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Hexengeschichten – Das Kornseil und die drei Hunde – Kapitel 1

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Das Kornseil und die drei Hunde
Nach Aktenstücken des Sennebergischen Gesamtarchivs

1

Lustig brannte der Knaben Hirtenfeuer auf einem Flurstück des Dorfes Bettenhausen, zwei Stunden von Meiningen, die Unterbirke genannt, am Fuß des hohen weitgestreckten Gebaberges und des mit einem althennebergischen Trümmerschloss gekrönten Hutsberges. Die Rosse grasten oder sprangen umher, besonders die mutigen Füllen. Alle waren des Weideplatzes gewohnt, entfernten sich nicht von demselben und bedurften nicht großen Hütens. Zu den eigentlichen Hütern der wenigen Pferde, welches schon ziemlich erwachsene Burschen waren, hatten sich auch jüngere Knaben gesellt, die gern ihr Spiel auf der Unterbirke trieben, ihre Freude am Feuer hatten und freudig von den Bergwänden dürres Reisig und Genist herbeischleppten, Ersteres zu nähren.

Häufig setzten sich alle in die Runde und plauderten von dem und jenem, davon unbefangene Dorfjugend gern plaudert, über Dorfereignisse, über das liebe Vieh, vom Pferd und Ochsen zum Bock und Hammel, vom Schwein zur Gans und zum Huhn, vom Hund und von der Katze, vom Fink und Stieglitz, vom Rotkehlchen und der Grasmücke. Jede Krankheit und jeder Sterbefall im Dore und in den Nachbardörfern ist ein Ereignis und muss des Breiteren besprochen werden; nicht minder jedes Vergehen, das gerügt oder gestraft wird. Vom Schulzen ist dabei viel die Rede, und wie er sein Amt verwaltet, und dass er so streng ist gegen die Nachbarn; dann kommt der Amtsschösser an die Reihe, der Zentrichter, die in der Stadt wohnen und mit denen nicht gut Kirschen essen. Besonders sollen sie äußerst hart gegen die Hexen sein.

»Das verfluchte Hexenvolk, es wird immer schlimmer mit ihm!«. sprach der siebzehnjährige Bursche Valtin Hofmann, aus Wohlmuthausen gebürtig und beim Bauer Franz Marschall im Dienst, »trotzdem dass vorm Jahre erst wieder drei in Meiningen verbrannt worden sind.«

»Jawohl, es war ein paar Tage vor Neujahr«, bestätigte Hans Gering von Oberweid, der junge Knecht des Bauern Baltzer Trott, welchem Letzteren ein Teil der Pferde gehörte. »Selbe Teufelsweiber waren von Rohr und hießen Gret Maroldin und Kathrine Krechin.«

»Und im Sommer, es war gerade Erntezeit und ich half schneiden beim Bauer Reiner in der Stadt«, fügte der achtzehnjährige Bursche Balthasar Ulrich von dem nahen Dorf Gerdhausen, hinter Wohlmuthausen, hinzu, »da wurde zu Meiningen auf dem unteren Rasen die Kathrine Schmidtin von Queienfeld verbrannt. Es lief alles hin und sah sie brennen. Ich war auch dabei, möchte aber nimmermehr so was noch einmal sehen.«

»Ich möcht’s aber sehn!«

»Ich auch! Ich auch!«, riefen die kleineren Jungen in das Gespräch der großen, der kleine Michel Alt, Andreas Rißner, Thomas Herlich und andere.

»Den Spaß könnt ihr schon haben, ihr Nickel«, sagte Valtin Hofmann spöttisch, »es sitzen deren Unholdinnen wieder genug und satt in der Fronfeste.«

»Ha, und ihr scheint nicht zu wissen«, gab Heinrich Pochert, auch ein Pferdeknecht und zwar Kurt Ehrhards, ins Gespräch, »dass erst noch in diesem Jahr um Fastnacht rum zwei Weiber vom Schmiedefeld, die Stoffel Lotzen und die Martha Schneiderin, und ebenso die Margret Müllerin von Heinrichs an einem Tag und vielleicht noch ein paar dazu verbrannt worden sind, und die alte Schulzen-Anna, dem gewesenen Schulz Gramann zu Dreißigacker seine Witwe, eine Vettel von achtzig Jahren, ist ja erst vor zwei Monaten, im März, verbrannt worden.«

»So schlimm ist’s noch nicht gewesen mit den Untieren, solange die Welt steht!«, äußerte Hans Gering; »möcht’ wissen, ob hier in Bettenhausen auch solche Bestecke wären?«

»Ach, es gibt solch Gezeug all Enden! Beruf’s nicht. Ehe du dich versiehst, hat dich eine angeblasen und du wirst krumm und lahm!«, warnte Valtin Hofmann.

»Oder es hockelt dich eine!«, scherzte Balthasar Ulrich, »und trägt dich hinauf ins Hutsberg-Schloss und deckt dich mit Wackersteinen zu.«

Die kleineren Knaben waren ganz Ohr bei dieser Unterhaltung der größeren Burschen, obwohl diese ihrer nicht sonderlich bei ihren Gesprächen achteten, und beuteten nun den Inhalt des Vernommenen auf ihre eigene Weise aus.

»Ob’s nur wahr ist, dass es so böse Leut gibt, die anderen was antun können?«

»Die’s mit dem Teufel halten?«

»Ob’s nur einen Teufel gibt?«

Ob’s nur Leut’ gibt, die was können?«

So klangen die Fragen der kleinen Jungen durcheinander und die Älteren unter den Jüngeren taten gar klug, bejahten und bestätigten alles, denn sie wussten es nicht anders, sie hatten es so gehört von Eltern und Geschwistern, Großeltern und Dienstboten, der Hexenglaube war allgemein.

»Warum soll man nichts können?«, warf der kleine Claus, der zehnjährige Sohn des Bauern Kurt Ehrhard, dem auch mehrere der weidenden Pferde gehörten, die Frage auf.

»Kannst du denn was?«, erscholl die Gegenfrage.

»Gib mir einmal deine Hand!«, sprach Claus zu Michel, dem neunjährigen Söhnchen des Bauern Wenzel Alt.

»Warum soll ich dir meine Hand geben?«

»Ich will dir daraus wahrsagen!«

»Was, du kannst wahrsagen?«, riefen einige staunend, fast scheu und erschrocken aus, andere lachten hellauf und schrien es laut aus: »Der Claus kann wahrsagen! Kommt all daher, ihr Burschen, der kleine Claus wahrsagt!«

Dieses Geschrei und Gelächter veranlasste auch die älteren Burschen, neugierig näher zu treten und zu sehen, wo das hinaus wolle. Sie sahen und hörten, wie der kleine Michel Alt dem kleinen Claus Ehrhard schüchtern seine Hand hinhielt, wie der kleine Claus sehr ernsthaft in die Hand hineinblickte, sie dann losließ und ebenso ernsthaft zu seinem Gespielen sprach: »Du wirst noch in diesem Jahr sterben.«

Dieses Wort aus des Knaben Mund machte mehr oder minder alle Hörer erbeben; der kleine Michel Alt erschrak heftig, wurde leichenblass und begann zu weinen. Einer der größeren Burschen holte bereits aus, den Wahrsager mit einer derben Ohrfeige zu belohnen, ein anderer aber hielt diesen zurück und fragte: »Woher weißt du denn das, Claus?«

»Ich kann es einem in der Hand und an den Augen ansehen!«, antwortete dieser mit einem gewissen Stolz.

»Wer hat dir denn das gelehrt?«, fragte Valtin Hofmann.

»Mein Vater hat es mir gelehrt«, antwortete ganz unbefangen der kleine Claus und meinte Wunder, was er für eine wichtige Person sei. Er bemerkte die bedenklichen Mienen der älteren Burschen nicht, mindestens wusste er diese nicht zu deuten. Angestachelt von Eitelkeit und kindischer Torheit begann er unaufgefordert weiterzureden: »Oh, mein Vater kann noch mehr, und ich weiß mehr, als ihr alle wisst!«

»Erzähl uns, erzähl uns, Claus!«, rief und drängte es um den kleinen eitlen Sprecher. Die Knaben lagerten sich auf den Rasen, nahmen den Wahrsager in die Mitte, Michel vergaß den Schreck, den Clausens Prophezeiung ihm eingejagt hatte, die größeren Burschen setzten sich ebenfalls, und so bildete sich eine eigentümliche malerische Gruppe.

War es kindische Eitelkeit, Wichtigtuerei und Aufschneidersucht, war es ein Geist der Lüge, war es ein Verhängnis, was aus dem Mund dieses zehnjährigen Knaben sprach und plauderte, oder war es fantastische Anschauung und Übertragung des Gewöhnlichen und Zufälligen zum Ungewöhnlichen und Geheimnisvollen? Rätselhaft, tief rätselhaft war es und blieb es.

Der kleine Claus Ehrhard erzählte:

»In unserm Haus sind drei Hunde, das sind drei Teufelein, einer ist dem Vater seiner, einer ist meiner Mutter und der dritte ist mein. Dem Vater sein Hund heißt Kittel, das ist der ärgste und böseste, meiner Mutter ihrer heißt Spanier und meiner heißt Wacker; alle drei sind schwarz, von der Art der Dackel, und haben große krumme Füße. Diese drei Hunde bringen uns Geld. In der Nacht aber sind sie gar böse und machen vielen Lärm. Der Vater darf nicht in den Stall gehen zur Nacht, um den Pferden vorzulegen, ohne dass der Kittel hinter ihm herläuft. Kittel springt auch auf den Stadelbalken, und wenn mein Vater Heu oder Stroh herunterlangen will, so knurrt er und beißt nach ihm. Mein Vater muss immer einen Stecken zur Hand haben und dem Kittel das Fell durchwamsen. Als die Hunde in unser Haus kamen, band sie mein Vater in der Bodenkammer an Seile an, die haben sie aber durchgebissen. Er hat sie an Ketten binden müssen, doch auch davon reißen sie sich los, und ist schon mehrmals in der Nacht der Kittel auf meines Vaters Bett gekommen und ist darauf herumgesprungen. Manchmal kommen sie alle drei auf des Vaters Bett und tun sehr hässlich. Aber hinter dem Bett hat mein Vater einen Prügel stehen, damit jagt er die Hunde weg.«

Die Hörer allzumal waren stumm vor Staunen.

Der kleine Claus nahm dieses Schweigen als einen wohlverdienten Zoll stummen Beifalls willig an und plauderte weiter: »Manchmal zur Nacht kommt auch ein Ding vor meines Vaters Kammer, ist ein blauer Ochs, wie Alt-Endersens Ochs, das scharrt mit dem Fuß an der Kammertür, kommt zuzeiten auch herein und schlägt nach meinem Vater. Selbes Ding kann reden. Öfter hat es auch meinem Vater Geld gebracht, das hat es im Maul gehabt, und hat mein Vater gefragt: ›Was bringst du mir?‹

›Ich bringe dir Geld‹, hat der Ochs gesagt.

Und wenn er fortgegangen ist, hat mein Vater gesagt: ›Ich will dir wieder dienen.‹«

»Bringen die Hunde und der Ochs euch viel Geld?«, fragte der Pferdeknecht Balthasar Ulrich neugierig.

»’s ist nicht viel dermehr, hab noch keine Dukaten oder Laubtaler gesehen, als immer nur kleine Blafferte und Blechkappen«, antwortete Claus.

»Was fressen denn eure Hunde?«, warf Valtin Hofmann die Frage auf.

»Gar nichts fressen sie!«, gab Claus zur Antwort, welche allgemeine Verwunderung hervorrief.

Immer kecker, da er so viel Gehör und, wie es schien, auch Glauben fand, wurde des Knaben Mut und immer frischer seine Lust, zu erzählen. »Wir haben auch ein Seil am Boden«, berichtete er mit geheimnisvoller Wichtigkeit, »daran ziehen mein Vater und meine Mutter, wie man zieht am Euter einer Kuh, und da fällt allemal Korn herunter, immer eine halbe Metze voll in das untergestellte Maß. Da können wir des Tages vier- bis fünfmal daran ziehen und Korn melken. Das Seil hat viele Knoten und hängt frei an einem Ballen. Wo das Korn herkommt, sieht kein Mensch, es fällt gleichsam aus dem Seil in die Metze.«

»Man sollt nicht meinen, dass es möglich wäre!«, rief Balthasar Ulrich. »Das geht doch wahrhaftig nicht mit rechten Dingen zu!«

»Nein, das geht nicht mit rechten Dingen zu!«, riefen viele nach und erhoben sich zum Heimgehen, da die Sonne hinab war und die Dämmerung begann. Sie plauderten noch ein Langes und Breites von Hexengeschichten und Hexenkünsten.

Auf dem Nachhauseweg aber sagte Heinrich Pochert, der junge Pferdeknecht bei Kurt Ehrhard, zu dem kleinen Claus Ehrhard, dass es die anderen nicht hörten: »Dummkopf, Schafkopf, der du bist, Papelmaul! Gib acht, ob du nicht heute Abend dich, deinen Vater und deine Mutter ins Gefängnis und zuletzt auf den Scheiterhaufen geschwatzt hast! Welcher böse Geist hat dir eingegeben, solche Dinge auf offener Wiese vor aller Welt zu erzählen, vor denen einem die Haut schaudert und die Haare sich sträuben! Wirst schon sehen, dummer einfältiger Michel, was du angestiftet hast.«

Claus erschrak und ängstigte sich. Scheu und schüchtern betrat der unbedachte Knabe das elterliche Haus.

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