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Blutrosen 15 – Das Vermächtnis des Räubers – Teil 2

Blutrosen
Schauererzählungen
frei nach dem Französischen des Eugène Sue, Alexandre Dumas d. Ä, Honoré Balzac, Victor Hugo und andere
Verlags-Comptoir. Breslau. 1837
Druck von M. Friedländer in Breslau
Zweiter Teil

Das Vermächtnis des Räubers
Teil 2

Er ging also hinaus, nachdem er die Tür abgeschlossen hatte, und eilte in den Wachsaal, wo er zwei Krankenwärtern ihm zu folgen befahl.

So wie sie an das Amphitheater kamen, ging ihnen zur Seite ein Schuss los. Fast in demselben Augenblick kam auf der entgegengesetzten Seite des Hofes ein nackter, mit Blut bedeckter Mensch wankenden Schrittes zum Vorschein. Es war Kronau, dem es unterdessen gelungen war, durch das Fenster zu entkommen, und auf welchen die Schildwache Feuer gegeben hatte. Launay gelangte grade zur rechten Zeit an, um ihn fallen zu sehen. Die Kugel war ihm durch die Brust gegangen, er war tot.

Badenweiler ist eine kleine, in einer Gebirgsspalte am Fuße des Schwarzwaldes reizend gelegene Stadt. Von Bergen und Waldungen eingefasst, streckt sich das blumige Tal unterhalb der Stadt aus und gleicht einem gemalten, in der Sonne aufgerollten Stück Samt. Ihre geringe Ausdehnung erhöht noch ihre Schönheit. Der Blick umfasst all ihre Reize auf einmal.

Badenweiler ist, wie schon sein Name anzeigt, eine Badestadt. Die Römer selbst hatten vor Alters hier Thermen, deren merkwürdige Überbleibsel man dem Reisenden noch heutzutage zeigt. Nun versammelten sich dort die Müßiggänger zweiter Ordnung, welche aus Ökonomie oder bürgerlicher Schüchternheit Badens glänzende Gesellschaften fürchten. Man trifft dort Schweizer, welche an der Seite ihrer strickenden Gattinnen rauchen, schweigsame Badener und eine Menge Elsässer, welche man an der Sorgfalt erkennt, mit welcher sie vor Deutschen Französisch und vor Franzosen Deutsch sprechen.

In dem Augenblick, wo wir unsere Geschichte aufnehmen, saßen die in der Stadt Karlsruhe in einem der besten Hotels in Badenweiler logierenden Badegäste unter einer kleinen, nahe am Haus befindlichen Akazienallee versammelt. Madame Perscof, eine Bürgerin aus Mühlhausen, wo ihr Großvater Bürgermeister gewesen war, was sie so oft wie möglich erwähnte, war eine jener erhabenen Familienmütter, deren ganze Worte, Handlungen und Gedanken nur einen Zweck zu haben scheinen, und auf deren Stirn man lesen konnte: Ich habe eine Tochter zu verheiraten!  Noch jung, als ihr Gatte starb, hatte sie die Geschicklichkeit besessen, sich aus ihrem Witwentum eine Art von sozialer Stellung zu verschaffen. Ihr Unglück sowie ihre Tugenden waren im Publikum bekannt. Als ihre Töchter herangewachsen, bediente sie sich geschickt der allgemeinen Protektion, die sie genoss, um die drei Ersteren vorteilhaft zu verheiraten. Als aber die Reihe an die Vierte kam, erfuhr sie Schwierigkeiten, die sie nicht erwartete. Ihr Haus war für die jungen heiratsfähigen Leute gleichsam eine Löwenhöhle geworden. Sie hatten schon drei ihresgleichen hineingehen sehen, die nicht wiedergekehrt waren. Daher flohen sie aus diesem mit Schrecken.

Vergebens ging Madame Perscof auf Bälle und Teegesellschaften, vergebens sprach sie vom großväterlichen Bürgermeister, kein Freier wollte sich einstellen. Als sie endlich die Unmöglichkeit einsah, ihre Clementine in Mühlhausen vorteilhaft anzubringen, einschloss sie sich, einen Freier auswärts zu suchen, und führte sie in das Bad Badenweiler. Sie befand sich schon seit sechs Wochen dort.

Nachdem Madame Perscof alle Gäste bei ihren Namen gegrüßt und sich bei jedem Einzelnen nach seinem Rheumatismus oder seinen Anverwandten erkundigt hatte, ließ sie ihre Tochter an ihrer Seite Platz nehmen, worauf die durch ihre Ankunft einen Augenblick unterbrochene Unterhaltung wieder ihren Fortgang nahm.

»In der Tat«, begann eine dicke Dame, die kaum auf drei Stühlen Platz hatte, »ich finde etwas Auffallendes in dem Benehmen dieser Miss Morpeth. Allein, mit einer Art Gouvernante hierher zu kommen … Wie unschicklich!«

»Das ist keineswegs so auffallend, wie Sie denken«, fiel eine andere Dame ein, die in England für bekannt galt, weil ihr Mann auf die Revue Britannique abonniert hatte. »Man muss bedenken, das Miss Morpeth eine Engländerin ist, denn die Engländerinnen reisen immer allein oder in Gesellschaft ihrer Liebhaber. Das ist einmal so Sitte bei ihnen.«

»Wer ist aber nur eigentlich dieser Herr Burns, der der schönen Engländerin überall hin folgt? Er gibt vor, er sei ein Freund ihrer Familie, aber ein Freund beobachtet nicht so all diese kleinen Aufmerksamkeiten. Er hat eher das Ansehen eines Liebhabers.«

»Er ist aber doch schon so alt!«

»Frauen von diesem Charakter suchen ja eben hauptsächlich die Alten auf. Herr Burns ist reich!«

»Welche Schändlichkeit!«, rief Madame Perscof. »Ich bin nur eine arme Witwe, aber wenn ich eine solche Tochter hatte, wie diese Miss Morpeth …«

»Nach allem«, fiel die Dame ein, welche die Revue Britannique las, »beurteilen Sie sie vielleicht zu streng. England ist ein freies Land …«

»Ich glaube, niemanden mag die Anwesenheit des Herrn Burns unlieber sein als Herrn Launay, welcher sonst beständig bei Miss Morpeth …«

»Still!«, sagte die dicke Dame, »da kommt er selbst.«

Eduard Launay kam wirklich am Ende der Akazienterrasse zum Vorschein. Er schritt langsam heran, grüßte die Badegäste und ließ sich, ohne weiter etwas zu sagen, auf eine abseits stehende Bank nieder. Nachdem Madame Perscof gehustet, sich dem jungen Mann zugedreht und ihren Stuhl gerückt hatte, um ihm einen Platz zwischen ihr und ihrer Tochter zu zeigen, entschloss sie sich zu einer direkten Einladung, aber der junge Mann lehnte höflich ab und weigerte sich, näher zu kommen, worüber die alte Dame sehr pikiert war.

»In der Tat«, sprach sie, »Ihre Gegenwart unter uns zu dieser Stunde ist eine wahrhafte Gunst. Es ist, wenn ich nicht irre, die Zeit Ihrer gewöhnlichen Promenade mit Miss Morpeth. Wer hat Sie heute aus Ihrer sonstigen Gewohnheit stören können?«

»Miss Morpeth hatte mir sagen lassen, dass sie diesen Morgen nicht ausgehen würde.«

»Da hat sie also ihren Entschluss wieder geändert«, sagte die dicke Dame, »denn da kommt sie eben mit ihrem unzertrennlichen Gefährten, Herrn Burns, von einem Spaziergang zurück.«

Launay sprang schnell auf. Die junge Engländerin hielt in der Tat vor der Tür des Hotels, auf einem jener Maultiere mit hölzernen Sattel sitzend, deren man sich zu Ausflügen in den Schwarzwald gewöhnlich bedient.

Als sie Eduard gewahrte, errötete sie über und über, sprang erschrocken aus dem Sattel und trat in das Gasthaus, ohne auf ihren Begleiter zu warten. Herr Burns blickte verwundert um sich, um die Erklärung dieser Verwirrung zu finden, aber beim Anblick des jungen Franzosen, der regungslos und blass einige Schritte davon stand, schien er alles zu begreifen. Mit verächtlicher Miene den Kopf in die Höhe werfend, wollte er eben die Freitreppe vor dem Hotel hinaufsteigen, als ihn Launay beim Arm ergriff.

»Mein Herr«, sprach er in heftiger Aufregung, »ich wünschte eine Unterredung mit Ihnen.«

Des Engländers Antlitz heiterte sich auf, als ob er diesen Antrag erwartet und gewünscht hatte.

»Ich stehe Ihnen zu Diensten, mein Herr.«

Beide schlugen den Weg zum Park ein. Nachdem sie etwa hundert Schritt zurückgelegt hatten, wandte sich Launay um. Da er sah, dass sie allein waren, begann er, stehen bleibend: »Mein Herr, Sie wissen ohne Zweifel, welcher Beweggrund mich zu Ihnen führt.«

»Ich glaube ihn zu kennen.«

»Es kann Ihnen weder meine Liebe zu Miss Morpeth noch die Hoffnung entgangen sein, die ich einen Augenblick fassen musste, da ich sah, dass meine Bewerbungen von ihr wohlgefällig aufgenommen wurden. Ohne die Rechte zu kennen, die Sie auf ihr Vertrauen haben, so weiß ich doch, dass sie Sie wie ihren Ratgeber betrachtet. Von Ihnen will ich daher Erklärung über ihr Betragen fordern. Ich habe sie selbst schon gefragt, aber sie geriet in Verwirrung und ihre Tränen hielten meine Fragen zurück. Wollten Sie mir wohl sagen, warum seit Ihrer Ankunft hier eine so große Veränderung in ihr vorgegangen ist, warum Miss Fanny mir ausweicht und warum sie endlich, um eine Tatsache anzuführen, nachdem sie mir hatte sagen lassen, dass sie diesen Morgen nicht ausgehen könnte, zu Ihren Gunsten ihren Entschluss geändert hat?«

»Sie fragen mich nach vielen Dingen auf einmal, mein Herr«, erwiderte kalt Herr Burns. »Was diesen Spaziergang betrifft, den ich eben mit Miss Morpeth gemacht habe, so hatte ich mit Ihr allein zu sprechen, und sie hatte mir gestern ihre Begleitung zugesagt.«

»So hinterging sie mich.«

»Sagen Sie vielmehr, mein Herr, dass sie eine abschlägige Antwort durch diese unschuldige Lüge hat mildern wollen. Sie beklagen sich über ihre Zurückgezogenheit seit meiner Ankunft. Allein wenn Sie es sich recht überlegen, so hätten Sie doch fühlen müssen, dass, bevor sie sich zu einer Wahl entschließt, wovon ihr Lebensglück abhängt, sie doch wenigstens unterrichtet sein muss, was sie zu fürchten oder zu hoffen hat.«

»Ich weiß nicht, ob ich Sie verstehe, mein Herr«, entgegnete Launay errötend, »aber wenn es sich um Auskunft über meine Person und meine Verhältnisse handelt, so bin ich bereit, sie zu geben. Ich bin aus der Bretagne und stamme aus einer angesehenen Familie. Mein Vater starb als Fregattenkapitän zu Brest. Im fünfzehnten Jahr als Waise zurückgeblieben, habe ich als Chirurg in der Königlichen Marine gedient und bin erst seit achtzehn Monaten ausgetreten. Was mein Vermögen anlangt«, hier zitterte Launays Stimme, »so kann ich es leicht dartun; ich besitze 400.000 Franken in Staatspapieren und bin bereit, den Beweis dafür beizubringen.«

»Alle diese Mitteilungen, erlauben Sie mir, Ihnen das zu sagen, können mir nicht genügen.«

»Mein Herr«, schrie Launay, »das ist eine Beleidigung.«

»Das ist Klugheit.«

»Und mit welchem Recht verlangen Sie überhaupt von mir diese Rechenschaft? Welche Rechte haben Sie auf Miss Morpeth? Wer sind Sie selbst, mein Herr?«

»Ein Freund, der über ihr Glück wacht, weiter nichts.«

»Kann ich nicht auch meinerseits sagen, dass mir diese Antwort von Ihnen nicht genügen kann?«

»Mein Herr«, sprach der Engländer mit Stolz, »Sie sind zu mir gekommen. Ich habe von Ihnen weder verlangt, dass Sie sich mir anvertrauen, noch mir glauben sollen. Ich habe mich herablassen können, Sie zu fragen, aber ohne mich zu einer Antwort verbindlich zu machen. Sobald Ihnen diese Stellung nicht mehr behagt, so hat unsere Unterredung seinen Zweck.«

Nach diesen Worten grüßte Herr Burns den jungen Mann mit kalter Höflichkeit und ging zum Gasthaus zurück.

In dem Augenblick, wo er eintrat, kam ihm Miss Fanny, die von Weitem die Unterredung mit dem jungen Franzosen gesehen hatte, auf der Freitreppe entgegen, um aus seinen Zügen das Resultat zu lesen, aber diese Forschung fiel ohne Zweifel ungünstig für sie aus, denn sie faltete die Hände und ließ seufzend den Kopf sinken.

Herr Burns warf ihr einen Blick voll sanften Mitleids zu und sagte halb leise zu ihr: »Beruhige dich nur, mein Kind. Alles kann vielleicht noch gut werden.«

Der allein zurückgebliebene Launay wollte anfangs dem Engländer nachlaufen, um ihn nach dem Grund der letzten an ihn gerichteten Worte zu fragen, aber die Furcht, auf diese Weise auf immer mit Fanny zu brechen, hielt ihn zurück. Was ihm dieser Mann gesagt hatte, konnte vernünftigerweise keine Herausforderung motivieren, denn seine Sprache war mehr stolz als beleidigend gewesen. Er musste daher schweigen.

Seitdem ein plötzlicher Reichtum, den er in der Welt für eine in der Ferne ihm unerwartet zugefallene Erbschaft ausgab, dessen wahre Quelle aber der Leser zweifelsohne erraten wird, Eduard Launay gestattet hatte, die Marine zu verlassen, hatte er sich durch Reisen zu zerstreuen gesucht und nacheinander Italien, die Schweiz und Deutschland bereist. Eben als er von diesem letzten Ausflug zurückkehrte, führte ihn der Zufall gerade in demselben Augenblick nach Badenweiler, wo Miss Morpeth dort angekommen war. Betroffen von der reinen und regelmäßigen Schönheit des jungen Mädchens, machte er sich die Art von Freiheit zunutze, welche die Tischgemeinschaft zwischen Badegästen gewährt, um sich ihr zu nähern. Das Englische war ihm geläufig, um sich mit Miss Fanny in ihrer Muttersprache unterhalten zu können. Dieser Umstand, der eine Ursache zur Annäherung wurde, hatte auch zum Resultat, dass sich beide von der übrigen Gesellschaft absonderten. Von Deutschen umgeben, die sie nicht verstand, fand Miss Morpeth eine wahrhafte Freude daran, die Sprache ihres Vaterlandes zu reden. Sie gefiel sich darin, Eduards Akzent zu verbessern, sie lachte über seine Fehler und machte ihm lange Erklärungen, welche der junge Mann mit Fleiß wieder vergaß, damit seine Unwissenheit neue Lehren nötig machte.

Ganz in ihren Unterricht vertieft, ließ ihm Fanny auf diese Weise ihren Geist ohne Schleier sehen. Ihre zufällige Überlegenheit ließ sie die bescheidene Zurückhaltung vergessen. Sie wollte den gewissenhaften Lehrer machen, vergaß darüber ihre jungfräuliche Schüchternheit und zeigte sich Launay in der ganzen Stärke und Anmut ihres Verstandes.

Dieser Unterricht wurde meist in französischer Sprache erteilt, und dieser Umstand verlieh ihm einen unwiderstehlichen Reiz. In der Tat liegt auch in dem ungewohnten Akzent, mit dem eine fremde und schöne Jungfrau eine andere als ihre Muttersprache redet, eine unbeschreibliche Grazie. Diesem sonderbaren Zauber unterliegend, wich Launay nicht mehr von Miss Morpeths Seite. Um seine beständige Gegenwart bei ihr zu rechtfertigen, machte er ihr den Vorschlag, mit ihr die großen französischen Dichter zu lesen und ihr die Sprachschwierigkeiten zu erklären, die ihr auffallen würden. Aber diese Erklärungen blieben nicht lange im Bereich der Grammatik. Von der Form zu dem Sinn und den Gedanken und von diesen wieder zu ihren Folgerungen übergehend, kamen die jungen Leute bald auf alle jene träumerischen und zärtlicheren Thesen zu sprechen, welche für zwei in der Einsamkeit zu besprechen, so gefährlich ist. Ohne es gewahr zu werden, verstiegen sich Eduard und Fanny von den Allgemeinheiten zu Anwendungen und traten endlich aus dem Roman heraus, um geradewegs in die wirkliche Geschichte überzugehen. Ein Monat reichte zu all diesem hin, und als Herr Burns ankam, hatten sie sich schon einander das unumwundene Geständnis ihrer Liebe getan.

Die Erscheinung desselben störte dieses stille Glück.

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