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Hexengeschichten – Der kleine Gabelfahrer

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Der kleine Gabelfahrer
Nach Akten eines reichsfreiherrlichen Archivs in Franken

Es war die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, das Jahr des Herrn 1627, des Heils ließe sich kaum sagen, denn zu jener Zeit war im lieben deutschen Vaterland eitel Unheil; einerseits der Krieg mit allen seinen Schrecknissen und blutigen Gräueln, andererseits die entsetzlichste Geistesverfinsterung, und namentlich in den Köpfen der Rechtsgelehrten, die zu allen Zeiten verstanden, aus Recht Unrecht und aus Sinn Unsinn herauszuklauben, wenn sie sich auf eine fixe Rechtsidee versteiften.

Wir blicken, gleichsam als unsichtbare Zeugen, in die Gerichtsstube des reichsritterschaftlichen Schlosses Maßbach im Dorf Maßbach, zum königlich bayrischen Landgericht Münnerstadt gehörig, damals noch unter sächsisch-hennebergischer Landeshoheit. Die Amtsstube lag im sogenannten Neuenbau, welchen die Familie derer Herren von Maßbach vor nicht allzu langer Zeit als ein Anhängsel ihres altertümlich räucherigen Schlosses hatte aufführen lassen. In sotaner Amtsstube waren unterschiedliche Personen versammelt, als zunächst der wohledle und feste junge Gutserbe und Gerichtsherr Philipp Christoph von Maßbach zu Maßbach, weiter hochdessen Frau Mutter, eine trauernde Witwe und nicht mehr reizend wie ehedem, sondern eine hagere Gestalt mit schroffen, stolzen und strengen Zügen. Sodann Nicolaus Mergilet, Sohn oder naher Verwandter des wertgenannten Herrn Andreas Mergilet, den vordessen Paulus Melissus Schedius zum Kaiserlichen Poeten gekrönt; weiland Pfarrer zu Mühlfeld und Poppenlauer, dem Ehren Nicolaus Mergilet aber wohnte nichts von der Poeterei inne.

Er war gutsherrlich von Maßbacher Diener und Amtsgerichtsschreiber und hielt nun in Gegenwart gnädiger Gutsherrschaft ein Verhör mit einem armen kleinen, barfüßigen Delinquenten, ungefähr 9 Jahre alt, des Namens Linhard, des idyllischen Schweinehirten Söhnslein, frisch und munter, nichts weniger als verlegen, ein nettes Kerlchen mit hellblauen blitzenden Augen, hochblondem Haar, höchst einfach in eitel Leinen gekleidet, sonst ohne alle Eitelkeit, ein Bübchen, das aussah, als habe es nie ein Wässerlein betrübt, könne solches auch gar nicht. Die gnädige Frau Mama und hochdero ebenfalls gnädiger Herr Sohn saßen auf alten steifen Lehnsesseln, deren Sitzbretter mit gepresstem Leder und Pferdehaaren darunter gepolstert waren, und in den Lehnen allerhand geschnitztes Laubwerk mit untermischten Engelsköpfchen erblicken ließen.

Der Gerichtsschreiber fühlte einen Amtmann in seiner Faust, machte sich möglichst breit, schnitzelte an seinen Federn, räusperte sich, und so er eine Brille getragen haben sollte, so ist hundert gegen eins zu wetten, dass er selbige mit seinem schneeweißen Facinettlein säuberlich abputzte. Hierauf tunkte Herr Nicolaus Mergilet seine Feder in das schwere bleierne Tintenfass, welches vor ihm stand, rückte sich eine Lage Papier zurecht, Protokollum auf selbigem zu führen, und hob nach einer Vermahnung, die lautere Wahrheit freiwillig zu bekennen, mildiglich an zu inquirieren: »Sage an, wie heißest du?«

»Linhard!«, gab der neunjährige Inkulpatus zur Antwort.

»Linhard – schön – und dein Zuname?«

»Ich weiß nichts von Zunamen.«

»Stultus! Wie dein Vater heißt?«

»Säuhirt!«

Der Amtsgerichtsschreiber entließ schon einen Seufzer der Ungeduld. Die gnädige Frau führte ihr kleines zinnernes Bisambüchslein an die beträchtlich weiten Öffnungen ihres Riechorganes und schüttelte stark mit dem Kopf. Der Amtsgerichtsschreiber fuhr fragend fort: »Ist es wahr, dass du die Kunst des Hexenwerkes und Gabelfahrens inne und auch wirklich ausgeübt hast?«

»Ja, das ist wahr!«

»Wann und wo lerntest du sotane Kunst?«

»Vor zwei Jahren, zu Rheinfeld!« (Heute Rheinfelshof geheißen.)

»Und von wem lerntest du selbige Kunst?«

»Vom Säuhirten zu Rheinsfeld!«

»Dass dich! Potz Säuhirten und kein Ende!« Wieder fuhr die gnädige Frau mit dem Bisambüchslein an den Erker ihres Angesichts.

»Gewss ist es dir vom Herzen leid, solch schnöde Teufelskunst erlernt zu haben, und bereuest das aufrichtig?«

»Nä! Es reut mich im Geringsten nicht, denn es ist eine gar schöne freie Kunst.«

Gelinde Schauer des Abscheus bei dem Gerichtsschreiber und den hohen Beisitzern. »Du hast die sogenannte Hexenschmiere oder Salbe angewendet! Woher nahmst du dieselbige?«

»Ich habe niemals etwas genommen; ich habe die Schmiere gekauft, vom Totengräber zu Schweinfurt, der hat welche, das Maß zu einem Batzen.«

»Totengräber – Schweinfurt – Maß einen Batzen«, protokollierte der Inquirent und fragte weiter: »Woraus bestehet solche Schmiere! Ist dir solches kund geworden, so sage es offen und frei!«

»Warum nicht? Sie wird aus Milch, ungetauften Kindern und anderen Sachen, die ich nicht zu nennen weiß, gemacht.«

»Ungetauften Kindern! Schrecklich! Wird aus solchen nicht auch noch anderes Hexenwerk bereitet?«

»O ja! Man kann auch Pulver daraus machen, das ist sehr gut gegen die Mäus; wenn man von dem Pulver nur ein Körnlein einer Maus ins Maul gibt, so muss sie gleich sterben.«

»Stultus! Wenn man die Maus erst hat, braucht man nicht sotanen Pulvers, man drückt sie tot.«

»Ja, das hilft auch, aber das Pulver ist besser.«

»Bei der Sache bleiben! Nicht auf Allotria verfallen! Wie nun, wenn keine ungetauften Kinder zu haben sind?«

»Dann tun es auch Krämer, die Schmiere aus ihnen zu machen, weil sie die Leute stets anschmieren!«

»Teufelsjunge? Höllenbrand! Hast wahrhaftig den Teufel barfüßig laufen sehen! Wieviel Schmiere gewinnen denn die Teufelsbündner von solch einem uns seligen Kindlein?«

»Etwa ein Maßer fünf bis sechs; ein Krämer, wenn er ein großer ist, gibt mehr, der gibt unmäßig viel.«

»Wissen dein Vater und deine Mutter um diese deine höllischen Künste?«

»Freilich wohl, sie werden doch. Jedes von uns hat seinen eigenen Schmiertopf; mein Vater geht alle Tage darüber, meine Mutter hat ihren im Schrank stehen, und wo mein Topf steht, wissen die Eltern auch.«

»Wetter auch. Punktum! Und wie wird die oft benannte Schmiere angewendet und zeigt ihre Wirkung?«

»Wenn ein kranker Mensch damit beschmiert wird, so wird er gesund, und wenn ein gesunder Mensch damit beschmiert wird, so wird er krank und muss sterben.«

»Wirkt selbiges Zaubermittel auch auf Tiere?«

»O ja! Warum denn nicht? Gar gut wirkt’s. Wenn ich ein Tier sterben (töten) will, so streiche ich ihm die Nase damit und die vier Füße, so stirbt’s.«

»Horribile dictu! Sage an, hast du wirklich solcher Sünde des Tiertötens dich unterfangen?«

»Erst ein einziges Mal oder zweimal. Es war vorm Jahr im Sommer. Meine Mutter nahm mich mit nach Rheinfeld. Sie ging dorthin zu taglöhnern bei einem Bauer, sein Name ist Heikelmann, und jätete ihm den Krautacker. Dem Bauer war es nicht recht, dass meine Mutter mich mitbrachte, meinte, da müsse er zwei Mäuler für eins fettmachen, knurrte und brummte und sah mich feindselig und mürrisch an. Dieses giftete mich, und war er mir feind, wurd’ ich’s ihm noch mehr, wischte in den Stall und strich seinem Pferd Maul und Nase, Füße und Schweif. Davon wurde es in der Nacht unsinnig und raste sich tot vor dem ersten Hahnenschrei. Da nun der Bauer am frühen Morgen in den Stall kam, lag das Arme, das über und über mit Schaum bedeckt, elendiglich aussehend, dort und streckte alle viere von sich, und der Bauer wollte fast ein Narr werden vor Zorn und Ärger, fluchte alle Sankt Veite und Velten und Gotts Marterschändung und schrie mehr denn einmal: ›Welcher Teufel, welcher Teufel hat meinen armen Gaul so schändlich gemartert?‹ Ich schwieg fein stille und lachte ins Fäustchen! Der Teufel war ich gewesen.«

»Höllenbrut! Satansjunge!«, zürnte Herr Nicolaus Mergilet im eifrigsten Niederschreiben dieser seltsamen Bekenntnisse. »Vollbrachtest du solche Untat ganz allein?«

»Nä – es hat mir einer dabei geholfen.«

»Wer hat dir dabei geholfen?«

»Mein Herr, der Geist! Belial!«

»Herr Jesus!«, schrie entsetzt die Edelfrau und es gruselte ihr sehr. »Wie sieht der Geist aus! Wie kommt er zu dir?«

»Scheußlich sieht er aus, und zum Fenster herein fährt er. Er hat einen schwarzen Bart und Klumpfüße, vier Finger dick und vier Finger lang.«

»Bringt er dir oder deinen Eltern etwas, wenn er einfährt?«

»O ja, gestern war er da und brachte einen Eimer Firnewein, den er zu Obereisensheim geholt hatte. Auch bringt er jedes Mal guten gelben geschlagenen Kuchen mit, den wir essen.«

»Hast du nur diesen einen Herrn und Geist oder deren mehrere?«

»Immer nur einen auf einmal; der ist mein fünfter. Als ich den vorigen abdankte, tat der neue Reverenz gegen mich.«

»Wie lange war der böse Geist zuletzt bei euch?«

»Die letzte halbe Nacht, wir saßen beisammen und tranken; nachher hat sich mein Herr zu mir gelegt, hat gesungen, und ist dann in der Frühe von dannen gefahren.«

»Der Teufel hat gesungen! Das ist was Nagelneues!«, bemerkte der edle Junker Philipp Christoph von Maßbach.

»Von dannen gefahren! Der Kopf schwindelt einem – man sollt’ es nicht für möglich halten, wäre solcher Unglaube nicht gottlos und erzketzerisch!«, murmelte im Schreiben Herr Mergilet und inquirierte weiter: »Hast du auch Tänze besucht und allwo?«

»O ja, auf der Zeusinge, das ist eine Trift mit vielen Hexenkringeln, und darauf ist auch ein Brunnen, aus dem habe ich trinken müssen, da ich die Kunst lernte.«

»Und wann und wie oft haben solche Tänze stattgefunden?«

»Wir haben alljährlich fünf heilige Tänze auf der Zeusinge, darunter einer auf Christtag, einer auf Ostern und einer auf Pfingsten.«

»Jesus Christus!«, schrie die Edelfrau, »das nennt der Höllenbrand heilige Tänze!

»War auch Musik bei sotanen Teufelstänzen! Und wer machte selbige?«

»Jawohl, Musik war allemal dabei. Der Pfeifer Hans von Weipoltshausen und der Pfeifer Schaafbalzer von Zell machten die Musik, aber auch noch andere, so ich nicht kenne. Die alte Valbers Cöppin allhier zu Maßbach muss leuchten und ihre Tochter Anna putzt das Licht. Die Nasenbarb tanzt auch mit und der alte Pfützenhannes mit seinem Jungen.«

»Und was genießt die verruchte Hexensippschaft bei den Tänzen?«

»Allerhand; wir essen Hirsebrei, Fleisch, Hasen- und Gänspfeffer, auch guten Kuchen und trinken guten Wein. Die alte Valbers Coppin kriegt aber nur Birnsmost zu trinken.«

»Verstehest du dich auch auf Schädigen von Gras und Getreide?«

»O ja, aber ich habe diese Kunst nicht geübt, weil sie sündhaft ist. Vorm Jahr haben die Milchdiebe alles umgebracht, heuer aber wird Wein und Korn geraten.«

»Wen verstehest du unter Milchdieben?«

»Die Hexenmeister! Der alte Pfützenhannes ist so einer, der hat einen Geist, das ist der rechte alte arge Teufel und hat ein kohlschwarzes Gewand an.«

»Können solche gottverdammte Hexenmeister auch Menschen umbringen? Und wie fangen sie das an?«

»Pfützenhannes kann es, ich kann es auch, tue es aber nicht. Man braucht nur von dem Kinderpulver eine Messerspitze voll jemand in die Anken (den Nacken) zu werfen, so muss er sterben!«

Die Edelfrau stieß einen Schreckensschrei aus – es hatte sie plötzlich etwas von ihrem Kopfputz im Nacken gekitzelt – und fuhr entsetzt herum. Sie glaubte, es stehe einer hinter ihr und streue ihr Gift in den Nacken.

»Und glauben solche Teufelsbündner und Mordsbösewichter nicht an eine Strafe in der Ewigkeit?«, fragte Herr Mergilet.

»O ja! Sie glauben an die Strafe. Wenn zum Beispiel der Pfützenhannes stirbt, so muss er vor der Hölle sitzen und allzeit gauzen wie ein Hund.«

Nun tat die Edelfrau ihren Mund auf, schon lange, hatte sie es gedrängt, auch zu fragen, und so fragte sie: »Wie nun, Junge, wenn dein Herr dir hieße, mir einen Ochsen zu sterben, wolltest du das tun?«

»Wenn es Ihro Gnaden mir nicht ungnädig nehmen wollen, mit Verlaub, ja – ich müsste es tun, auch wenn ich nicht wollte, denn sonst würde mich mein Herr umbringen.«

Unwillig schüttelte der Gerichtsschreiber den Kopf und murmelte vor sich hin: »Mulier taceat in ecclesia!«, machte einen Zirkumfler unter sein Protokoll und schüttete einen ganzen Strom Streusand darauf, indem er sprach: »Gnädigste Herrschaft, für heute muss es genug sein. Ich erachte, dass ein hochadliges gutsherrliches Gericht das heutige Protokollum nebst submissem Bericht durch einen reitenden Boten sonder Verzug an die hohe Landesregierung gen Meiningen schicke, und Befehl erbitte, was in dieser hochnotpeinlichen Sache weiter vorzunehmen sei.«

»Tue Er solches!«, sagte die Frau Wittib von Maßbach.

Herr Mergilet schellte, und der Haltunsfest trat ein. Der edle Junker aber wandte sich zu dem Zauberjungen und fragte: »Du wirst sicherlich wissen, wer mir mein Pferd umgebracht hat! Das gestehe gleich auf der Stelle frei und offen!«

»Pfützenhannes sein Junge hat’s getan, hat dem Gaul Maul und Füße gestrichen, erst gestern hat mir mein Herr das offenbart und hat es beschworen.«

»Wie schwor dein Herr?«

»Er hat gesagt: Es ist so wahr wie Gold.«

»Man führe den Buben ab und verwahre ihn wohl!«, herrschte der Gerichtsschreiber dem Fronknecht zu. Heiteren Angesichts, guten Mutes und unbefangen folgte ihm der kleine Gabelfahrer wieder in den Kerker, der sich ihm erst am Morgen dieses Tages aufgetan hatte.

Die Dame erhob sich und seufzte: »Was man nicht alles erlebt in dieser gottlosen, bösen, ja schrecklichen Zeit! Der Antichrist ist vor der Tür! Ich will gehen, mich in mein Kämmerlein einschließen und das Lied beten: Vor dem Satan uns bewahre!«

»Der Pfützenhannes und sein Teufelsbub muss als bald gefänglich eingezogen werden!«, gebot der gebietende Junker. »Das wird eine schöne Hexenschmiere werden – wenn wir alle die Teufelsbündner einziehen und füttern müssen, denn dieser Befehl wird kommen, das sehe ich voraus ohne Brille.« Damit verließ auch der Junker die Amtsstube.

Der Gerichtsschreiber erhob sich, schnaufte aus und ächzte: »Höllenarbeit das, so ein Verhör macht warm, macht schwindelig – und weiter fehlt nichts, als dass zuletzt auch die gnädige Frau fragen hilft, da würde eine schöne Konfusion in das Protokollum kommen. Aber warte nur, du junger Teufelsbraten, wir wollen dir deinen Scheiterhaufen auf der verrufenen Zeusinge selbst rüsten, sollst pfeifen, wo du getanzt hast. Hab doch schon viele solcher Art im Verhör gehabt, aber keinen noch so jungen Höllenbrand, keinen so offen, so keck, als sei es eben gar nichts, dass seine Seele ewig verloren ist!«

Herr Nicolaus Mergilet schrieb seinen Bericht und sendete ihn ab. Anderen Tages zur üblichen Verhörstunde wiederholte sich die gestrige Szene; der kleine Gabelfahrer sollte einstweilen noch mehr bekennen, die gnädige Frau wollte es – so sehr ihr schauderte und grauste, so war doch ihre Wissbegier noch stärker als ihr Abscheu und ihre Furcht – solche Bekenntnisse waren so neu, so unerhört und seltsam, und nie war ein des Hexenwerks Bezichtigter so bereit und willig gewesen, ohne allen Zwang, ja selbst ohne Androhung der Folter zu bekennen.

Die hohen Beisitzer saßen, die Federn waren frisch gespitzt, der kleine Linhard stand vor den Schranken,und Herr Mergilet begann:

»Es ist kundbar geworden, und unsere hochgnädige Herrin und Frau hat es nebst ihrem Ingesinde selbst wahrgenommen, dass im Hirtenhaus zur Nachtzeit vor einigen Tagen Feuer in der Küche auf dem Herd gebrannt und stark geplatzt hat, auch sind mehrere Türen auf- und zugegangen. Was ist da bei euch getrieben worden?«

»Das ist vorgestern gewesen! Da ist mein Herr, der Geist, gekommen und hat ein totes Kind mitgebracht; da haben wir ein Feuer geschürt, weil für einen großen Hasen im Ofen kein Platz vorhanden; so haben wir das Kind in dem Hasen am Feuer gekocht. Meine Mutter hat dabeigesessen und Flitterkränze zugerichtet, zur baldigen Hochzeit des Sohnes meines Herrn, des Geistes, für die Braut.«

»Kränze – Geist – Sohn – Hochzeit – Braut – immer toller!«, murmelte Herr Mergilet, schrieb eifrig und fragte: »Was ist dir sonsten noch bekannt von verübten Hexenwerken und Teufelskünsten! Das sage uns offen an!«

»Vorm Jahr arbeitete meine Mutter im Wirtshaus zu Heidenfeld, da ging es gerade wie beim Bauer zu Rheinfeld. Der Wirt machte ein saures Gesicht auf mich und wollte mir nichts zu essen geben, da haben ein Hahn, zwei Hühner und ein Schwein ins Gras beißen müssen. Weiter, vor fünf Jahren hat der alte Pfützenhannes unserer gnädigen Frau auf dem Neuenbau vier Kühe und fünf Ochsen gesterbet.«

»Entsetzlich, unerhört!«, kreischte die Herrin. »Ei, und das erfahren wir erst jetzt! Gleich lasse Er den Alten in Arrest nehmen, Amtsgerichtsschreiber!«

»Sitzt schon kreuzweis an Armen und Beinen geschlossen drunten in der Hexenkeuche, meine hochgnädige Frau!«, erwiderte Mergilet und wollte weiter fragen. Sa unterbrach die Rückkehr des am gestrigen Tage abgesandten Boten die Inquisition. Der Bote brachte ein Schreiben an die adelige Gutsherrschaft, welches der Junker annahm, erbrach und dem Gerichtsschreiber zur lauten Mitteilung behändigte.

Dieser ließ den kleinen Sträfling einstweilen abführen, nachdem er mit gebührender Reverenz das Schreiben empfangen und erhob sich, dasselbe stehend vorzulesen. Dieses tat er auch mit Übergehung manches weitläufigen stilistischen Schnörkels in der Kürze, wie folgt:

Edle, ehrenfeste, besonders gute Freunde! Wir haben aus Eurem Schreiben nebst Beilage ersehen, was des Viehhirten auf dem Neuenbau zu Maßbach Söhnlein, ein Knäblein von neun Jahren, gelernten Gabelfahrens und Hexenwerkes halber freiwillig ausgesagt hat. Wann dann solches sehr nachdenklich und vonnöten sein will, dass des wegen allen von dem Knaben ausgesagten Untaten, ob solche auch wirklich geschehen, auch insonderheit wegen der Schmiere bei dem Totengräber zu Schweinfurt Erkundigung eingezogen werde, so habt Ihr die verdächtigen Personen, soweit dieselben unter Eurem Judicium sitzen, zu vernehmen, auch Sorge zu tragen, dass der Knabe in Beisein seiner Eltern und anderer von ihm angegebenen Personen seine Aussagen wiederhole.

Das alles habt Ihr getreulich niederzuschreiben, auch über der befragten Personen Leben und Wandel Euch vernehmen zu lassen, damit die Sache vor einen Schöppenstuhl gebracht werden könne; wie denn auch vonnöten sein will, damit desto behutsamer verfahren werden möge, auch die nächsten Nachbarn der angegebenen Personen, so auch die Kirchenältesten oder andere unbescholtene Leute aus der Gemeinde über Mitwissen oder Nichtwissen abzuhören, alle Aussagen zu notieren und dem Bericht beizufügen – dieweil sonsten auf des Knaben Aussage wenig zu bauen, zumal wenn er dieselbe widerrufen oder nicht dabei bleiben sollte. Selbiger Knabe wird zuvörderst dem Predigtamt zu untergeben und in treuer Weise zu unterrichten sein, was es mit seinen gelernten Künsten auf sich habe, und wenn er doch darauf verharren sollte, wird er mit einer derben Schulkorrektion, alio verbo Plätzer ad posteriora und ähnlichen zweckdienlichen Mitteln zur Erkenntnis gebracht. Solches haben wir Euch als begehrte Information nicht verhalten wollen, und sind Euch zu freundlichen Diensten willig.

Datum Meiningen, am 14. Februar 1627.
Kanzler und Räte.

»Diesen Bescheid finde ich sehr vernünftig!«, nahm der Junker Philipp von Maßbach das Wort, indem er sein Tabakreibeisen und ein Tabakröllchen hervorzog, sich eine Prise abrieb, sodann der Frau Mama eine und dem Amtsgerichtsschreiber gnädiglich auch eine.

»Ich wäre nur noch auf das eine kurios«, sprach die Edelfrau, »zu erfahren, welche absonderliche Bewandtnis es denn so eigentlich mit dem Gabelfahren habe! Darüber dürfte der Linhard doch noch in unserem Beisein ernstlich zu befragen sein. Wir haben wohl schon vernommen, dass die bösen Hexen auf Besen zu ihren Tänzen fahren, aber ob mit dieser Gabel eine Ofengabel oder was sonst für eine zu verstehen ist, und wie sotanes eigentlich vor sich gehe, das wissen wir nicht.«

»Wohl, da die gnädige Frau Mama befehlen, so lasse Er, Gerichtsschreiber, den Jungen noch einmal hereinholen und befrage Er denselben über das Gabelfahren noch insbesondere in unserer Gegenwart!«, gebot der Junker.

Linhard trat ein, ruhig heiteren Blicks, wie immer. Man regte sich wieder in die würdevolle Positur und Mergilet begann: »Du sollst uns jetzt unverhohlen sagen, welche Bewandtnis es mit dem Gabelfahren hat, wie diese Kunst geübt wird.«

Da müsste ich erst meine Gabel haben und die Schmiere«, erwiderte Linhard.

»Sotane schändliche corpora delicti sind schon beihanden«, versetzte Mergilet und winkte dem Gerichtsfron, der alsbald ein Näpfchen holte, darin eine dicke fettige Substanz war, die nicht gut roch, weshalb die Dame eilig und mit einem Schauer ihr Bisambüchslein zur Nase führte, der Junker, ihr Sohn, aber sich abermalen eine Prise rieb und diese von seinem Handrücken in seine Nase einzog.

»Ei, da ist es ja schon, wahrlich, wie herbeigehext!«, rief Linhard lebhaft aus und fuhr fort: »Also merket wohl auf, edle Frau und edle großgünstige Herren! Da ich die Kunst lernte, war meine Mutter dabei, es war auf der Zeusinge, der Säuhirt von Rheinfeld war mit droben. Zehn Geister kamen auf einmal; ich wurde hin zum Brünnlein geführt und jeder Geist um den anderen goss eine Handvoll Wasser über mich.«

»Was musstest du dazu sagen?«

»Ich weiß nichts.«

»Besinne dich, gestehe – ganz gewiss hast du sprechen müssen: Ich schwöre … ab … den Herrn … nun? … Den Herrn Jesum Chr…«

»Gar nichts habe ich sprechen müssen. Ich hab’s gelernt und damit gut. Wolltet Ihr mir schreiben lehren, Herr Gerichtsschreiber, so wollt ich Euch die Kunst lehren.«

»Ich begehre nicht solche gottlose Kunst zu lernen, und du hast keine Bedingnisse zu stellen, Junge! Jetzt sage an, wie die Sache beschaffen, ohne Umschweif, wie fahret ihr?«

»Wenn wir fahren, so geht es nicht auf der Erde hin, sondern oben, und wenn wir wieder niederfallen, so fallen wir ganz sanft auf, wie auf ein Bett. Neulich bin ich nach Birnfeld gefahren und habe dort zwei Eimer Wein geholt.«

»Wie kannst du eine so große Last fortbringen?«

»O, das geht leicht, da spannt man Katzen an. Wenn einer vierzehn Katzen anspannt, so kann er ein ganzes Fuder Wein holen. Neulich habe ich ein solches Fuder aus dem Spitalkeller zu Würzburg geholt.«

»Incredibile dictu! Incredibile! Zu Würzburg geholt!«, murmelte Herr Mergilet.

»Ich kann auch einen Wunsch, wenn ich laut den bete, muss jemand sterben!«

»Um Gottes und um des Blutes Christi willen, schweig still«, schrie die Edelfrau. »Das ist ja ganz entsetzlich! Linhard! Du wirst doch nicht so gottlos und teuflisch handeln!« Dabei wisperte sie schreckensbleich ihrem Sohn etwas in das Ohr.

»Fac finem! Domina mater mea metuit eum de sua vita!«, sprach der edle Junker laut zum Gerichtsschreiber, und derselbe neigte sein Haupt zum Zeichen des Verständnisses und Gehorsams und tat seine letzten Fragen.

»Wie machtest du es denn, wenn du deine noble freie Kunst übtest?«

»Ja, es ist ganz gewiss eine freie Kunst, reut mich nicht, dass ich sie lernte und Ihr müsst sie auch lernen! Ich will es Euch gleich zeigen, und ich wette, wenn Ihr wieder einmal hinausreitet in den Gau, so bringt Ihr einen toten Krämer mit und kocht trotz einem. Seht her! Das ist die Gabel, die hat zwei Stänglein, es tut’s jeder Rechenstiel ohne die Zinken, unten müssen noch zwei Sprosseln daran sein! Und das ist die Salbe – da greift Ihr mit zwei Fingern hinein, bestreicht den Stecken durchaus und fahrt mit der Hand über die ganze Gabel. Nun setzt Ihr Euch rittlings darauf, so wie ich es jetzt mache, und nun kommt die Hauptsache, merkt wohl auf, der Spruch:

Gerat’ es fahrt,
dass mich niemand gewahrt!
Niemand sehe,
die rote Spitz’!
Ich ritt, ich ritt,
dass mich niemand tritt,
dass mich niemand krehe! (kriege)

Kaum hatte der Gabelfahrer die letzten Worte gesprochen, so erhob er sich schwebend, ein Windstoß riss das Fenster auf und in einem Nu war der Zauberbub allen aus den Augen.

Die gnädige Mama fiel mit einem gellenden Schrei in Ohnmacht. Der gnädige Junker stand wie ein Ölgötze und alle Glieder schlugen ihm. Der Zentgerichtsschreiber stürzte fast vom Sessel und schellte dem Fron. Der riss die Türe auf und starrte vor Schreck, als er den Jungen nicht mehr im Zimmer sah.

Des Junkers mitgebrachter Hund zog den Schwanz ein und gauzte.

Niemals hat jemand im heutigen Landgericht Münnerstadt, dazu Maßbach jetzt gehört, und sonst in dieser Gegend den kleinen Gabelfahrer wiedergesehen und sind daher auch Acta über ihn weiter nicht vorhanden.

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