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Die Gespenster – Dritter Teil – 22. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Zweiundzwanzigste Erzählung

Ein Steckelsdorfer reitet, indem er auf dem Krankenbett stirbt, im Wald bei Rathenow

Kaum war Herr von Katte auf Steckelsdorf bei Rathenow (der Großvater des jetzigen Herrn Besitzers dieses Guts) gestorben, so verbreitete sich das Gerücht, er spuke in seinem Eichholz in der Sandschelle zwischen Rathenow, Steckelsdorf und Böhne. Er hatte dieses Gehölz durch einen langwierigen und kostspieligen Prozess gewonnen; und der gemeine Volkshaufen schloss nach seiner gewöhnlichen Rockenphilosophie von dieser spukhaften Erscheinung des Verstorbenen im Holz: der Prozess seinerseits müsse ungerecht gewesen sein, weil er, um des Wäldchens wegen, im Tod nun keine Ruhe habe.

Indessen war es in der Tat höchst sonderbar, dass einige glaubhafte und keineswegs kindisch furchtsame Bauern aus Steckelsdorf diesen ihren Gutsherrn in der nämlichen Nacht, worin er schon bewusstlos auf dem Sterbebett lag und dem Tod auch wirklich den allgemeinen Tribut zollte, spukend in jenem Eichhölzchen umherreiten sahen.

Dringende Holzbedürfnisse nämlich hatten einigen Steckelsdorfern den sündhaften Gedanken eingegeben, sich in der Todesnacht ihres Herrn eine abgestorbene Eiche stehlen zu wollen. Die allgemeine Bestürzung, worin der hoffnungslose Kranke die seinen versetzte, und die auch den seinen sterbenden Herrn sehr liebenden Jäger oder Holzwärter von dem Holze entfernt hielt, erweckte bei jenen ganz richtig schließenden Holzdieben die Vermutung, dass sie nie sicherer als gerade in dieser Nacht würden stehlen können. Rasch folgte also die Tat der spekulierenden Beratschlagung der Bauern. Schon befanden sie sich mit Wagen und Pferden im Holz, schon war die bei der Stille der Nacht helltönende Holzaxt an den Baum gelegt, als plötzlich der eben sterbende von Katte, völlig gekleidet, wie er in gesunden Tagen leibte und lebte, auf seinem gewöhnlichen Reitpferd im hellsten Mondschein, den arbeitsamen Holzdieben erschien. Schweigend und mit feierlichem Ernst ritt er rund um die äußerst verlegenen Bauern herum, deren einer vor Angst und Entsetzen in die Knie sank. Ohne das Gesicht von den Zitternden wegzuwenden, machte er so die Runde in immer engeren Kreisen zu drei Malen. Jeder der anwesenden Steckelsdorfer nahm die einzelnen Züge des spukenden Kattes auf das Unverkennbarste wahr und überzeugte sich nur zu sehr, dass keine Art des Truges, den sonst die aufrührerische Fantasie so leicht zu spielen pflegt, hier stattfinde. Der schnaubende langgestreckte Fuchs-Engländer des Spukenden, die oft gesehene prächtige Schabracke, der blaue goldbesetzte Leibpelz, die bekannte heruntergeklappte Pelzmütze, aus welcher offenbar eine Kattesche Nase hervorragte, die Größe, die Körperstärke, kurz alles, was das Gespenst auch nur um und an sich hatte, ließ sie nicht im Geringsten zweifeln, dass es sie arg für ihren Diebstahl züchtigen wolle.

Plötzlich tönte aus der Ferne des Dorfes der bedeutungsreiche mitternächtliche Glockenschlag Ein Uhr und weg war das Gespenst.

Dessen waren unser Holzdiebe froh, indessen konnte sie in dieser Schreckensnacht nun nichts mehr so erfreuen, dass sie nicht ihre dem Fall nahe Eiche eilfertig hätten im Stich lassen und mit leerem Wagen dem Dorf zujagen sollen.

Mit anhaltendem Grausen der Haut vernahmen sie bei der Heimkehr ins Dorf vom Hof her Gesindegeräusch und Klagetöne über den Tod des eben verschiedenen gnädigen Herrn.

Nicht lange nach dem Tod dieses Herrn von Katte starb auch dessen benachbarter Busenfreund, Herr von Briest vom kleinen Hof zu Böhne. Da damals noch nicht wieder ein böhnischer Prediger angestellt und mir dem Erzähler (Herrn Prediger Böldicke), die Seelsorge des Briest’schen Hauses förmlich übertragen war, so musste ich bei der Beerdigung desselben gegenwärtig sein. Unter den daselbst Anwesenden befand sich auch die verwitwete Frau von Katte, die mir, der ich ganzer fünf Jahre der Lehrer ihrer Kinder gewesen war, Vorwürfe darüber machte, dass ich sie nach ihres Mannes Tod noch nicht besucht habe. Ich versprach das Versäumte nachholen zu wollenDa sie mich beim Wort hielt und mich aufforderte, sie sogleich zu begleiten, zumal da sie in der Finsternis nicht gern allein reise, so schlug ich diese Aufforderung umso weniger aus, da mein Pferd etwas scheu war und ich natürlich lieber in Gesellschaft blieb, als allein nach Hause ritt. Ich ließ daher, als Frau von Katte abfuhr, mein Pferd im Finstern vorführen, saß auf und ritt hinter der Kutsche her. Alles ging gut, sobald wir aber zu dem Wohnsitz jenes Gespenstes kamen und das Steckelsdorf’sche Eichholz erreichten, da wurde plötzlich das Pferd mir scheu. Es ging förmlich mit mir durch und alles Lenken war vergebens. Endlich erreichte ich die Kutsche wieder. Ich glaubte, das Rasseln derselben habe das Scheuwerden veranlasst, und rief dem Kutscher zu, einen Augenblick anzuhalten. Er tat es, aber es fruchtete nicht. Ich hoffte, das Pferd einigermaßen zu bändigen, indem ich den einen Zügel kürzer fasste als den anderen. Nun konnte es nicht geradeaus laufen, aber nun verließ es den Weg und kreiste unter den Eichbäumen umher. Zwar hatte ich, Dank sei es meiner Perücke, das Schicksal Absalons eben nicht zu fürchten; indessen musste ich doch jeden Augenblick erwar­ten, dass mir die Äste der Bäume entweder das Gesicht zerkratzen oder gar mich vom Pferdeabstreifen würden. Endlich glückte es dem Jäger der Frau von Karte, der mir zu Hilfe gekommen war, sich dem im Kreis laufenden Pferd an die Mähne zu hängen und so dasselbe endlich zum Stehen zu bringen. Ich saß ab, um der Ursache des Scheuwerdens nachzuspüren. Wahrscheinlich, denkt man vielleicht, wahrscheinlich war Katte der Spukende wieder im Holz, denn Pferde sehen bekanntlich ein Gespenst leichter als Menschen. Aber weit gefehlt!

Man hatte mir das Pferd, wie schon gesagt, im Finstern vorgeführt und aus Versehen das Trensengebiss des Zaumes ihm nicht ins Maul getan, sondern unter dem Kinn hängen lassen. So war es also Meister seines Reiters. Sobald ich es ordentlich aufgezäumt und mich wieder aufgesetzt hatte, ging es durch das Eichholz so ruhig, wie jedes andere gute Pferd, das kein Gespenst sieht.

Als ich einige Zeit danach dieses mein nächtliches, an einem so verrufenen Ort erlebte Abenteuer dem Bruder des verstorbenen und vergeblich spukenden von Katte, der damals Leutnant unter dem Königlich Preußischen Leib-Karabinier-Regiment war und zuletzt als Oberst unter den Dragonern diente, erzählte, erfuhr ich glücklicherweise von ihm die Veranlassung zu dem Gerücht, dass sein verstorbener Bruder in dem Eichholz spuke. Sie war, wie ein jeder sogleich sehen wird, sehr begreiflich und natürlich.

Der Leutnant hatte die letzten Lebenstage seines kranken Bruders bei demselben in Steckelsdorf verlebt. Sobald dieser aber in der Nacht verschied, eilte er nach Rathenow zurück. Da er keines von seinen Pferden da hatte, so nahm er seines verstorbenen Bruders gewöhnliches Reitpferd. Um sich gegen die nächtliche Kälte zu schützen, zog er seines Bruders Leibpelz an und setzte dessen Reisemütze auf, mit der er einen großen Teil des Gesichts bedeckte. So ritt er fort. Als er aus der Trift in die Sandschelle kam, wo damals noch Eichen standen, hörte er Axtschläge und fand einige Personen damit beschäftigt, eine Esche zu fällen. Er näherte sich ihnen so sehr, dass sie seinen ganzen Anzug hinlänglich sehen konnten. Ohne ein Wort zu reden, ritt er verschiedene Male in einem Kreis um sie herum. Als er hierauf bemerkte, dass sie vor Entsetzen zitterten und bebten, gab er dem Pferd die Spornen und eilte nach Rathenow.

Was war natürlicher, als dass nun die Sage entstand, Herr von Katte bereite noch sterbend sein Eichholz, um spukend die Holzdiebe zu verscheuchen? Was natürlicher, als dass der Leutnant von Katte, sein ihn überlebender Bruder, nicht für gut fand, dieses Gerücht zu widerlegen und die Sache durch richtige Erzählung aufzuklären. Vielmehr ersuchte er mich, das, was er mir entdeckte, wenigstens noch nicht so bald bekannt zu machen. Denn er hoffte, dass die Furcht vor dem umgehenden Geist seines Bruders das Holz vor Diebe mehr sichern werden als viele Jäger.