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Nach Amerika! – Erster Band – 10 – Teil 2

Friedrich Gerstäcker
Nach Amerika!
Erster Band
Leipzig, Berlin, 1855

Die beiden Familien

Teil 2

Noch hob sich die Sonne nicht über den östlichen Fichtenhang und der dämmernde Tag grüßte eben die schlummernde Erde, als sich die Mutter von ihrem Lager erhob, das Mädchen weckte, dass es Feuer in der Küche mache, den Kaffee bereitzuhalten, und dann den Mann rief, dem Sohn ade zu sagen. Pastor Donner hatte aber auch nur in unruhigem Schlaf gelegen – die Gedanken und Sorgen ließen ihn nicht ruhen. Wie aus bösem Traum fuhr er oft empor, mit einem wehen Stich durchs Herz zurückzusinken, dass es eben kein Traum sei, der ihn bedrücke und quäle.
Er stand auf, zog sich an, und während die Mutter draußen in der Küche sorgte, dem Sohn ein rasches Frühstück zu bereiten, ging der Vater hin, ihn zu wecken.
»Georg!«, sagte er, als er die Tür öffnete, die in des Sohnes Kammer führte, »Georg – es wird Zeit – heiliger Gott!«, unterbrach er sich aber rasch und erschreckt, als er das Gemach leer, das Bett unberührt und keine Spur mehr von dem Kinde fand. »Heiliger, erbarmender Gott – er ist fort.« Und wie er sich auch vorgenommen hatte, sich zu fassen und der Frau, dem Kind, durch seine eigene Schwäche die letzten Augenblicke nicht mehr zu erschweren, traf ihn der Schlag doch zu hart – zu unerwartet. In diesem Augenblick betrat die Mutter das Zimmer und sah, wie der Vater sich erschüttert von der Tür abwandte und das Antlitz in den Händen barg.
»Mein Sohn – mein Kind!«, stammelte sie, in der sie durchzuckenden Ahnung des Geschehenen, der sie wie ein jäher Schlag ins Herz traf, »wo ist … wo ist Georg?« Aber der Vater zog sie an die Brust, und ihre Stirn, auf die seine heißen Tränen fielen, küssend, flüsterte er leise: »Er hat uns den Schmerz des Abschiedes sparen wollen, Louise – er ist fort.«
»Fort!«, hauchte die Frau, kaum noch den Sinn der Worte fassend, und brach bewusstlos in den Armen des Gatten zusammen.

*

 

Außerhalb Waldenhayn, wenn auch noch zu demselben Kirchspiel gehörend und dicht an der Grenze des bis hier herniederlaufenden Holzes, stand ein kleines, schon halb verfallenes Haus, das früher einmal von einem Forstgehilfen des herrschaftlichen Waldes bewohnt, dann aber nicht mehr benutzt und um ein Billiges, eigentlich auf Abbruch, verkauft worden war. Der Mann, der es kaufte aber, hatte früher ebenfalls in herrschaftlichen Diensten gestanden und dann das Metzgerhandwerk getrieben. Sein wildes, liederliches Leben jedoch ließ sein Geschäft nicht fördern, noch vorwärts gehen. Er schien auch keine rechte Lust an einer regelmäßigen Arbeit zu haben, heiratete dann, als er alles, was er sein nannte, durchgebracht hatte, ein Mädchen vom herrschaftlichen Gut, das den Dienst dort verlassen musste und von dem Herrn selber eine Abstandssumme bekam, und kaufte mit dem Geld eben das kleine unwohnliche Gebäude, das er nichtsdestoweniger bezog und sich nun angeblich vom Viehhandel ernährte. Er zog im Land herüber und hinüber und kaufte und verkaufte Vieh. Mehr aber noch trieb er sich in den Wirtshäusern herum, wo er trank und spielte und den schlimmsten Ruf im Land hatte, den ein Mensch haben kann, ohne dass jedoch die Polizei den geringsten Halt an ihn bekommen konnte. Aber die ordentlichen Leute zogen sich von ihm zurück. Niemand mochte Umgang mit ihm oder seiner Frau haben, und auf dem Weg zu seinem Haus wuchs Gras. Wen dort nicht ein besonderes Geschäft hinführte, betrat ihn nimmer.
So hatte der schwarze Steffen, wie er im Land seines dunklen Haares und Aussehens wegen hieß, sechs Jahre in dem kleinen Haus gewohnt, und seine Frau ihm, außer dem Kind, das sie in die Ehe gebracht, noch drei andere geboren. In der letzten Zeit tauchte dabei ein anderer Verdacht gegen ihn auf, dass er sich nämlich unter der Hand mit Wilddieben einlasse, und wenn auch vielleicht nicht selber wildere, doch das Gestohlene kaufe und unterbringe.
Sicher ist, dass nicht alles Fleisch, was er zu Markte führte, im Stall gemästet worden war. Als nun auch gar einmal und vor nicht so sehr langer Zeit ein Forstgehilfe in Ausübung seiner Pflicht erschossen worden, wurde die Aufsicht über den schwarzen Steffen, dem man aber doch nicht zu Kragen konnte, so scharf geführt und diesem zuletzt so unerträglich, dass er schon ein paar Mal mit den Forstbeamten im Wirtshaus Streit gesucht und gefunden und ihm zuletzt von der Herrschaft, nach lange geübter Nachsicht, der Befehl zugestellt wurde, das auf den Abbruch damals erstandene Haus, von dem übrigens kein Ziegel mehr sein gehörte, zu räumen und abzutragen oder stehen zu lassen, wie es ihm gefalle, seinen Wohnsitz aber, wider ihn eingelaufener Klagen wegen, woanders zu nehmen, vom Ersten des nächsten Monats an.
Steffen war heute einmal ausnahmsweise den ganzen Tag zu Hause geblieben und hatte manche von seinen Sachen, wobei ihm die Frau half, zusammengetragen und in einen Ranzen gepackt. Die Kinder aber achteten wenig darauf. Sie waren gewohnt, dass der Vater oft fortging und dann immer mehrere, manchmal sogar acht Tage fortblieb, ehe sie ihn wieder zu sehen bekamen oder auch nur von ihm hörten. Fragen, wohin er ging, durften sie nie.
Der Vater war übrigens mürrischer heute als je – er sprach fast kein Wort, trank aber oft aus der Flasche, die zum ersten Mal offen in der Stube stand und woraus sich auch die Mutter zweimal einschenkte und sich dann zu dem jüngsten Kind setzte, es auf den Schoß nahm und küsste.
»Weshalb weinst du, Mama?«, sagte das zweite Kind, ein Junge von etwas über fünf Jahren, »hat dir jemand etwas zu Leide getan?«
»Weil sie eine Närrin ist«, brummte der Vater, der die Frage gehört hatte und nun einen ärgerlichen Blick nach der Frau schoss. »Ich dächte, wir hätten nun genug darüber geschwatzt und die Sache wäre abgemacht.«
»Nun ja – ich sage ja auch kein Wort mehr dagegen«, erwiderte die Frau, »es … es überkommt einen nur noch manchmal so … nachher wird’s besser und … es geht ja doch nun einmal nicht anders«, setzte sie still und schwer vor sich hin seufzend hinzu.
Steffen entgegnete nichts weiter darauf, schickte aber bald darauf unter irgendeinem Vorwand die Kinder zusammen hinaus in den Garten und sagte dann, als er sich mit der Frau allein sah, mürrisch und finster: »Du flennst und flennst, und wirst die Bälge noch zuletzt aufmerksam und ängstlich machen mit deiner Heulerei. Kannst du sie hier ernähren, so bleib da, ich habe nichts dagegen. Kannst du’s aber nicht, dann sei auch vernünftig und mach jetzt keine dummen Streiche. Es wäre ein Spaß, wenn sie uns abfassten, und du weißt am besten, was uns nachher bevorstünde.«
Die Frau war schlank und voll gewachsen, mit besonders kleinen Händen und Füßen, musste auch einmal in früheren Jahren wirklich schön gewesen sein. Mehr noch als nur die Spuren war ihr davon geblieben, hätte sie eben etwas getan, sich das zu erhalten. Aber in ihrem ganzen Äußeren ging sie, wenn nicht geradezu unreinlich, doch vernachlässigt. Die ungeordneten Haare wurden durch einen zerbrochenen, echten Schildpattkamm und durch ein schwarzes abgescheuertes Samtband, in dem vorn eine große bronzene Brosche mit einem unechten Türkis saß, gehalten. An den Ohren hingen ihr ebenfalls lange emaillierte unechte Ohrringe, die mit dazu beigetragen hatten, ihr bei ihren bescheidenen und einfachen Nachbarn den Namen der stolzen Jule zu geben. Das Kleid von gutem Stoff und nach neuem Schnitt gemacht, zeigte nicht ausgebesserte Risse und Spuren von Fett, in Streifen und Flecken, die schlecht zu dem blitzenden falschen Schmuck passten.
Auch in den Augen selber lag etwas Keckes, Unweibliches, das aber doch nun einem mächtigeren Gefühl gewichen war, denn nur manchmal, bei den rauen Worten, blitzte es an gegen den Mann, und um die Lippen zog sich dann ein eigener fester Zug von Trotz und Zorn.
»Ich habe dir genug zu Willen getan, dass ich mit dir gehe und die Kinder zurücklasse«, sagte sie dann nach kleiner Weile, »wenn’s mir das Herz dabei zusammenzieht, wärst du schlimmer wie ein Tier, wolltest du es mir wehren. Der Wolf lässt seine Brut nicht im Stich, und wir wollen fort …«
»Der Wolf hat auch draußen zu leben, und für die Jungen Milch – wer gibt’s uns?«, zischte der Mann zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, »wir könnten krepieren hier im Nest, keine Katze miaute deshalb im ganzen Kreis.«
»Ich weiß es, ich weiß es«, sagte die Frau, »und das ist das Einzige ,was mich freut, dass wir ihnen jetzt einen Streich spielen – den Lumpen. Und wie sie schreien und schimpfen werden – aber ernähren müssen sie sie doch, davon hilft ihnen kein Gott. Leid tut’s einem immer, die armen Dinger, die noch nichts von der Welt wissen und begreifen, so allein zurückzulassen. Wenn ich das Jüngste nur mitnehmen dürfte …«, setzte sie leise hinzu.
»Komm mir nur jetzt nicht wieder mit dem alten Gewäsch«, rief aber der Mann finster und ärgerlich, »ich dächte, das hätten wir über und genug besprochen und überlegt, und wären einig darüber.«
»Überlegt gar nicht«, sagte aber die Frau, die Brauen fest zusammenziehend, »wenn ich davon anfing, hast du mich immer grob angefahren und ausgezankt und deinen Willen gehabt dabei, wie bei allem anderen. Ich weiß, dass ich nicht zu den Weichen gehöre, aber Mutter bleibt doch Mutter, und es ist immer ein hässlich unnatürlich Ding.«
»Papperlapapp!«, sagte der Mann den Kopf herüber und hinüber werfend, »unnatürlich – natürlich ist’s allerdings nicht, dass die Scheunen ringsherum voll liegen und das reiche Lumpenpack das Geld mit vollen Fäusten zum Fenster hinauswirft, während wir hier trockenes Brot nagen sollen und das nicht einmal immer kriegen – schöne Natürlichkeit das.«
»Wenn du nur nicht den dummen Streich mit dem …«
»Halts Maul!«, brummte aber der Mann mürrisch, »ich sollte mich wohl erwischen und anzeigen lassen, dass ich jetzt im Zuchthaus säße und spänne – Gott verdamm mich, ich schösse eher die ganze Bande über den Haufen, einen nach dem anderen. Bist du nun fertig mit deinen Sachen?«
»Ja!«, sagte die Frau leise und unwillkürlich zusammenschaudernd, »es kann fort gehen.«
»Wir wollen aber doch warten, bis es dunkel ist«, sagte Steffen nach kleiner Pause. »besser ist besser, und der Märtens unten an der Straße braucht nicht gleich zu wissen, dass wir fortgefahren sind, beide zusammen, seine Nase hineinzustecken vor der Zeit. Er ist mir so schon ein paar Mal hier oben herumgekrochen, wo er nichts zu suchen hatte.«
»Aber wenn sie uns nun doch vor der Zeit vermissen?«, sagte die Frau, »und unserer Spur nachgehen. Wenn’s jetzt schlimm ist, nachher wird’s erst bös, und wir dürften dann nur gleich mit Sack und Pack abziehen.«
»Ins Arbeitshaus, eh? Nein, eine Weile halte ich sie uns schon von den Hacken, und Gefahr, dass sie uns finden, hat es auch nicht. Wo wir zur Eisenbahn kommen, bin ich bekannt, und habe schon manchmal Vieh da gekauft, wenn sie auch eben meinen Namen nicht wissen. Wenn wir fortgehen, lasse ich einen alten Hut von mir und das gelbe Tuch von dir unten an dem tiefen Wasserloch unter den Erlen. Sobald jemand hier in der Gegend vermisst wird, suchen sie dort immer zuerst, und der Schulze im Dorf hat das Pulver nicht erfunden, dem ist leicht was aufgehängt. Bis sie eine Weile stromab geangelt haben, sind wir hoffentlich unterwegs, und wenn nicht unter, doch über dem Wasser. Aber ich will jetzt noch einmal hinunter zum Märtens gehen und Mehl holen. Es ist auch heute der gewöhnliche Tag, und hierher kommt nachher keiner so leicht. Nimm du indessen die Kinder vor und instruiere sie, wie sie sich zu verhalten haben.«
Seine Mütze aufgreifend, steckte Steffen die Hände in die Taschen und schlenderte langsam den Hang hinunter dem nächsten, eine gute Viertelstunde entfernten Haus zu, während die Frau die Kinder zu sich hereinrief, das Jüngste, ein kleines liebes Mädchen von anderthalb Jahren, auf den Schoß nahm und sich damit still und lautlos in die Ecke setzte.
Die Sonne neigte sich indessen ihrem Untergang, und der Vater kam nach etwa einer Stunde, als es schon völlig dunkel geworden war, zurück. Die Mutter saß noch immer mit dem Kind auf dem Schoß, das bei ihr eingeschlafen war, und hielt es fest an sich gedrückt.
»So, Jule, es ist Zeit«, sagte der Mann, seine Arbeitsjacke abwerfend und den Rock anziehend, »weiß die Albertine was sie zu tun hat?«
Die Frau zitterte am ganzen Leib, aber sie erwiderte kein Wort, stand auf, küsste das Kind, das sie auf dem Arm trug, und legte es in sein Bettchen – einen Kasten, der in der Ecke der Stube stand.
»Albertine«, sagte sie dann zu der Ältesten und wandte sich von der düster brennenden Öllampe, die Steffen auf den Ofen gestellt hatte, ab, dass die Tochter ihr nicht in die nun wirklich totenbleichen Züge schauen sollte, »ich gehe mit dem Vater heute Abend eine Weile fort – den Karl bring ich erst noch zu Bett – sollten wir morgen früh nicht bei Zeiten da sein, so zieh die Kinder an und gib ihnen zu essen. Der Brotschrank ist offen und Milch steht unter der Diele in der Schüssel. Du passt mir auf, dass den Kleinen nichts passiert. Du … Du bist ja schon ein großes Mädchen.«
»Und geht mir nicht vor die Tür morgen, bis wir nicht wieder da sind«, sagte Steffen, »wie ich heute Abend drunten gehört habe, ist hier ein toller Hund herumgelaufen. Das Beste wird sein, Ihr haltet die Haustür zu, dass er nicht etwa gar hereinkommt.«
Die Frau hatte dabei das etwa dreijährige Mädchen, das indessen gar schläfrig geworden war, ausgezogen und in sein Bettchen gelegt – und der Junge, Carl, saß auf der Bank am Fenster, noch auf sein Abendbrot wartend. Aber er sah auch erstaunt dabei die Eltern an, die noch nie so spät abends fortgegangen waren, und auch wohl noch nie oder doch nur selten gar so freundlich mit ihnen gesprochen hatten.
»Was für ein Hund ist es, Vater?«, fragte er nun, da der Gedanke an den toll gewordenen Hund ihn besonders interessieren mochte. »Märtens’ Bello? Der kennt mich und beißt mich nicht.«
»Nein, der große Türk aus dem Dorf unten«, sagte Steffen, »der den Müller auch schon einmal gebissen hat.«
»Oh, der ist schlimm!«, rief der Knabe erschreckt, »da gehe ich gewiss nicht hinaus.«
»Ge’ nun zu Bett, Carl, es ist spät«, sagte der Vater.
»Ich habe mein Abendbrot noch nicht«, brummte der arme kleine Bursche.
»So? Dann wird es dir Albertine geben – und – seid brav und folgt ihr …«
Er gab dem Knaben und ältesten Mädchen die Hand und ging zu den Bettchen der Kleinen, die er küsste; dann aber, als ob er sich einer solchen Regung schäme, richtete er sich rasch wieder auf, drückte den Hut in die Stirn und sagte, das Zimmer verlassend, und noch in der Tür sich umdrehend: »Ich warte auf dich unten am Wasser – mach schnell!«
»Sei ein gutes Kind, Albertine, und gib mir gut auf die Kleinen Acht«, flüsterte die Frau nun dem Mädchen zu, das eben dem Bruder ein Stück Brot und Salz gegeben hatte, an dem der aß und verwundert dabei hinter den Vater her aus der Tür und nach der Mutter schaute, die lange – o lange Zeit nicht so freundlich mit ihnen gesprochen hatte.
»Aber Mutter, wo geht Ihr nur hin?« fragte das Mädchen, der das Benehmen der Eltern ebenfalls auffiel, verwundert.
»Aufs Amt«, sagte die Frau, auf die Frage schon vorbereitet, »wir müssen morgen früh mit Tagesanbruch in der Stadt sein und wollen gehen, solange es kühl ist.«
»Und wann kommst du wieder?«
»Hoffentlich morgen gegen Abend – wenn wir fertig werden. Auf dem Amt sind sie aber gar weitläufig. Manchmal dauert es länger, als man denkt. Geht mir aber nicht vor die Tür, Ihr habt zu essen genug – jedenfalls sind wir morgen Abend um die Zeit wieder da – und achte mir auf die Kleinen, Tine – sei ein vernünftig gutes Mädchen – Du bist groß genug. Und wenn jemand nach uns fragen sollte, so sag nur, wir wären in den Wald gegangen und kämen gleich wieder – es wird aber wohl niemand fragen«, setzte sie leise und wie zu ihrer eigenen Beruhigung hinzu.
Sie sah sich im Zimmer um, ob sie nichts vergessen habe. Ihr Bündel lag aber versteckt draußen vor der Tür, wie der Mann seine gepackte Jagdtasche ebenfalls draußen verborgen gehabt und jetzt mitgenommen hatte. Ihr Blick überflog auch nur flüchtig den kleinen Raum und haftete dann auf dem Bettchen des jüngsten Kindes. Sie konnte nicht widerstehen und trat noch einmal zu dem schlummernden Kind.
»Geh doch hinaus, Tine, und hole ein paar Stücken Holz herein, solange ich noch hier bin, dass du morgen früh Kaffee kochen kannst. Ich bleibe so lange bei den Kindern«, setzte sie langsam und ohne das älteste Mädchen dabei anzusehen hinzu. Dieses ging, und in wilder, fast ängstlicher Hast küsste die Frau nun die kleine, schon sanft schlummernde Line und hob dann das Jüngste aus seinem Kasten, auf dessen rosige Lippen sie den eigenen Mund in wilder Heftigkeit presste, bis es schrie. Die Tränen – die Mutter konnte sich nicht ganz verleugnen in dem Augenblick – liefen ihr dabei voll und schwer die Wangen hinunter, und erst als sie das Älteste mit dem Holz zurückkehren hörte, legte sie das leicht beruhigte Kind wieder auf sein Lager und küsste den Jungen, dem die Tränen auch anfingen in die Augen zu steigen. Er wusste nicht recht, weshalb, und nur vielleicht, weil er die Mutter weinen sah, wurde es ihm auch so weh und weich ums Herz.
»Aber Mutter, was ist dir nur heute Abend?«, sagte das Mädchen, dem die außergewöhnliche Bewegung derselben unmöglich entgehen konnte. »Was habt ihr nur, du und der Vater?«
»Bah – der Vater war garstig mit mir, und wir haben uns gezankt«, sagte die Mutter, das Gesicht abwendend von dem Kind.
Ein scharfer Pfiff von draußen her schlug an ihr Ohr, und sie fuhr erschreckt in die Höhe.
»Ja – ich komme schon!«, murmelte sie, kaum hörbar, vor sich hin, »so adieu, Albertine – hab auf die Kinder Acht, und – behüte Euch Gott !« Mit dem, wie scheu geflüsterten und vielleicht seit langer, langer Zeit nicht ausgesprochenen Segen, verließ sie rasch das Zimmer und das Haus.
»Was zum Teufel trödelst du denn da drin und lässt mich eine Stunde hier warten?«, rief der Mann mürrisch, als sie ihn endlich an der verabredeten Stelle traf – aber die Frau erwiderte kein Wort, und die fieberheiße Stirn in die Hand pressend, folgte sie dem, nun ebenfalls finster und schweigend Voranschreitenden, durch die Nacht.

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