«, flüsterte Ben erbleichend, fasste sich ans Herz und suchte nach etwas, woran er sich festhalten konnte.

Auf der nachtschwarz glänzenden Motorhaube hob sich der helle Körper einer gut gebauten Frau ab, die mit dem Auto verwachsen zu sein und aus dem Metall zu wachsen schien. Sie räkelte sich optisch lasziv auf dem Ferrari, wobei durch leichte Goldstauboptik des Untergrundes eine Tiefe entstand, die geradezu phänomenal war.

»Kommen Sie ruhig näher, sie beißt nicht mehr«, witzelte John mit deutlich hörbar ironischem Unterton. »Die nicht verwendbaren Reste habe ich nachts auf den Friedhof gebracht und gleich an der Mauer verscharrt.«

Ben versagten fast die Beine, als er sich dem Auto näherte. Er war nicht sicher, ob das alles nur ein schlechter Scherz des Meisters oder auf seinem Auto wirklich die Leiche angebracht war.

»Es war nicht ganz einfach, sie zu plastifizieren und anschließend so mit Acryl zu überziehen, dass sie wie ein Kunstwerk aussieht. Ihr Gesicht war durch den Aufprall stark entstellt, dass ich mich zur Variante der kompletten Gesichtslosigkeit entschlossen habe«, erzählte John völlig ungerührt, als sei es das Normalste, auf diese Weise ein Opfer verschwinden zu lassen. »Egal, Sie haben jetzt das ultimative Auto, um bei jedem Tuning-Contest voll zu punkten. Es fällt auf, ist künstlerisch Top und kein Aas wird merken, dass etwas an der ganzen Sache faul ist. Und vielleicht hilft es Ihnen ja etwas, in Zukunft den Bleifuß zu zügeln«, fügte er bissig hinzu.

Ben nickte mechanisch, stellte den Scheck über den riesigen Restbetrag aus, setzte sich wie ein Traumwandler hinter das Lenkrad und startete den Motor. Übervorsichtig fädelte er sich in den Verkehr des Highways ein. Der Bolide schien plötzlich ein Eigenleben zu haben. Ben hielt Abstand, wo er doch bisher stets buchstäblich im Kofferraum des vorausfahrenden Fahrzeuges gesteckt hatte, bremste nicht erst zwei Meter vor der Ampelkreuzung und ließ sogar am Zebrastreifen den Fußgängern wirklich den Vortritt. Zuhause angekommen, saß er noch fast eine Stunde in der Garage und betrachtete wehmütig den schlanken Körper auf der Motorhaube. Diese stumme Zweisamkeit mit der Toten wurde zum täglichen Ritual, wenn er den Wagen abends abstellte. Ben zog sich immer mehr von seinen Freunden und aus der Öffentlichkeit zurück, putzte das Fahrzeug ausnahmslos eigenhändig und irgendwann ließ er in sein Testament aufnehmen, statt in einem Sarg, in seinem Ferrari bestattet werden zu wollen. Sein Wunsch erfüllte sich schneller, als gedacht. Genau drei Jahre nach jenem verhängnisvollen Tag im Wald, nahm ihm nachts ein Porsche die Vorfahrt, bohrte sich tief in die Tür auf der Fahrerseite. Ben hatte keine Chance, der Tod kam im Bruchteil von Sekunden.

Die wenigen verbliebenen Freunde betteten ihn in seinem geliebten schwarzen Flitzer zur letzten Ruhe.

Bis heute ahnt keiner, dass es ein Grab für zwei ist und Ben vielleicht niemals Frieden finden wird.

Copyright © 2012 by Reni Dammrich